Читать книгу Briefe lügen nicht - Wie wir wirklich waren - Martina E. Siems-Dahle - Страница 13
Über die Rollenverteilung von Männern und Frauen
ОглавлениеJan Claus, 21 Jahre alt, schrieb an die siebzehnjährige Elisabeth:
Brandenburg – Briest, den 23.3.1943
Liebe Elli!
(…) Im Augenblick bin ich nicht mal Soldat, ich zeichne von früh bis spät, wenn ich nicht weiterkomme, hole ich mir Rat bei einem älteren Kameraden, von dem ich schon viel gelernt habe. Wir arbeiten zu dritt in einem Atelier, das uns der General für unsere Zwecke zur Verfügung gestellt hat.
Hans hatte vor einigen Tagen eine größere Arbeit beendet und abgeliefert. Der Alte war begeistert und hat ihm alle Arme voll Flaschen gesteckt, Wein, Sekt und Kognac (habe ich Sekt richtig geschrieben?) Na, ist ja egal, es wurde jedenfalls sehr schön, das Zeug schmeckte uns großartig und wir waren bald in guter Stimmung. Dann wurden wir lustig und erzählten uns was. Thema: Frauen. Nicht etwa so, wie Soldaten im Allgemeinen über sie reden, sondern ganz anders. ‚Wie soll ein Mädchen sein, das man heiratet?’ Hans ist schon über 30 Jahre alt und seit 7 Jahren verheiratet und hat zwei Kinder. Erich ist erst seit 3 Wochen glücklicher Ehemann, er ist 22 Jahre alt, darum ist es kein Wunder, daß er von seiner Frau begeistert ist.
Doch Hans liebt seine Frau auch, und wie! Das war es, was mich erstaunen und fragen ließ: ‚Nun, wie muß ein Mädchen sein, das man heiratet?’ Hans beschrieb seine Frau, wie sie war, wie sie sich änderte, und wie sie ist. Erich kennt sein Mädchen schon viele Jahre und erzählte von ihr.
Wir verglichen die Frauen, ließen alles Unwichtige weg und kamen dann darauf, wie Frauen sein müssen, mit denen man eine glückliche Ehe führen kann. Sie muß so sein: sauber, treu und fraulich. Findest Du es sonderbar, daß diese Eigenschaften die Wichtigsten sind?
Die meisten Männer heiraten nämlich aus ganz anderen Gesichtspunkten. Der eine heiratet eine, mit der er sich sehen lassen kann. Sich sehen lassen, das ist ihm das Wichtigste, warum? Weil er grauslich eitel ist. Fragt man ihn dann, ob er sich in diesem Modepüppchen einmal die Mutter seiner Kinder vorstellen kann, dann macht er vor Erstaunen den Mund auf und vergißt vor Schreck zu antworten. Er hat ja noch nicht einmal darüber nachgedacht, daß sein Modepüppchen ja nicht nur Modepüppchen sein soll, sondern daß sie als Frau auch andere Aufgaben hat.
Mit dem will ich aber nicht gesagt haben, daß ein Modepüppchen nicht auch sauber, treu und fraulich sein kann, es gibt ja auch solche, aber dann sind es eben diese drei Eigenschaften das Beste an ihr.
Siehst Du Elli, so haben Hans, Erich und ich über die Frauen nachgedacht, und ich war ganz ihrer Meinung. (…)
Sei ganz herzlich gegrüsst von Deinem Jan
P.s.: Findest Du es „fraulich“, lebende Mäuse zu secieren?
Brandenburg-Briest, den 27.Januar 1944
Liebe sonderbare Elli!
Es hat mich sehr gefreut, daß Du mir davon schreibst, wenn Du Dir Gedanken machst. Darum sollst Du auch wissen, wie ich darüber und über Dich denke.
Es ist zwar vernünftig, wenn man danach fragt: ‚Was ist sie, was kann sie und was hat sie.’ Doch Du bist ja Gott sei Dank genauso unvernünftig wie ich. Du fragst ja auch nicht, was ich kann, was ich bin und was ich hab’, oder doch? Na, was kann er denn? Allenfalls zeichnen. Was ist er denn? Ein großer Junge. Und was hat er? Seine Elli. Frag’ mal ein anderes Mädchen, ob ihr das genügen würde. Es ist mir bestimmt nicht gleichgültig, ob Deine Familie gesund ist oder nicht, ob sie fidel ist oder missmutig. Die Hauptsache ist doch, daß Du mir gefällst, und ebenso wichtig, daß ich Dir gefalle. (Was Dir an mir gefällt, ist mir egal, Hauptsache, es ist so.)
Nun sieh’ aber auch zu, Elli, daß Du mir weiterhin gefällst. Was Du Dir da mit Deinem Beruf als Ärztin ausgedacht hast, mag ja ganz schön sein. Nimm aber `mal das Wort ‚Beruf’ genau, es kommt doch von „Berufung“. Fühlst Du Dich berufen Ärztin zu werden? Dann nimm es auch ernst damit. Wenn Du aber eine Frau werden willst, dann mußt Du es genauso ernst nehmen. Glaube nicht, daß es leichter ist, einem Mann eine gute Frau zu sein, als den Beruf einer Ärztin auszuüben. Frau zu sein kann viel schwerer, aber auch viel schöner sein.
Es mag ja Mädchen geben, die sich damit abgefunden haben, daß es eben zu viele Mädchen gibt. Die verzichten dann ganz darauf Frau zu werden, sie glauben oder reden sich ein, es sei ihre Berufung, ihre Aufgabe im Leben, Arzt zu sein. Sie lernen, streben und schaffen es dann auch, und ähneln dabei dann so sehr den Männern, die diesen Beruf ausüben, daß sie nie mehr eine Frau sein könnten, die ihn in allem ergänzt und zu ihm gehört.
Ich weiß, daß Du nicht so bist, Elli, ich kenne Dich ja. Du wärst zu stolz, um zu warten, bis irgendjemand kommt, um Dich zu heiraten. Du wolltest unabhängig sein, einen Weg vor Dir wissen und vorwärts kommen. Es freut mich, daß Du so bist, aber ich glaube, Dein Beruf macht Dich langsam zu dieser Sorte von Frauen, die später nicht mehr haben, was mir an Frauen liebenswert erscheint. Wenn Du in einigen Jahren einmal heiratest, dann bist Du nicht mehr meine Elli von heute.
Es gefällt mir ja alles an Dir, Elli, auch Deine Jungenhaftigkeit. Trage von mir aus Stiefel, fahre Motorrad, reise, jage oder was sonst Spaß macht, Du kannst ja trotzdem, oder gerade deswegen eine nette kleine Frau werden.
Aber Dein Streben, Dein Lernen, Dein Gelehrt-Sein-Wollen, das gefällt mir nicht und imponiert mir nicht mal. Es ist zwar nicht schön, eine dumme Frau zu haben, aber es ist noch viel weniger schön, mit einer gelehrten Frau leben zu müssen. Gelehrtsein hat gar nichts mit Klugheit zu tun, und klug bist Du. Klüger wirst Du nicht durch lernen, indem Du Deine ganze Freizeit über mit Büchern und Schulaufgaben verbringst. Klüger wird man durch Nachdenken. Lies ab und zu ein gutes Buch von einem klugen Mann, der das, was er dachte in seinem Buch als Roman erzählt hat und versuche es ihm nachzudenken. Sieh Dir schöne Theaterstücke an und überlege, was der Dichter drin sagen wollte. Höre gute Musik und versuche den Komponisten zu begreifen. Freue Dich über alles Schöne und Gute, dadurch wird man klug. Nicht durch den Pythagoras durch Tangens und a2 x 2ab + b2. Meine Motorkunde wird mir im Eheleben genauso wenig nützen, wie Dir Dein Latein. Natürlich bleiben und natürlich denken, das ist wichtig.
Wenn es Dir graut, lebende Mäuse zu secieren, wenn es Dich ekelt, Spucke zu untersuchen, wenn Du nicht über Dinge spottest, die mir (als Laie) heilig sind (den Medizinern nicht), solange ist es gut. Wenn Du aber durch Deinen unfraulichen Beruf soweit verdorben bist, daß Du diese natürlichen Gefühle nicht mehr hast, dann tut mir der Mann leid, der Dich heiratet und die Kinder, die Du dann nach irgendeiner Methode erziehst.
(…) Ja, Elli, vielleicht gefällt Dir der Jan gar nicht, der so redet: Lies’ Dir den Brief in Ruhe heute Abend nochmal durch, wenn Du mich jetzt nicht verstanden hast. Vielleicht bin ich zu jung, Dir zu erklären, was ich meine, vielleicht bist Du auch zu jung, um zu begreifen, was ich meine. Sicherlich merkst Du aber, was ich Dir sagen will, wenn ich es auch nicht vernünftig ausdrücken kann.
Ich danke Dir für Deinen lieben Brief und es grüsst Dich herzlich Dein ebenso sonderbarer Jan
O.U.[2], den 27.3.1944
Liebe Elli!
(…) Junge, Junge, watt mookst Du mi und Di för Sorgen!
Eigentlich wollte ich mich ja rasieren, aber das ist ja unwichtig, darum setze ich mich auf unseren einzigen Stuhl, nehme als Tisch ein Brett auf die Knie und nun kann’s Schreiben losgehen.
Es war gut, daß ich endlich aus den Kasernen von Briest rauskam. Hier habe ich meine Aufgabe und der stramme Dienst lässt mir wenig Zeit, so lange, so viel zulange über einfache Sachen nachzudenken. Wenn Du meine Briefe aus Briest nochmals in Ruhe durchliest, dann wirst Du merken, daß das ganze Geschreibsel nichts anderes ist als Eifersucht auf Deinen Beruf. Ich wollte nicht, daß Dir Dein Beruf wichtiger ist als ich, ich alter Egoist. Du gibst mir ja aber auch immer wieder Grund zur Eifersucht, wie z.B. in Deinem letzten Brief, wo Du schreibst, daß Dein Weg, techn. Assistentin zu werden, unbeirrbar und unveränderlich wäre. Das klingt ja geradezu, als wenn ich Dir ein Hindernis wäre auf diesem Wege. Was glaubst Du denn, welche komische Rolle ich in Deinem Leben spielen soll?
Du hast Recht, jetzt im Kriege hast Du in Deinem Beruf eine wichtige Aufgabe.
Auf meiner Stube sind zwei, die unterhalten sich mit ihrem wenigen Gehirn über Dinge, die sie nicht verstehen. Um sich gegenseitig zu überzeugen, schreien sie immer lauter, so daß es fast unmöglich ist, einen vernünftigen Brief zu schreiben. Ein anderer Kumpel hackt Holz, und jedes Mal, wenn er zuschlägt, hüpft meine Bank in die Höhe. Sei mir nicht böse, wenn ich mitten in diesem Brief abbreche und Dir erstmal diese Hälfte schicke.
Es geht mir gut. So früh wie in diesem Jahr war ich noch nie braun. Ich bin immer ganz verwundert, wenn ich in den Rasierspiegel schaue. (Oh ja, ich muß mich ja noch rasieren). Der frische Wind hier an der Küste, der Dienst auf den Bergen bei dem ewig blauen Himmel ist gesund und macht mir Spaß.
Sei wieder vergnügt, Elli! Dein Jan