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Der letzte Wille I

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Meine Mutter empfand es als eine Belastung, dass Hans-Jürgen sich eine „ordentliche“ Bestattung gewünscht hatte. Emotionaler Schnickschnack, dann noch vor und mit der Verwandtschaft, hätte sie am liebsten vermieden. Sie gewährte die Zeremonie, nicht ohne ihre Vorstellung über den Ablauf durchzusetzen. Somit wurde das Ganze noch protestantischer als evangelische Beerdigungen ohnehin schon sein können.

Zuerst war im Kapellchen des Gertrudenfriedhofs in Oldenburg im engen Familienkreis die Trauerandacht, danach die Beisetzung bei herrlichstem Sonnenschein. Wir fuhren daraufhin zur Kirche der Gemeinde Ofen, einem Ortsteil Bad Zwischenahns. In der Kirche war mein Vater getauft und konfirmiert worden und sie liegt direkt neben dem Gelände, auf dem mein Vater und seine Geschwister aufgewachsen waren. Es ist das Landeskrankenhaus in Wehnen, zu dem man einst Heil- und Pflegeanstalt sagte. Mein Großvater war dort bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges der Verwaltungsdirektor.

In der Lange Straße, in der Fußgängerzone Oldenburgs, fand ich eine Boutique, in der ich mir für die Beerdigung noch angemessene Kleidung kaufen wollte. Eigentlich hätte ich lieber etwas Knallrotes getragen, doch als ich das zu meiner Mutter sagte, verriet mir ihr Blick, dass sie nichts davon hielt.

Schwarz ist eine unpassende Farbe im Hochsommer, der in jenem Jahr selbst meine Heimatstadt mit Temperaturen bis über dreißig Grad verwöhnte. Noch schlimmer als schwarzer Rock, weiße Bluse und schwarzes Oberteil sind schwarze Strumpfhosen. Ich war schon immer ein Rockmuffel. Wenn ich Rock oder Kleid trage, dann nur im Sommer, wenn mich keine beengende, zwickende Strumpfhose quält. Aber auf einer Beerdigung, dazu noch auf Vatis, musste ich diesen Umstand auch bei diesen Temperaturen in Kauf nehmen.

Auf die weiße Bluse durfte ich verzichten, ich kaufte ein rotes Shirt.

Die Kleidung muss dem Anlass angepasst sein, das hatte man mir eingebläut. Ich fand im roten Ordner ein unliniertes Stück Papier, vermutlich aus dem Jahr 1975, auf dem mit Bleistift geschrieben stand:

Liebe Tini,

worum ich heute Morgen bitten muß, wäre bei anderen eine Selbstverständlichkeit. Da Du aber nicht zu den anderen gehörst, muß ich bitten. Bitten um Äußerlichkeiten, damit Du vor meiner Familie bestehen kannst. Du weißt, meine Familie reißt schnell den Mund auf, wenn es um Euch (Heiner u. Dich) geht. Du kannst verstehen, daß ich mich nicht wieder ärgern möchte, wenn es um so Kleinigkeiten wie Garderobe geht. Ziehe Dich bitte nett an. Du weißt selbst, daß Du vorteilhafter in Röcken wirkst, also warum nun keinen Rock? Es wäre doch purer Trotz, wenn Du Hosen anziehen würdest. Du kannst Dich wirklich nett anziehen (das betrifft auch Dein Haar), das hast Du neulich erst wieder bewiesen.

An dieser Stelle möchte ich noch bemerken, daß wir froh und dankbar sind für Dein Verhalten in letzter Zeit. Laß nun nicht erneut Ärger aufkommen. Mutti.

Briefe lügen nicht - Wie wir wirklich waren

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