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Kaiserlicher Bordfotograf: Großvater Heinrich Siems

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Schwalben aus Perlmutt verzieren dieses Fotoalbum

Auf einem kleinen, runden Wohnzimmertisch von Oma und Opa Siems, vor dem Blumenfenster, lagen dekorativ zwei wunderschöne große Fotoalben. Ich hielt sie im Herbst 2011 seit langer Zeit wieder in den Händen. Ihretwegen war ich zu Heiner nach Bayreuth gefahren, der die Kostbarkeiten sein Eigen nennen durfte. Obwohl ich schon seit ewigen Zeiten wusste, dass darin Heinrich Siems seine fast dreijährige Schiffsfahrt als Marinesoldat bildlich und textlich festgehalten hatte, und obwohl ich wusste, dass unser Großvater der Bordfotograf während der Ostasienreise des Prinzen Eitel Friedrich von Preußen, dem zweitältesten Sohn Kaiser Wilhelm II., war, hatte ich sie noch nie genau betrachtet, geschweige denn die handschriftlichen, akkurat auf dünnen Bleistiftlinien festgehaltenen Beschreibungen gelesen.



SMS Gneisenau


Das Schiff, mit dem der Kronprinz einen Teil seiner Weltreise unternahm, war die S.M.S. Gneisenau [‚Seiner Majestät Schiff‘, Anm. d. Autorin], das zum deutschen Ostasiengeschwader mit Stützpunkt in Tsingtau gehörte. Die Ostasienreise startete für den 20jährigen Heinrich Siems am 10.November 1910. Heinrich durfte am 7.Januar 1913 von Bord gehen, als die Gneisenau sich auf den Weg machen musste, um über Südamerika nach Deutschland zurückzukehren. Sie sollte als Kriegsschiff im Ersten Weltkrieg eingesetzt werden. Doch schon bei den Falklandinseln wurde sie von den Briten beschossen. Schließlich versenkte sich die Besatzung in aussichtsloser Lage selbst.



Würdenträger und die Elite aus Bombay empfangen Kronprinz Eitel Friedrich von Preußen, unten auf der Treppe stehend.


Heinrichs begleitender Text:

Unsere eigentliche Aufgabe, den Kronprinzen auf seiner sensationellen Weltreise zu begleiten, begann am Sonntag, 11.XII.10, sich abzuwickeln. An diesem Tage kamen im Hafen von Colombo die hohen Herrschaften zu uns an Bord. Ein blitzblankes Schiff. Paradefieber bis zum letzten Heizer. Das Achterschiff gleicht einem streng bewachten Heiligtum. Auch mir war beim Photographieren unbehaglich zu Mute. Vorgesetzte, nichts als Vorgesetzte! Der Kronprinz zeigt sich leger, nennt mich: ‚Mein Sohn!‘ Die Kronprinzessin[5] geht abends zum Antritt der Heimreise auf Dampfer „Lützow“. Wir fahren mit dem Kronprinzen nach Bombay.

Wenn man durch die Straßen von Port Aid wandert, dann sieht man Menschen aus allen möglichen Ländern. Hierauf ist alles eingestellt. Die Schwarzen sprechen einige Brocken Deutsch. Deutsches Geld wird gerne genommen. Schuhputzende Neger überall. Wenn der Fuss nicht gerade in Bewegung ist, kauert der Neger am Boden. Unversehens beginnt das Putzen. Auch in Lokalen. Die Händler treiben großen Schwindel. Nicht mehr als 30% des Preises zahlen!


Peststation

Am Morgen des 14.XII.1910 geht S.M.S. Gneisenau im weiten Hafen von Bombay vor Anker. Alle Schiffe im Hafen machen grosse Flaggenparade. Ehrenwachen an Bord. Salutschießen ohne Ende. Hohe Würdenträger kommen und gehen. Kronprinz in weisser Garde Uniform. Immer dieses verbindliche Lächeln der Berufsdiplomaten auf den Gesichtern. Ein Kunststück bei 35 Grad am frühen Morgen.

Auf Landurlaub in Yokohama lernten drei Kameraden und ich einen deutschen Arzt kennen. Wir saßen in einer Hafenbar und erzählten von unseren Erlebnissen. Der Arzt verabredete mit uns ein Zusammensein in einem sehr schönen Bungalow unweit von Yokohama. Der unverheiratete Arzt hatte zur Unterhaltung eine Anzahl Geishas kommen lassen. Meine Tischdame hieß Ina, die mir bei einem späteren Treffen, das wir verabredet hatten, eine Lichtbild schenkte.


Heinrich Siems mit „seiner“ Geisha

Bombay, 14.XII 1910 bis 4.I.1911

Geishas sind gebildete Mädchen, die von frühester Jugend an für ihren Beruf geschult werden. Auf öffentlichen und auch auf privaten Veranstaltungen. Die meisten sprechen etwas Englisch und singen und tanzen.

Deutschland hatte ein modernes Krankenhaus bauen lassen, das von den Europäern und Japanern stark in Anspruch genommen wurde. In diesem Krankenhaus war unser Gastgeber angestellt.


Die schwarzen Gesichter der Besatzung nach dem Kohletrimmen.


Die Angehörigen des Jahrgangs, die als nächste zur Entlassung in die Marine-Reserve kommen werden, zählen die Nächte bis zu diesem Ereignis. Jeden Morgen, wenn die Spielleute an Deck ‚Freut‘ Euch des Lebens‘ gespielt haben, auf den Bootsmanns-Maaten-Pfeifen der schrille Weckruf gepfiffen und anschließend gerufen wird: ‘Rise, rise‘ (sprich reiße, reiße), überall zurrt Hängematten‘ , dann ertönt das Lied der Reservisten:

‚Zum letzten Mal haben wir an Bord geschlafen, zum letzten Mal die Hängematt gezurrt. Noch drei Hurras, für unsere Kameraden, und dann geht’s wohl mit voller Fahrt nach Haus.‘

Hieran anschließend ertönt dann mit größter Lautstärke:

„Gerade noch 235 und eine schlaflose Nacht.“

Am nächsten Morgen heißt es dann ‚234‘ und so geht es weiter bis zum Tage ‚1‘, wenn nämlich am nächsten Tage die Entlassung der Reservisten erfolgt. Das ist auch so in der Heimatflotte. In außerheimischen Gewässern wird zusätzlich gesungen:

Holdrich, dann geht’s zur Heimat.

Holdrich, zur schönen Heimat!

Holdrich, dann geht’s zur Heimat.

Ich hatte im dritten Ausbildungsjahr das märchenhafte Glück, von Schanghai aus mit dem Reichspost- und Luxusdampfer „Yorck“ heimzureisen. Außer mir wurden von der „Gneisenau“ elf Besatzungsmitglieder mit diesem Dampfer in die Heimat zurückgeschickt, die längere Zeit schwer erkrankt waren und tropenunfähig geworden waren. Ich war immer gesund geblieben.

R.P.D. Yorck hat drei Fahrgastklassen. Ich war in der II. Klasse untergebracht, der Touristenklasse für Weiße. In der III. Klasse fuhren Farbige. Ich brauchte keinerlei Dienst zu machen und genoß während der 6 ½ -wöchigen Reise auf Kosten der Marineverwaltung die gleichen Vorteile und Rechte der zivilen Passagiere! Täglich sechs viel zu üppige Mahlzeiten. Dazu an jedem Tag 1l Exportbier frei. Dazu weiter die vollen Gebührnisse eines Obermaaten. Die Heimreise ging ab Shanghai über Hongkong, Bangkok, Singapoor, Penana (Malakka), durch den indischen Ozean nach Aden, Suez, Port-Said, Genua, Algier, Gibraltar, Southhampton, Rotterdam, Bremerhaven. Ich konnte in jedem Hafen an Land gehen. Zum Fotografieren bin ich während der ganzen Fahrt nicht gekommen.“


Schauturnen am Reck an Deck


Baden an Deck. Ein Sonnensegel dient als Badewanne.

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