Читать книгу Briefe lügen nicht - Wie wir wirklich waren - Martina E. Siems-Dahle - Страница 15
Ein schöner Mann
ОглавлениеSelbstporträt, Hans-Jürgen Siems, 1949
Wenn ich meinem Vater jeden Morgen begegne, berührt mich sein trauriger, ernster Blick. Er schaut mir direkt in die Augen, die hinter einer runden Hornbrille liegen, Vatis Ohren stehen ein wenig ab, aber nicht so, dass man sie als Segelohren verspotten könnte. Seine Nase ist zart und grade, eher feminin. Seine Gesichtshaut ist feinporig, keine Bartstoppeln zu sehen. Die Lippen, hauchzart aufeinanderliegend, sind weich und perfekt geformt, wie gemalt. Die dunklen Augenbrauen schwingen in einem Bogen über die oberen Brillenränder, sie sehen wie gekämmt aus. Über ihnen thront eine hohe, intellektuelle, faltenlose Stirn, die in zwei sich ein wenig andeutenden Geheimratsecken übergeht. Die Haare werfen sich in einer Welle nach hinten. Es scheint dunkelblond zu sein. Das Schwarzweißfoto verrät nichts Genaues. An der Seite sind sie kurz geschnitten, keine Koteletten. Das Foto ist ein Portrait, die rechte Schulterklappe auf dem Anzug und der Kragen verraten, dass der junge Mann Soldat ist.
Jeden Morgen, wenn ich die Treppe hinunter gehe, die vom ersten Stock direkt ins Wohnzimmer führt, schaut mich mein Vater prüfend vom gegenüberliegenden Bücherregal an. Ein schöner Mann.
Mein Vater, um 1950, über die Eitelkeit bei Männern und Frauen, festgehalten neben mehreren selbst verfassten Essays in einer schwarzen Kladde:
Über die Eitelkeit
Ich bin einer der sympathischsten Männer, die ich kenne, aber gestern mußte ich mir doch meine Mißbilligung aussprechen: Ich stellte fest, daß ich eitel bin.
Als ich mich nämlich kämmte und gerade meine Welle im Haar bewunderte, - ja da mußte ich eben konstatieren, daß es meine eigene Welle ist, die ich bewunderte. Ziemt sich das für einen Mann?
Allerdings weise ich nachdrücklich alle Behauptungen zurück, ich selber hätte sie in meinen Schopf gedrückt. Aber die Tatsache der Selbstbewunderung bleibt. Sind Männer eitel?
„Natürlich“ sagen einige Sopran- und Altistinnen, die sich einbilden, daß wir ihretwegen eitel seien.
„Natürlich nicht“, sagen wir, denn wir sind ja viel zu eitel, um das zuzugeben.
Wir Männer sind in der Minderheit, die Frauen haben recht. Sollen sie, bei ihnen ist die Tatsache der Eitelkeit nie diskutabel gewesen, sie sind es aus Berufung. Für uns. Für wen denn sonst? Bei uns ist die Frage immerhin umstritten, und das ist ein Zeichen, daß unsere Eitelkeit nicht so offensichtlich ist. Sie ist zurückhaltender, vornehmer, distanzierter, gebildeter,- kurz: männlicher.
(…) Die männliche Eitelkeit ist mehr intellektueller Natur. Intellektuelle Eitelkeit, - ein treffender Ausdruck, nicht mehr. Hoffentlich merken es die anderen.
Die primitive Eitelkeit der Männer gibt es allerdings auch. (…) Manchmal steigert sie sich vom Sportabzeichen zum Halsorden. Das ist gefährlich: Die männliche Eitelkeit ist destruktiv. Sie endet auf dem Ministersessel oder im Heldengrab. Wir sollten sie eifrig bekämpfen, vielleicht gibt es dann einst keine Kriege mehr.
Wie anders ist weiblich! Sie ist dumm, teuer, lächerlich und aufreizend, deshalb fallen wir Männer immer wieder drauf rein. Aber sie ist konstruktiv: Alle Kriege, die der Frau wegen entstanden, wurden nicht durch die weibliche, sondern die männliche Eitelkeit verursacht. Menelaos und Paris z.B. hätten ja um Helena knobeln können. Nein, sie boten viele Tausend Mannen auf, die in Ruhm und Rüstung glänzten.
Es lebe die weibliche Eitelkeit! Sie verschönt die Tage und Nächte.
Nieder mit der männlichen Eitelkeit! Sie richtet die Welt zugrunde.
- Ich habe mich zu sehr ereifert. Meine Haare hängen mir wild ins Gesicht, nun muß ich mich erst kämmen. Das ist ein Anlaß, in den Spiegel zu blicken: Ach, sie liegt gut, meine Welle!
Weihnachten 1941 war die Batteriefeier in Hannover-Bothfeld, wo mein Vater auf einem Weiterbildungslehrgang war, ein gelungenes Fest. Leckereien und Schnaps hatte es ausreichend gegeben. Zu einem solchen Fest gaben die Soldaten eine sogenannte „Bierzeitung“ heraus, mit allerhand lustigen Anekdoten und Sketchen. Hans-Jürgen berichtete an seine Eltern in seinem Brief vom Sonntag, 28.12.1941:
(…) Ich möchte sehr gerne Euch die Bierzeitung zuschicken, nur – es ist da eine Sache mit hineingekommen, die sich eben nur beim Kommiss oder in fortgeschrittenen Skatklubs sehen und vortragen lassen kann.
(…) Ein frohes Neues Jahr! Euer Hans-Jürgen
In einem der hinterlassenen Briefordner, in denen Heinrich Siems die Korrespondenz mit meinem Vater fein chronologisch abgeheftet hatte, fand ich aber dennoch diesen Beitrag für „Fortgeschrittene“: