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Perikles

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Der zweite entscheidende Mann in Athen dieser Jahre ist Perikles. Er wird um 490 geboren, über seine Jugend ist wenig bekannt, aber er muss von Beginn an ein begnadetes Rhetoriktalent gewesen sein. Kaum eine Rede vor der Volksversammlung bringt nicht das von ihm gewünschte Abstimmungsergebnis. Zudem ist er der Bauherr des Athen, das in Teilen bis heute erhalten ist. In seine Amtszeiten als Stratege fallen die Auseinandersetzungen mit den Persern, der Machtkampf mit Sparta, der im Peloponnesischen Krieg endet und schließlich in den Niedergang der Hegemonialstellung Athens bewirkt.

Aber Perikles revolutioniert auch die attische Demokratie. Er führt Diäten ein. Damit wird jeder Bürger Athens in die Lage versetzt, ein öffentliches Amt zu bekleiden. Diese bis heute so bezeichnete Bezahlung von „Politikern“ ist ein Quantensprung in der demokratischen Entwicklung, weil nun auch ärmere Schichten hohe und höchste politische Ämter einnehmen können. Gleichzeitig wird ein kostenloser Lese- und Schreibunterricht für alle Bürger eingeführt. Zweifellos kalkuliert er den zu erwartenden Popularitätsschub ein und hofft – nicht zu Unrecht – damit seine eigene Stellung in Athen zu festigen. Das gilt auch für das so genannte „Schaugeld“. Dieses Geld wird an Bedürftige gezahlt, wenn sie an öffentlichen Veranstaltungen – etwa philosophischen Diskursen – teilnehmen wollen.

Unter Perikles wird das attische Staatswesen zu einem Fürsorge- und Wohlfahrtsstaat. Zumindest Teile der Bevölkerung erliegen den Verlockungen der Diätenzahlungen, die doch eigentlich zur Vollendung der Demokratie gedacht sind, und entfremden sich zusehends von produktiver Arbeit. Dieser nicht beabsichtigte Effekt, die stark kritisierte Finanzpolitik und die zunehmend rigider werdende Bürgerrechtspolitik sollten sich als verhängnisvoll für die Zukunft Athens erweisen. Denn mit der Einschränkung der Bürgerrechte radikalisiert sich die attische Politik zunehmend gegenüber jenen Menschen, die keine „Vollbürger“ sind. „Vollbürger“ ist nur, wer zwei in Athen geborene Elternteile vorweisen kann. Damit geht Perikles wieder einen Schritt zurück, denn diese Vorschrift hat es schon zu Themistokles Zeiten gegeben.

Sein Stern sinkt aber auch aus einem anderen Grund. Perikles gibt dauerhaft mehr Geld aus, als die Stadt einnimmt. Diese marode Finanzpolitik kommt vor allem wegen steigender Kriegskosten und wegen gewaltiger Bauvorhaben zustande. Perikles versucht sich zu verteidigen, verweigert die Rechenschaft gegenüber jenen, die Tribute an Athen zahlen müssen. Aber der Streit lässt sich nicht ohne weiteres beenden, dazu beinhaltet er auch zu viel sozialen Sprengstoff. Der einst unbestrittene Perikles verliert allmählich Rückhalt und Vertrauen in der Bürgerschaft. Gleichwohl lässt er die Akropolis erweitern und sie mit dem Tempel für die Göttin Athene schmücken. Er gibt die Initiative für den Bau des Parthenon, des Odeons und einiger anderer Prachtbauten. Athen wird in ein schimmerndes Festgewand aus kostbarem Marmor und anderen edlen Steinen gehüllt. Neben den Prunkbauten entsteht ein weiteres für damalige Verhältnisse erstaunliches Bauwerk: Um einen sicheren Verkehrsweg zwischen beiden Städten zu haben, wird eine sieben Kilometer lange Doppelmauer zwischen Athen und Piräus gebaut.

Aber angesichts der hohen Kosten und des Imageschadens, der sich für das nahezu insolvente Athen im restlichen Attika abzeichnet, zählt die Schönheit dieser Bauwerke bald nichts mehr. Auch die Tatsache, dass in der Regierungszeit von Perikles das Bildungswesen erheblich verbessert worden ist, die meisten Athener nun lesen und schreiben können und in riesigen Theatern mitunter Tage lang die Finessen zeitgenössischer Dramaturgie vorgeführt bekommen, hält man ihm nicht länger zu Gute.

15 Jahre, so lange wie niemand vor ihm, fungiert Perikles als Stratege. Er ist der militärisch Verantwortliche, der „erste Bürger Athens“, der die Geschicke der Stadt mit großem Erfolg gelenkt hat. Als er aber in zunehmende Bedrängnis gerät, bringt er Athen auf einen neuen außenpolitischen Kurs, der in einer Konfrontation mit Sparta mündet. Der Verlauf des Peloponnesischen Krieg zwischen Athen und Sparta ist der Anfang vom Ende nicht nur des großen Reformers Perikles, sondern das Ende der Blütezeit Athens.

Perikles ist zweifellos einer der bedeutendsten Staatsmänner des antiken Athens gewesen. Er hat entscheidenden Anteil am Auf- und Ausbau der Demokratie, auf die sich heute noch die europäische Welt beruft. Einschränkend sei auf ein Zitat des griechischen Schriftsteller Thukydides (ca. 454 – 396 v. Chr.) hingewiesen, der den beeindruckenden Satz geprägt hat, die athenische Demokratie sei nur dem Namen nach eine solche gewesen, in Wirklichkeit habe es sich um die „Herrschaft des ersten Mannes“ gehandelt. Aber von jenem Thukydides ist auch überliefert, wie stark das Selbstverständnis der attischen Bevölkerung in jenen Jahren von zentralen Demokratiebegriffen wie Freiheit, Gleichheit, Selbstlosigkeit, Überparteilichkeit oder Weltoffenheit geprägt gewesen ist. Ein Ensemble von Werten, von denen die modernen europäischen Demokratien immer noch geformt werden.

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