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Europas antike Wurzeln

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Die Ursprünge der Demokratie liegen in Griechenland, genauer formuliert in der attischen Polisgesellschaft und dem von Athen dominierten Teil des griechischen Festlands. Das antike griechische Demokratieverständnis beruht auf der bis heute richtigen Einsicht, dass das Allgemeinwohl aus der aktiven Teilnahme der Bürger am Leben seiner Polis entsteht. Heute würden wir eher von der Zivilgesellschaft reden, die sich im öffentlichen Raum Gehör verschafft, wenn es um das Gemeinwohl geht – von der Umgehungsstraße bis zur Ampel vor einer Schule. Die moderne Demokratie am Beginn des 21. Jahrhunderts ist weiter entwickelt – zum Glück, sonst wären Frauen und weniger Begüterte womöglich immer noch von ihr ausgeschlossen. Aber die Tatsache, dass durch die Solon’schen Reformen das Individuum in den Mittelpunkt gestellt worden ist, finden wir rund 2.000 Jahre später in der Renaissance, der Aufklärung und schließlich in unseren westlichen Demokratien wieder. Welch eine Nachhaltigkeit einer Idee!

Bildung steht bei den antiken Griechen hoch im Kurs. Wer gebildet ist, kann über die öffentlichen Angelegenheiten mitreden und mitentscheiden. Das hat sich über die Jahrhunderte fortgesetzt: Gebildete genießen immer hohes Ansehen. Damals wie heute sind viele Menschen bestrebt, sich weiter zu bilden, mehr Wissen anzuhäufen und über mehr Dinge Bescheid zu wissen, als es für die Bewältigung des eigenen Lebens vielleicht unbedingt notwendig ist. Im 15. Jahrhundert entsteht in Europa der Humanismus. Er wird sich ausdrücklich auf die griechische Antike berufen und in dem allseits gebildeten Menschen das Ideal schlechthin erblicken. Nur der gebildete Mensch sei in der Lage, lebenswichtige Entscheidungen zu treffen, ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft zu sein oder kulturelle Schaffenskraft zu entwickeln. Platons Satz „Der Mensch ist das Maß aller Dinge“ wird die Leitplanke der Humanisten und vieler anderer Geistesströmungen werden.

Das gemeinsame kulturelle Erbe Europas aus der griechischen Antike ist eben auch die Erkenntnis, dass Bildung ein wesentlicher Teil des menschlichen Lebens ist. Jeder kann und sollte gebildet sein. Im Mittelalter ist es unter französischen oder deutschen Gelehrten wichtig gewesen, die lateinische und griechische Sprache zu beherrschen. Nur so haben sie von einer Universität zur nächsten wechseln können, weil sie gewusst haben, dass sowohl die Lehrer als auch die Studenten diese Sprachen beherrschen. Es ist durchaus schade, dass uns eine gemeinsame Sprache in Europa verloren gegangen ist – wie viel einfacher wäre dann ein Einigungsprozess unter den Europäern.

Dennoch hat Europa aus Griechenland eine ungeheure kulturelle Vielfalt geerbt. Auf ihr basiert alles, was nach dem Ende der griechischen Antike kommen soll. Insgesamt ist Europa von drei Kulturkreisen beeinflusst – oder aus ihnen entstanden. Der erste griechisch-hellenistische Kulturkreis hat sich nach den Feldzügen Alexanders „des Großen“ vom Balkan über das spätere oströmische Reich bis weit in den Orient hinein erstreckt. Der zweite ist der slawische Kulturkreis - meist islamisch geprägt und sowohl asiatischen als auch abendländischen Einflüssen ausgesetzt. Er ist bis heute in einigen südost- oder osteuropäischen Ländern zu bewundern. Der römisch-germanische Kulturkreis ist der dritte im Bund. Hier tritt das griechisch-römische Erbe an die Wiege Europas. Dieser Mix macht die Vielfalt Europas ebenso aus wie sie eine Klammer für alle Europäer bildet. Die Europäer sind Kinder dieser Kulturkreise, die in dieser Dichte und in diesem Reichtum nicht so oft auf der Welt anzutreffen sind. Die gegenseitigen kulturellen Verflechtungen, die sich daraus ergebenden besonderen Strukturen in Europa sind keineswegs Ausdruck des „alten“ – nahezu untergehenden Europas, wie es einmal der offenbar einseitig „gebildete“ amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld (1932) in gründlicher Unkenntnis der europäischen Geschichte gesagt hat. Im Gegenteil: Dieses Erbe ist der charakterisierende Wesenszug des europäischen Kontinents.

Die Genese Europas

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