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2.) Europa - Thesen

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Europa ist identisch

Alle Werte und Normvorstellungen, an denen sich die europäischen Staaten zu Beginn des 21. Jahrhunderts orientieren, sind in Europa entstanden, besser gesagt erkämpft worden: Der Parlamentarismus geht zurück auf die Staatsformenlehre des griechischen Philosophen Aristoteles, wurde in der mittelalterlichen Ständeversammlung ausprobiert und festgeschrieben beispielsweise in der englischen „Bill of Rights“ des Jahres 1689. Die Rechtsprechung kann auf eine lange Tradition zurückblicken, die vom oströmischen Kaiser Justinian I. im 5. Jahrhundert bis heute reicht. Der „Codex Iustinianus“ ist vermutlich die wichtigste Gesetzessammlung der Spätantike, sie hat die moderne europäische Rechtsprechung vorgezeichnet. Die „Habeas-Corpus“-Akte von 1679 begründet das moderne Haftprüfungsverfahren und die „Petition of Rights“ ist seit 1628 die Grundlage des bürgerlichen Rechts in England. Die Menschenrechte gehen auf die Französische Revolution zurück, obwohl sie einige Jahre vorher schon in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung niedergeschrieben wurden. Die europäischen Völker haben sich nicht erst seit dem KSZE-Prozess am Ende des 20. Jahrhunderts der gemeinsamen Verantwortung für den Kontinent gestellt. Die erste „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit“ hat nach dem 30jährigen Krieg stattgefunden, die zweite nach der Vertreibung Napoleons auf dem Wiener Kongress 1815. In beiden Fällen mit unterschiedlichen Ambitionen der Großmächte, aber doch von der Erkenntnis geleitet, den europäischen Kontinent als Ganzes zu betrachten.

Europa ist kohärent

Beginnend bei der griechischen Philosophie sind die Völker Europas von einer gemeinsamen Kultur geprägt. Etwa 500 Jahre vor Christus erhoben griechische Denker den Satz „Der Mensch ist das Maß aller Dinge“ zum Mittelpunkt ihrer Überlegungen. Der Reformer Solon hat das 594 v. Chr. in Athen in eine erste „Verfassung“ integriert. Das öffentliche Infrage stellen als philosophisches Prinzip ist die Voraussetzung der Befreiung des Menschen von der Sklaverei gewesen und markiert gleichzeitig den Beginn einer säkularen Welt. Aus diesen Grundlagen folgen Renaissance, Humanismus oder Aufklärung. Selbst wenn diese Denkströmungen durch Kriege lange Zeit verschüttet oder nicht erkennbar waren, haben sie den europäischen Kontinent überzogen, die Völker berührt und ihre Kulturen beeinflusst.

Europa ist christlich

Dieser Kontinent ist spätestens seit dem vierten nachchristlichen Jahrhundert von der römischen Kirche geprägt worden. Der römische Kaiser Theodosius I. hat das Christentum faktisch zur Staatsreligion erhoben und damit seine Ausbreitung dem staatlichen Schutz unterstellt. Die frühen Christen haben eifrig von diesem Schutz Gebrauch gemacht und teilweise mit der Waffe in der Hand „das christliche Abendland“ geschaffen. Gleichzeitig haben sie über viele Jahrhunderte an den Grenzen Europas, die nur im Südosten schwer zu definieren sind, eine Demarkationslinie zu anderen Religionen, insbesondere dem Islam, gezogen. Das ist eine Bürde, mit der sich das moderne Europa jetzt herumschlagen muss. Die über viele Jahrhunderte starre, dogmatische Haltung der Päpste in Rom hat Antiströmungen provoziert. Die Aufklärung, der Protestantismus, aber auch die vielen mittelalterlichen Bettelorden sind ohne die von Dekadenz und Selbstüberschätzung gleichermaßen angefressene römische Kirche nicht zu verstehen. Das jüdisch verwurzelte Christentum und die Aufklärung sind die beiden Seiten einer europäischen Medaille.

Einer ist nicht stärker als die anderen zusammen

Europas Geschichte ist die Geschichte von Kriegen. Beinahe jede europäische Generation zwischen dem 6. vorchristlichen Jahrhundert und dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat den Krieg als eine Art Dauerzustand erleben müssen. Dabei ging es meistens um Landgewinne, Eroberung von Rohstoffen oder schlichten Racheaktionen. Der 30jährige Krieg war zwischen 1618 und 1648 insofern eine Ausnahme, als er zumindest am Anfang ein Krieg um die Religionsfreiheit war. Nicht selten haben die europäischen Großmächte versucht, die alleinige Macht in Europa zu erlangen. Das ist in jeden Fall gescheitert. Die Ostfranken und ihr „Heiliges Römisches Reich“, die Universalmonarchie eines Karl V., Napoleon, Wilhelm II. oder Hitler haben versucht, eine europäische Hegemonie aufzubauen, die es während des Imperium Romanum zumindest über einen Teil des Kontinents gegeben hat. Sie sind am Widerstand der anderen europäischen Völker – und im Zweiten Weltkrieg der USA – gescheitert: Einer ist nicht stärker als die anderen zusammen!

Ideen verändern, Kriege nicht

Europa hat eine lange Kriegsgeschichte hinter sich und doch ähneln sich die Landkarten der letzten 1200 Jahre sehr. Mitunter sind Grenzen verschoben und Millionen Menschen getötet oder vertrieben worden. Aber Franzosen, Deutsche, Spanier, Italiener, Kroaten oder Russen – um nur einige zu nennen – leben an nahezu der gleichen Stelle der europäischen Topographie wie ihre Vorfahren. Während also Kriege nur kurzfristig Zerstörung und Tod gebracht haben, ist Europa durch Ideen nachhaltig verändert worden: Christentum, Aufklärung, Perestroika. Deren Spuren prägen das Leben der Menschen in Europa auch viele Hundert Jahre nach ihrer Entstehung. Ideen verändern nachhaltig.

Die Genese Europas

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