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Besuchsmarathon in Chongqing

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Am Flughafen in Chongqing empfing ein kleines Empfangskomitee des Wirtschaftsministeriums die Delegation. Man verfrachtete sie ins neu erbaute Demonstration Hostel und überliess ihr einen ganzen Bungalow samt drei Dienern. Im Empfangszimmer hingen eine chinesische und eine Schweizer Flagge unter dem Bild von Chiang Kai-shek. «Ich bin zum Heulen gerührt», schrieb Schindler. Die Delegation war froh, endlich einmal die Koffer auspacken zu können und sich neben modernen Ventilatoren gemütlich aufs Bett zu legen. Bei einem ersten Treffen mit Vizewirtschaftsminister Tann, zuständig für wirtschaftspolitische Fragen, erläuterte Schindler den Zweck der Mission. Man wolle sich mit Fabrikbesuchen und Besprechungen einen Überblick über die Lage in China verschaffen. In erster Linie gehe es um Vorschläge für Kraftwerke, die Bahnausrüstung und die Papierherstellung. Bei Bedarf nach weiteren Industrieprodukten könnte er nach Rücksprache in der Schweiz ebenfalls Vorschläge machen oder sogar weitere Personen aus der Werkzeugmaschinenindustrie, der Textilmaschinenindustrie, der chemischen Industrie und der Uhrenindustrie kommen lassen. Weiter gebe es viele Sachverständige für Technik, Medizin, Hygiene und Landwirtschaft, die gerne nach China kämen und im Auftrag der Regierung Fragen des Fachgebiets bearbeiten könnten. Auch die MFO würde falls gewünscht ihr Wissen beim Aufbau einer elektrotechnischen Fabrik zur Verfügung stellen. Und schliesslich, meint Schindler, müsse ja auf lange Sicht der Import und Export Chinas ins Gleichgewicht gebracht werden, was Gespräche mit Handelsexperten nötig mache.

Die Delegation liess es sich nicht nehmen, zur Zerstreuung auch den Alltag in Chongqing besser kennenzulernen. Schindler engagierte für sich einen Chinesischlehrer, sie erkundeten mit Rikschas selbstständig die Stadt («geht glatt, nur kleine Überbezahlung») und vergnügten sich – mit Einschränkungen – an einer Tanzveranstaltung: «Die Chinesinnen sind schon sehr klein und ich schwitze vor Angst, ihnen auf die Füsschen zu treten. Nach drei Tanzversuchen gebe ich es auf. Allemand und Miau sind etwas erfolgreicher, kommen aber auch vor 11 Uhr zurück.»


Strassenszene in Chongqing, 1944.

Am 7. August trafen auch Corti und Winkler ein. Die Stimmung unter den fünf Herren war gut, auch wenn Schindler einige Tage zuvor von Miao verlangen musste, ihm alle Telegramme in die Schweiz vorzulegen, sofern sie nicht komplett privater Natur waren. Offensichtlich vermutete er, dass Miao nicht nur für die Delegation arbeitete, sondern auch noch für weitere Leute in der Schweiz Erkundigungen einholte. Namentlich stand er in Kontakt mit seinem Freund Tang, der bei der BBC, dem Hauptkonkurrenten der MFO, arbeitete. Nachdem die Delegation endlich komplett war, fing man zusammen mit der staatlichen National Resource Commission (NRC) an, konkrete Projekte auszuarbeiten. Im Mittelpunkt stand ein Projekt für ein Kraftwerk am Jangtsekiang. Die NCR verlangte in erster Linie Vorschläge zur Finanzierung, die Delegation aus der Schweiz erwartete Grundlagen zur Ausarbeitung einer technisch einwandfreien Offerte. Statt Detailpläne erhielten die Schweizer vorerst Daten über den Fluss und einen groben Situationsplan – viel konnte man damit nicht anfangen.

Erfreuliche Nachrichten verbreiteten sich in den Abendstunden des 10. August: Japan hatte bedingungslos kapituliert. «Mein Chinesisch-Lehrer führte einen Freudentanz auf und jedermann ist sehr glücklich. Feuerwerk, viel Volk auf der Strasse.» Doch was bedeutete das Kriegsende für die Mission der Schweizer Delegation? Erlangte sie eine erhöhte Bedeutung aufgrund der grösseren Aktualität eines friedlichen Aufbaus? Oder war die Delegation gar nicht mehr erwünscht? Weiter war nun auch ungewiss, wie lange die einflussreichen Leute überhaupt noch in Chongqing bleiben und wann die Regierung wieder in die Hauptstadt Nanking ziehen würde.

Trotz Siegesfeierlichkeiten gingen die Fabrikbesuche und die Besprechungen mit privaten Industriellen und mit Staatsvertretern weiter. Es kristallisierte sich immer mehr heraus, dass die Chinesen grundsätzlich bereit waren, in der Schweiz zu bestellen, jedoch nur zu sehr grosszügigen Zahlungsbedingungen. Ein Wirtschaftsführer fasste die Situation so zusammen: Die chinesischen Industriellen würden gerne kaufen, hätten aber die nötigen Barmittel nicht; die europäischen und amerikanischen Industriellen möchten verkaufen, geben aber die nötigen Kredite nicht. Immerhin signalisierten Bankenvertreter eine gewisse Bereitschaft, Zahlungsgarantien abzugeben, auch in US-Dollars.

Zauderer mit Charme

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