Читать книгу Zauderer mit Charme - Matthias Wiesmann - Страница 21

Ein Krokodil für den Gotthard

Оглавление

Eine weitere Sparte der MFO ging auf den Eintritt von Peter Emil Hubers Sohn Emil Huber-Stockar im Jahr 1891 zurück. Nachdem sein Vater immer mehr an Sehkraft verloren hatte, trat er dessen Nachfolge an. Unter der Leitung des Physikers Hans Behn-Eschenburg gelang es der MFO im Jahr 1904, einen Bahnmotor für Einphasenwechselstrom zu konstruieren, der im Gegensatz zum Dreiphasenwechselstrom, auf den die BBC beim Bahnmotorenbau setzte, nur eine einfache Stromleitung benötigte. Um ihr System zu testen, elektrisierte die MFO die Versuchsstrecke Seebach–Wettingen. Der erste Auftrag für eine Einphasenwechselstrombahn kam 1907 von der Valle-Maggia-Bahn, später lieferte die MFO auch die Ausrüstung der Lokomotiven für die Lötschbergstrecke. Emil Huber verliess 1910 wegen interner Querelen die MFO und widmete sich für die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) der Elektrifizierung der Gotthardstrecke. Nach dem Ersten Weltkrieg lieferte die MFO für diese Route die ersten elektrischen Güterlokomotiven, die legendären «Krokodile», nachdem sich schliesslich auch die SBB und andere europäische Bahnen 1919 für das System der MFO entschieden hatten. In kleineren Dimensionen war die MFO auch an der Elektrifizierung der Zürcher Strassenbahn beteiligt. Sie baute diverse Tramtypen mit Elektromotoren, Leitungsnetze und Kraftanlagen zur Stromversorgung. Ausserdem unterhielt sie bis 1927 mit einer von ihr finanzierten Betriebsgesellschaft die Tramlinie vom Central über Oerlikon bis Seebach.

Der neue starke Mann in der MFO nach dem Ausscheiden von Emil Huber wurde sein Schwager Dietrich Schindler-Huber, der Vater von Hans Schindler. Er war bereits 1893 aufgrund der zunehmenden Erblindung seines Schwiegervaters Peter Emil Huber und des Abgangs der beiden wichtigsten Ingenieure in die Geschäftsleitung berufen worden. 1899 nahm er eine grosse Kapitalerhöhung vor und überliess drei Viertel der Aktien einer Bankengruppe um die Schweizerische Kreditanstalt, die sie anschliessend breit streute. Die Familie hatte damit die Mehrheit verloren, blieb aber weiterhin bestimmend. Als Mitte der 1900er-Jahre der Absatz stockte, reorganisierte er das Unternehmen und schärfte dessen Profil. Die Werkzeugmaschinenfabrikation wurde an die Schweizerische Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon (später: Oerlikon-Bührle) abgestossen und die elektrotechnische Abteilung von Rieter übernommen. 1912 wurden Dietrich Schindler und Hans Behn-Eschenburg zu Generaldirektoren ernannt, ab 1919 zusätzlich zu Delegierten des Verwaltungsrats. Unter ihrer Leitung blühte das Geschäft wieder auf, und es gelang ihnen, riesige finanzielle Reserven anzuhäufen. Das Unternehmen war aber trotz Aufträgen aus aller Welt sehr schwach internationalisiert. In der Zwischenkriegszeit, als vermehrt Handels- und Zollbarrieren entstanden, wären ausländische Produktionsstätten eigentlich zu erwarten gewesen. Einzig in Frankreich jedoch richtete man 1919 in Ornans, im grenznahen Departement Doubs gelegen, eine Fabrik ein, die sich auf Bahntraktionen und Transformatoren spezialisierte. Der Sitz der Tochterfirma war in Paris. Für den Aufbau weiterer ausländischer Werkstätten fehlte es an geeignetem Führungspersonal zur Überwachung und an Mut für risikoreiche Investitionen. Zudem wollte Dietrich Schindler stets persönlich den Überblick über alle Geschäfte behalten, was gegen weitere komplexitätssteigernde Expansionsschritte ins Ausland sprach.

Hemmend für die Absatzchancen in einem sich verschärfenden Markt wirkte sich auch die fehlende Verbindung zu einer Finanzierungsgesellschaft aus. Die BBC hatte mit der Gründung der Motor AG für angewandte Elektrizität eine Gesellschaft gegründet, die Anlagen projektierte, finanzierte und später verkaufte, selbstverständlich mit Produkten der BBC. Mit einer weiteren Finanzierungsgesellschaft, der von der AEG gegründeten Elektrobank, war die MFO immerhin durch ihre Hausbank, die Schweizerische Kreditanstalt, verbunden. Die Bank war 1895 wesentlich an der Gründung der später in Elektrowatt umbenannten Gesellschaft beteiligt gewesen.

Zauderer mit Charme

Подняться наверх