Читать книгу Zauderer mit Charme - Matthias Wiesmann - Страница 18

Die Freiheit währt nur kurz

Оглавление

1909 kam Hans Schindler ins Kantonale Gymnasium, das er als anregend und befreiend empfand. Endlich war kritisches Denken gefragt. Mit neunzehn Jahren meldete er sich ein Jahr früher als üblich zum Dienst in der Armee, da er schon als Knabe vom Militär geschwärmt hatte – sehr zur Missbilligung der «wirklichkeitsnahen» Grossmutter Huber. In der Rekrutenschule und im ersten Aktivdienst «balancierte» er zwischen seiner Rolle als Unteroffiziersanwärter und Kamerad der Mitsoldaten aus Arbeiterkreisen. Danach absolvierte er die typische Offizierslaufbahn. Seine Vorgesetzten waren allerdings von seinen militärischen Führungsqualitäten nicht sonderlich überzeugt und hielten ihn zu einer strengeren Hand an. Zudem liess sein Orientierungssinn im Gelände zu wünschen übrig. Er war allerdings zu ehrgeizig, um sich mit dem Grad eines Kompaniekommandanten zu begnügen. Zuletzt befehligte er im Zweiten Weltkrieg als Oberstleutnant ein Grenzbataillon.

Kurz vor dem Studium wollte Schindler im Welschland sein Französisch aufbessern. Man schickte ihn für kurze Zeit zum Pfarrer in Genthod bei Genf. Beim Studienfach liessen ihm die Eltern freie Wahl. Er entschied sich 1916 für ein Chemieingenieur-Studium an der ETH Zürich. Ob seine Studienwahl mit seinem Onkel Martin Schindler-Escher zusammenhing, der bei der Aluminium Industrie Aktiengesellschaft (AIAG) als Generaldirektor wirkte, ist nicht bekannt, wäre aber durchaus denkbar. Bei der AIAG in die Fussstapfen seines Chemiker-Onkels zu treten, wäre allerdings nach dem Rauswurf von Martin Schindler als Generaldirektor im Jahr 1920 kaum mehr möglich gewesen. Aus der Matrikel geht hervor, dass Hans Schindler sein Studium im gleichen Jahr mit der hervorragenden Gesamtnote von 5,59 abschloss. Die Freifächer, die der Student neben dem Hauptstudium wählte, zeigen anschaulich, wofür er sich sonst noch interessierte: für Militärisches (u. a. «Taktische und technische Entwicklung des Stellungskrieges von Napoleon bis zur Gegenwart») und für philosophische Fragen (u. a. «Einleitung in die Philosophie», «Rousseau, der Genfer Republikaner über Gesellschaft, Naturzustand und Naturerziehung»).

Mit dem Diplom in der Tasche war der Weg ins Ausland endlich frei. Hans Schindler ging 1920 für seine Promotion nach Cambridge und danach als Postdoktorand ans Collège de France in Paris. Welch eine Befreiung! Erstmals befand er sich nicht im Machtbereich des Elternhauses. Anfänglich fand er in England nur Zugang zu indischen Studenten und den Kollegen aus dem Labor. Über das Cellospiel knüpfte er schliesslich auch gute Kontakte zu musikbeflissenen Engländern und «dear old ladies», die gerne einem Musikquartett in ihrer Wohnung lauschten. Mit Boris Ord, dem Leiter des Knabenchors am King’s College, durfte er als Cellist an einem fantasiereichen Musikschauspiel mitwirken. Schindler empfand endlich das «volle, unbeschwerte Leben».

1924 war die kurze Zeit der Freiheit allerdings vorbei. Sein Vater, flankiert vom späteren Verkaufsdirektor F. E. Hirt, machte ihm den Vorschlag, in die MFO einzutreten. Und Hans Schindler willigte ein. Warum? Einerseits wohl aus der antrainierten Pflicht zum Gehorsam, andererseits auch aus einer Unsicherheit heraus, da ihn die Laufbahn als Chemiker in unbekanntes Gefilde geführt hätte. Im Nachhinein war für ihn aber klar: «Das war eine Weichenstellung, die für mich nicht von gutem war.» Sogar seine Mutter hatte ihm abgeraten, diese Stelle zu übernehmen. Er war nun «eine Figur im Machtspiel des Vaters» und musste ab diesem Zeitpunkt als präsumtiver Nachfolger des Vaters «Kronprinz» spielen. In Paris erhielt er eine Schnellbleiche in Elektrotechnik an der École supérieure d’électricité und verbrachte wenige Praxiswochen in der von Hirt geleiteten französischen Tochterfirma, bevor er im Mutterhaus in Oerlikon ab 1925 erste Aufgaben übernahm. Er arbeitete ein paar Jahre im chemischen Labor, dann war er inoffizieller Adjunkt beim technischen Direktor, zuletzt im Büro des Vaters.


Hans Schindler mit seinem Vater Dietrich, 1921.

Zauderer mit Charme

Подняться наверх