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I. Das UWG 2015

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§ 3 UWG enthält in der Fassung des UWG 2015 vier Absätze und unterscheidet sich dadurch sowohl von § 1 UWG 1909 und § 3 UWG 2004, die noch mit einem Absatz auskamen, als auch von § 3 UWG 2008, der es bereits auf drei Absätze brachte (vgl. Rdnr. 233). Die Textfassung ist überwiegend neu und erinnert nur noch wenig an § 3 UWG 2008. Die Tradition der großen wettbewerbsrechtlichen Generalklauseln setzt § 3 Abs. 1 UWG 2015 fort, auch wenn diese Vorschrift viel kürzer gefasst ist als ihre Vorgänger. Sie enthält keine Anspruchsgrundlage und spricht nur ein Verbot aus („sind unzulässig“), während sich die Ansprüche bei Verstößen erst aus §§ 8 ff UWG ergeben.

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§ 3 UWG 2015 unterscheidet in Absatz 1 nicht danach, ob sich eine geschäftliche Handlung an Verbraucher, Mitbewerber oder sonstige Marktteilnehmer richtet oder diese erreicht. Dagegen betreffen die Absätze 2 bis 4 nur geschäftliche Handlungen gegenüber Verbrauchern und setzen insofern Art. 5 Abs. 2 und 3 UGP-RL um. Dabei ist Absatz 2 anders als § 3 Abs. 2 S. 1 UWG 2008 nicht mehr als Verbot formuliert, sondern als Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals „unlauter“ in Absatz 1. Absatz 3 verweist in Anlehnung an die Regelung in Art. 5 Abs. 5 und Anh. I UGP-RL auf den Anhang des UWG mit einer Liste von geschäftlichen Handlungen gegenüber Verbrauchern, die ohne Rücksicht auf die Eignungsklausel in § 3 Abs. 2 UWG stets unzulässig sind (Per-se-Verbote). Absatz 4 schließlich präzisiert in Übereinstimmung mit Art. 5 Abs. 2 und 3 UGP-RL den Beurteilungsmaßstab für geschäftliche Handlungen gegenüber Verbrauchern.

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Die Geschichte der Änderungen der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel ist eine wahre Leidensgeschichte. Bereits die „Modernisierung“ des UWG im Jahr 2004 brachte mit der Ersetzung der Merkmale „im geschäftlichen Verkehr“ und „gute Sitten“ (§ 1 UWG 1909) Änderungen, die inhaltlich nicht geboten und vor allem rechtsästhetisch motiviert waren. Beide Begriffe werden an anderen Stellen im Recht – teilweise auch im UWG – heute noch verwendet.[1] Im Jahr 2015 passte der Gesetzgeber den bis dahin vom EU-Recht abweichenden Begriff der Unlauterkeit des UWG an Art. 5 Abs. 2 UGP-RL an. Die Unlauterkeit wurde im deutschen Recht aus guten Gründen im Sinn des Verstoßes gegen den Anstand bzw. die unternehmerische Sorgfalt eng verstanden. Davon unterschieden wurde das Relevanz- und Spürbarkeitskriterium zur Ausgrenzung von Bagatellfällen, das in den Eignungsklauseln des § 3 UWG 2004 und des § 3 Abs. 1 UWG 2008 Ausdruck gefunden hatte. Im EU-Recht waren dagegen gem. Art. 5 Abs. 2 UGP-RL von Anfang an auch die Erheblichkeit und die Spürbarkeit – neben der beruflichen Sorgfaltspflicht – Bestandteile der Unterlauterkeit.

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Der Begriff der Unlauterkeit im UWG 2015 umfasst nach der Anpassung ebenso wie im EU-Recht neben dem Verstoß gegen den Anstand bzw. die unternehmerische Sorgfalt auch das Relevanz- und Spürbarkeitserfordernis. Gleichzeitig wurde die zuvor vorhandene Eignungsklausel aus § 3 Abs. 1 UWG 2015 gestrichen, weil sie nicht in allen Fallgruppen zur Anwendung kam und einige Tatbestände als Per-se-Verbote interpretiert wurden.[2] In der Begründung der Beschlussempfehlung zum UWG 2015 hat der Rechtsausschuss des Bundestags jedoch betont, dass es auch nach neuem Recht der Rechtsprechung überlassen bleibe, „in Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals der Unlauterkeit … gegebenenfalls angemessene Spürbarkeitserfordernisse aufzustellen, um insbesondere Abmahnungen von Bagatellverstößen zu verhindern.“[3] Außerdem enthält nicht nur § 3 Abs. 2 UWG 2015 weiterhin eine – wenn auch gekürzte – Eignungsklausel. Eigene Eignungsklauseln hat das UWG 2015 auch in jene Beispielstatbestände aufgenommen, in denen Erheblichkeit und Spürbarkeit schon zuvor von Bedeutung waren (§ 3a, § 4a Abs. 1 S. 1, § 5 Abs. 1 S. 1 (Abs. 1 RegE), § 5a Abs. 2 S. 1 UWG (Abs. 1 RegE)).[4]

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Mit der neuen Fassung von § 3 hat das UWG 2015 zwar das zuvor kontrovers diskutierte Verhältnis der Absätze 1 und 2 von § 3 UWG 2008 geklärt und den Text redaktionell gestrafft. Deshalb weist die Vorschrift sowohl gegenüber § 3 UWG 2008 als auch gegenüber der umständlicheren Fassung des Regierungsentwurfs vom Januar 2015 Vorzüge auf.[5] Die Ersetzung der früheren Eignungsklausel durch ein ungeschriebenes Relevanz- und Spürbarkeitserfordernis ist jedoch wenig transparent. Auch als solche vermag die Übernahme des EU-rechtlichen Begriffs der Unlauterkeit nicht zu überzeugen, weil seine Konzeption fragwürdig ist: Der Verstoß gegen den Anstand bzw. die unternehmerische Sorgfalt einerseits und das Relevanz- und Spürbarkeitserfordernis andererseits dienen unterschiedlichen Zwecken. Sie zu einem einzigen Tatbestandsmerkmal zusammenzufassen und als „unlauter“ nur relevante und spürbare Beeinträchtigungen zu bezeichnen, ist sprachlich ungenau und verstellt den Blick auf die Eigenständigkeit der beiden Voraussetzungen.

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Aus der geltenden Fassung des § 3 Abs. 1 UWG 2015 ergibt sich danach folgende Grundstruktur der Generalklausel: Erstens verbietet sie nur „geschäftliche Handlungen“ i. S. v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG (Nr. 2 RegE). Zweitens müssen diese Handlungen „unlauter“ sein, wozu sowohl gehört, dass die Handlungen „unanständig“ sind, als auch, dass die von ihnen verursachten Beeinträchtigungen erheblich und spürbar sind. Das Tatbestandsmerkmal der Unlauterkeit ist darüber hinaus bei Handlungen in dem durch die UGP-RL harmonisierten Bereich einerseits und in den übrigen Fällen andererseits auf unterschiedliche Weise zu behandeln: In dem harmonisierten Bereich gelten § 3 Abs. 2 UWG 2015 und die Legaldefinitionen in § 2 Abs. 1 Nrn. 7 bis 9 UWG 2015 (Nrn. 1, 9 und 11 RegE). Für die übrigen Fälle fehlen vergleichbare Vorschriften, so dass § 3 Abs. 1 UWG 2015 allein und unmittelbar angewendet werden muss.

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Allerdings enthalten die §§ 3a bis 6 UWG viele Spezialtatbestände, die die Unlauterkeit für einzelne Fallgruppen konkretisieren. Daher ergibt sich für eine Fallbearbeitung folgende Prüfungsreihenfolge: Nach (a) einem Blick auf das besondere Verbot unzumutbarer Belästigungen in § 7 UWG sind (b) zuerst die Per-se-Verbote des § 3 Abs. 3 UWG i. V. m. dem Anhang zu prüfen, (c) sodann § 3 Abs. 1 UWG i. V. m. den Spezialtatbeständen der Unlauterkeit in §§ 3a bis 6 UWG und (d) erst zum Schluss § 3 Abs. 1 UWG direkt, und zwar (aa) entweder in Verbindung mit § 3 Abs. 2 UWG bei Handlungen gegenüber Verbrauchern in dem durch die UGP-RL harmonisierten Bereich oder (bb) allein und selbstständig in allen übrigen Fällen.

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