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2. Handlungen der öffentlichen Hand
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Abgrenzungsschwierigkeiten können sich bei Handlungen der öffentlichen Hand ergeben. Im Kartellrecht ist gesetzlich anerkannt, dass auch die öffentliche Hand „unternehmerisch“ handeln kann (vgl. § 185 Abs. 1 S. 1 GWB, Art. 106 AEUV, wo von öffentlichen „Unternehmen“ die Rede ist). Auch im Wettbewerbsrecht hat die Rechtsprechung das UWG häufig auf öffentliche Stellen angewendet, so z. B. auf die Gebietskörperschaften, insbesondere die Kommunen,[40] die Rundfunkanstalten[41] und die Berufskammern.[42] Die Sozialversicherungsträger sind vor Einführung des § 69 SGB V ebenfalls weitgehend dem UWG unterworfen worden,[43] und der EuGH wendet weiterhin die UGP-RL an, so im Fall von irreführenden Angaben auf der Internetseite einer gesetzlichen Krankenkasse.[44] Für die Unlauterkeit des Handelns öffentlicher Stellen hat die Rechtsprechung auch eine Reihe von Sondertatbeständen aufgestellt (vgl. unten Rdnr. 504 f).
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Die Frage nach der Unternehmenseigenschaft der öffentlichen Hand, die über die Anwendbarkeit des UWG entscheidet, ist von der Rechtswegfrage zu trennen, welche Gerichte im konkreten Fall zur Anwendung des UWG berufen sind. Im Fall der Sozialversicherungsträger sind dies wegen der speziellen Rechtswegzuweisung in § 51 Abs. 2 SGG heute zumeist die Sozialgerichte.[45] Bei Handlungen der übrigen öffentlichen Stellen ist für den Rechtsweg maßgeblich, ob eine bürgerlich- oder eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit i. S. d. §§ 13 GVG, 40 VwGO vorliegt. Auch § 14 Abs. 1 UWG setzt eine „bürgerliche Rechtsstreitigkeit“ voraus. Vereinzelt haben auch schon Verwaltungsgerichte in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über UWG-Fragen entschieden (vgl. auch § 17 Abs. 2 S. 1 GVG).[46]
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Für die Abgrenzung der unternehmerischen von den hoheitlichen Handlungen der öffentlichen Hand bei § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG (Nr. 2 RegE) ist auch die Lehre von der sog. Doppelnatur hoheitlicher Maßnahmen, die oft zur Entscheidung der Rechtswegfrage herangezogen wurde,[47] nicht geeignet. Nach dieser Lehre soll ein und dieselbe Handlung je nach der Rechtsbeziehung, in der sie sich auswirkt, bürgerlich- oder öffentlich-rechtlicher Natur sein. Bei der Ausstrahlung von nicht werbefinanzierten Fernsehsendungen durch die öffentlichen Anstalten etwa seien die öffentlich-rechtlich geordneten (vertikalen) Leistungsbeziehungen zu den Zuschauern von den privatrechtlich geregelten (horizontalen) Wettbewerbsbeziehungen zu den anderen Fernsehveranstaltern zu trennen.[48] Das ist jedoch wirklichkeitsfern; denn wo es konkurrierende Leistungserbringer gibt (anders in Monopolfällen), lassen sich die Auswirkungen von Handlungen gegenüber den Leistungsbeziehern nicht auf dieses Leistungsverhältnis reduzieren.
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Öffentliche Stellen handeln vielmehr grundsätzlich dann als „Unternehmen“, wenn sie Waren oder Dienstleistungen gegen Entgelt anbieten oder nachfragen. Solche erwerbswirtschaftlichen (fiskalischen) Tätigkeiten gibt es z. B. im Bestattungswesen,[49] bei der Energieversorgung,[50] beim Prägen von Kfz-Nummernschildern,[51] bei der Pflege von Grünanlagen.[52] Das UWG ist ferner anwendbar, wenn öffentliche Stellen ohne ausreichende gesetzliche Ermächtigung und ohne Zwang und Anordnung (schlicht hoheitlich) in den Wettbewerb eingreifen, etwa durch eigene unentgeltliche Angebote[53] oder durch Empfehlungen oder Warnungen zugunsten bzw. zu Lasten dritter Unternehmen.[54] Das gilt auch dann, wenn zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gehandelt wird; denn öffentliche Aufgaben können grundsätzlich auch mit privatrechtlichen Mitteln und im Wettbewerb mit privaten Unternehmen erledigt werden.[55] Ebenso wenig setzt die Anwendung des UWG eine Gewinnerzielungsabsicht voraus. Dagegen handeln öffentliche Stellen nicht als „Unternehmen“, wenn sie Recht setzen oder im Einzelfall mit den Mitteln von Zwang und Anordnung tätig werden;[56] wenn sie auf andere Weise auf Grund einer – vorrangigen und ihrerseits rechtmäßigen – gesetzlichen Ermächtigung tätig werden,[57] wobei im Einzelfall der Umfang der Ermächtigung über die Anwendung des UWG entscheidet;[58] oder wenn ihr Handeln keine Außenwirkung hat.[59] Auch private Unternehmer, die in Ausübung eines ihnen aufgetragenen öffentlichen Amtes oder „als verlängerter Arm der Verwaltungsbehörden“ tätig werden, handeln nicht als „Unternehmen“.[60]
Merke: Verhalten zugunsten eines „Unternehmens“ (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 (Nr. 2 RegE) UWG)
Der Begriff „Unternehmen“ ist (anders als der Begriff „Unternehmer“) im UWG nicht definiert. Sein Gebrauch ist nicht einheitlich. In § 2 Abs. 1 Nr. 1 (Nr. 2 RegE) UWG wird ein funktionaler Unternehmens-Begriff verwendet, der nicht auf das handelnde Rechtssubjekt, sondern auf die Art seines Handelns abstellt. Mit Hilfe des Unternehmens-Begriffs werden Handlungen zu rein privaten Zwecken, arbeitsrechtlich geregelte Handlungen und bestimmte Handlungen der öffentlichen Hand vom UWG ausgenommen. Die öffentliche Hand handelt vor allem dann nicht als „Unternehmen“, wenn sie auf Grund konkreter gesetzlicher Ermächtigung – mit den Mitteln von Zwang und Anordnung oder auf andere Weise – hoheitlich tätig wird. Wird sie dagegen ohne konkrete gesetzliche Ermächtigung schlicht hoheitlich oder in den Formen des Privatrechts erwerbswirtschaftlich tätig, ist sie „Unternehmen“.
Beispiel: BGH vom 18.1.2012 – I ZR 170/10 – Betriebskrankenkasse = GRUR 2012, 288; EuGH vom 3.10.2013 – C-59/12 – BKK Mobil Oil = WRP 2013, 1454
Sachverhalt: Die Betriebskrankenkasse BKK, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, veröffentlicht im Internet einen Text, der die Versicherten davon abbringen soll, die Krankenversicherung zu wechseln. Dieser Text enthält irreführende Angaben (§ 3 Abs. 1 i. V. m. § 5 Abs. 1 UWG). Die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG) verlangt von BKK Unterlassung gem. § 8 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 UWG. BKK vertritt die Ansicht, der Text im Internet sei keine geschäftliche Handlung, sie selbst kein Unternehmen i. S. v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG (Nr. 2 RegE). Ist das richtig?
Lösung: Voraussetzung für eine „geschäftliche Handlung“ ist nach der Legaldefinition in § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG (Nr. 2 RegE) u. a. ein Verhalten zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens. Fraglich ist, ob BKK ein „Unternehmen“ im Sinn dieser Vorschrift ist. Anders als der Begriff „Unternehmer“ (§ 2 Abs. 1 Nr. 6 UWG (Nr. 8 RegE)) wird der Begriff „Unternehmen“ im UWG nicht definiert. Auch wenn das UWG als „Unternehmen“ oft das Vermögen des Unternehmers bezeichnet (vgl. § 4 Nr. 2, § 8 Abs. 2 UWG), wird ein institutionelles Verständnis dem Begriff im Kontext von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG (Nr. 2 RegE) nicht gerecht. Der Begriff ist daher wie im Kartellrecht funktional zu verstehen und auf die betroffene Tätigkeit zu beziehen. Dann geht es im vorliegenden Fall um eine wirtschaftliche Tätigkeit, nämlich den Absatz von Versicherungsdienstleistungen. Zudem muss sich die Auslegung an den Begriffen „Unternehmen“ und „Gewerbetreibender“ in Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 lit. b und d UGP-RL orientieren. Zwar hat es der EuGH im Kartellrecht abgelehnt, die Tätigkeit der gesetzlichen Krankenkassen als wirtschaftliche Tätigkeit einzustufen, und das damit begründet, dass sie einen „rein sozialen Zweck“ verfolgen (EuGH, Poucet und Pistre, Slg. 1993, I 637 Rn. 15, 18). Für die UGP-RL soll dies jedoch nicht ausschlaggebend sein. Hier hat der EuGH entschieden, dass die Kassen zur Erreichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus „Gewerbetreibende“ und damit auch „Unternehmen“ i. S. d. UGP-RL sind. Der Text der BKK im Internet ist deshalb eine geschäftliche Handlung.