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Das Strukturniveau als Kontinuum

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Anfangs beschäftigte die Psychoanalyse sich ausschließlich mit Fixierungen im Ödipuskomplex als Kern der neurotischen Entwicklungen und Störungen. Diese Pathologie auf der Basis dieser entwicklungsgeschichtlich relativ späten Zeit (drittes bis fünftes Lebensjahr) ist das Feld der klassischen Neurosen – »klassisch«, weil zuerst, nämlich in der frühen Zeit der Psychoanalyse erforscht. Dagegen fand das Konzept der »frühen« Störungen, das bis auf Otto Rank in den 1920er Jahren zurückgeht, über sehr lange Zeit wenig Widerhall. Mit früh ist gemeint aus der Entwicklungsperiode vor dem Ödipuskomplex.

Erst um 1950 entstand ein breiteres Interesse an den Entwicklungsprozessen vor dem Ödipuskomplex und den damit verknüpften Störungen. In der Folge entwickelte sich eine Polarität zwischen entwicklungspsychologisch »später« und »früher« Pathologie. Sie besteht in der Gegenüberstellung von Konflikt- und Entwicklungspathologie ( Kap. 3.2.5) bis heute weiter und hat Folgen für die psychoanalytische und psychotherapeutische Behandlungstechnik. Es war Anna Freud113, die darauf hinwies, dass »Entwicklungsstörungen« eine ganz andere, nämlich nicht um Deutungen zentrierte Behandlungstechnik brauchen als Konfliktstörungen.

• Die Konfliktpathologie, die mit dem Studium der klassischen Neurosen von der Psychoanalyse zuerst konzipiert worden war, entspricht dem höheren Strukturniveau. Sie ist durch die Fixierung konflikthafter Beziehungsepisoden und intrapsychischer Konflikte gekennzeichnet. Sie äußert sich in umgrenzten Einschränkungen der Fähigkeit, bestimmte Konflikte aus dem Affekt-, Trieb- und Beziehungserleben zu lösen. Sie ist durch ein hohes Integrations- und Differenzierungsvermögen des Ich und eine gute Integration der Persönlichkeit geprägt.

• Die Entwicklungspathologie steht in Beziehung zum niederen Strukturniveau und ist durch Entwicklungsdefizite gekennzeichnet. Sie äußert sich in unzureichend entwickelten basalen Fähigkeiten, strukturellen Funktionsdefiziten des Ich und in einer ungenügenden Integration der Persönlichkeitsorganisation, insbesondere der Selbst-, Objekt- und Beziehungsrepräsentanzen. Sie manifestiert sich vor allem als Begrenzung der Fähigkeit, unter Belastungen die psychische Stabilität, d. h. die Selbst- und Beziehungsregulation aufrechtzuerhalten.

Diese beiden Arten der Persönlichkeitsorganisation stellen nur die Pole der neurotischen Pathologie dar. Dazwischen liegt ein Kontinuum von Möglichkeiten der Mischung von strukturellen und konfliktpathologischen Aspekten der Persönlichkeitsorganisation. Der bei Weitem größte Teil der Patienten in der Praxis kommt mit gemischten präödipalen Störungen zur Behandlung. Für diesen Zwischenbereich verwenden wir die Bezeichnung mittleres Strukturniveau bzw. präödipale Persönlichkeitsorganisation114.

• Die präödipale Persönlichkeitsorganisation ist kennzeichnend für das mittlere Strukturniveau. Sie zeigt eine fortgeschrittene, allerdings in Krisen labile Integration der Selbst-Objekt-Repräsentanzen und eine Mischung von Verdrängungs- und Spaltungsabwehr. Strukturelle Schwächen zeigen sich in der Selbstregulation.

Psychotherapie und Psychosomatik

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