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Spaltung und Spaltungsabwehr

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Am Anfang der Entwicklung verfügt das unreife Ich über geringe Fähigkeiten zur Integration verschiedener Teilaspekte des Erlebens und der Wahrnehmung. Man kann von einer phasenspezifischen Integrationsschwäche oder auch von einem Zustand der primären Spaltungen sprechen. Er ist eine Funktion der entwicklungsgemäßen Unreife und keine eigentliche Abwehroperation.

Darüber hinaus gehört die Spaltung zu den frühesten Bewältigungsformen der menschlichen Psyche und stellt einen Versuch dar, die innere Welt zu strukturieren. In dieser Form wird sie zur Bewältigung von Desorientierung, Spannungen und Belastungen, z. B. bei »unlösbaren« Herausforderungen, und besonders auch zur Traumaverarbeitung eingesetzt. Widersprüchliches wird dabei einfach auseinandergehalten und danach bewertet und eingeordnet, ob die einzelnen Teile sich gut oder schlecht »anfühlen«. Wenn gut und schlecht konsequent auseinandergehalten werden, entsteht eine Polarisierung. Sie führt dazu, dass ein Teil der Wahrnehmungen als »nur-gut« eingestuft wird, der andere als »nur-schlecht« (oder »nur-böse«).

Dieser Mechanismus kann später wiederbelebt und zur Abwehr eingesetzt werden. Dann spricht man von defensiver Spaltung. Zusammen mit anderen Abwehrmechanismen wie Projektion, Introjektion, projektive Identifizierung und Verleugnung bildet sie eine komplexe Formation, die Spaltungsabwehr ( Kap. 2.1.2).

Menschen, die auf niederem Strukturniveau organisiert sind, neigen dazu, ihr Leben vornehmlich durch Spaltung zu bewältigen – teils weil sie noch im Stadium des desintegrierten Erlebens verhaftet sind, teils weil sie Spaltungsprozesse zur Bewältigung und Abwehr einsetzen.

Die Spaltungsabwehr ist ein kognitiver Bewältigungsprozess. Sie verändert die Wahrnehmungen so, dass Gegensätze und Widersprüche, die nicht ertragen werden können, aufgelöst werden. Das betrifft z. B. den Gegensatz zwischen Liebe und Hass: Statt eine Wut auf einen an sich geliebten Menschen zu erleben, spalten die Betroffenen die Objektvorstellung in einen wütenden und einen liebenden Anteil. Entweder wird dann der eine Teil auf einen anderen Menschen projiziert, sodass die beiden polaren Beziehungen gleichzeitig, aber getrennt voneinander bestehen. Oder einer der beiden Gefühlsanteile wird gegenüber ein und demselben Menschen zunächst verleugnet, sodass dieser als »nur gut« erlebt wird. Erst später wird das Schlechte in der Wahrnehmung zugelassen und das Gute verleugnet, sodass die Person »nur schlecht« gesehen wird.

Wie das Beispiel zeigt, haben Spaltungsprozesse die Funktion, instabile Beziehungen vor dem Zerbrechen zu schützen oder, innerseelisch betrachtet, das Gute vor dem Schlechten zu bewahren. Wenn dieser Prozess misslingt, entstehen unerträgliche Borderline-Zustände, d. h. maligne Selbstzustände. Sie sind durch Dysphorie, Erregung, Angst, Entfremdung, Verlorenheit oder andere vegetative oder affektive Empfindungen gekennzeichnet und werden häufig in mehr oder weniger selbstschädigender Weise abreagiert.

Im Gegensatz zur höher strukturierten, reiferen Verdrängungsabwehr werden Wut, aggressive Impulse und destruktive Phantasien aber nicht ins Unbewusste verdrängt, sondern von den eigentlich gemeinten Personen abgelenkt. Auf diese Weise erhält die Welt der Beziehungen und unbewussten Vorstellungen von sich selbst und den anderen ein archaisches Gepräge mit schwerwiegenden Folgen. Darüber hinaus werden andere über die projektiv-identifikatorische Abwehr kontrolliert und manipuliert, sodass die äußere Welt verändert wird. Die Borderline-Abwehr ist daher sehr häufig auch eine interpersonelle Abwehr.

Psychotherapie und Psychosomatik

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