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Ichschwäche, strukturelle Ichstörung und Identitätsdiffusion

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Man versteht unter Ichschwäche die Einschränkung der Fähigkeit, sich selbst und die Beziehung zu anderen hinreichend zu steuern und z. B. Triebspannungen und Affekte auszuhalten und zu verarbeiten. Für das Verständnis ist die Spaltung als zentraler Aspekt der Ichschwäche leitend. Sie bewirkt, dass die Komplexität des Erlebens der eigenen Person und der anderen nicht wahrgenommen und unter Belastungen nicht aufrechterhalten werden kann. Dadurch entsteht eine Ferne oder sogar Fremdheit zu sich selbst, zu anderen und zur sozialen Realität. Die unrealistischen Vorstellungen, die sich daraus ergeben, treten als Identitätsdiffusion und als strukturelle Ichstörung in allen möglichen Bereichen der Lebensbewältigung und der Beziehungsgestaltung in Erscheinung.

• Identitätsdiffusion 118 bedeutet Zerfließen des Selbstgefühlts (der Identität): Wer bin ich, woher komme ich, wohin werde ich mich entwickeln? Sie äußert sich in Orientierungslosigkeit in Bezug auf die eigene Person und ihre Ziele und bewirkt eine tiefe Unsicherheit in Entscheidungen und Zwiespalt gegenüber den eigenen Gefühlen, Motivationen und Handlungen. Eine kontinuierliche Sicht und Bewertung der eigenen Person kann nicht hergestellt werden. Es entstehen oft bizarre Größenphantasien oder Selbstunwertgefühle.

• Störungen in der Selbstregulation: Die geringe Integration der inneren Welt bewirkt, dass das Erleben sich rasch verändert und unterschiedliche und oft widersprüchliche Erlebniszustände abwechseln. Je nachdem, ob man mehr auf die Ichfunktionen achtet, die dabei zum Tragen kommen, oder auf die emotionale Befindlichkeit und die Selbstbewertung, kann man von wechselnden Ich- oder Selbstzuständen sprechen.

• Mentalisierungsstörung: In einem erweiterten Sinne schließt die Identitätsdiffusion auch die Vorstellung von anderen mit ein. Diese können nicht »erspürt« und deutlich beschrieben werden. Die Reaktionen auf andere sind oft durch Fehleinschätzungen von Absichten und Empfindungen gekennzeichnet. Es besteht ein Mangel an Vorstellungen über das Befinden und die Motive der anderen.

• Störungen der Affektverarbeitung: Der Zugang zu den eigenen Gefühlen und denen anderer bleibt versperrt. Sie werden entweder gar nicht erkannt, werden nicht differenziert wahrgenommen und klar voneinander unterschieden oder in ihrer Bedeutung unzutreffend bewertet. Wenn die eigenen Affekte betroffen sind, spricht man von Alexithymie; bei den Affekten anderer von Empathiestörung. Affekte erscheinen unerträglich und werden durch affektgesteuerte Handlungen (z. B. Selbstverletzungen) oder andere Formen der Entlastung abreagiert.

• Störungen der Impulsverarbeitung: Ebenso ist der Bezug zur Bedürfnis- und Triebwelt gelockert. Die Impulssteuerung ist eingeschränkt, sodass die Integration in konstruktive Verhaltensweisen misslingt.

• Störungen der Beziehungsregulation: Gegenüber anderen besteht eine eingeschränkte Selbst-Objekt-Abgrenzung. Sie begründet die Neigung, Affekte und Impulse auf andere zu projizieren und dann auf sich selbst zu beziehen. So entsteht eine Neigung, affektive und impulsive Spannungen, die aus den Spaltungsprozessen entstehen, gegen sich selbst abzureagieren.

• Störungen des Realitätsbezuges: Die Verzerrung der Realitätswahrnehmung bezieht sich nicht nur auf Personen, sondern auch auf soziale Situationen, Aufgaben und Leistungen. Dadurch können Realitätsanforderungen nicht angemessen erkannt und bewältigt werden. Auf diese Weise entstehen auf Dauer umfangreiche Leistungsdefizite. Sie bewirken, dass Anforderungen und Belastungen zu Irritationen führen und Impuls- und Affektdurchbrüche herbeiführen, die zu einer weiteren Destabilisierung beitragen.

• Objektangewiesenheit: Aufgrund ihrer Ichschwäche sind Persönlichkeiten des niederen Strukturniveaus auf andere Menschen angewiesen, die ihre Defizite ausgleichen. Andere übernehmen für sie die Funktion als Hilfsich und helfen ihnen z. B. differenziert wahrzunehmen und sich einzufühlen, vorauszuschauen und vorauszuplanen. Sie brauchen andere in der Funktion als substitutive Objekte, um zu überleben. Das ist einer der Gründe für die Objektangewiesenheit, welche die Beziehungen von Persönlichkeiten des niederen Strukturniveaus prägen; ein anderer ist die Tatsache, dass andere ihnen existenzielle Sicherheit geben, die sie aus sich heraus nicht entwickeln können.

Psychotherapie und Psychosomatik

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