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Objektbeziehungen auf mittlerem Strukturniveau
ОглавлениеDie Objektbeziehungen werden von ausgeprägter Ambivalenz zwischen Gebundenheit und Objektsehnsucht einerseits und Loslösung und Selbständigkeit andererseits beherrscht. Diese Konstellation bildet den Autonomiekomplex. Er wird zumeist als Autonomie-Abhängigkeits-Konflikt beschrieben. Es handelt sich um das zentrale Entwicklungsthema der präödipalen neurotischen Entwicklung. Es stellt keinen eigentlichen motivationalen Konflikt dar, sondern eine ubiquitäre Entwicklungsposition, in der sich die Antinomie der Loslösung aus der dyadischen Beziehung niederschlägt. Diese wird durch strukturelle Einschränkungen verstärkt, insbesondere durch die in dieser Zeit noch gering entwickelten Fähigkeiten, Ambivalenz zu ertragen, die Selbstregulation aufrechtzuerhalten und der Regression in die Abhängigkeit standzuhalten.
In der beginnenden Ablösung besteht noch eine sehr starke Abhängigkeit von anderen, und zwar sowohl in Hinblick auf Sicherheit und Versorgung als auch in Hinblick auf Bestätigung und Anerkennung. Hingegen richtet sich Aggression gegen die Wahrnehmung der eigenen Bedürftigkeit und dagegen, dass der Andere vermeintlich oder real den autonomen Tendenzen im Wege steht.
• Andere werden als Versorgungsobjekt gebraucht, das Fürsorge und Sicherheit gewährt, sowie als Hilfsobjekt bei der Loslösung verwendet. Die Ermöglichung von Autonomie ist eine Anerkennung ihrer Berechtigung. Sie bestärkt die Selbstbehauptung und stabilisiert das Selbst und Selbstwertgefühl. Die Behinderung stellt eine negative Erfahrung dar, auf die das Kind mit Wut reagiert. Die Ambitendenz von Versorgung und Unabhängigkeit, Geborgenheit und Autonomie ist das zentrale Thema des depressiven Modus des sog. Autonomiekomplexes.
• Objekte werden aber auch als Selbstobjekt gebraucht, um die phasenspezifischen Bedürfnisse nach Anerkennung, Bestätigung und Bewunderung zu befriedigen. Sie stützen die noch labile Regulation des Selbstwertgefühls und schützen das Selbst vor Minderwertigkeitsgefühlen und Absturz. Die narzisstische Bedürftigkeit steht im Widerspruch zum Autonomiebedürfnis. Dieser Widerspruch ist der Kern des narzisstischen Modus des Autonomiekomplexes.
Im Gegensatz zur Objektangewiesenheit beim niederen Strukturniveau reicht für die Objekt-Abhängigkeit beim mittleren Strukturniveau bereits die Erinnerung an andere, um sich stabil und sicher zu fühlen und die Beziehung innerlich nicht abzubrechen. Mit dem Spracherwerb und der Etablierung des explizit-deklarativen Gedächtnisses entstehen Erinnerungen, die Beruhigung und Entspannung vermitteln. Sie können auch über längere Zeit aufrechterhalten werden, wenn der andere nicht anwesend ist. Erst bei längerer Abwesenheit verblasst die Erinnerung und muss durch Wiederannäherung134 ( Kap. 2.3.2) »aufgefrischt« werden.
Die Fixierung des Autonomiekomplexes bewirkt, dass die Abhängigkeit von anderen bis ins Erwachsenenalter hinein bestehen bleibt. Darin manifestiert sich die Bindung an die Mutterrepräsentanz als Selbst- bzw. als Loslösungsobjekt. Diese Bindung ist aber außerordentlich ambivalent. Der Anklammerungs- und Idealisierungsseite stehen Abwertung und Entwertung gegenüber. Die Bindung erzeugt Liebe und Sehnsucht, aber auch Wut und Hass.
Dieses Muster wird auf die wichtigen Beziehungen des späteren Lebens übertragen. Das führt dazu, dass diese zwischen den Polen hin und her schwanken und wechselnden Gefühlen ausgesetzt sind. In Partnerschaften werden Frauen von den Männern und ebenso Männer von den Frauen wie die bemutternde Pflegeperson der Autonomieentwicklung verwendet. Sie werden gebraucht und zugleich wegen der damit verknüpften Abhängigkeit bekämpft. Daraus erklären sich die starke Ambivalenz, die solche Partnerschaften häufig belasten.