Читать книгу Psychotherapie und Psychosomatik - Michael Ermann - Страница 157

Grundstörung des Selbst119: Die narzisstische Borderline-Persönlichkeit

Оглавление

Durch die geringe Integration von Gegensätzen entwickelt sich im Selbstgefühl beim niederen Strukturniveau keine Grundstabilität. Indessen bleiben verschiedene Selbstvorstellungen und begleitende emotionale und körperlich-vegetative Selbstzustände nebeneinander bestehen. Sie können nicht zu einem kohärenten Selbstgefühl bzw. einem einheitlichen Selbstbild integriert werden. Die Selbstspaltung begründet die oben beschriebene Identitätsdiffusion und führt zu Depersonalisation, d. h. zu Fremdheitserlebnissen und zu wechselnden Selbstzuständen: Im Zustand der Selbstentfremdung können die Betroffenen sich absichtlich verletzen, als beschädigten sie einen fremden Körper. Sie versuchen, auf »einschneidende« Weise einen Kontakt zu sich (ihrem entfremdeten Selbst) herzustellen oder aufrechtzuerhalten, wenn ein Selbstverlust droht. Erst in einem späteren Selbstzustand können sie diese Handlung als autoaggressiv wahrnehmen.

Das Sicherheitsgefühl bleibt daran gebunden, dass andere Personen anwesend sind. Insofern haben andere für die Betroffenen eine selbststützende Funktion. Ihre Anwesenheit schützt vor dem Absturz in das Nichts, in die verzweifelte Hoffnungslosigkeit und Haltlosigkeit. In dieser Funktion sind sie als schützendes Selbstobjekt unentbehrlich. Das ist ein weiterer Grund für oben bereits erwähnte Objektangewiesenheit.

Persönlichkeiten des niederen Strukturniveaus können ihre Vorstellung von anderen schwer aufrechterhalten, wenn sie von ihnen getrennt sind. Das liegt daran, dass die Beziehungen nicht mentalisiert sind, d. h. dass es an den Anderen keine Erinnerungen im explizit-deklarativen, episodischen Gedächtnis gibt, die trösten oder beschützen und Zuversicht begründen, die man sich bewusst machen könnte.

Die Abwesenheit des Anderen ruft Verzweiflung, Hilflosigkeit und feindselige Gefühle hervor; er wird auf eine schwer fassbare Weise zum bösen, verfolgenden (Teil-)Objekt, gegen das sich destruktive Phantasien richten. Deshalb tun die Betroffenen alles, um sich gegen Verlassenheit und Selbstverlust zu schützen. Sie manipulieren die Gefühle anderer durch projektive Identifizierung, indem sie ihnen z. B. Schuldgefühle machen. Sie bringen sie durch provozierendes Verhalten dazu, sich ihnen zuzuwenden, und verschaffen sich damit Sicherheit. Dieses Verhalten ist bewusst, das dahinterstehende Sicherheitsbedürfnis allerdings nicht. Wenn solche Mechanismen versagen, dann wird die Beziehung verleugnet, d. h. die Patienten erleben so, als seien die anderen für sie völlig belanglos.

Wenn Störungen des Selbstgefühls und ihre Folgen die Dynamik der Persönlichkeit auf niederem Strukturniveau dominieren, kann man von einer narzisstischen Borderline-Persönlichkeit (Narzissmus auf niederem Strukturniveau, maligner bzw. destruktiver Narzissmus) sprechen.120

Psychotherapie und Psychosomatik

Подняться наверх