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4.1 Die Zeit bis 1530

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Als Luther 1517/18 in der Exegese des Hebräerbriefes zu der Frage gelangt, warum heute noch das Opfer nicht aufgehört hat, obwohl der Mensch doch durch Tauf- und Bußgnade vollkommen und gerecht gemacht sei, interpretiert er eine Aussage von Chrysostomus, die lautet: Freilich opfern wir, aber zum Gedächtnis seines Todes; und dieser ist das eine Opfer, einmal dargebracht. Luther interpretiert: Christus ist einmal geopfert. Das, was täglich von den Menschen geopfert wird, ist aber nicht so sehr Opfer, vielmehr ein Gedächtnis dieses Opfers, denn das Opfer des NT ist vollendet. Das geistige Opfer des Lobes seines Leibes (= die Kirche) wird hingegen täglich geopfert. So löst Luther mit derselben Argumentation, mit der Chrysostomus zur Bestätigung des eucharistischen Opfercharakters gelangt, den Opfercharakter auf.95

Einen ersten Versuch, die Abendmahlslehre neu zu interpretieren, nämlich vom Vorgang des Essens und Trinkens her, macht Luther 1519 mit „Eyn Sermon von dem Hochwirdigen Sacrament des Heyligen Waren Leychnams Christi. Und von den Bruderschafften“. Er kritisiert darin wiederum die Anwendung des „opus operatum“ auf die Messe als eines Werkes. Ein Jahr später folgt die Schrift zur Messe „Eyn Sermon von dem neuen Testament, das ist von der heyligen Messe“.96 Hier findet sich ein wichtiger Terminus des Neuansatzes bereits im Titel: Testament. Es geht ihm um das Wesen der heiligen Messe. Dieses Wesen sieht er in der Zusage und Verheißung Jesu Christi, dass den Menschen alle Sünden vergeben sind, was im Kern die Einsetzungsworte ausdrücken, an die sich der Glaube zu halten hat. Darin besteht somit die Summe des Sakraments, das neue „Testament“. Von Opfer wird Abstand genommen.97 Die Verbergung, d.h. leise gesprochenen Einsetzungsworte „Christi Testament“, hier als unwiderruflich letzter Willensakt verstanden, ist nach Luthers Ansicht der erste von drei liturgischen Missbräuchen. Der Auffassung, dass die Messe ein gutes Werk sei, wird mit der Aussage, dass der Nutzen der Messe nur bei dem liegt, der auch das Testament glaubend und trauend empfängt.98 Den Opfergedanken lässt der Reformator nur noch in einer einzigen Hinsicht gelten, nämlich als „Gabenopfer“ in caritativem Sinn, das er als menschlicher Zusatz von der Messe streng unterscheidet. Er will sich auf diese Weise gegen „eingeschlichene“ Begriffe in der Messe abgrenzen. Diese Begriffe bezeichnen, in der Auffassung des Reformators, lediglich natürliche Gaben, nicht aber den sakramentalen Christus, so dass die Schlussfolgerung getroffen ist, dass das Testament kein Opfer ist.99 Luther schwört seine Anhänger auf geistige Opfer ein, auf ein Lob- und Dankopfer für das Testament. Offensichtlich ist er der Ansicht, dass die katholische Messe die Menschen in die Rolle der Haupthandelnden rückt und Christus zum bloßen Objekt menschlichen Handelns herabgewürdigt.100

Im Oktober 1520 wendet sich Luther in der systematisch-theologischen Programmschrift zur Sakramentenlehre (De captivitate Baylonica Ekklesiae praeludium) an die Theologen. Er lässt jetzt allein Taufe, Buße und Abendmahl als Sakramente gelten und merkt an, dass sich das Sakrament des Brotes in einer dreifachen Gefangenschaft seitens der römischen Kirche befinde. Er übt Kritik an der Transsubstantiationslehre, der Verweigerung der zweiten Gestalt (Laienkelch) und dem Verständnis des Abendmahls als Opfer und eines gutes Werkes. Gerade dieser dritte Kritikpunkt ist für Luther die Quelle weiterer, tiefer einwurzelnder Übelstände.101 Die leidenschaftliche Ablehnung von vier Sakramenten und des Messopfers stellt wesentliche Glaubensinhalte in Frage und läuft damit auf eine Beseitigung des kultischen Herzstückes der Kirche und der Frömmigkeit des einzelnen Gläubigen hinaus.102 Ein zentraler Ausdruck Luthers lautet in der Schrift vom Oktober: Euangelium … non sinit Missam esse sacrificium103. Er konstatiert eine Verfälschung des Sakramentes durch die Priester, die es zu einem Opfer machten. So ergibt sich für Luther die Gleichung: „opus operatum“ („opus nostrum“ oder „opus bonum“) ist gleich Opfer. Seine Aussage stützt er durch die Kritik an den im Messkanon enthaltenen Opfertermini oder ein Opfer assoziierenden Termini. Die Messe für Verstorbene hält er für Unsinn, da nur der, der glaubt, das Testament persönlich empfange. Der Höhepunkt der Kritik ist die reformatorische Qualifizierung der Priester, Mönche und Bischöfe als Götzendiener.104

„‚Testamentum’ und ‚sacrificium’ schließen für Luther einander dem Begriff nach aus. Das eine (die ‚Messe’) wird empfangen, das andere (das ‚Opfer’) wird dargebracht.“105 Im November 1521 verfasst Luther De abroganda missa privata - Vom Missbrauch der Messe. Darin geht es nicht allein um die Privatmesse, sondern gegen das Messopfer überhaupt. Frühere Gedanken, wie etwa die Messe als Testament, als Vermächtnis, als Gabe an den Menschen, werden nochmals in sehr scharfer und kämpferisch kolorierter Form vorgetragen. Zudem betont er die Notwendigkeit der kommunizierenden Gemeinde, da eine alleinige Kommunion des zelebrierenden Priesters die Opfervorstellung nährt.106 Er trägt ein neues Argument aus dem Hebräerbrief (Hebr 9; vgl. auch 1 Petr 3) vor und setzt das ein für alle Mal allgenügsame Kreuzesopfer Christi gegen die Auffassung eines Opfercharakters der Messe.107 Luther ist ganz davon überzeugt, dass die Messe als Opfer ein Werk ist, und so die Einmaligkeit der Tat Jesu herabstuft und das Gottesbild eines zornigen und immer neu zu versöhnenden Gottes heraufbeschwört. Auf dem Höhepunkt seiner kämpferischen Schriften im Jahr 1521 wirf Luther gerade den Priestern vor, sie seien aus Gewinn- und Ansehenssucht die Erfinder des Meßopfergedankens und formuliert den Taufexorzismus auf den Messkanon um. Sein Neuansatz eines geistlichen Opferns der Gläubigen wird auf dem Fundament des Römerbriefes (Röm 12) zum Grundprinzip christlicher Grundhaltung postuliert.108

Als eine kleine Zwischenbilanz können wir hier mit A. Franzen bemerken, dass viele der lutherischen Angriffe auf die Kirchenlehre überflüssig gewesen wären, wenn die vorreformatorische, katholische Theologie eindeutiger positioniert gewesen wäre. Unter anderem trifft dies für die Frage des Messopfers und der Sakramentenauffassung zu. Zugleich ist zu bemerken, dass an dieser Eintrübung die nominalistische Theologie eine Hauptschuld trägt. Luther lebte in und aus ihr. Indem er alles durch die nominalistische Brille betrachtete, stellte sich ihm vieles als katholische Lehre dar, was in Wirklichkeit nominalistisch war.109

Luther kam in den ersten reformatorischen Jahren nicht umhin, einen Entwurf für die neue evangelische Liturgie zu entwerfen. Darin musste der Opferterminus unter allen Umständen beseitigt werden.110 Das führt zu seiner Kritik an Kanon und voraufgehendem Offertorium. Allein die Einsetzungsworte, als Worte Jesu von überragender Autorität, bleiben als Compendium Evangelii erhalten. Nachfolgend Luthers Beispiel entwickeln sich Abendmahlsliturgien in vielfältiger Weise.111

Die Eucharistie als Opfer der Kirche

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