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3. Immolationstheorie und Oblationstheorie
ОглавлениеDie Immolationstheorie stellt eine modifizierte Destruktionstheorie dar. Für diese Konzeption braucht der Grad der Destruktion der Opfergabe nicht drastisch ausfallen. Sie legt mehr Wert auf die mystische Sichtweise, wobei sie augustinisch „immolatur in mysterio“ denkt.181 Anknüpfend an Albertus Magnus und Thomas von Aquin (S.Th. III q. 82, 1) wird in dieser Theorie in der Doppelkonsekration sowohl die repraesentatio des Kreuzesopfers Jesu, als auch eine „mystische Schlachtung“ (immolatio / mactatio mystica) gesehen. Darin liegt bei dieser Theorie das Zeichen der inneren und aktuellen Opferhingabe Jesu Christi in der Messe.182
Schauen wir auf das Beispiel von Ludovico Billot († 1931). Er geht von einem allgemeinen Opferbegriff aus: Opfer ist eine öffentliche, sichtbare und kultisch-heiligende Handlung, es ist „Zeichen“. Es ist ein vorgegebenes ethisch-religiöses Verhalten, das auf die Gottesverehrung hinzielt, das Opfer als Gottesverehrung. Das Messopfer ist äußeres „heiliges Zeichen“ für das innere Opfer, das schlechthin auf die Gottesverehrung hingeordnet ist. Es wirkt nicht wie ein Sakramentszeichen im Sinne der Ursächlichkeit von Gnade, sondern im Sinne einer Symbolisierung des inneren Opfers. Die Unterscheidung von Sakrament und Opfer bleibt so weiterhin sichtbar. Zu überbrücken versucht dies Billot durch das Begriffspaar sacramentum et res – res tantum, ein Rückgriff auf Thomas von Aquin. Das Messopfer ist das verum et proprium sacrificium. Die Opferdefinition Billots meint die Darbringung einer virtuell sichtbaren Gabe kraft der Destruktion, um Gott Ehre zu erweisen. Dabei ist die Innerlichkeit des Opfers sein Ausgangspunkt, nicht die äußere Sichtbarkeit.183 Die Ausführungen L. Billot beeinflussen im Jahr 1947 maßgeblich die Enzyklika „Mediator Dei“ von Papst Pius XII. (1939-1958). Die darin enthaltenen Gedanken zum Wesen des Messopfers spiegeln die Gedanken Billots.184
Wenden wir unseren Blick nun auf die Oblationstheorie, die die Opfertat Christi, die von einigen Vertretern als im Himmel fortdauernd beschrieben wird, in den Mittelpunkt rückt. Demnach vollzieht Christus in jeder Messe seine Opferhingabe ganz neu.185 Zugleich ist diesem Theorieentwurf wichtig, dass eine Gabe erst dann Opfer heißt, wenn sie einer objektiven Handlung unterzogen wurde.186 Die Vertreter der französischen Ausrichtung im 17. Jh. (P.de Bérulle, Ch. De Condren oder J.J. Olier) betonen in ihren Theorieansätzen, dass sich Christus ein für allemal am Kreuz dargebracht hat und sich nun erneut auf dem Altar bzw. im Himmel darbringt.187
Die Oblationstheorien spiritualisieren somit den Opferbegriff durch die Verlegung des Wesens des Opfers in einen inneren Selbsthingabeakt hinein. Es lassen sich dabei allgemein zwei Richtungen unterscheiden. Eine Theorierichtung lokalisiert den Hingabeakt beim auf dem Altar gegenwärtigen Christus. Die zweite Richtung sieht ihn hingegen beim himmlischen Christus und ordnet das Messopfer unmittelbar dem himmlischen Opfer Christi zu. D.h., dass die Verbindung Messopfer zum Kreuzesopfer auch bei dieser Theorie nicht gewahrt bleibt.188 Besonders Valentin Thalhofer († 1891) betont das himmlische Opfer. Dennoch ist den unterschiedlichen Ausprägungen der Oblationstheorie eigen, sich wenigstens um eine Akzentuierung der Einheit von Kreuz- und Messopfer zu mühen.189
Interessant ist hingegen der Theorieentwurf von Maurice de La Taille († 1933). Er baut die Brücke zwischen Oblations- und Immolationstheorie, da er die Darbringung (oblatio) im Abendmahlssaal mit der Umgestaltung am Kreuz (immolatio) zum einen Opfer Christi verbindet. Die Messe ist für ihn eine durch die Kirche vorgenommene Darbringung der am Kreuz bereiteten Opfergabe. Festgestellt werden muss, dass hier wiederum Diskontinuität bei den opfernden Subjekten des Messopfers und des Kreuzesopfers besteht. De La Taille hat für seinen Entwurf die wichtigsten Aussagen der Heiligen Schrift, der Patristik und Scholastik geprüft und in Verbindung mit der Oblationstheorie gebracht, demnach ist das „Opfer“ wesentlich „Oblation“. Das Opfer kommt durch die Gabendarbringung des Priesters zustande. Nicht die Destruktion konstituiert den Opferakt, sondern die Oblation übernimmt diese Aufgabe. Die Oblation ermöglicht es der Verpflichtung nachzukommen, Gott Opfer darzubringen. Das Kreuzesgeschehen ist dabei die virtuelle Oblation.190
Der Ausgangspunkt für dieses Opferverständnis findet de La Taille über den traditionellen religionsgeschichtlichen Zugang, nämlich vom allgemeinen Opferbegriff auf das Opfer Christi zu schließen. Sein Ziel ist es, die Messe als wahres und eigentliches Opfer aufzuweisen, indem in die kultischliturgische Dimension die Zeichenhaftigkeit eingebracht wird, um beim Opferbegriff nicht in eine spirituelle Innerlichkeit der Oblation zu verfallen.191 Die naturrechtliche Gottesverehrung ist sein Ausgangspunkt: der Mensch ehrt Gott in Form von äußerlich sichtbaren Zeichen. Die äußerlich sichtbare Gabe ist res et signum, die zugleich innerlich vollzogene Handlung ist res tantum der Opferhandlung. Das Äußere stellt in dieser Konzeption demzufolge die innere Selbsthingabe der Opfernden dar. Im Stande der gefallenen Natur ist es für De La Taille notwendig, dass eine versöhnende und sühnende Kulthandlung hinzutritt. Nicht ein beliebiger äußerer Ausdruck (signum) der inneren Handlung (signification) ist Opfer. Es muss eine wahre Immolation als res et signum als Grundlage hinzukommen. Diese Immolation meint in strengem Sinn die Tötung eines Lebewesens in Zusammenhang mit priesterlicher Opferdarbringung. Opfer (sacrificium) besteht demnach aus dem äußeren Akt der Darbringung (oblatio) und der darauf hingeordneten Tötung (immolatio). Aus einer Notwendigkeit der Gottesverehrung allein, ist jedoch die Verbindung von Sühneopfer und Immolation nicht gegeben. So muss nach de La Taille zum blutigen Opfer das Verlangen hinzutreten, der Gerechtigkeit Gottes sakramental und symbolisch Genugtuung zu erweisen, und gleichzeitig dem Wunsch nach Rechtfertigung und Hoffnung auf Gottes Barmherzigkeit ein Ausdruckszeichen zu geben. Für den der Sünde bewussten Menschen kommt es in dieser Denkweise zur Verbindung zwischen dem Anbetungs- und Dankopfer einerseits und dem Sühneopfer andererseits.192 Demnach kann es keine rituelle Darbringung geben ohne sichtbare, rituelle, liturgische Oblation einer veränderten oder auch zerstörten Opfergabe. Der reale Unterschied zwischen dem äußeren Akt der Oblatio und der blutigen Immolatio bleibt dabei erhalten, auch wenn die beiden Akte des einen Opfers nicht notwendig zusammenfallen müssen. Dies dann auf das Opfer Christi angewendet bedeutet, dass die Immolatio ein Verbrechen darstellt und nicht wesensmäßig zur Opferdarbringung eines Priesters hinzugehört, anders als die Oblatio, die dem Priester zukommt. D.h. eben, dass die beiden Akte des Opfers nicht real identisch sein müssen. De La Taille unterscheidet in seiner Konzeption letztlich drei Beziehungsebenen der Opferung: victima vel offeratur immolanda, vel offeratur immolatione und vel offeratur immolata. Die innere Beziehung zu einer vergangenen oder zukünftigen Immolation ist demnach wahres Opfer, und das ist die Grundlage für die Parallelitätsaufweisung von Opfer Christi und Opfer der Kirche bei De La Taille.193 Das Opfer Christi wird im Abendmahlssaal eingesetzt und die Passion ist kein Opfer im eigentlichen Sinne. Die Eucharistie besteht aus der numerischen Einheit von coena mit Christus sacerdos und passio mit Christus hostia. Das Opfer wird zwar in dieser Konzeption durch die reale Immolation in der passio am Kreuz vollendet, aber die symbolische Immolation im Abendmahl erfüllt die liturgische Darbringung. So ist das Opfer der Erlösung im Mahl und am Kreuz der Zahl nach ein einziges Opfer, weil die blutige Immolation am Kreuz mit der unblutigen Oblation im Saal verbunden ist.194
Maurice de La Taille leistet ohne Zweifel einen nicht unerheblichen Beitrag für die Lösung der Frage nach dem Opfer der Kirche. Doch auch seine Konzeption erweist sich als problematisch, wenn man sie auf dem Hintergrund des Konzils von Trient betrachtet. Der eng gefasste liturgische Opferbegriff von de La Taille mit Oblation und Immolation zieht zwar klare Parallelen zwischen Ritus der Eucharistie und Kreuzesopfer, dennoch gelingt es ihm nicht, das Erlösungsopfer in seiner Gänze, als sakramentale Wirklichkeit mit Geschehenscharakter in der Realität der gefeierten Eucharistie festzuschreiben.195 Seine gesamte Konzeption versucht, die unbrauchbaren Messopfertheorien mit Hilfe des sakramentalen Denkens zu überwinden. Der Hauptvorwurf, der ihm gemacht werden muss, ist letztlich die Aberkennung des Opfercharakters des Kreuzesgeschehens.196 Dies lässt sich auch nicht durch seinen Denkansatz zur himmlischen Weiterwirkung des Opfers Christi kompensieren. Der Ansatzpunkt ist, dass durch die göttliche Vollendung in Auferstehung und Himmelfahrt Christus als ewige Opfergabe weiterlebt. Auf Grund biblischer Zeugnisse wird ein Zustand des Leibes Christi angenommen, der durch himmlische Glorifizierung die Opfergabe jetzt in Gottes Gegenwart stellt. Das einmal vollzogene Opfer hat nun ewigen Bestand im Himmel. Die Auferstehung ist gleichsam die göttliche Akzeptierung des Opfers Christi als dessen Erfüllung und Vollendung, und so geht der menschliche Leib Christi in die Unsterblichkeit Gottes ein.197
„Dadurch ist auch die Verbindung gegeben, die dieses himmlische Opfer zu einem nicht nur symbolischen, sondern wahren Opfer macht, in dem sich eine vollkommene Entsprechung von signum und res findet: Christus ist Priester und Opfergabe zugleich; im äußeren Zeichen, das auf die Opfergesinnung (devotio) verweist, bringt er nichts von sich Verschiedenes dar. So kann de La Taille mit Guitmund von Aversa in Bezug auf die Kirche als Leib Christi und die Eucharistie als ihren sakramentalen Vollzug folgern: Idem igitur Christus sui ipsius est est sacrum signum, id est sacramentum.“198
Die Konsequenz dieser Konzeption bedeutet, dass die Messe getrennt von der mystischen Darbringung des im Himmel vollendeten Opfers kein Opfer ist. Christus selbst ist der Altar in Ewigkeit, auf dem sein und der Menschen Opfer stattfindet und den Bestand sowie die Realität des Opfers der Kirche garantiert. Er übernimmt die Mittlerrolle für die Zuwendung des einzigen und einen Opfers in der Messfeier. Der Heilige Geist ist dabei das Konstitutivelement der wechselseitigen Verbindung von Eucharistie und Kirche, denn durch die Eucharistie werden die Menschen zu Vollgliedern des Leibes Christi und Christus wendet der kirchlichen Opfergemeinschaft die Wirkung seines eigenen Opfers zu.199