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Horus Narmer

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Über die Einnahme eines weiteren Teilbereiches des Deltas berichtet der Keulenkopf des Narmer, der nun auch lesbare Angaben macht: »Rinder und Ziegen: 1822.000, Gefangene: 120.000« nennt dieser als Beute seines Erfolges. Nach so vielen Teilsiegen ist es schließlich ihm, dem Nachfolger des Skorpions, vergönnt, die letzten aufständischen Gebiete zu unterwerfen und das Land zu einen. Von diesem Triumph berichtet uns vor allen Dingen seine berühmte Palette (Abb. 6 a und c).

Ähnliche, doch meist kleinere und nicht derart aufwendig dekorierte Paletten dienen bereits den Trägern der Badari-Kultur, um ihre verfestigte Schminkfarbe mit Wasser zu vermischen und dadurch streichfähig zu machen. Die Palette des Narmer ist eine prunkvolle Variante einer solchen Schminkpalette, die in ihrer Vorderseite eine Vertiefung aufweist, die für das Anrühren vorgesehen ist. Sie wird bei Ausgrabungsarbeiten 1897 im Tempelbereich von Hierakonpolis gemeinsam mit einigen der bisher erwähnten Dokumente der Reichseinigungszeit gefunden und ist auf beiden Seiten dekoriert. Scheinbar sind derartig verzierte Objekte in den frühen Tempeln die Vorläufer von Wanddekorationen späterer Heiligtümer.

Die Rückseite der Palette ist in drei Register unterteilt. Im oberen Abschnitt befinden sich zwei gehörnte, massige Tiere, die den Namen des Königs, einen Wels über einem Meißel, flankieren. Im Hauptfeld ist Narmer bei der Hinrichtung eines Mannes dargestellt: Mit der linken Hand packt er ein Haarbüschel seines vor ihm knienden Feindes und erhebt mit der rechten Hand die todbringende Keule mit birnenförmigem Kopf. Die kniende Gestalt ist mit einer Harpune und einer bassinartigen Fläche gekennzeichnet. Narmer trägt die sog. Weiße Krone Oberägyptens, einen kurzen Schurz, an dem ein Stierschwanz angebunden ist und ein hemdartiges Oberteil. Ein schmaler Kinnbart ist mit einem ausrasierten, nur am Kieferunterrand bestehenden Bartteil mit den Koteletten verbunden. Eine falkengestaltige Gottheit übergibt dem König ein mit Papyruspflanzen bewachsenes Landstück, dessen eines Ende in der Form eines menschlichen Kopfes ausläuft. Die Nase des Kopfes ist von einem Ring durchbohrt, an dem sich ein Strick befindet, den der Falke Narmer reicht. Weder die Erscheinung des Mannes vor Narmer noch der Kopf mit Nasenring wirkt naqada-ägyptisch. Der ausladende Bart beider Männerköpfe steht zu dem feinen und sauber rasierten Bart des Narmer in starkem Kontrast. Die Angaben, die durch das Landstück und die Harpune gemacht werden, setzen das Delta als Schauplatz fest. Hinter Narmer steht eine kleinere Person auf einer Standlinie, die in ihrer linken Hand zwei Sandalen und in ihrer rechten eine Kanne trägt. Diese Person hat kurz geschorenes Haar und keinen Bart. Das Wasser im Kännchen soll Narmer zur Reinigung dienen, denn er wird seine Hände waschen, mit denen er den Feind berührt hat. Danach wird er sich, als Zeichen des Sieges, auf die Leiche seines überwundenen Gegners stellen. Um jedoch seine Füße nicht an dem unreinen Körper zu beschmutzen, wird Narmer die Sandalen benutzen, die ihm der Diener bringt. Im unteren Teil sind zwei Personen abgebildet, die bereits gefallen vor einer befestigten Siedlung und unter Narmers Füßen liegen.


Abb. 6 a Die Rückseite der Prunkpalette zeigt Narmer, den Fürsten des Naqada-Reiches, bei der rituellen Vernichtung eines Vertreters der Buto/Maadi-Kultur im Delta (Naqada III, um 3000 v. Chr., Ägyptisches Museum Kairo, Inv.-Nr. JE 33169 = CG 14716).


Abb. 6 b Die früheste Einteilung des Deltas stammt aus dem Alten Reich, einige Gebiete sind durch Symbole gekennzeichnet, die bereits auf der Narmer-Palette zu erkennen sind.

Die Vorderseite der Palette zeigt vier Register. Der obere Teil wird wieder von den massigen Horntieren eingenommen, in deren Mitte Narmers Name eingeschrieben steht. In einem zweiten Register sehen wir den König, diesmal mit der Roten Krone des späteren Unterägyptens bei seinem Siegeszug über das Schlachtfeld. Er wird begleitet von vier Standartenträgern, einem hohen Beamten mit langen Haaren und dem schon von der Rückseite bekannten Sandalenträger. Die Prozession bewegt sich auf insgesamt zehn enthauptete, menschliche Kadaver zu, deren Köpfe zwischen ihren Beinen platziert sind. Der Sandalenträger deutet an, dass Narmer erneut über die Leichen laufen wird. Im dritten Register sind zwei Schlangenhalspanther vorderasiatischen Ursprungs zu erkennen, die von zwei Personen gebändigt werden, indem sie die Hälse der Wesen so umeinander schlingen, dass die kreisförmige Vertiefung entsteht, in der die Schminke angerührt werden sollte. Die Fabeltiere symbolisieren die endgültige Verschmelzung zweier an sich gleicher Geschöpfe. Das letzte Register wird von einem Stier gebildet, einer Personifizierung des Narmer, der im Umfeld einer befestigten Siedlung einen Mann zertritt.

In der Narmer-Palette ist allerdings noch weitaus mehr zu erkennen als die Dokumentation einer historischen Schlacht, die die Einheit Ägyptens möglich gemacht hat. Sie ist m. E. zudem die älteste geografische Karte Ägyptens. Nicht nur ihre Darstellung vermittelt eine Botschaft, sondern auch ihre Form macht klare Aussagen. Man nutzt dafür die aus den rautenförmigen Paletten der Naqada-Stufe I entwickelte ovale Form, die seit Naqada II auftritt und ab Naqada III auch Dekorationen aufweisen kann. Diese Form erinnert stark an die Gestalt des Deltas und wird meiner Ansicht nach als Rahmen benutzt, um in ihm die finale Schlacht um dieses Gebiet abzubilden, das nun vollständig unter der Oberhoheit von Naqada steht. Die Figuren der Rückseite, deren Deutung schwierig bis unmöglich ist, bekommen nun einen Sinn. Denn welche Funktion haben beispielsweise die Kuhgestalten an einer derart prominenten Stelle des Stückes, das einer Falkengottheit in Hierakonpolis geweiht ist? Vergleicht man die Paletten-Rückseite mit einer Einteilung des Deltas aus der 5. Dynastie, so sind augenfällige Gemeinsamkeiten unübersehbar (Abb. 6 b): Die Hörnerwesen repräsentieren die beiden nördlichsten Bereiche Ägyptens, die Harpune über Narmers Feind ein Gebiet im Ostdelta und die ummauerte Siedlung an der unteren Spitze der Palette vielleicht sogar das memphitische Gebiet. Während der Frühzeit werden Regionen im Delta vielfach nach den in ihnen typischen Kulten bezeichnet. Diese Begriffe übernimmt man in späterer Zeit, um die jeweiligen Gaue zu benennen. Nicht anders verfährt man in unserer Kultur bei vielen Ortsnamen, wie etwa Godesberg (Gottesberg) Frankfurt (Furt der Franken) oder Düsseldorf (Dorf am Fluss Düssel) – wenn auch nicht immer mit kultischem Hintergrund.

Man nutzt unter Narmer also bewusst diese Palettenform, da sie dem ungefähren Umriss des Deltas entspricht, um den letztendlichen Sieg der Naqada-Kultur nicht nur darzustellen, sondern auch örtlich festzumachen.

Narmer wird im Friedhof von Umm el-Qaab beigesetzt, doch findet sich in seiner Grabanlage eine interessante Neuerung: Die beiden Raumeinheiten des Doppelkammergrabes seiner Vorfahren sind nun nicht mehr voneinander getrennt, sondern beide Kammern berühren einander: Die beiden Reiche sind vereint.

Der Prozess der ägyptischen Reichseinigung erstreckt sich über einen Zeitraum von mindestens 250 Jahren. Beginnend mit wirtschaftlichen Annäherungen der Kulturen, die ein relativ einheitliches Gesamtbild zur Folge haben, aber weit von der Führung unter einer Person entfernt sind, vergrößern die oberägyptischen Könige kontinuierlich ihren Herrschaftsbereich, der um 3150 v. Chr. bereits derart ausgedehnt ist, dass die Importgüter, die Machtsymbole und der Reichtum des Grabes U-j möglich sind.

Die Nachfolger dieses Herrschers beginnen mit der politisch-kriegerischen Inbesitznahme des partikular regierten Deltas. Skorpion und Narmer können die letzten noch freien Gebiete eingliedern und das Einigungswerk vollenden. König Aha ist demnach vermutlich tatsächlich der erste König, der ohne weitere innerägyptische Machtkämpfe über ein vereintes Reich herrschen kann und die spätere Tradition lässt mit ihm (trotz seiner wahrscheinlich direkten Abstammung von seinem Vorgänger Narmer) eine neue, die 1. Dynastie beginnen.


Abb. 6 c Auf der Vorderseite ist der Siegeszug des Narmer nach der finalen Schlacht um das Delta dargestellt. Den Mittelteil bilden zwei Schlangenhalspanther, Mächte des Chaos’ vorderasiatischen Ursprungs, die jeweils von einem Ägypter der Naqada-Kultur gebändigt werden.

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