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aa) Die EMRK

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Im Kosovo[205] und in Bosnien-Herzegowina[206] ist die Konvention direkt anwendbar und steht in Verfassungsrang. In beiden Verfassungen wurde dies unabhängig von der Ratifizierung der EMRK vorgesehen. In Bosnien-Herzegowina wurde außerdem zunächst eine Menschenrechtskammer[207] gebildet, die eine Art von regionalem Menschenrechtsgerichtshof darstellte und in den vielen Jahre bis zu ihrer Integration in das Verfassungsgericht zahlreiche Streitigkeiten entschieden hat. Die meisten Verfassungsbeschwerden in Bosnien-Herzegowina betreffen das Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EMRK, was zur Folge hat, dass das Gericht durch zahlreiche Klagen, oft von nur geringem verfassungsrechtlichem Belang, überschwemmt wird. Viele andere Konventionsrechte, namentlich Art. 8 und 13 EMRK oder Art. 3 des 1. ZP zur EMRK, kommen ebenfalls zum Zug. Die Berufung auf das Recht auf wirksame Beschwerde nach Art. 13 EMRK hat es dem Verfassungsgericht mehrmals erlaubt, eine Beschwerde anzunehmen, obwohl der nationale Instanzenweg noch nicht erschöpft war. Dies ereignete sich insbesondere in Bezug auf die individuellen Entscheidungen des die internationale Gemeinschaft und die EU vertretenden Hohen Repräsentanten,[208] für die das Gericht zwar seine Unzuständigkeit erklärte, aber eine positive Pflicht des Staates statuierte, eine solche Prüfung zu veranlassen.[209]

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Obwohl dies nicht so in den Texten steht, prüfen auch das slowenische und das kroatische Verfassungsgericht Konventions- als Verfassungsverletzungen, so dass die EMRK dort eine quasi-verfassungsrechtliche Stellung einnimmt. All diese Gerichte beziehen sich sehr häufig auf den Text der EMRK, während die Rechtsprechung des EGMR vor allem in Kroatien noch immer Gegenstand einer „selektiven Lektüre“[210] ist. In Montenegro, Serbien[211] und insbesondere in Mazedonien[212] dominieren Zufälligkeit und Widersprüchlichkeit im Umgang mit der Rechtsprechung des EGMR. So hat beispielsweise das serbische Verfassungsgericht[213] bei dem Verbot von rassistischen Vereinen einmal die Kriterien des EGMR genau befolgt und sie ein andermal völlig außer Acht gelassen.[214] Dieses Bild wird auch von den EMRK-Statistiken bestätigt: sowohl absolut als auch in Bezug auf die Bevölkerungszahl sind und vor allem waren Klagen gegen Serbien und Kroatien zahlreicher als gegen die anderen post-jugoslawischen Staaten.[215] Was den Inhalt dieser Rechtsprechung angeht, so betreffen die Klagen, wie in den meisten anderen Staaten auch, vor allem Art. 6 und dabei insbesondere die Dauer des Verfahrens. Aber auch das Recht auf Leben gemäß Art. 2 und das Verbot der Folter nach Art. 3 EMRK, namentlich in ihren verfahrensrechtlichen Aspekten, sowie der Schutz des Eigentums nach Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls werden regelmäßig vor dem EGMR geltend gemacht.

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Daher ist wohl festzuhalten, dass die Umsetzungs- und Übersetzungsfunktion durch die Verfassungsgerichte im Kosovo, in Bosnien-Herzegowina und Slowenien vorbildlich wahrgenommen werden, auch wenn sie nicht immer so erfolgreich sind, wie man es sich wünschen würde. Sie dienen offensichtlich dem Ansehen des EGMR, der oft mehr geschätzt wird als das nationale Verfassungsgericht. In Slowenien kam dies besonders deutlich in der Allianz zwischen dem Verfassungsgericht und dem EGMR bei der Frage der überlangen Dauer der Verfahren zum Ausdruck. Hier haben beide Gerichte erfolgreich Druck auf den Gesetzgeber ausgeübt, um diesem systemischen Mangel abzuhelfen,[216] während es dem kroatischen Gericht zwar gelungen ist, die Verhältnismäßigkeitskontrolle und das Recht auf ein Verfahren in einem angemessenen Zeitraum in der Verfassung zu verankern,[217] aber davon weder eigenes Ansehen noch einen größeren Einfluss auf die Fachgerichte gewonnen hat. Insofern erscheint es auch fraglich, inwieweit die Funktionen der Rechtsschutzlückenfüllung, um europäischen Standards zur Durchsetzung zu verhelfen, und der Kontrolle durch das Konstruieren einer eigenen Verfassungsidentität und einer möglichen ultra-vires-Prüfung erfüllt werden.[218] Für die Übernahme der europäischen Standards in das innerstaatliche Rechtssystem reicht offensichtlich verfassungsgerichtlicher Aktivismus nicht aus, sondern muss durch bessere Ausbildung und Veränderungen des Rechtsverständnisses, des Rechtsbewusstseins sowie der Arbeitsbedingungen ergänzt werden. Insbesondere wäre es wichtig – und das betrifft alle hier untersuchten Länder – die Kultur der Informalität aufzugeben oder wenigstens abzuschwächen.

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