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bb) Die rechtlichen Wirkungen

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Im Rahmen des Verfassungsbeschwerdeverfahrens hebt das Verfassungsgericht, wenn es der Klage stattgibt, die gerügte Entscheidung auf und verweist sie an ihren Autor zurück. Dieses Urteil wirkt also nur inter partes.

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Dagegen haben Entscheidungen, die im abstrakten Normkontrollverfahren ergehen und eine Verfassungswidrigkeit feststellen, erga omnes Wirkung, die alle Behörden verpflichtet. Die meisten post-jugoslawischen Länder ziehen eine Aufhebung (ex nunc) derjenigen einer Annullierung (ex tunc) vor. Dies ist in Serbien, Montenegro, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina und im Kosovo die Regel. Sie gilt sowohl für Gesetze als auch für andere allgemeine Akte. Rückwirkende Nichtigkeit kommt vor allem in Betracht, wenn entweder der verfassungswidrige Akt beträchtlichen Schaden verursacht oder eine schwerwiegende Grundrechtsverletzung darstellt. Dagegen besteht in Slowenien und Kroatien die Wahl nur im Hinblick auf allgemeine Akte, während Gesetze lediglich aufgehoben werden können, wobei das slowenische Gericht das Gesetz entweder sofort aufheben oder eine aufschiebende Wirkung vorsehen kann, um dem Gesetzgeber eine Nachbesserung zu erlauben.[93] Individualakte, die auf der Basis der aufgehobenen oder annullierten Regelung ergangen sind und ihrerseits Rechte verletzen oder Schaden verursachen, werden mit der Hauptentscheidung ungültig oder können, jedenfalls eine Zeit lang, in einem besonderen Verfahren aufgehoben werden. Inhaltlich sind natürlich vor allem Entscheidungen mit aufschiebender Wirkung interessant, da diese den Verfassungsgerichten Gelegenheit bieten, entweder selbst vorläufige Maßnahmen zu erlassen oder dem Gesetzgeber bestimmte Regelungen zu empfehlen oder sogar vorzuschreiben. Dies geschieht insbesondere in Slowenien sowie in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo.[94]

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Die Urteile der Verfassungsgerichte sind endgültig, verbindlich und vollstreckbar. Die Hauptverantwortlichkeit für die Durchsetzung wird unterschiedlich verteilt. Sie liegt teilweise bei der Regierung, teils bei der Staatsanwaltschaft oder der Institution, welche die aufgehobene Bestimmung erlassen hat. Vermutlich bleibt jedoch eine ganze Reihe von Entscheidungen unausgeführt. Die Gutachten und Empfehlungen, welche die serbischen und kroatischen Verfassungsgerichte an das Parlament bzw. die Regierung richten, um auf nicht erfolgte Durchsetzungen oder verfassungswidrige Gesetzeslücken hinzuweisen,[95] deuten darauf hin.

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Welches Bild ergibt diese Zusammenschau und wie kann es bewertet werden? Zunächst ist zu beobachten, dass Slowenien und Kroatien, die einzigen EU-Mitgliedstaaten, sich nicht durch besonders spezifische oder progressive rechtliche Regelungen auszeichnen, was wieder bestätigt, dass Normen allein nicht die Qualität eines Rechtssystems ausmachen. Sodann ist noch einmal auf das Gewicht des historischen Erbes hinzuweisen. Zum Ersten stammen viele Bestimmungen aus den alten Verfassungen; zum Zweiten ist auch die Ähnlichkeit – sowohl im Aufbau als auch in der Formulierung – zwischen den verschiedenen Texten, vor allem der Verfassungsgerichtsgesetze oder -geschäftsordnungen, verblüffend. Unter diesen Umständen ist es nicht erstaunlich, dass hier vor allem Bosnien-Herzegowina und der Kosovo „aus der Reihe tanzen“, da ihre Verfassungen unter Mitwirkung der internationalen Gemeinschaft zustande kamen.

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Schließlich sollte sowohl die Anzahl und Varietät der prüfbaren Normen als auch der Antragsteller betont werden: die post-jugoslawischen Regelungen haben sich hier weit von der kelsenianischen Idee einer auf die Gesetzgebung konzentrierten Verfassungsgerichtsbarkeit entfernt. Diese Wahl ist wohl eher dem jugoslawischen Erbe zuzuschreiben als dem Ziel, den Übergang zu einem demokratischen System zu erleichtern. Gleichwohl wird den Verfassungsgerichten damit ein wichtiges Instrument an die Hand gegeben, um ihre Rolle und ihre Funktionen effizient wahrzunehmen und ihre Rechtsordnungen effektiv in den europäischen Rechtsraum einzubeziehen.

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