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aa) Das Zustandekommen der verfassungsgerichtlichen Entscheidungen

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Grundsätzlich durchläuft das Verfahren der Verfassungskontrolle zwei Phasen, diejenige der Zulassung und der Entscheidung.[89] Dies gilt jedoch nur für die Länder, in denen nach jugoslawischem Vorbild der Zugang zum Gericht weit gefasst ist und deswegen zwischen Klagen von Antragsberechtigten und „Vorschlägen“ oder Anregungen von Nicht-Antragsberechtigten unterschieden wird.[90] Die Gerichte, die nur im Wege von Klagen durch berechtigte Antragsteller befasst werden können, entscheiden meist in einem einzigen Arbeitsgang. Handelt es sich dagegen um einen „Vorschlag“, so muss das Gericht in der ersten Phase entscheiden, ob es ihn zulässt oder verwirft. In diesem Zusammenhang zeichnet sich das mazedonische Gericht durch eine äußerst restriktive Praxis aus. Auch in der Phase der Entscheidungsfindung gelingt es diesem Verfassungsgericht oft, einem Rechtsakt seine Allgemeinheit abzusprechen und daher auch seine Zuständigkeit zu verneinen.[91]

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In beiden Varianten spielt der berichterstattende Richter bzw. die berichterstattende Richterin eine wichtige Rolle, da er oder sie den Fall besonders gut kennt und Zugang zu allen erheblichen Akten hat. Diese Rolle erscheint noch bedeutsamer, wenn ihm bzw. ihr auch die Formulierung des Entscheidungsentwurfs obliegt und nicht der Kanzlei überlassen ist. Er oder sie wird entweder von dem bzw. der Gerichtsvorsitzenden oder häufiger durch alphabetische Reihenfolge bestellt. In der Regel stehen ihm keine persönlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verfügung; wenn der Entscheidungsentwurf in der Kanzlei ausgearbeitet wird, hat er oder sie im Allgemeinen keinen Einfluss auf die Wahl der Person, die den Entwurf ausformuliert. Gleichwohl steht es ihr bzw. ihm zu, den Entwurf zu kritisieren oder ändern zu lassen.

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Die Entscheidung kommt üblicherweise durch eine einfache Mehrheit – manchmal mit Quorumsauflagen – zustande. Doch hat es die Überlastung der Verfassungsgerichte mit sich gebracht, dass nunmehr häufig Kammern oder Panels anstatt des Plenums entscheiden. In diesem Fall werden meist qualifizierte Mehrheiten oder Einstimmigkeit gefordert.

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Die Mehrzahl der Verfassungsgerichtsgesetze oder Geschäftsordnungen lassen Sondervoten, seien sie zustimmend oder abweichend, zu und sehen deren Veröffentlichung mit dem Text der Mehrheit vor. Die Praxis der dissenting opinions ist allerdings sehr unterschiedlich. In Mazedonien sind Sondervoten fast unbekannt, in Serbien und Kroatien außergewöhnlich, im Kosovo, in Slowenien und Bosnien-Herzegowina finden sie häufigere Verwendung, ohne jedoch systematisch eingesetzt zu werden. In den multiethnischen Gerichten wirft die Entscheidung, Sondervoten zuzulassen oder nicht, ein nahezu unüberwindliches Problem auf: die Wahl eines kollegialen Modells kann auf eine Art von Diktatur der numerischen Mehrheit ohne Rücksicht auf die Gegenmeinung hinauslaufen, wenn es wegen der ethnischen Spaltung an einer „verständigungsorientierten Beratungskultur“ fehlt. Die Entscheidung für ein pluralistisches Modell lässt zwar der Minderheit mehr Ausdrucksfreiheit und damit eine Chance, andere zu überzeugen, plant aber von vornherein den Konflikt in die Gerichtsberatungen ein und trägt ihn auch nach außen, so dass die gespaltene Gesellschaft noch mehr zerrissen zu werden droht.

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Schließlich sei hinzugefügt, dass sich viele Gerichte der Region an den eingebrachten Antrag gebunden fühlen, was ihre Freiheit für eine Rechtsfortbildung erheblich einschränkt. Insofern ist die slowenische Regelung zu begrüßen, der zufolge das Verfassungsgericht nicht an den Antrag gebunden ist.[92]

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