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1. Ältere Vergangenheit: Der historische Kontext Jugoslawiens
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Jugoslawien, das waren drei Staaten: das 1918 auf den Trümmern der österreichisch-ungarischen Monarchie gegründete Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, ein unitarischer Staat, die 1945 gegründete Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien (SFRJ), ein Bundesstaat, und die kleine Föderation von Serbien und Montenegro zwischen 1992 und 2003. Im sozialistischen Lager schlug Jugoslawien einen Sonderweg ein, weil es nach dem frühen Bruch mit der Sowjetunion ein eigenes politisches System schuf, welches sich namentlich durch seine wirtschaftliche und soziale Selbstverwaltung als Symbol für das „Absterben des Staates“[8] und für die Demokratie auszeichnete. Das jugoslawische Modell der Selbstverwaltung führte insbesondere zu wachsenden Rechtssetzungsbefugnissen der territorialen Körperschaften, Republiken und Provinzen sowie der unzähligen sozialen und wirtschaftlichen Organisationen. Die daraus resultierende Rechtsunsicherheit hat den Verfassunggeber von 1963 zur Errichtung eines Bundesverfassungsgerichts, dem bald Verfassungsgerichte auf Republik-Ebene folgten, veranlasst.[9]
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Die politische und wirtschaftliche Geschichte Jugoslawiens[10] zeichnet sich durch den Rückgang der zentralistischen Organisation und damit der einheitsstiftenden Rolle der kommunistischen Partei aus. Dies hat unter anderem zu ihrer Ambivalenz beigetragen: Erfolg und Scheitern, Liberalisierung und Repression, Demokratiebestrebungen und ethnischer Nationalismus, Zentralisierung und Dezentralisierung folgten schnell aufeinander. Wie diese Faktoren im Einzelnen zu gewichten sind, bleibt bis heute teilweise unklar.[11] Festzuhalten ist jedenfalls, dass ab den 1960er und 1970er Jahren die Macht in der kommunistischen Partei auf die nationalistischen Eliten in den Republiken überging. Die in den 1970er Jahren beginnende wirtschaftliche Krise konnte daher nicht mehr durch zentralstaatliche Maßnahmen bekämpft werden, so dass das Scheitern des zweiten jugoslawischen Staats, welches sich auf dem Parteikongress von 1990 konkretisierte, besiegelt schien.
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Die Unabhängigkeitserklärungen der 1990er Jahre lösten fast überall Krieg oder ethnische Unruhen aus, die nur in Slowenien und Kroatien bald zum Stillstand kamen. Trat die kroatische Verfassung bereits 1990, die slowenische und die mazedonische 1991 in Kraft, so kam die Verfassung von Bosnien-Herzegowina 1995 zustande, während in Serbien die Wende zur Demokratie erst 2006 und in Montenegro 2007 stattfand. Die kosovarische Verfassung wurde schließlich 2008 verabschiedet. Alle Nachfolgestaaten Jugoslawiens haben die Institution des Verfassungsgerichts übernommen.
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Der Übergang zur Demokratie hat sich in den ex-jugoslawischen Ländern unterschiedlich vollzogen. Zum einen bestanden bereits vor dem Zusammenbruch Jugoslawiens erhebliche Unterschiede zwischen den damaligen Republiken. Zum andern gehören heutzutage zwei Staaten, Slowenien und Kroatien, der EU an, während alle anderen noch außenstehen. Dennoch liegt zwischen den ex-jugoslawischen Staaten unzweifelhaft die für eine Vergleichbarkeit gebotene Homogenität vor, umso mehr als sie alle in einen Transformationsprozess eingetreten sind, wie er auch in anderen Staaten Mittel- und Osteuropas zu beobachten war.