Читать книгу Brüste umständehalber abzugeben - Nicole Staudinger - Страница 10
Das Leben der anderen
ОглавлениеRelativ schnell wird mir bewusst, dass die Diagnose nicht nur mich verändern wird. Unser gesamtes Umfeld wird und ist betroffen. Und als »Betroffene« hat man natürlich mehrere Möglichkeiten, damit umzugehen. Die einen ziehen sich zurück und verarbeiten den Krebs erst einmal für sich. Die anderen müssen darüber reden, um ihn verdauen zu können. Zu welcher Gattung ich persönlich gehöre, können Sie sich wahrscheinlich denken. Nicht, dass ich sofort jeden angerufen hätte, den ich kenne. Nein, dazu fehlt selbst mir die Kraft. Während mein Handy sonst immer mein ständiger Begleiter war, bleibt es jetzt gern einmal für Stunden allein zu Hause. Aber reden will ich schon, doch mit wem und wann, das soll bitte mir überlassen bleiben.
Ich will, dass die Welt irgendwie stehenbleibt. Immerhin habe ich Krebs. Der Schock sitzt tief und ich will ihn gern mitteilen. Daher entschließe ich mich, meinen Krebs auf Facebook zu posten. Die Monate zuvor habe ich hier auch alle mit meinem Schlagfertigkeitsseminar genervt, vielleicht auch überrascht oder gar begeistert. Sollen sie doch jetzt alle sehen, wie schnell meine Welt aus den Fugen geraten ist. Ich bin 32, habe zwei Kinder und Brustkrebs. Und bitte, alle die ihr Daumen habt, drückt sie für mich!
Ich weiß, dass ein solcher Weg dem einen oder anderen befremdlich erscheinen mag, aber das Schöne ist: Es ist meine Entscheidung, und es hat mich noch nie sonderlich interessiert, Leuten gegenüber, die mir unwichtig sind, Rechenschaft abzulegen. Der Krebs hat das nicht geändert. Und die Reaktionen sind überwältigend und helfen mir. Nicht nur online, sondern natürlich auch im echten Leben.
Mir ist durchaus bewusst, dass ich gerade für die Frauen in meinem Umfeld irgendwie bedrohlich bin. Ich habe den Krebs in ihre Nähe gebracht. Nun ist Brustkrebs kein Thema mehr, das nur fernab passiert. Dabei kennt wahrscheinlich jeder irgendwen im Bekannten-, Freundes- oder Familienkreis, der an Brustkrebs erkrankt ist. Meist natürlich nicht so jung wie ich, aber dafür sehr häufig mit gutem Ende.
Dennoch sind die Reaktionen so unterschiedlich wie die einzelnen Menschen selbst. Für fast jede habe ich Verständnis. So sagt eine Freundin ganz offen zu mir: »Ich weiß nicht, wie ich mit dir umgehen soll.«
Das finde ich ehrlich und kann es verstehen. »Am besten normal«, antworte ich ihr.
Meine Freundin Anke surft im Internet, stellt mir einen umfangreichen Ordner mit Informationen zusammen und bringt mir diesen vorbei. Sie handelt sofort auf eine sehr rationale Weise und versichert mir, dass ihre Recherchen die besten Heilungschancen ergeben hätten.
Meine Freundin Geri reagiert, wie Geri immer reagiert – wie ein Fels in der Brandung. Sie ist einfach da, findet die richtigen Worte: »Nicole, ich kenne keinen Mann, der so viele Eier in der Hose hat wie du. Du schaffst das. Mit links!«
Sie ist mir eine große Stütze. Wir sind seit vielen Jahren befreundet, obwohl wir uns gar nicht so oft sehen, aber Geri gehört zu den Menschen in meinem Leben, bei denen ich nachts um drei Uhr klingeln könnte. Sie würde mich einfach unter ihre Decke holen, ohne zu fragen, warum.
Meine älteste Freundin Julia fängt panisch an zu weinen. Das könne nicht sein. Woher die das denn wissen ohne Biopsie-Ergebnis? Und wie es weiterginge – und überhaupt.
Und: »Wann kommt Karl Arsch denn weg?«
»Wer kommt wo hin?«
»Na, Karl Arsch, so heißt der blöde Kerl in deiner Brust ab heute!«
Die Idee finde ich gut. Nicht, dass ich Interesse hätte, ihn näher kennenzulernen, aber jetzt, wo er schon mal da ist, bekommt er auch einen Namen. Vielleicht ist er dann schneller zufrieden und geht friedlich wieder.
Meine liebe Freundin Astrid war bei der Diagnose im Urlaub und kommt gefühlte fünf Minuten nach ihrer Rückkehr vorbei, setzt sich zu mir auf die Couch und wir weinen zusammen.
»Mensch, haben wir nicht gesagt, wir laufen dem Krebs davon?«
«Doch, hatten wir, und werden wir auch!«
Astrid ist die mitfühlendste Person, die ich kenne. Ich glaube, ihr tut es körperlich weh, mich so zu sehen. Wir gehen spazieren, an die frische Luft, und reden. Ich erzähle ihr von den letzten Tagen und merke nicht zum ersten Mal, dass Reden meine persönliche Therapie ist. Es ist Fronleichnam. Im Park treffen wir Gaby, eine weitere Freundin, die meine Diagnose bereits von meiner Facebook-Seite kennt. Sie kommt sofort auf uns zu und wir weinen zu dritt.
»Meine Nachbarin ist auch eine Amazone. Wenn sie das schafft, schaffst du das erst recht!«, muntert sie uns auf.
»Natürlich schaffe ich das!«, höre ich mich selbst sagen.
Dann werden wir unterbrochen. Kirchengesang! Die Fronleichnamsprozession mit all ihren sehr gläubigen Katholiken läuft schwermütig und mit ernster Miene an uns vorbei.
»Und wenn du glaubst, es ist Nacht, kommt von irgendwo ein Lichtlein her«, ertönt die getragene Stimme des Geistlichen durchs Mikrofon. Die Situation ist so absurd, dass wir drei heulend, wie wir da stehen, fürchterlich anfangen zu lachen.
»Nee, wirklich nicht! Die ertrage ich im gesunden Zustand schon nicht, geschweige denn mit Krebs!«
»Wissen die Pappnasen schon Bescheid?«, fragt Gaby geheimnisvoll.
»Das weiß ich nicht, aber das erkennst du gleich.«
»Woran?«
»Warte ab, wenn die Bescheid wissen, dann legen sie verständnis- und mitleidsvoll die Köpfe nach rechts, wenn sie mich sehen. Das ist der Wir-haben-es-gehört-und-wünschen-dir-alles-Gute-Blick, den habe ich jetzt schon öfter gesehen. Gern wird der Blick von kleinen geballten Fäusten unterstützt, die gedrückte Daumen symbolisieren sollen.«
»Du bist verrückt, Nicole!«
Meine Freundinnen lachen.
In diesem Moment gehen die streng katholischen und stets politisch korrekten Dorfbewohner an uns vorbei. Frau Müller stupst Frau Meier in die Seite und informiert sie zischelnd: »Da ist sie!«
Frau Meier, Frau Schmitz und alle anderen sehen zu uns hinüber, legen die Köpfe leicht zur Seite und nicken uns verschwörerisch zu. Der Heilige des Ortes streckt die Fäuste theatralisch in die Luft, um mir auf diesem Wege seine und Gottes Kraft zu spenden. Gaby, Astrid und ich brauchen diese Kraft nun tatsächlich, um uns nicht vor Lachen in die Hosen zu machen.
Noch am selben Tag treibt der Wind ein weiteres Gespräch unserer Nachbarn in meine Ohren: »Das war die mit dem Krebs!« – »Achduje! So jung!« – »Ja ja …« – »Werden ja immer jünger. Aber angeblich hat sie recht gute Chancen« – »Wer weiß, wer weiß … die Ärzte beschönigen ja auch gern!« – »Mensch, die Kinder sind ja noch so klein. War sie denn immer bei der Vorsorge?« – »Das weiß ich natürlich nicht. Glaub ich aber nicht, die hatte immer so einen Stress!« – »Ach, zur Vorsorge muss man schon gehen, sonst ist man ja fast selbst schuld!« – »Ja ja … ich gehe ja immer regelmäßig!« – »Ja, ich doch auch! Deswegen haben wir auch so was nicht!« – »Genau! Sag mal, was kochst du denn heute?« – »Schweinebraten!« – »Lecker!«
Und im Stillen frage ich mich, ob ich noch vor wenigen Tagen nicht genauso war. Nein! Definitiv nicht! Ich wäre nie zu einer Fronleichnamsprozession gegangen. Und ich mag auch keinen Schweinebraten.