Читать книгу Brüste umständehalber abzugeben - Nicole Staudinger - Страница 3
Tag X
ОглавлениеWas für ein tolles Gefühl! Man hat eine Idee, überlegt nicht lange, setzt sie in die Tat um, und dann der Hammer: Sie funktioniert! So ist es mir im vergangenen halben Jahr ergangen. Dabei war meine Idee echt verrückt: ein unterhaltsames Schlagfertigkeitsseminar nur für Frauen. Was habe ich nicht alles angestellt, um diese Idee zum Leben zu erwecken: Pressearbeit, Kooperationen, Networking – eben alles, was mir so einfiel. Vor einigen Wochen dann – es war der 8. Mai – war es endlich so weit.
50 Frauen hatten mein Seminar gebucht und so fand in der Nähe von Köln vor ausverkauftem Hause endlich die Premiere statt: Die Frauen waren begeistert, haben viel gelacht und sich neu ausprobiert.
Ich habe viele Jahre als Sales Director in einem Lifestyle-Verlag gearbeitet und meinen Job geliebt. Doch im Jahr zuvor hatte ich ihn aufgegeben, um mehr Zeit für meine Kinder zu haben. Dennoch wollte ich irgendetwas machen, etwas Neues, etwas Sinnvolles. Ich will damit nicht sagen, dass Kindererziehung nicht sinnvoll ist, aber sie füllt nun mal nicht immer aus. Also ließ ich mich zur Trainerin zertifizieren und arbeitete an meiner neuen Idee, dem Schlagfertigkeitsseminar. Wie zu vermuten, geht es darum, Frauen schlagfertiger zu machen. Ich will genau jenen Frauen helfen, die schon so oft sprachlos zurückgeblieben sind mit nichts als dem sehnlichen Wunsch, beim nächsten Mal ganz sicher die richtige Antwort parat zu haben – also eigentlich fast allen. Ich brauchte einiges an Zeit und Energie, bis ich ein dreistündiges teilnehmeraktivierendes Seminar entwickelt und erarbeitet hatte. Dann probte ich es mit drei Freundinnen. Das war’s an Praxis – bis zum 8. Mai. So sprang ich an jenem Abend vor 50 Frauen in eiskaltes Wasser. Und ich schwamm! Innerhalb kürzester Zeit folgten Anfragen aus anderen Städten und bis zum Jahresende waren bereits fünf Veranstaltungen deutschlandweit fest gebucht. Ich war stolz und glücklich. Ein halbes Jahr Arbeit und sehr viel Geld steckten in »Steh deine Frau«.
So gesehen, stehe ich meine Frau sehr gut, und das beschert mir nun schon seit Wochen ein ständiges Hochgefühl. Manchmal fürchte ich, dass die Menschen in meiner Umgebung von meiner ungebremsten Euphorie doch etwas genervt sein könnten. Allerdings hat sich bisher noch niemand beschwert, doch vielleicht trauen sie sich das auch bei mir, der Schlagfertigkeitsqueen, gar nicht erst …
»Maus, wie lange brauchst du noch?«, höre ich von unten meinen Mann rufen. Ich nenne ihn »Hase« und er ist seit zwölf Jahren der Mann an meiner Seite. Und der Vater der zwei besten Kinder der Welt.
Kennengelernt haben wir uns damals online. Zu jener Zeit war das noch ganz verrucht und nur hinter vorgehaltener Hand zu erzählen. Uns hat das nie gestört. Allerdings haben wir nicht lange auf virtueller Basis gechattet, sondern uns nach drei Tagen persönlich in einer Bar getroffen. Und als ich ihn damals zum ersten Mal sah, wusste ich: Das wird mein Mann.
Heute, zwölf Jahre später, steht er unten in der Küche und wartet mit den Kindern darauf, dass er die Kerzen anzünden kann. Denn heute ist mein 32. Geburtstag. Ich hoffe, dass er nicht etwa 32 Kerzen anzünden will, denn das wird mit zwei Kindern schwierig.
»Hase, ich geh noch schnell duschen, dann komme ich!«
Damit will ich ihm die Chance geben, die vielen Geschenke schön zu drapieren, die Kinder schnell noch adrett herzurichten und mir einen Bilderbuch-Geburtstagsmorgen zu bescheren. Mir, der erfolgreichen Schlagfertigkeitsqueen.
Ich höre unten lautes Rumgewusel und Poltern, denke noch bei mir Geht doch! und steige unter die Dusche.
So! Jetzt bist du 32. Von Wehmut keine Spur, denn bis jetzt bin ich sehr zufrieden mit meinem Leben. Neben meinem Mann habe ich außerdem zwei tolle Jungs. Der große, Maximilian, ist seit fast sechs Jahren mein ganzer Stolz, und Constantin, der kleine, ist mein ewig lachender Sonnenschein. Diese drei Männer machen mein Glück komplett.
Und während ich mich gedanklich in der Sonne meines Glücks räkle, mache ich das, was ich immer unter der Dusche tue. Ich taste meine Brust ab. Seit fast 16 Jahren mache ich das täglich. Warum? Keine Ahnung. Irgendwie glaube ich, das tun zu müssen. Routinierte, schnelle Handgriffe auf meiner sehr großen Brust. Ich kenne sie in- und auswendig. Schon des Öfteren bin ich auf Knoten gestoßen.
»Mastopathie ist das, Frau Staudinger. Nichts Schlimmes. Kommt und geht mit dem Zyklus«, höre ich meine Gynäkologin sagen. »Kein Grund zur Besorgnis.«
Diese Sätze gehen mir immer durch den Kopf, wenn ich taste. Bis zum heutigen Tag. Bis zu meinem 32. Geburtstag gegen neun Uhr morgens. Bis ich auf ihn stoße. Auf den Knoten, der in den folgenden Monaten mein ständiger und ungeliebter Begleiter sein wird und dem aufgrund des Vorschlags einer guten Freundin spontan der Name »Karl Arsch« verliehen wird.