Читать книгу Brüste umständehalber abzugeben - Nicole Staudinger - Страница 7
Mein Held
ОглавлениеAm nächsten Morgen bringen mein Mann und ich die Kinder in den Kindergarten und fahren nach Düsseldorf. Während der gesamten Fahrt fällt kein einziges Wort. Wir hängen unseren Gedanken nach, jeder für sich.
»Du weißt, dass meine Gedanken nur bei dir sind«, lese ich auf meinem Handy eine Nachricht von meinem Vater. Ja, Papa, das weiß ich! Und ich wünschte von ganzem Herzen, du müsstest dir nicht solche Sorgen um mich machen.
Mein Mann und ich nehmen in einem höchst diskreten Wartezimmer Platz. Die Lehnen der Stühle sind fast rundum mannshoch, sodass man weder umfallen noch sehen kann, wer rechts und links sitzt. Das kommt mir sehr gelegen, denn ich fühle mich, als hätte ich Rückgrat, Skelett und Muskeln an der Garderobe abgegeben.
Es ist der bisher schlimmste Moment meines Lebens, als ich in das Behandlungszimmer geführt werde, auf die Schlachtbank. Hier wird mir jetzt verkündet, wie lange ich noch zu leben habe. Der behandelnde Oberarzt lässt mich nicht lange warten. Er ist ein stiller, sehr zurückhaltender Mann, noch recht jung, vielleicht Anfang oder Mitte vierzig. Ich mag ihn auf Anhieb. Ich glaube, er mich auch. Er untersucht mich, sagt kein Wort, sieht mir tief in meine verquollenen Augen. Dann sagt auch er mir das, was ich am Tag zuvor bereits erfahren hatte. Auch er schwärmt davon, wie gut Tumor und Lymphen aussehen. Wenigstens ist man sich einig. Ich bin begeistert. Ich finde Schuhe schön oder Handtaschen. Von mir aus auch einen Sonnenuntergang, aber doch keinen Tumor!
Dr. Bertram entnimmt Proben und untersucht mich lange, ganz besonders meine Achsel.
»Die Lymphen sehen völlig unauffällig aus!«
»Das ist doch gut, oder?«, frage ich leicht panisch.
»Sehr gut«, versichert er mir.
»Warum gucken Sie denn dann so ernst?«, bohre ich weiter.
»Na, weil Sie doch noch völlig fertig sind. Sie sind doch noch in der Schockphase.« – Ach was?! Woran das wohl liegen mag?
»Ich kann jetzt noch nicht sterben – ich habe Kinder«, argumentiere ich, als ob er irgendetwas daran ändern könnte.
»Sie haben recht. An Krebs kann man sterben. Das werden Sie aber nicht.«
HA! Ich blicke mich um und suche Zeugen für das, was ich da gerade gehört habe. Mein Blick fällt auf die nette, blonde Arzthelferin und auf meinen Mann. Habt ihr das gehört? Oder habe ich geträumt?
»Ich muss nicht sterben?«, frage ich sehr ungläubig, aber hoffnungsvoll.
»Nein. Sie werden das schaffen und dann bleibt Ihre Lebenserwartung hier oben«, und dazu macht er eine mutmachende Handbewegung Richtung Decke. Ich weiß nicht, ob ich mich spontan je so schnell in einen Mann verliebt habe. Er ist plötzlich der schönste Mann auf der Welt. Mein Retter. Tschüss, Hase, ich gehe zu Herr Dr. Bertram. Es tut mir leid, aber er macht Frauen gesund. Ich glaube nicht, dass du da mithalten kannst.
Über eine Stunde lang beantwortet mein neuer Held mir alle Fragen. Auch ohne die Ergebnisse der Biopsie gibt er mir eine genaue Einschätzung von dem, was mich erwartet. Bis zum heutigen Tag ist es auch exakt so eingetroffen. Mein neuer Traummann ist nicht nur Heiler, er ist auch Hellseher. Er erklärt mir, dass der Tumor vermutlich hochaggressiv ist. Immerhin taste ich jeden Tag, gehe zur Vorsorge, war bei der Mammographie … der muss schnell gekommen sein. Weiterhin vermutet er, dass eine neoadjuvante Chemotherapie das Mittel der Wahl sei und dass der Tumor mit etwas Glück auch ohne Operation darunter verschwinden werde.
»Sie haben mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit keine Metastase!«
Ich liebe diesen Mann!
»Frau Staudinger, das ist zwar große Kacke, aber kalkulierbare Kacke.«
Mein Gott, ist der toll!
Während mein Held seinen Bericht schreibt, versorgt die nette Helferin die Wunden der Gewebeentnahme. Sie ist Russin und vielleicht 25 Jahre alt. Ich mag Russinnen sehr und hatte schon viele russische Kolleginnen. Ihre offene, zuweilen auch recht barsche Art liegt mir irgendwie. Sie legt mir einen festen Druckverband an und noch immer kann ich nicht aufhören zu weinen. Jetzt allerdings auch ein bisschen vor Erleichterung, dem Tod gerade noch einmal von der Schippe gesprungen zu sein.
Sie sieht mich forsch an und sagt mit liebenswertem Akzent: »Krebs können wir heilen. Deine Nerven nicht! Du machst dein Leben, wir machen Krebs weg, okay!?«
Okay! Das sind Anweisungen, mit denen ich leben und arbeiten kann, deutlich und klar formuliert. Nur sicherheitshalber frage ich sie leise: »Der Dr. Bertram, hat der schon einmal gesagt, man wird gesund und dann stirbt man doch?«
»Nein!«
Alles klar! Ich weiß gar nicht, ob ihr bewusst ist, wie wichtig ihre Worte für mich sind. Ich fühle mich gut aufgehoben und erstmals seit 24 Stunden bahnt sich ein kleines Fünkchen Hoffnung seinen Weg.