Читать книгу Brüste umständehalber abzugeben - Nicole Staudinger - Страница 5
»Jetzt haben Sie wohl
ein Problem«
ОглавлениеDie bereits erwähnte Gynäkologin meines Vertrauens sitzt in Köln, mitten in Köln. Seitdem wir aber Kinder haben, wohnen wir wieder etwas ländlicher, sodass ich ohne Termin inklusive Fahrzeit mindestens drei Stunden einrechnen muss. Zeit, die ich im Moment nicht habe. Denn ich möchte die Kinder früh abholen, um etwas Schönes zu kochen und mit ihnen etwas zu unternehmen. Also entschließe ich mich zu einem Anruf in der Frauenarztpraxis im Nachbarort. Meine Meinung über Landärzte ist nicht die beste, obwohl es dafür eigentlich keinen Grund gibt. Und trotzdem: Meine Mutter arbeitet, so lange ich denken kann, bei einem großen Internisten in der Innenstadt und seit Jahr und Tag hat unsere gesamte Familie ihre Ärzte in der Stadt. Ich will damit nicht sagen, dass Ärzte auf dem Land schlecht sind, aber wir haben sie halt nie ausprobiert. Egal. Um einen völlig harmlosen Knoten abklären zu lassen, wird es schon reichen, denke ich mir.
»Kommen Sie um 9.45 Uhr vorbei!«, sagt die Arzthelferin am Telefon zu mir und ich bin natürlich überpünktlich. Habe ich Herzklopfen? Ich weiß es nicht. Ein bisschen vielleicht. Trotz bester Vorsätze schockt mich die Praxis doch ein wenig. Die haben grünen Teppichboden! In einer Praxis? Teppich? Grün? Gefällt mir nicht! Wie die gesamte Atmosphäre. Ich weiß nicht, was mich stört. Die tuschelnden Helferinnen? Das ungemütliche Wartezimmer? Egal, ich will ja hier keinen Urlaub machen, ich will doch nur eines, ich will hören: »Ist nichts, alles gut! Schönes Leben noch!«
Obwohl das Wartezimmer voll ist und die meisten Patientinnen vor mir da waren, werde ich recht schnell aufgerufen.
Der Arzt begrüßt mich, checkt mich ab wie Frischfleisch und ist mir binnen drei Sekunden unsympathisch. Warum ich schon mal bei der Mammographie gewesen sei, will er wissen.
Ich erkläre es ihm und seine Antwort überrascht mich: »Dann ist Ihre Ärztin scheiße! Besser Sie wechseln sofort zu mir!« Lassen Sie mich kurz überlegen: Nein!
Für die Untersuchung gehen wir in ein anderes Zimmer. Hier steht ein Ultraschallgerät samt sehr großem Bildschirm – und jetzt spüre ich ihn zum ersten Mal, meinen Herzschlag.
»Ich taste Sie jetzt so ab, als wären Sie zur normalen Vorsorge.«
Ich entkleide mich also vor diesem Mann, der mir immer unsympathischer wird, und lasse mich abtasten. Wie alle anderen Frauen weiß auch ich, dass es Schöneres gibt, als von eiskalten Händen unsanft begrapscht zu werden, aber was muss, das muss. Fachmännisch und schnell tastet er und kommt zu dem beruhigenden Entschluss: »Nee, alles in bester Ordnung.«
Das wäre der Moment gewesen, an dem ich hätte sagen können: »Danke! Ich bin dann weg!« Denn mir hat soeben ein berufserfahrener Mediziner gesagt, dass alles gut sei. Kein Grund, das anzuzweifeln! Stattdessen höre ich mich sagen: »Dann fühlen Sie doch mal bitte hier«, und zeige ihm die bedrohliche Stelle.
Er tastet erneut und stellt in beiläufigem Ton fest: »Ach ja, da ist ein Tumor.«
Ach ja, da ist ein Tumor! Ach ja, da ist ein Tumor!! Ach ja, da ist ein Tumor!!! Ach ja, ach ja … Wie oft hallen mir diese Worte, dieser Tonfall noch nach. Ach ja … Tumor … Ob ihm wohl bewusst ist, was er da gesagt hat? Tumor? Ich bin 32 … ach ja … 32!
»Bitte hinlegen«, reißt er mich unsanft aus meiner aufkommenden Panik. Und ehe ich weiß, wie mir geschieht, spüre ich das kalte Gel und den Ultraschallkopf auf meiner Brust.
Dr. Ach-Ja untersucht, schallt, sieht auf den Bildschirm und stellt in völlig ruhigem, fast gleichmütigem Ton fest: »Oha! Jetzt haben Sie aber ein Riesenproblem.«
Es klingt ebenso unglaubwürdig, wie es ist, aber doch sind dies tatsächlich seine Worte. Und damit ist es das mit meiner kleinen, heilen Welt. Kaputt! Zerstört! Mit einem Satz. Da liegt sie, die Schlagfertigkeitsqueen mit ihrem Riesenproblem. Was da genau in einem vorgeht, lässt sich nur schwer beschreiben. Es ist kalte, akute Todesangst, und sofort ist er da, der Gedanke an die Kinder. Sie sind noch so klein! Was wird aus ihnen werden? Ich kann jetzt noch nicht sterben. Die Panik bahnt meinen Tränen den Weg nach draußen. Ich fasse seine Hand und flehe ihn an, dass das nicht sein kann, ich taste regelmäßig, ich gehe immer zum Arzt, ich bin 32, bitte, bitte, das kann nicht wahr sein … bitte nochmal gucken!
Aber Dr. Ach-Ja, der anscheinend alle Psychologiesemester geschwänzt haben muss, sieht mich seelenruhig an, nimmt den Ultraschallkopf von meiner Brust und sagt: »Auf so hysterische Frauen wie Sie habe ich überhaupt keinen Bock! Wenn Sie mit dem Heulen nicht aufhören, dann breche ich hier die Behandlung ab.«
Tja, gekonnt ist gekonnt. Entweder man hat ein Feeling für Patienten oder nicht.
Ich beruhige mich, was mir allerdings sehr schwerfällt, und er nimmt die Untersuchung wieder auf. Er sagt noch Sachen wie: »Boah krass, der ist schon riesig, so groß tastet der sich gar nicht. Krass!« oder: »Oh je, oh je!«
Normalerweise wären mir als Schlagfertigkeitsqueen mindestens zehn Konter eingefallen, aber hier auf diesem Tisch, mit dem Ultraschallbild vor mir, mit dem Tumor in mir, geht nichts mehr! Ich glaube zu ersticken. Die Erde geht auf und diese Todesangst … meine Kinder … meine Jungs … lieber Gott! Ich bin 32!
Nach einer gefühlten Ewigkeit lässt er von mir ab und rollt zu seinem Schreibtisch.
»Was mache ich denn jetzt?«, frage ich ganz zaghaft.
Er kramt in seinem Schreibtisch und antwortet mir, ohne auch nur im Geringsten zu mir aufzusehen: »Sie machen jetzt einen Termin zur Mammographie und dann im Brustzentrum. Aber das wird dauern, denn Sie sind nicht die Einzige mit einem solchen Problem«, spricht er leichthin und drückt mir zwei Broschüren in die Hand. Offensichtlich ist die Sprechstunde für ihn beendet.
»In Ihrer Haut möchte ich nicht stecken!«, ruft er mir noch hinterher, als ich tränenüberströmt und kaum noch fähig, das eine Bein vor das andere zu setzen, das Sprechzimmer verlasse. Keine Helferin kommt und fragt, ob sie mir helfen könne. Keine fragt, ob alles in Ordnung sei. Nichts. So lässt man mich aus der Praxis gehen.
Ich bin jetzt sicher, dass ich in absehbarer Zeit sterben werde, und mache das, was man in einer solchen Situation macht. Ich rufe meine Mama an. Meine Mutter, mit 53 Jahren noch recht jung, arbeitet, wie bereits erwähnt, seit etlichen Jahren in einer großen und sehr gut aufgestellten internistischen Praxis in Köln mit zwei ebenso guten Hausärzten. Normalerweise rufe ich sie nicht während der Arbeitszeit an, doch jetzt ist auch nicht normalerweise. Sie sieht meine Nummer im Display und weiß von meinem Arzttermin.
»Was hat der Arzt gesagt?«, fragt sie ohne irgendeine Begrüßung.
»Mama, jetzt müsst ihr eure Beziehungen spielen lassen.«