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Wie viel Rabatt gibt es für Kinder mit Krebs-Mamas?

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Nächste Woche hat mein Großer Geburtstag. Er wird sechs Jahre alt. Mein Gott, wo ist nur die Zeit geblieben? Diese schöne, unbeschwerte Zeit? Ich hatte schöne Schwangerschaften, auch wenn die zweite nicht ganz problemlos war – im Vergleich zu Karl Arsch war sie definitiv ein Sonntagsspaziergang. Leider sind meine beiden Kinder durch Kaiserschnitte zur Welt gekommen, dennoch waren es wunderschöne, unvergessliche Erlebnisse. So etwas wie Baby-Blues oder Wochenbettdepressionen habe ich nicht erlebt. Die Kinder gehörten sofort zu mir, und ich war von Anfang an dazu bestimmt, ihre Mutter zu sein.

Und nächste Woche wird mein großer, toller Erstgeborener schon sechs Jahre alt. Die Party und letztlich auch die Geschenke müssen organisiert werden. Das ist gut, denn das ist Ablenkung. Am Samstagnachmittag treffen wir uns mit meinen Eltern in einem großen Fahrradgeschäft. Es wird das erste Mal sein, dass meine Eltern die kurzen Haare sehen, und ich habe Angst davor, dass es ihnen vielleicht die Tränen in die Augen treiben wird. Mein Vater hat ein Aortenaneurysma und muss sich in ein paar Wochen einer schweren Bauchoperation unterziehen. Eigentlich waren wir davon ausgegangen, dass ein solches Programm unserer Familie für dieses Jahr reichen würde. Karl Arsch belehrt uns aber eines Besseren. Auf jeden Fall aber will ich vor meinem Vater die Starke mimen, denn ihn voller Sorgen zu sehen würde mir die letzte Kraft rauben.

»Mein Gott, wie toll du aussiehst, Maus!«, drückt und herzt mich meine Mutter, und es klingt so, als würde sie es ernst meinen.

»Ehrlich Schatz, du siehst zehn Jahre jünger aus«, bekräftigt mein Vater, was nun wirklich mehr als überraschend kommt, denn er zog mich immer mit langen Haaren vor. Nun bin ich es, der die Tränen in die Augen schießen, dabei ist es mir relativ egal, ob auch meine Eltern vielleicht nur die Starken mimen. Ganz sicher tun sie das, aber es gelingt ihnen fantastisch – und so viel besser als mir.

Max darf sich zum Geburtstag ein neues Fahrrad aussuchen und das erste Mal seit vier Tagen ist Karl Arsch für eine Stunde komplett vergessen.

»Mama, das ist doch wohl super supercool!«, ruft Max völlig außer sich. Er hat sein Traumfahrrad gefunden und darf es auf dem Indoor-Parcours ausprobieren. Der Verkäufer stimmt Max zu und meint auch, dass das Rad für ihn wie geschaffen sei. »Dass Sie bei dem Preis begeistert sind, ist mir schon klar«, grinse ich den Verkäufer freundlich an. Max hat sich treffsicher ein eher teureres Modell ausgesucht und ich handele nun mal für mein Leben gern. Außerdem habe ich ein Krebsass im Ärmel.

»Das ist eine sehr gute Marke und hat außerdem fünf Jahre Garantie!«, rechtfertigt der junge Mann den hohen Preis.

»Das mag ja sein, aber fünf Jahre im Voraus können wir im Moment eh nicht planen. Was kann man da am Preis noch machen? Wissen Sie, ich habe Krebs, und das Kind soll etwas haben, woran es sich erfreuen kann!«

Schließlich bekommen wir das Fahrrad mit einer Ermäßigung von zehn Prozent und eine Fahrradtasche obendrauf. Geht doch!

»Du bist so was von unmöglich!«, schimpft meine Mutter. Auch 20 Minuten später steht ihr die Schamesröte noch immer im Gesicht.

»Lass das Kind!«, verteidigt mich mein Vater. Er kommt gerade mit einem großen Tablett voller Kaffee, Kuchen, Eis und Apfelsaft zu uns an den Tisch und hat natürlich nur die Hälfte mitbekommen. Das aber reicht ihm, um seiner Tochter schützend zur Seite zu stehen. Seine Angst vor der eigenen Operation ist völlig in den Hintergrund gerückt, und ich bin mir noch unschlüssig, wie ich das finden soll.

»Wir haben doch Geld gespart und glaube mir, die kalkulieren schon vorher einen Rabatt mit ein«, erklärt er meiner Mutter.

»Aber dem Mann das mit dem Krebs so hinzuknallen, dem ist ja die Farbe aus dem Gesicht gewichen.«

»Er wird es überleben, Mama.«

»Das meine ich aber auch«, mampft mein Vater mit vollem Mund. Er hat sich gerade ein Stück Kuchen in den Mund geschoben.

»Papa, du hast eine klitzekleine Glücksspinne auf dem Kopf!«, sage ich zu ihm.

»Maus, das glaubst du nicht, aber du auch«, staunt mein Mann. Tatsächlich, bei meinem Vater und mir krabbelt jeweils eine winzig kleine Spinne auf dem Kopf herum. Wir sehen uns beide an und wissen nicht so recht, ob wir lachen oder weinen sollen. Irgendwie ist es ein Zeichen. Und es ist komischerweise nicht das erste. Zwei Tage, bevor ich Karl Arsch gefunden habe, war Freitag der 13. Auf dem Weg in den Kindergarten habe ich auf der Straße einen Glückspfennig (keinen Cent!) gefunden. »Guck mal, Hase, das sieht aus wie ›ganz viel Kacke, die aber gut ausgeht‹, oder?«, meinte ich zu meinem Mann und bezog diesen vermeintlich schicksalshaften Fund auf die Operation meines Vaters.

»Die können sich jetzt aber vom Acker machen, oder?«, lacht mein Vater und hebt die Spinnen langsam runter.

»Genau! Die brauchen wir jetzt auch nicht mehr!«, stimme ich ihm zu. Wir sind uns aber einig, dass wir sie vorsichtig absetzen und ihnen sicherheitshalber alles Gute und ein möglichst langes Leben wünschen. Heute glaube ich fest, dass das kein Zufall war.

Abends auf der Couch, nach einem überraschend schönen und entspannten Tag, wird mir zum ersten Mal klar: Ablenkung und Normalität müssen sein. Nur so bekommen Kopf und Seele ihre wohlverdiente Pause. Eine Pause, die sie zur Verarbeitung der Erlebnisse dringend brauchen.

Brüste umständehalber abzugeben

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