Читать книгу Grosse Fahne West - Ocke Bandixen - Страница 10

6

Оглавление

Mein Vater zwickerte nicht. Natürlich konnte er es, genauso wie Frerk und ich. Unsere Tanten zwickerten mit uns, als wir klein waren, oft und viel, »da könnt ihr gleich noch ein bisschen Rechnen üben«.

Mein Vater spielte Skat, jeden Sonnabendnachmittag. Ich war, als ich kleiner war, oft dabei. Ich liebte diese vor Lachen dröhnende und Trümpfe knallende Welt, Bierdunst, dunkel gequalmtes Holz an der Wand, einige Männer hatten ihre Mützen auf. Man spielte zu viert, ein Geber. Ich durfte gucken und gelbe Brause oder Cola haben. Mein Vater spielte an einem der fünf Tische mit denen, die nicht allein der Ehrgeiz trieb, hier als Sieger das Lokal, die »Krone«, zu verlassen. Auch saß er nicht bei denen, die um Geld spielten. Er gab, reizte, drückte, spielte aus, warf ab allein für die nächste Runde Bier und Korn.

Ich staunte über die Männer und den Umgang, das schweigsame Nicken, das halb gegrunzte Reizen, hinter Zigarren und Zigaretten hervor. Sie klopften, wenn Contra gegeben wurde, nicht höflich mit dem Fingerknöchel auf den Tisch, wie ein Etagenkellner an der Zimmertür. Sondern sie knallten die flache Hand auf den Tisch der Gastwirtschaft, dass die Gläser einen Sprung machten.

Ich blieb, solange ich durfte, manchmal holte mich Frerk nach dem Fußball ab, manchmal ging mein Vater mit nach Hause, vergnügt, singend, mich an sich ziehend, mal wegen der guten, mal wegen der schlechten Blätter lachend, die er heute gehabt hatte. Auch wegen der Getränke.

Nachdem meine Mutter gestorben war, ging mein Vater ein paar Wochen nicht. Aus Pietät, aus ehrlicher Trauer, weil er nicht wusste, ob er überhaupt jetzt noch gehen dürfe, jetzt, als auf einmal allein verantwortlicher Vater. Seine drei Schwägerinnen mochte er nicht fragen, während dieser Zeit auf uns aufzupassen. Für einen wichtigen Zahnarzttermin, sicher, für die Jahreshauptversammlung der Freiwilligen Feuerwehr, keine Frage, aber fürs Kartenspielen?

So nahm er mich, den Jüngeren, mit, setzte mich auf die Bank neben sich, sagte beim ersten Mal: »Das ist mein Peter.« Damit war der Fall erledigt.

Der Wirt, ein zurückhaltender, fröhlich-durchtriebener Gastgeber, der gerne gut einschenkte, machte sich und mir einen Spaß daraus, wie ein Oberkellner mit kariertem Handtuch über dem Arm statt der weißen Serviette nach meinem werten Befinden zu fragen und ebenso nach meinem Getränkewunsch, er habe da noch einen vorzüglichen Gelbe-Brause-Jahrgang im Keller, den er mir kältestens ans Herz lege, ob das recht sei. Es war.

Die Zusammensetzung an den Tischen wechselte, auch unser Sitzplatz. Ich kannte bald Atze und Kalle und Asmussen und de schwatte Rolf sowie Jan vun de Eck, rotwangige, vom Grand ohne Vieren erhitzte Männergesichter, deren müde Augen blitzten und eng wurden im Qualm und Gelächter der Tische.

Die meisten in Stoffhosen und Oberhemd, einige aufgekrempelt, andere schon den halbguten Pullover mit den Lederflicken am Ellenbogen.

Hereinkommen, grüßen, umgucken, abwartenden, gemessenen Schrittes an einen noch nicht voll besetzten Tisch treten, als Gruß auf das Holz klopfen und setzen. Ein Ruf Richtung Wirt, die Hand zur hastigen Kontrolle an der Brusttasche, das Rauchwerk, der erste Schnack zum Wetter, Fußball oder zum aktuell liegenden Stich. Diese Männer wärmten sich gegenseitig in dieser verrauchten Holzkammer, das gelbe Bier, der eisige Schnaps wurden zu brüderlichen Getränken. Das Kartenspielen, das geschwätzige Mischen, das stumme Abheben, Geben, Grinsen und Brummen, das Schnalzen und »O heijo«-Sagen wurde zur Bestätigung des eigenen Tuns und Seins. Hier waren alle so, alle gleich, zumindest einen Nachmittag lang.

Ja, einige blieben länger, tranken mehr, konnten keine Ruhe im Spiel finden, der Ausnahme ihres sonstigen Lebens: Beruf, Familie, und der Rasen, der muss am Wochenende ja auch noch. Aber die meisten wollten hier genau das, eine Zeitlang so sein und bei den anderen, die genauso waren und fühlten.

Ich guckte, hörte, lachte und spielte zu Hause noch die Blätter und die Kommentare des Sonnabendnachmittags nach. Ich blieb in Gedanken noch den halben Sonntag in der »Krone«.

Es endete, als ich eines Nachmittags gefragt wurde. Es war der letzte und alles entscheidende Spieltag der Fußball-Bundesliga und erst wenige waren vor der Sportschau in die Wirtschaft gekommen. Ein Tisch war besetzt mit den »Piesen«, wie mein Vater sie nannte: nörgelnde Skatturnier-Spieler, die hier nicht zum Spaß saßen wie die Mehrheit, die freilich noch fehlte. Am zweiten Tisch saß erst der alte Jacobsen, die Karten vor sich. Mein Vater und ich setzten uns. Ob ich denn nicht, Jacobsen wand sich um die entscheidende Frage, ja, ob ich denn nicht, ich sei nun doch schon so oft mitgekommen und könne doch sicher schon, ob ich denn nicht Lust hätte, jetzt mitzuspielen? Ich spielte einen Nachmittag lang, ging dann allein nach Hause und kam nie mehr wieder. Auf einmal ekelte mich die Gesellschaft an, zu der ich so lange hatte gehören wollen. Abstoßend, selbstbetrügerisch, widerlich kam mir die Runde vor, die dort Karten klopfte. Ich hatte so wie sie werden wollen an vielen Nachmittagen, aber ich war nicht wie sie.

Grosse Fahne West

Подняться наверх