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Die DDR kannte ich nur von Dalli-Dalli. Hans Rosenthal grüßte stets leicht verschämt »von hüben nach drüben«, was wie eine Geheimformel wirkte, als habe er Angst, bemerkt zu werden. Die DDR musste, ich hatte da so ein Gefühl, sehr weit weg sein und doch in der Nähe, irgendwie schwebend und grau, von halbrunder Form, ein unerreichbarer Fleck, zu dem man nur über das Fernsehen sprechen konnte.

Als ich in der Oberstufe war, stellte uns ein Lehrer die Aufgabe, zehn Städte der DDR – ohne Berlin – aufzuschreiben. Königsberg, Stettin, Leipzig, Brandenburg, Lemberg, Mecklenburg, Goslar, Schlesien, Pommern, Bozen. Das Ergebnis erstaunte auch unseren Lehrer, der diesen Test schon seit vielen Jahren in seinen Klassen machte.

Als Frerk und ich klein waren, spielten wir manchen Nachmittag bei Tante Trudi mit dem Großvater ein Spiel, »Deutschlandreise«, wenn wir nicht gerade aus grüner Seife, Brennspiritus und ihren Hefepillen, die sie für die Haare schluckte, ein unschlagbares Mittel gegen Ameisen unter Gehwegplatten zusammenmischten oder anwendeten. Bei »Deutschlandreise« musste man eine jedes Mal andere Route abfahren, das war das Ziel des Spiels. Erschwert wurde dieses durch den Großvater, der sich weigerte, Ziele im östlichen Ausland, also der DDR, der Tschechoslowakei oder Polen zu besuchen, was im Spiel ebenso möglich war wie ein Trip nach Straßburg oder Amsterdam.

Einiges hatte mir der Schifferpastor erzählt, von drüben, so nebenbei an einem der Dienstagabende. Er hatte früher, Jahre vor dem Mauerbau, eine Zeit lang drüben gelebt nach dem Krieg. Die Orte, von denen er sprach, klangen wie ausgedacht oder wie aus einem Märchenbuch. Wir hatten keine familiären Verbindungen. Keine alten Onkel, keine entfernten Cousinen, Nichten, durch Todesstreifen und Schicksal getrennte Lebensfreunde, die man mit Paketen einmal im Jahr beglückte.

Das heißt: ich hatte doch vor langer, langer Zeit dieses Mädchen geküsst. Engellena.

Erst Openhagen, »wie K’, nur ohne«, brachte uns, ich denke heute wie ein Vorbote, die DDR näher. Christian Openhagen, »wie K’, nur ohne«, stellte sich so vor. Und wir nannten den neuen, groß gewachsenen, unerschütterlich fröhlichen Vikar mit den dunkelblauen Socken bald auch so. Dem Schifferpastor war sein Wesen ein bisschen unheimlich, sein lautes unbekümmertes Singen, sein kindliches Lachen, sein Sich-Vor-Neigen, wenn er jemandem die Hand gab. Openhagen, »wie K’, nur ohne«, hatte stets hinter seiner runden Silberrandbrille die Augen so aufgerissen, als freue er sich jede Sekunde an den Wundern des Herrn. Er staunte aber nicht nur, er strahlte, was gut zu seinem blonden Flaum auf dem Kopf passte, es gab ihm etwas Babyhaftes. Er warf sich dröhnend vor Elan in die Arbeit der Gemeinde, also auch in die Jugendarbeit. Meine Freunde und ich, wir mochten ihn, auch wenn er an den falschen Stellen lachte.

Openhagen, »wie K’, nur ohne«, war es nun also, der uns die DDR und das Leben in ihr näher brachte. Ohne ein »Das-wisst-ihr-nicht?«-Stirnrunzeln, ohne politische oder historische Besserwisserei. Er erzählte uns von seinen Besuchen. Im Spätsommer 1989 war er wieder, wie früher im Studium schon, einige Wochen zu Besuch in der DDR gewesen. Und obwohl wir, auch ich, gefährlich nahe an dem Alter waren, in dem man alles weiß, staunten wir, was er vom Alltag dort erzählte. Wir staunten und staunten.

Grosse Fahne West

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