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Unser Haus war außen weiß und innen dunkelblau. Mein Vater überzog es über die Jahre nach und nach mit blauschwarzer Tusche, wolkig verwässert an dicken Tropfenpinseln, die er über weißgelbes Papier lenkte. Er malte beinahe jeden Abend, und ich liebte es. Er setzte sich dafür an seinen eigens erhöhten Tisch, die Platte leicht angeschrägt wie in einem Zeichenbüro. Die Neigung hatte er so eingestellt, dass er, auf dem hohen Hocker dahinter sitzend, das Wohnzimmer ganz überblicken konnte und auch selbst nicht verdeckt war. Seine halbe Brille lag neben den Pinselbechern.

Nach und nach füllten sich über Jahre die Wände unseres Zuhauses mit wolkigen, manchmal graustichigen Schiffsbildern, hohen verwischten Himmeln, in denen manchmal wie ein Stück Hoffnung ein überraschendes Orange erschien, manchmal ein Strahl aus einer Wolkenlücke golden. Dazu wühlte und wellte das Meer sich, schäumte gegen die Planken der stolzen Fleuten, Briggs und Barken. Die wiederum maß mein Vater wie ein technischer Zeichner genau ab, las, das Kinn vorgebeugt, die runde Lupenlampe, die, wie Frerk und ich spotteten, sonst halbblinde Hieroglyphenforscher brauchten, über Abbildungen aus seinen zahlreichen großen Bänden mit historischen Schiffen. Sie wurden nicht abgemalt, sie wurden konstruiert, auf ihre Tauglichkeit überprüft und nachgebaut und schließlich in das aufgebauschte, blauschwarze Wasser gelassen. Unten am Rand stets ein Kasten mit dem Schiffstyp, wo er vor allem vorkam, Leistung, Ladekapazität, Vorkommen in der Nordsee.

»Guck mal, jetzt habe ich es.«

Ich war einen Abend so erschrocken, dass er in die Küche kam und mit mir sprach, sprechen wollte.

»Was hast du?«

»Ich habe genau das Rot, genau den Ton, den ich brauche.« Mein Vater zeigte seine Farbprobe vor, dann die Vorlage aus einem Buch.

»Erst hatte ich zu viel Rost drin, und dann zu viel dunkles Braun. Das habe ich dann weiter aufgehellt. Erst mit Gelb, dann mit Weiß, dann wieder Gelb, dann Weiß. Und einen Schuss Schwarz dazu gespuckt.«

»Wirklich?« Ich musste lachen. Es tat gut.

»Klar, du Banause. So ein bisschen Schwarz, das …«

»Das hat doch so ein großer Maler wie du im Mund.«

»In der Seele.«

»Der Seele? Du?«

Jetzt lachte auch mein Vater. Er klopfte mir zwei-, dreimal auf die Schulter. »Wenn du wüsstest, mein Sohn, wenn du wüsstest.«

Ich kann das Klingen der Pinsel in dem dicken, fleckigen Gurkenglas an seinem Malplatz noch hören. Die Farbe, das war mein Lieblingsmoment, wirbelte wie in den Wind ausgestoßener blauer Rauch im Wasserglas. Das Dunkel zerfiel, verwehte in seine rauchigen Spuren. Die Farbe wurde im Wasser freigelassen.

Jeden Dienstag kam der Schifferpastor zu uns. Das tat er, seit meine Mutter tot war, und nie wäre einer von uns dreien auf die Idee gekommen, sein Erscheinen mit dem ewig gleichen, dröhnend gesungenen »’n Abend« in Frage zu stellen. »Bei euch wird zu wenig geredet ohne mich«, hatte der Schifferpastor eines Abends einmal zu uns gesagt und dieses, als ich älter wurde, vorher hatte ich nicht danach gesucht, schien mir der eigentliche Grund seines Kommens zu sein. Inzwischen denke ich, auch ihm, der nach dem Tod seiner Frau Inge, die eine Cousine meiner Mutter war, lange schon allein lebte, die drei Kinder waren längst erwachsen, tat die Gesellschaft unseres wöchentlichen Treffens gut.

Denn, auch wenn wir nicht jeden Dienstag pünktlich da waren und uns im Wohnzimmer einfanden, wir versuchten es doch, und wenn nicht, hatten wir einen guten Grund.

Mein Vater malte, wie viele Abende, sprach aber an diesem so viel, wie sonst bei uns zu Hause die ganze Woche über nicht. Der Schifferpastor saß die meiste Zeit in dem großen Sessel, dessen Güte er beinahe jedes Mal lobte, öffnete einige Flaschen Bier für Vater und sich, erzählte und fragte, was uns widerfahren war in der vergangenen Woche. Zu mir kam er auch in die Küche, wenn ich dort noch saß und Hausaufgaben machte, half mir bei der einen oder anderen kniffligen Frage. Oder er stapfte zu Frerk nach oben und murmelte mit ihm, ich weiß nicht was.

»Ich habe es eurer Mutter versprochen, dass ich mich um euch kümmern werde. Und das tue ich.«

Er saß mit seinem breiten Bauch und den Falten, die sein Gesicht eckig erscheinen ließen, im Sessel und erzählte, fragte und hörte zu.

Grosse Fahne West

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