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Es war in meiner Erinnerung Anna, die mich irgendwann rausholte. Es war im Juni, ich war 14, das weiß ich genau. Was davor war, liegt wie hinter grünem Glas, wie hinter einer Reihe leerer Flaschen, durch die man versucht hindurchzusehen.

»Du musst hier raus, aus deinem Heimatmuseum. Nachher im Schwimmbad, bei den Kiefern. Keine Widerrede.«

»Okay.«

»Es wird toll: Halbnackte Mädels, ich zum Beispiel. Dumme Sprüche, Sonnencreme, Eis. Mittendrin wir. Ich besetze ein Handtuch. Genau zwischen den Reihen. Du weißt schon.«

Ich wusste. Die Jungengruppe, Jürgen, Philp, der vor einiger Zeit ein »i« in seinem Namen eingebüßt hatte und alle die anderen lagen immer links am Zaun, die Mädchen rechts an der Kiefer.

»Ich mache mir nichts aus Schwimmen.«

»Wer spricht denn vom Schwimmen? Glotzen. Kannst ja vorher die Haare nass machen. Sieht sowieso cool aus, wenn die nassen Locken auf deine Schultern fallen.« Sie lächelte Strahlen. »Das tropft dann so, da könnte ich schon umfallen.«

Ich hatte ihr nichts entgegenzusetzen, und das gefiel mir. Sehr sogar.

»Also, abgemacht, und komm, so früh du kannst.«

Wir legten unsere Handtücher genau zwischen die beiden Gruppen, die Jungen am Zaun und die Mädchen an den Kiefern. Wir gehörten nicht zu ihnen, und das nicht nur, weil wir miteinander befreundet waren. »Der beste Platz. Gucken und beguckt werden!« Anna wedelte ihre Haare nach hinten, nachdem sie ihr T-Shirt ausgezogen hatte.

»Muss das wirklich sein?«

»Na klar. Hier kommt keiner vorbei, ohne dass wir es mitkriegen. Die müssen alle hier über unser Gebiet. Glienicker Brücke.«

»Was?«

»Glienicker Brücke ist das hier. Du weißt schon, die Brücke da in Berlin, über die die Agenten ausgetauscht werden. Alle müssen hier rüber.« Sie zog ihren Rock geschäftsmäßig aus, ließ das Badehosengummi auf die Haut schnappen und legte sich auf den Bauch. »Was meinst du, warum ich hier bin?«

»Dich interessiert das alles wirklich?« Ich legte mich nach hinten, auf die Ellenbogen gestützt.

»Aber sicher, das ist wie im Theater, du wirst sehen. Nur mit weniger Klamotten.«

»Und nasseren.«

»Jetzt hast du es.«

Anna setzte sich ihre schreckliche Sonnenbrille auf und blickte wieder nach links und rechts.

»Na, guck. Der dicke Manzini zieht sich auch nicht aus. So wie du!«

»Du hast gesagt, ich muss nicht.«

»Musste auch nicht. Hast ja mich dafür.«

Anna war besonders. Sie war nicht eine, die zu einer Gruppe gehörte oder einer Sippe wie ich. Sie war ungebunden, frei. Freier als alle, die ich kannte. Sie war nur da, mit ihrer Mutter und ihrem Vater. Das Haus war ein Neubau, gemietet, der Vater arbeitete beim Bundesgrenzschutz, sie waren oft umgezogen in den letzten Jahren. Anna war einzig. Einzige Tochter. Glanz ihrer kleinen Familie. Blondes Gelächter und Ziel vieler Augen. Auch meiner, sowieso. Musste ja jemand auf sie aufpassen, oder? Und sie ließ mich, warf ihre blonden Haare prüfend nach hinten, betrachtete mich wie einen Spiegel. Durch sie war ich in der Lage zu begreifen, dass Mädchen tatsächlich echt waren, handfest und nicht nur Traumbilder.

Als ich sie zum ersten Mal im Gemeinderaum sitzen sah, oben bei den Sofas, machte ich innerlich einen Sprung. Auf den sonnigen Straßen am Nachmittag war sie mir schon aufgefallen. Ihre Mähne, ihr lautes Lachen, ihre tief ausgeschnittenen Sommerkleider. Ich lernte bald mehr als nur Äußerliches über sie: Anna war ernster, lustiger, offener und wütender als die meisten. Lachte und schimpfte viel und gern, weinte, küsste, fasste einen am Arm, umarmte viele und auch mich. Auch beim ersten Treffen.

»Hey. Draußenmann.«

»Wieso Draußenmann?«

»Du wohnst doch da draußen, oder? Wie du heißt, weiß ich nicht.«

»Dann lassen wir es dabei. Anna? Du bist Anna, oder?«

Sie lachte, bejahte und zog Sommersprossen auf ihren Wangen zu Inseln zusammen. Fragte nicht, woher ich das wissen konnte, sondern nahm es als gegeben an, dass sie eine Attraktion war. Sie war wie eine Botin aus einer anderen Welt.

»Gut, Draußenmann.« Da war sie.

Grosse Fahne West

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