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Zentrale Begrifflichkeiten

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Die Dialektik der Natur ist ein komplexes Gedankengebäude und dazu angetan, philosophisch weniger geübte Geister zu verwirren; und damit wohl die große Mehrheit. Dies umso mehr, als sich diese Dialektik sowohl materialistisch als auch idealistisch entwickeln lässt. So kann schlüssig argumentiert werden, dass sich die Einheit von Natur und Kultur im menschlichen Körper manifestiert. Ebenso lässt sich aber die Trennung zwischen Natur und Kultur oder auch dem Biologischen und Gesellschaftlichen im menschlichen Körper lokalisieren, etwa als biologisches und soziales Geschlecht, als sex and gender, wobei diese Trennung wiederum hinterfragt worden ist. Im Körper und mit ihm lassen sich Einheit und Unterschied von Natur und Kultur mitunter materiell begründen. Auch sind Menschen für ihr biologisches Überleben zweifellos von der Natur abhängig, sowohl individuell als auch kollektiv im Rahmen sozialer Gemeinschaften. Die basalen Grundlagen menschlichen Lebens ebenso wie die Ausgangsstoffe jeder materiellen Produktion entstanden und entstehen in Naturprozessen. Mit dem Studium dieser Naturprozesse und ihrer evolutiven Veränderungen über sehr ausgedehnte, sich teilweise über Jahrmillionen erstreckende Zeiträume, aber auch in kürzeren und gegenwartsnahen Zeitspannen, beschäftigt sich die Naturgeschichte, die in den Naturwissenschaften eine lange, zumindest bis ins 18. Jahrhundert zurückreichende Tradition hat und heute in mehreren Disziplinen weitergeführt wird, etwa in der Geologie, der Biologie und der Ökologie.3 Welche Bedeutung diesen Naturprozessen in der von Menschen mitgestalteten Geschichte, der sozionaturalen Geschichte, zukam, damit beschäftigt sich die Umweltgeschichte.4

Natur ist, so kann aus dem Gesagten geschlossen werden, eine essenzielle Größe einer jeden menschlichen Gemeinschaft. Zugleich ist Natur aber sozial konstruiert. Was unter Natur zu verstehen ist und wie Natur zu verstehen ist, ist eine kulturelle Frage. Ebenso ist die Unterscheidung in Natur und Kultur eine kulturelle, welche gesellschaftlich ausgehandelt, validiert und tradiert wird. Wie diese Unterscheidung getroffen wird, variiert von Kultur zu Kultur und wandelt sich zudem über die Zeit. Jede Form dieser Unterscheidung ist folglich kulturell und historisch spezifisch. Davon ist auch jene Variante nicht ausgeschlossen, die sich in modernen westlichen Gesellschaften entwickelte, die stark auf wissenschaftliches Wissen rekurriert und zumeist klar zwischen Natur und Kultur trennt. Dieses spezifisch moderne Natur-Kultur-Verständnis hat seinerseits die Wissenschaften geprägt und zu ihrer Spaltung in naturwissenschaftliche und kulturwissenschaftliche Disziplinen geführt, eine Spaltung, die bis heute fortwirkt.5 Die Spezifität und Relativität der jeweiligen oder auch der eigenen Kultur-Natur-Unterscheidung lassen sich zum einen im synchronen interkulturellen Vergleich erfassen, wie er insbesondere von der Ethnologie betrieben wird.6 Zum anderen zeigen sich die Variabilität und zusätzlich die Wandelbarkeit in der diachron angelegten historischen Analyse, wozu wiederum die Umweltgeschichte berufen ist.

Wie ist in den Geschichtswissenschaften mit den Begriffen Natur und Umwelt umzugehen? Hierfür ist es nützlich, sich kurz mit der Begriffsgeschichte zu befassen. Von den beiden Begriffen ist der Naturbegriff der deutlich ältere. Er taucht bereits im alten Griechenland auf, unter anderem, aber nicht erst in den Schriften von Platon und Aristoteles. Mit Rückbezügen auf die antike Philosophie wird er im europäischen Mittelalter und der europäischen Neuzeit weitergedacht. Angesichts der Vielfalt der Bedeutungen, welche der Begriff Natur über die Jahrhunderte ansammelte, schlug der Philosoph Rudolf zur Lippe vor, den Begriff am besten gleich zu stornieren: Er sei ein „Sack für unverarbeitete Geschichte“. Des Philosophen Leid ist des Historikers Freud, eröffnet ihm ein solcher Sack doch ein reiches Betätigungsfeld.7

Der Begriff Umwelt verbreitet sich erst in der Moderne. Das deutsche „Umwelt“ wie auch das englische „Environment“ finden sich im 19. Jahrhundert sporadisch und vorwiegend in literarischen Texten, im 20. Jahrhundert dann auch zunehmend in wissenschaftlichen Abhandlungen. Seine herausragende gesellschaftliche Bedeutung gewinnt der Umweltbegriff jedoch erst um 1970. Erst in dieser Zeit findet er Eingang in die Alltagssprache und steigt zugleich im Kontext einer global geführten Umweltschutzdebatte zum politischen Leitbegriff auf. Auch das vorrangig ökologische Verständnis von Umwelt (als natürliche Umwelt) ergibt sich erst im Zuge dieser Begriffsverbreitung.8 Tauchen die Begriffe Natur und Umwelt in historischen Dokumenten auf, so gilt es, wie bei allen Quellenbegriffen, deren zeitgenössischen Bedeutungen in der Quelleninterpretation zu berücksichtigen. Bei der eigenen Verwendung der Begriffe als beschreibende oder analytische Begriffe sollte man sich der wandelnden Bedeutung der Begriffe bewusst sein, was auch bedeutet, dass die eigene Verwendung von jener der untersuchten Texte und Akteure abweicht oder, in Bezug auf die Umwelt, dieser Begriff den Akteuren selbst allenfalls nicht zur Verfügung stand.

Wenn wir uns nun den heute gängigen Begriffsbedeutungen von Natur und Umwelt zuwenden, ist Umwelt der enger gefasste Begriff. Im Gegensatz zu Natur ist Umwelt an den Menschen gebunden. Der Begriff Umwelt macht nur in Kombination mit dem Begriff Gesellschaft Sinn. So gilt nicht nur: ohne Umwelt keine Gesellschaft, sondern ebenso: ohne Gesellschaft keine Umwelt. Natur hingegen lässt sich ohne weiteres ohne Mensch oder Gesellschaft denken. Daraus folgt weiter auch, dass Umweltprobleme zwangsläufig immer Gesellschaftsprobleme sind, während der Begriff Naturprobleme keinen Sinn ergibt. Auch die Bewertung von Umweltproblemen oder der Umweltqualität ist letztlich stets eine gesellschaftliche. Ob ein Geräusch als wohlklingende Musik oder als störender Lärm empfunden und ob es als künstlich oder natürlich wertgeschätzt oder abgewertet wird, hängt von gesellschaftlichen Prägungen ab, die durchaus individuell oder sozial ausdifferenziert sein können und sich mit der Zeit verändern. In den Diskussionen, ob Natur und Umwelt anthropozentrisch zu konzipieren seien oder dies nicht vielmehr bereits der erste Schritt in die falsche Richtung sei und es eine Dezentrierung des Menschen brauche, eine biozentrierte Sicht auf die Welt, wird oft vergessen, dass unsere sinnlichen Wahrnehmungen von Natur letztlich unhintergehbar sind und wir es sind, die unsere Umwelt schaffen. Umweltschutz bedarf daher stets einer gesellschaftlichen Begründung. Für die geschichtliche Betrachtung ist anzufügen, dass die historische Analyse immer an menschliche Kognition gebunden ist. Dies gilt für die Auswertung klassischer historischer (Text-)Quellen ebenso wie für die Rekonstruktion vergangener Umwelten etwa mithilfe naturwissenschaftlicher Methoden.

Neben der umfassenden Variante wird der Naturbegriff auch in einer engeren Variante verwendet, welche gerade den Menschen und mit ihm zumeist die Umwelt ganz oder größtenteils ausschließt. So bemühen sich die Naturwissenschaften, sofern sie nicht explizit umweltwissenschaftliche Fragestellungen verfolgen, den Einfluss des Menschen grundsätzlich aus ihren Untersuchungen herauszuhalten. Der Naturschutz wiederum konzentrierte sich lange auf jene Teile der Natur, die vom Menschen nicht oder kaum beeinflusst waren (oder in den Augen der jeweiligen Akteure diese Qualität aufzuweisen schienen). Insbesondere im US-amerikanischen Raum wurden diese als Wildnis (wilderness) angesprochen, während sich im deutschen Sprachraum dafür häufig auch Bezeichnungen wie ursprüngliche, wilde oder echte Natur oder Urnatur finden. Der Ausschluss des Menschen ist in beiden Fällen programmatisch angelegt, aber nicht vollständig, da die Erforschung und der Schutz der menschenfreien Natur nicht oder nicht nur als Selbstzweck gesehen wird, sondern letztlich den lebenden Menschen und späteren Generationen zugute kommen soll.9 Im Schutzdiskurs verkehrt sich mitunter das Verhältnis von Natur und Umwelt insofern, als Naturschutz als Teil eines umfassenderen Umweltschutzes verstanden wird.

Beim Kulturbegriff finden wir ebenfalls und in ähnlicher Weise wie beim Naturbegriff zwei Hauptverwendungen: eine weite, allumfassende und eine enge, auf gewisse Ausdrucksformen eingeschränkte. Dies begünstigt die spiegelbildliche Verwendung des Begriffspaars Natur und Kultur.10 Zudem wird der Kulturbegriff in der weiten Verwendung geläufig in Abgrenzung zu Natur definiert, etwa als „die vom Menschen durch die Bearbeitung der Natur mithilfe von planmäßigen Techniken selbst geschaffene Welt der geistigen Güter, materiellen Kunstprodukte und sozialen Einrichtungen“.11

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