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2.Umwelthistorische Zeiten
ОглавлениеIm vorangehenden Kapitel habe ich argumentiert, dass das Bestreben, zu verstehen und zu erklären, wie und warum sich sozionaturale Verhältnisse historisch wandelten, den Kern der Umweltgeschichte bildet. Dabei stellt sich, wie für jede historische Betrachtung, die zentrale Frage nach der zeitlichen Dimension dieses Wandels. In welchen Zeiträumen veränderten sich die sozionaturalen Verhältnisse? Lassen sich historische Phasen oder Epochen ausmachen, in denen der Wandel rascher ablief als in anderen? Wollen wir solche Geschwindigkeitsänderungen festmachen, bedingt dies, dass wir systematische Beschleunigungen oder Verlangsamungen nachweisen. Können wir aber von einer einzigen jeweils vorherrschenden Zeitstruktur ausgehen, oder müssen wir innerhalb derselben Phase oder Epoche verschiedene Wandlungs-prozesse nach ihnen je eigenen Zeitstrukturen unterscheiden? Und weiter: Folgen soziale und naturale Prozesse je eigenen zeitlichen Logiken, und, falls dem so ist: Wie lassen sich dann Zäsuren für den Wandel sozionaturaler Verhältnisse bestimmen? Gelten solche Zäsuren immer nur für Teilprozesse, oder gibt es auch Zäsuren, welche das Gesamte der Verhältnisse revolutionierten? In diesem Zusammenhang gilt es auch, das Verhältnis von Umweltgeschichte und Allgemeiner Geschichte zu thematisieren und zu fragen, wie umwelthistorische Zäsuren zu Epochengrenzen stehen, wie sie in der Allgemeinen Geschichte oder in anderen historischen Teildisziplinen vorgebracht worden sind. Schließlich ist die zentrale Frage nach den Kausalitäten zu stellen: In welchem Verhältnis steht der Wandel der materiellen Interaktionen zwischen Gesellschaften und ihren Umwelten zu jenem der ideellen Wahrnehmungen und Bewertungen von Umwelt? Passten Gesellschaften ihre Umweltwahrnehmung den veränderten materiellen Umständen an, oder veränderten sie diese Umstände auf Grundlage neu gewonnener Einsichten oder Ansichten bezüglich ihrer Umwelt?
Wie im Folgenden gezeigt werden soll, treffen sich umwelthistorische und allgemeingeschichtliche Zäsuren. Dies rührt her von der Verwobenheit umwelthistorischer mit wirtschafts-, sozial-^^ und technikhistorischen, aber auch mit politikge-schichtlichen Vorgängen und bezeugt zugleich die große Bedeutung, die umwelt-historische Prozesse für den allgemeinen Gang der Geschichte haben. Gleichwohl fordert die Umweltgeschichte zum Überdenken etablierter Chronologien und Epocheneinteilungen heraus: zum einen dadurch, dass sie ihre Epochen in Abfolgen von langer zeitlicher Dauer situiert, und zum anderen, indem ihre Einteilungen nicht ereigniszentriert sind, sondern auf Umwälzungen und bleibende Änderungen in materiellen Prozessen und (Denk-)Strukturen verweisen.37
Im vorangehenden Kapitel haben wir mit dem materialistischen und dem kulturalistischen Zugang zwei grundsätzliche Herangehensweisen der Umweltgeschichte unterschieden. Während der materialistische Zugang sich mit den materiellen Interaktionen zwischen Gesellschaften und Umwelt und deren Auswirkungen auf die Umweltbedingungen beschäftigt, interessiert sich der kulturalistische Zugang dafür, wie Menschen ihre Umwelt und deren Veränderungen wahrnahmen, bewerteten und gesellschaftlich verarbeiteten. Je nach Zugang rücken andere Aspekte des Wandels sozionaturaler Verhältnisse in den Vordergrund. Wenig erstaunlich hat dies auch zu unterschiedlichen Periodisierungsvorschlägen geführt. Im Folgenden wenden wir uns zunächst der materiellen Perspektive zu, führen sodann das Konzept des Anthropozän ein, um abschließend auf kulturalistische Sichtweisen zu sprechen zu kommen.