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In Zeiten des Anthropozän
ОглавлениеÄußerst anregend ist es, eine energiehistorische Periodisierung mit einer klimahistorischen Periodisierung zu kombinieren. Während vormoderne, agrarisch geprägte Gesellschaften sowohl auf kurzfristige Klimaanomalien als auch auf längerfristige Klimaschwankungen stark reagierten, gelang es sich industrialisierenden Gesellschaften, die Verwundbarkeit gegenüber klimatischen Bedingungen – zumindest mittelfristig – zu senken. Im Gegenzug setzten Industriegesellschaften ihre Mitglieder erhöhten Risiken aus. Beispielsweise konnten „Jahrhunderthochwasser“ oder „Jahrtausendbeben“ aufgrund der ausgeweiteten, verdichteten und vernetzten Besiedlung hohe Opferzahlen und enorme materielle Schäden verursachen. Auch erhöhte sich mit der Industrialisierung und dem Bevölkerungswachstum der anthropogene Einfluss auf das globale Klima markant. Der menschgemachte Klimawandel wiederum äußerte sich in jüngster Zeit in zunehmenden Klima-^^ und Wetterextremen, die sich laut den Modellen der Klimawissenschaftler in Zukunft weiter häufen und verschärfen werden.46
Gegenwärtig wird kontrovers diskutiert, inwieweit bereits der Temperaturrückgang in der um 1300 einsetzenden sogenannten Kleinen Eiszeit durch menschliches Handeln akzentuiert wurde. Klimawissenschaftliche Untersuchungen ergaben, dass der CO2-Gehalt der Atmosphäre in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sank und 1610 den tiefsten Wert seit der letzten Eiszeit erreichte, um danach allmählich wieder anzusteigen. Dieses Phänomen dürfte zu den selbst für die Kleine Eiszeit außerordentlich tiefen globalen Durchschnittstemperaturen beigetragen haben, welche die Zeit von 1550 bis 1700 prägten. Das Absinken des CO2-Gehalts wurde wiederum mit dem durch die europäischen Eroberungen verursachten Zivilisationszusam-menbrüchen in Verbindung gebracht: Infolge der gesellschaftlichen Desintegration und der demografischen Katastrophen, welche die Gesamtbevölkerung der Amerikas um 80–90 Prozent reduzierten, breitete sich die Vegetation aus und band zusätzliches atmosphärisches CO2. Während diese These nicht ohne Widerspruch blieb, ist die Sachlage für das Ende der Kleinen Eiszeit im 19. Jahrhundert und den seitherigen Anstieg der globalen Durchschnittstemperaturen inzwischen eindeutig: Beides ist im Wesentlichen auf den stark ansteigenden Ausstoß von Klimagasen aus anthropogenen Quellen zurückzuführen, welche wiederum größtenteils aus der Verbrennung fossiler Energieträger stammten.
Dieser in den Klimawissenschaften seit Jahrzehnten akzeptierte Zusammenhang bewog den holländischen Klimaforscher und Nobelpreisträger für Chemie Paul J. Crutzen, zusammen mit dem Biologen Eugene F. Stoermer, vorzuschlagen, von einer neuen geologischen Epoche zu sprechen: dem Anthropozän. In einem einflussreichen Aufsatz, der 2002 in der Zeitschrift Nature erschien, führte Crutzen aus: „For the past three centuries, the effects of humans on the global environment have escalated. Because of these anthropogenic emissions of carbon dioxide, global climate may depart significantly from natural behaviour for many millennia to come. It seems appropriate to assign the term ‚Anthropocene‘ to the present, in many ways human-dominated, geological epoch, supplementing the Holocene — the warm period of the past 10–12 millennia.“47 Crutzens Vorstoß löste eine breitgefächerte Diskussion aus, die eine Vielzahl von Disziplinen erfasste. Sie wird nun schon seit Jahren intensiv geführt und ist in ihren zahlreichen Verzweigungen kaum mehr überblickbar.48 Für die hier behandelte Frage umwelthistorischer Zeitstrukturen ist von besonderem Interesse, welche Epochengrenzen aufgrund welcher Kriterien vorgeschlagen worden sind. Die Lektüre der einschlägigen Literatur fördert eine Vielfalt an Angeboten zutage, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Dazu gehören die Beherrschung des Feuers (ca. 1.800.000 v. Chr.), die Einführung beziehungsweise Verbreitung landwirtschaftlicher Anbauweisen (ca. 10.000–3000 v. Chr.) und 1492 als Beginn der anthropogenen (Wieder-)Vereinigung der „Alten“ und der „Neuen“ Welt. Vorgebracht wurden aber auch 1610, als die CO2-Konzentration in der Atmosphäre ihr Langzeitminimum hatte, und 1964, als die atmosphärische Konzentration von Radionukleiden infolge Atomwaffentests den bislang höchsten Messwert erreichte.49
Für welchen Zeitpunkt und wie argumentiert wird, hängt wesentlich davon ab, welche Anforderungen in einer Disziplin an einen Epochenwechsel gestellt werden. So fordert die Geologie für eine neue Epoche, dass deren „geologisches Signal“ in den Sedimenten ausreichend groß, deutlich und abgrenzbar nachweisbar sei. Dazu braucht es sogenannte epochenspezifische „Marker“, die global verbreitet sind und von denen erwartet werden kann, dass sie auch noch in Jahrmillionen geologisch nachweisbar sind. Die Geschichtswissenschaften stellen demgegenüber sehr viel weniger rigide Anforderungen an Epochendefinitionen. So hält die Tatsache, dass sowohl die Neolithische als auch die Industrielle Revolution an unterschiedlichen Orten der Welt zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten einsetzten, Historiker und Historikerinnen nicht davon ab, diesen Vorgängen epochalen Charakter zuzusprechen.50
In seinem Aufsatz von 2002 ließ Crutzen das Anthropozän im späten 18. Jahrhundert mit dem Anstieg der globalen Konzentrationen an CO2 und Methan beginnen. In einer ebenso einflussreichen späteren Publikation, die Crutzen gemeinsam mit dem Klimawissenschaftler Will Steffen und dem Umwelthistoriker John R. McNeill verfasste, schlugen die Autoren vor, das Anthropozän in drei Stufen einzuteilen: das Industriezeitalter (ca. 1800–1945), die Große Beschleunigung (seit ca. 1945) und eine in der damaligen Zukunft liegende und für ca. 2015 erhoffte Übernahme einer treuhänderischen Verantwortung für das Erdsystem durch die Weltgemeinschaft.51 Während die zunehmende Verwendung fossiler Energieträger die erste Stufe prägte, sahen die Autoren die zweite Stufe durch eine allumfassende Beschleunigung umweltbelastender menschlicher Aktivitäten gekennzeichnet. Es ist das Verdienst insbesondere von John R. McNeill, diese umwälzenden Prozesse auf globaler Ebene umwelthistorisch ausgearbeitet zu haben.52
Eine umfassende Beschleunigung wurde auch jenseits umwelthistorischer Zusammenhänge als ein prägendes Merkmal der modernen Epoche beschrieben.53 Analytisch fruchtbarer ist es allerdings, nicht von einer anhaltenden Beschleunigung, sondern einer erhöhten Geschwindigkeit des Wandels auszugehen, welche moderne Gesellschaften oder vielmehr nur Teile von ihnen infolge wiederkehrender Phasen der Beschleunigung erfassten und so zu ungleichen Entwicklungen innerhalb von Gesellschaften sowie zwischen Gesellschaften führten. Wachsende Ungleichheiten verursachten wiederum gesellschaftliche Spannungen, schürten Ängste und weckten Wünsche. Sie lösten ebenfalls Bemühungen um Angleichungen und Anpassungen aus, kulminierten aber wiederholt auch in umfassenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krisen.54 Reinhard Koselleck sprach diesbezüglich von Zeitschichten (die Metapher entnahm er der Geologie!) und prägte die prägnante Formel des „Gleichzeitigen des Ungleichzeitigen“, die aber wegen ihrer fortschrittsideologischen Grundierung und der damit verbundenen, von Koselleck zwar nicht intendierten, aber doch implizierten Abwertung des Ungleichzeitigen als dem Zurückgebliebenen zu Recht kritisiert worden ist.55 Für die Umweltgeschichte der modernen Epoche ist die Beachtung und Analyse multipler Zeitstrukturen von hoher Bedeutung. So verwendeten etwa Wissenschaftler und Techniker, Unternehmer und Beamte enorme Anstrengungen darauf, die Produktion von Gütern von den Rhythmen der Natur, deren täglichen oder jährlichen Variationen und deren unberechenbaren Launen, unabhängiger zu machen.56 Diese gesellschaftlichen Bestrebungen, natürliche Prozesse umfassend zu kontrollieren, zu regulieren und zu steuern, können als ein Kennzeichen des Anthropozän gelten, und sie konfrontierten moderne Gesellschaften wiederholt mit der Erfahrung, dass sich natürliche beziehungsweise sozionaturale Prozesse der vollständigen technischen Beherrschung entzogen.