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Die Ära der Ökologie

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Die energiehistorischen Epochengliederungen ebenso wie das Konzept des Anthropozän und die These der umfassenden Beschleunigung beruhen auf Beobachtungen struktureller Veränderungen in der materiellen Basis von Gesellschaften. Was diesen Zugriffen weitgehend abgeht, ist die Perspektive der historischen Akteure und damit, welchem Wandel deren Wahrnehmungen, Kategorisierungen und Beurteilungen unterlagen, welche wiederum das Handeln der Akteure anleiteten.57 Hierzu ist der Wandel von Denkstrukturen und Handlungsspielräumen, des Sagbaren und des Machbaren, zu avisieren und zu fragen, welche zeitgenössischen Leitideen die gesellschaftlichen Vorstellungen von Natur und Umwelt prägten, zu welchem Handeln sie motivierten, und wann sie sich wie veränderten.

Für den hier betrachteten Zeitraum des modernen Europa lassen sich drei prägende Phasen unterscheiden, in denen sich das Naturverständnis europäischer Gesellschaften markant wandelte: erstens die Sattelzeit, die Jahrzehnte vor und nach 1800, in denen Aufklärung, Merkantilismus und Physiokratie sowie Naturgeschichte und Romantik ein neues Naturverständnis prägten; zweitens die Zeit um 1900, in der Hygiene und Naturschutz zu gesellschaftsrelevanten Themen aufstiegen, und drittens die Jahrzehnte seit Mitte der 1960er Jahre, in denen mit Umwelt(-schutz) und nachhaltiger Entwicklung neue ökologisch grundierte Konzeptionen erarbeitet wurden, die breite gesellschaftliche Anerkennung fanden.58

Die Sattelzeit, die zugleich den Übergang zur Moderne markiert, zeichnete sich durch eine Verzeitlichung wesentlicher Konzepte aus, mit denen Gesellschaften sich und die Welt erfassten.59 Dies betraf auch die Natur, die seit dem 18. Jahrhundert im Rahmen der historia naturalis, der Naturgeschichte, historisiert und damit zugleich verzeitlicht wurde.60 Naturwissenschaftler wie der Botaniker und Zoologe Jean-Baptiste de Lamarck sowie der Geologe Charles Lyell entwickelten Evolutionslehren, die sich zunächst innerhalb der christlichen Schöpfungslehre bewegten, bevor sie sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und im Anschluss an die Publikation von Charles Darwins Origins of Species von 1859 von dieser verabschiedeten beziehungsweise verabschieden mussten. Grundlage der Theoriebildung war ein systematisches Sammeln und Ordnen, Klassifizieren und Vergleichen von Artefakten aus der Natur. Auch der Mensch wurde als Homo sapiens in die Systematik der Natur eingegliedert und seine Entwicklungsgeschichte anhand von Überbleibseln, aber auch anhand des Studiums lebender Gemeinschaften weltweit zu rekonstruieren gesucht. Buchpublikationen und Vorträge, naturhistorische und volkskundliche Museen, botanische und zoologische Gärten, Ausstellungen und Völkerschauen popularisierten das gewonnene Wissen in breiten bürgerlichen Schichten. Begleitet wurde dieses Erfassen und Ordnen der Welt durch eine neue Wertschätzung der Natur, die sich zum einen in der schwärmerischen Begeisterung adliger und bürgerlicher Schichten für Gärten und Landschaften und einer innigen Zuneigung zu Pflanzen und Tieren zeigte. Zum anderen erkannten Eliten innerhalb der sich etablierenden Territorialstaaten den Wert der Natur für die Erhöhung der Wirtschaftskraft und damit der Macht eines Staatsgefüges. In diesem Kontext sind die vielfältigen Maßnahmen zu sehen, die seit dem 18. Jahrhundert von staatlicher Seite initiiert und zunehmend systematisch durchgeführt wurden, um die Natur zu „verbessern“ und die Erträge des Landes über Meliorationen und Agrarreformen, landesherrliche Forstwirtschaft und staatlichen Bergbau zu steigern.61

Auf diesem Fundus aufbauend erfuhren die Konzeptionen der Mensch-Natur- Beziehung an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert wesentliche Erweiterungen und Neudefinitionen. In zwei Reformbewegungen, der Hygiene-^^ und der Natur- schutzbewegung, wurden Erfahrungen des 19. Jahrhunderts von Industrialisierung, Urbanisierung und Säkularisierung verarbeitet. Beide Bewegungen wurden von bildungsbürgerlichen Schichten getragen, reichten aber auch in die städtische Arbeiterschaft hinein, die zum einen Objekt hygienischer Programme wurde, zum anderen aber auch eigene Organisationen wie Die Naturfreunde hervorbrachte. Gemeinsam war den beiden Bewegungen nicht nur die soziale Verankerung, sondern auch der zeitgenössische Kontext einer breiten, aber nur lose verbundenen und im Wesentlichen bürgerlichen Reformbewegung. Ihr inhaltlicher Bogen spannte sich von Frauenrechten bis zu Vegetarismus und von der Gartenstadt bis zur Nacktkultur, die gemeinsamen Leitthemen waren die Zuwendung zur „Natur“ und zur „natür- lichen“ Lebensweise. Im deutschen Sprachraum bürgerte sich für die Gesamtheit dieser Bewegungen die Bezeichnung Lebensreform ein. Eine kohärente Programmatik entwickelten diese Bewegungen allerdings nicht, sodass auch städtischer Umweltschutz in Form der Hygiene und Naturschutz, der seine zu bewahrenden Objekte und Landschaften vorwiegend in ländlichen Gegenden fand, auf keinen gemeinsamen Nenner gebracht wurden, sondern personell und konzeptionell weitestgehend getrennte Wege gingen.62

Zusammengeführt wurden diese Bereiche erst um 1970 im Rahmen der Umweltschutzbewegung. Auf sprachlicher und kognitiver Ebene ermöglichte die Neubestimmung des Umweltbegriffs als natürliche Umwelt diese Zusammenführung. Der Umweltbegriff baute auf dem in der vorangehenden Reformphase um 1900 entwickelten Ökologiebegriff und dessen systemtheoretischer Wendung und kybernetischer Modellierung im 20. Jahrhundert auf.63 Natur als Umwelt war ein vernetztes System, in dem letztlich alles mit allem zusammenhing und das es daher unabdingbar machte, die Probleme in eine Gesamtschau zu bringen und gemeinsam anzugehen. Wiederum, wie schon in der Sattelzeit und um 1900, fand auch diese Neufassung der sozionaturalen Verhältnisse ihre breite gesellschaftswirksame Rezeption im Rahmen eines gesellschaftlichen Aufbruchs, für den die Chiffre 1968 steht. Den materiellen Hintergrund bildeten der seit den 1950er Jahren massiv steigende globale Verbrauch von Gütern aller Art und die starke Zunahme der Weltbevölkerung. Das Wachstum werde, so die sich nun entwickelnde Sichtweise, das System Erde über kurz oder lang an die Grenzen seiner Tragfähigkeit bringen, wobei viele befürchteten, dass dieser Zeitpunkt bereits in nächster Zukunft eintreten würde.64 In der Zusammenführung der Umweltmit der Nord-Süd-Debatte um globale Angleichung der Lebensstandards entwickelte sich seit den 1980er Jahren das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung, das vorsieht, die Umwelt zu schützen und zu schonen, ohne dadurch die wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsmög-lichkeiten einzuschränken. Klimaschutz und Klimagerechtigkeit bildet eine neuere Ausprägung dieser global geführten Diskussion. In ihr verbinden sich zeitliche und räumliche Dimensionen und die politisch brisante Frage, wie sich die wirtschaftlichen Unterschiede, aber auch der unterschiedliche Ausstoß an Klimagasen in der Vergangenheit auf die Übernahme von zukünftigen Verpflichtungen zu Begrenzung des Klimawandels auswirken soll.65

Mit der Nachhaltigkeit wurde ein Konzept aufgegriffen, das in der staatlichen Forstwirtschaft des 18. und 19. Jahrhunderts und damit der ersten der drei hier unterschiedenen Phasen ausgearbeitet wurde, um die forstlichen Erträge von Waldungen langfristig auf einem gleichmäßigen und möglichst hohen Stand zu erhalten. Angesichts der vieljährigen Wachstumszyklen, denen Forste unterlagen, plädierten Forstfachleute für eine zeitlich ebenso ausgedehnte vorausschauende Planung der Bewirtschaftung. Das Konzept war in seiner zeitlichen Ausdehnung in die Zukunft revolutionär, thematisch und räumlich blieb es aber lange eng fokussiert auf lokale (forst-)wirtschaftliche Belange. Ihm fehlten sowohl die soziale und die ökologische Komponente als auch der globale Zuschnitt.66 In seiner neuen, umfassenderen Interpretation kann das Konzept auch der Umweltgeschichte dienen, um vergangene Entwicklungen auf ihre Nachhaltigkeit hin zu befragen. Dabei ist aber nicht nur den zeitlichen, sondern auch den räumlichen Auswirkungen Rechnung zu tragen. So greift etwa Franz-Josef Brüggemeiers Analyse zu kurz, wenn er Großbritannien oder den Niederlanden um 1800 eine höhere Nachhaltigkeit als anderen europäischen Ländern zuschreibt, da ihre Versorgung mit Nahrungsmitteln und anderen Rohstoffen durch den Handel verlässlicher gewesen sei, ohne zu fragen, wie sich dieser Handel auf die Nachhaltigkeit in jenen Gebieten auswirkte, wo die Nahrungsmittel angebaut und die Rohstoffe gefördert wurden.67

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