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XVI

An diesem späten Nachmittag war die Piazza dell’Esquilino auf der Rückseite von Santa Maria Maggiore voller wartender Schaulustiger. Rachele und Marianna überhäuften Alma mit Fragen, und sie erzählte betrübt, dass es Cristoforo nicht besser gehe. Dass es schrecklich sei zuzusehen, wie er dünner und dünner werde, dass er sehr oft schlecht gelaunt und gereizt sei. Alma spürte, wie mit dem Erzählen die lähmende Ohnmacht wieder emporkam, nachdem die viele Arbeit der letzten Tage sie ein wenig abgelenkt hatte. Aber nun fand sie den Gedanken, bald nicht mehr mit ihren Freundinnen zusammen sein zu können, wieder genauso unerträglich wie von Anfang an. Selbst das Gespräch mit Rachele auf der Piazza und die Aussicht, vielleicht doch nur einige Monate weg zu sein, erschienen ihr weit weniger hoffnungsvoll, als sie sich einzureden versuchte. Und Antonio?, durchfuhr es sie. Auch den Zeitungsverkäufer würde sie nicht mehr sehen. Hitze wallte in ihr auf. Ob er auch da war? Sie schaute sich um, dann ertönten Fanfaren, und sie kam nicht mehr dazu, Rachele und Marianna von ihm zu erzählen.

Sie reckten die Köpfe hin zur Via Cavour, um die principessa zu sehen. Die Kandidatin aus ihrem Quartier, die an der Wahl zur reginetta di Roma teilgenommen hatte. Zum ersten Mal überhaupt hatte man eine Miss Rom erkoren. Am aufwändigen dreitägigen Wahlprozedere hatte aus jedem Quartier eine junge Frau teilnehmen dürfen. Der Festtagstross kam direkt von der Piazza d’Armi jenseits des Tiber, wo die Wahl und die Feierlichkeiten im Rahmen der Universalausstellung stattgefunden hatten.

Diese Ausstellung zum fünfzigjährigen Bestehen des italienischen Nationalstaats hatte Alma zusammen mit der ganzen Familie an einem warmen Frühlingssonntag besucht. Vom monumentalen dreibogigen Ehrenportal am Eingang aus hatten sie sich zu den prunkvollen padiglioni aufgemacht. Alma sah die venezianischen Gondeln vor sich, wie sie auf den nachgebauten Wasserkanälen schaukelten, und die Segelschiffe aus der Hafenstadt Genua, die die glorreiche Seefahrerzeit veranschaulichten. Sie hatten die trulli, die höhlenartigen Behausungen mit den kegelförmigen Dächern der apulischen Bauern bestaunt, die roten Nelken an den Bauernhäusern des Aostatals und die Schneeschuhe, von denen sie noch nie zuvor gehört hatte. Geworben hatte man mit dem spektakulären, naturgetreuen Nachbau eines hundert Meter langen römischen Schiffes, das in einem künstlich angelegten Wasserbecken schwamm. Aber am meisten fasziniert hatte sie alle der toboggan im Vergnügungsteil der Ausstellung. Der Eintritt in diesen Bereich war zwar unerschwinglich gewesen für die Familie, doch selbst das Zuschauen von der Umzäunung aus hatte Spass gemacht, fast so, als wären sie selbst dabei gewesen, wenn die Mutigen hoch oben auf dem Holzturm sich in den Kahn setzten und über die steile Rutschbahn in das Wasserbecken hinunterschossen. Das Wasser war in die Höhe gespritzt, und nicht nur die Teilnehmenden, auch alle Zuschauer rundherum, hatten laut gekreischt. Den Kleinen hatten sie ein Eis und den Besuch eines Figurentheaters versprechen müssen, um sie, nach mehrstündigem Aufenthalt auf dem Gelände, von dort wieder loszubekommen.

Auch an der Via Cavour war die Stimmung ausgelassen. Trommler und Trompeter zogen vorbei, Knappen in historischen Kostümen, Fahnenträger und Pferdekutschen mit den Amts- und Würdenträgern und ihren Begleitdamen. Dann endlich fuhr der himmelblau ausstaffierte Wagen vor, in dem die Auserwählte auf einem erhöhten Sitz sass, mit der Zweit- und Drittplatzierten an ihrer Seite. Aufrecht und stolz blickten die jungen Frauen in die Menge, lächelten selbstbewusst und winkten. Alle drei trugen kostbare Kleider aus glänzendem Seidensatin und hatten die Haare kunstvoll hochgesteckt. Mit einem schmucken Fächer, passend zum Farbton des Kleides, wedelten sie sich Luft zu.

Alma bewunderte den Mut der Frauen, sich so zu präsentieren. Sie selbst konnte sich nicht vorstellen, dort oben zu stehen. All diese Blicke, die einen durchbohrten, nein!

Marianna war begeistert von den eleganten Kleidern.

Rachele fand die principessa hochnäsig und ihre Nase zu lang. «Und schau, die hat Pausbacken wie ein kleines Mädchen», meinte sie.

«Genau wie du!» Marianna drehte den Kopf zu ihr und grinste.

«Macché! Ich habe keine Pausbacken!» Rachele runzelte die Stirn, und eine Furche bildete sich an ihrer Nasenwurzel.

«Und sie hat einen langen, zarten Hals!»

«Du meinst, sie ist eine Giraffe?», entgegnete Rachele spöttisch.

«Du Esel! »

«Hört doch auf! Mir gefällt sie auch», kam Alma Marianna zu Hilfe.

«Sie ist immerhin gross!» Das war Racheles Retourkutsche an die Adresse der klein gewachsenen Marianna, die ihr postwendend den Ellbogen in die Seite stiess. Rachele und Alma brachen in helles Lachen aus.

«Wenn das genügt, hätte ja auch Angela mitmachen können», meinte Marianna trocken, und die anderen lachten nochmals laut heraus.

«Unsere sportliche ciociara mit ihren feministischen Prinzipien! Schade, wollte sie nicht mitkommen!», meinte Rachele.

Alma bewunderte Angela, ihre ehemalige Mitschülerin, die sich seit dem Umzug ihrer Eltern in die Stadt standhaft und erfolgreich geweigert hatte, den Sommer bei den Verwandten auf dem Land zu verbringen. Nie wieder Magd sein, hatte sie verkündet. Zur selbstsüchtigen Grossmutter, die sie nur ausnützte, nein! Und nie wieder ihrem bornierten Onkel die Schuhe auf Hochglanz polieren!

Als die Glocken des campanile halb acht Uhr schlugen, verabschiedete sich Alma eilig von ihren Freundinnen. Sie hätte schon längst zu Hause sein müssen, um Nazzarena beim Zubereiten des Abendessens zu helfen. Wenn Vater ihre Verspätung bemerkte, würde es ein Donnerwetter absetzen. Alma rannte, so schnell sie konnte.

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