Читать книгу Almas Rom - Patrizia Parolini - Страница 7

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II

Kaffeeduft steigt mir in die Nase. Spirituosen stehen auf dem beleuchteten Glasregal an der Wand. Campari, Fernet-Branca, Ramazotti. Mein Blick schweift zur Kasse, zur Vitrine mit den gefüllten cornetti und hinaus zu den Tischen auf dem Gehsteig unter dem dichten Blätterdach der ahornblättrigen Platanen. Italienische Popmusik ertönt aus dem Hintergrund. Die Serviererin stellt mir die Tasse hin. Unter dem röstbraunen Schaum ist der Kaffee nachtschwarz. Mit der Hand streiche ich über die grünlich gläserne Theke. Das ist sie also, die Kaffeebar, die einst Cristoforo und Edgardo, meinem Urgrossvater und dessen Bruder gehört hatte. Der Ort in Rom, wo das Leben von Alma, meiner Grossmutter, eine erste dramatische Kehrtwende erfuhr.

Ich sehe mich, das sechsjährige Mädchen mit den Stirnfransen, an Almas Beerdigung – nicht in Rom, sondern im Puschlav. Wie ich auf dem engen Vorplatz stehe, rund um mich herum schwarz gekleidete Menschen, die sich begrüssen, flüstern, sich die Nasen schnäuzen. Und mittendrin stand der Sarg. Ich wusste, etwas Wichtiges war passiert, und ich wollte dabei sein. Doch so sehr ich mich auch gewehrt hatte, ich weiss noch genau, ich hatte nicht mitgehen dürfen.

Vage erinnere ich mich, dass auch die zie aus Rom da gewesen waren, die Nichten von Alma. Sie kamen beinahe jeden Sommer hinauf in das Bergtal und schwärmten immer von der aria genuina – der gesunden Bergluft. Sie waren klein, elegant gekleidet und voller Temperament. Meine Schwestern und ich freuten uns, die drei Tanten zu sehen, denn sie gingen jedes Mal mit uns in das Café an der Piazza. Wir Kinder waren wild auf die gelati, die es dort gab, weil man sie so, frisch in der Waffel, nicht bekam an unserem Wohnort in der Deutschschweiz.

Auch wir verbrachten die Sommerferien im Puschlav und nicht etwa am Meer wie meine Schulkameraden. Deshalb war mir Italien kein Begriff, bis ich zum ersten Mal nach Rom reiste und mich in einer verrückten, verkehrsverstopften Stadt wiederfand. Ich war siebzehn und entsetzt darüber, dass abends, wenn wir uns die Nasen putzten, sich die weissen Taschentücher schwarz färbten. Ich weiss auch noch, wie meine Schwestern und ich auf dem Rücksitz des roten Topolino sassen. Am Steuer die zia. Wir brausten über die Piazza Venezia. Ich staunte über das riesige, blendend weisse Monument. Die Tante nannte es spöttisch die «Schreibmaschine». Später raste sie über eine Kreuzung, obwohl die Ampel bereits auf Rot gesprungen war. Sie wollte die andere Tante und unsere Eltern, die vorausfuhren, im Chaos des römischen Stadtverkehrs auf keinen Fall verlieren. Wir Kinder kreischten, vor Schreck und vor Übermut. Und jetzt, zwanzig Jahre später, bin ich zum zweiten Mal in Rom. An der Piazza Venezia habe ich festgestellt, dass die «Schreibmaschine» anders aussieht als in meiner Erinnerung. Auf dem verkehrsberuhigten Platz ist jetzt ein grasbewachsener Kreisel, Sigthseeingbusse und Reisecars fahren heran, Touristen flanieren auf der autofreien Strasse, die zum Kolosseum führt. Meerkiefern spenden Schatten. Das Vittoriano ist eine gigantische Säulenreihe mit Treppen, Balustraden und Ornamenten und der bronzenen Reiterstatue von König Vittorio Emanuele II in der Mitte. Das Weiss des Marmors hebt sich ab vom Rostrot der anliegenden Palazzi. Nach dem Willen der Erbauer sollte das Denkmal zur Ehre des neuen, geeinten Italiens alle bestehenden Wahrzeichen der Stadt überstrahlen. Heute wirkt es fremd und selbstgefällig.

Mit dem Lift bin ich auf das Dach des Monuments hinaufgefahren, um die Stadt von oben zu sehen. Ein Foto in einem Schaukasten auf der Zwischenterrasse zeigt Szenen der Einweihung: ein schwarzes Meer von gedrängt stehenden Menschen und gehissten Fahnen. Jeder Zwischenraum, jeder Vorsprung und sogar das Dach ist von Feiernden besetzt. Man sieht den klein gewachsenen König Vittorio Emanuele III flankiert von den corazzieri – den gross gewachsenen Soldaten seiner Leibgarde. Ich habe mir vorgestellt, wie die Leute damals, von der Piazza aus, nur den hohen Zylinder sahen, wie er sich hob und senkte mit jeder Stufe, die der König emporstieg, im Takt mit den hin- und herpendelnden Rosshaarschweifen auf den Helmen der Gardisten, und wie deren silbrige Brustpanzer glänzten und die Reitersäbel rasselten. Man hatte die Einweihung des Vittoriano im Jahr 1911 zum Anlass genommen, Cavour, Mazzini und Garibaldi und das fünzigjährige Bestehen des italienischen Nationalstaats zu feiern.


Rom, Blick vom Vittoriano in Richtung Kolosseum, im Hintergrund die Basilika San Giovanni in Laterano und die Albaner Berge, 2012.

Das war das Jahr gewesen, in dem Alma Rom hatte verlassen müssen. Mit siebzehn Jahren. Ich denke nicht, dass sie bei der Einweihungsfeier dabei gewesen war. Die Puschlaver Auswanderer hielten, sofern sie denn katholisch waren und nicht reformiert, dem Papst die Treue. Und Kirche und Königreich waren sich spinnefeind. Aber bestimmt war die ganze Familie zur Gelateria Fassi gefahren, die an diesem besonderen Tag des Monats Juni allen Kindern ein Eis frei ausgegeben hatte.

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