Читать книгу Perry Rhodan Neo Paket 22 - Perry Rhodan - Страница 10
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Thora Rhodan da Zoltral
»Er hat mir nicht mal Bescheid gegeben!«
Thora machte keinen Hehl aus ihrem Zorn. Sie spürte, dass ihre verräterischen Arkonidenaugen tränten, hörte ihre Stimme, so rau wie eine Raspel. Reginald Bull waren diese Zeichen bestimmt nicht entgangen, obschon er sich um einen unbeschwerten Tonfall bemühte. Sein vertrautes Gesicht schwebte im Kommunikationshologramm ihres Gleiters, hinter ihm die Dunkelheit des Alls.
»Julian ist Arzt, Thora. Nimm es als gutes Zeichen – Angehörige werden nur verständigt, wenn es Grund zur Sorge gibt.«
»Ich war bei ihm, Reg! Erst wollte Julian mich nicht zu ihm lassen, dann habe ich ihm zu verstehen gegeben, was ich davon halte ...«
»Oh.« Bull fuhr sich besorgt mit den Fingern durchs Haar. Sein Bürstenhaarschnitt war ihm während der vergangenen Wochen zwei Zentimeter zu lang geraten und nutzte die ungewohnte Freiheit schamlos aus. Er sah aus wie ein ungepflegter marsianischer Vorgarten. »Geht es ihm gut?«
»Perry?«
»Julian.«
»Er lebt noch, wenn das deine Frage ist.«
»Gut.« Die Finger glätteten das rote Haar. »Und Perry? Wie ist sein Zustand?«
»Er schläft noch. Julian hat ihm irgendwas gegeben.«
»Das Merkosh-Gel?«
Thora schnaubte. Dass dieser groteske Fremde mit seinen vollmundigen Versprechen inzwischen Perrys beste Hoffnung auf Heilung darstellte, war ihr zuwider. »Ehrlich gesagt, habe ich das nicht gefragt. Ich war eine Viertelstunde bei ihm drin, aber er kam nicht zu sich. Julian hat mir versprochen, dass er morgen wieder der Alte ist. Was auch immer das zurzeit heißt.«
Bull hatte mehr Erfolg damit, seine Gefühle zu verbergen als sie, aber sie kannte ihn lange genug, um zu merken, dass er sich dieselbe Frage stellte.
»Wie lange noch, Reg? Wie lange wird er noch haben?«
Ihr alter Freund gab keine Antwort.
»Was, wenn ihr ihn verlieren?«, setzte sie nach. »Wenn wir ...«
Reginald Bull presste die Lippen zusammen.
»Tut mir leid«, sagte sie, als sie begriff, dass Bull in einer ähnlichen Situation war wie sie: Er sorgte sich um seine Partnerin. Nur dass Autum Legacy das Tragen eines Zellaktivators von vornherein abgelehnt hatte und es nicht gut um ihre Beziehung bestellt war.
Was, wenn wir bald schon allein sind?, beendete sie den Satz in Gedanken und griff nach dem kleinen, teuflischen Ei an ihrer Brust. Die feine Silberschnur, an welcher der ehemals Avandrina di Cardelah gehörende Aktivator hing, war plötzlich schwer wie eine Ankerkette.
»Wo steckst du gerade?«, fragte Bull. Sein holografischer Kopf schob sich aus dem Projektionsbereich des Koms, als er versuchte, an ihr vorbeizuspähen. »Bist du im Orbit?«
Thora seufzte. »Ich wollte mir noch die Möglichkeit offenhalten, einen Angriff auf Julian zu fliegen«, gestand sie.
Bull brauchte bloß eine Sekunde, die Bemerkung als Scherz zu begreifen, aber diese Sekunde war die beste dieses ganzen Tages bislang.
Thora lachte. »Selbst wenn der Gleiter bewaffnet wäre, was er nicht ist – glaubst du ernsthaft, ich würde mein eigenes Raumschiff angreifen? Die CREST II? Mit Perry an Bord?« Menschen waren einfach herrlich.
»Wenn ich eins gelernt habe die letzten fünfzig Jahre, dann dass du zu allem fähig bist«, rechtfertigte sich Bull.
»Wie steht es mit dir?«, fragte sie. »Wozu bist du fähig, Reg?«
»Wie meinst du das?«
Sie biss sich auf die Lippen. Die hohe Kunst der Diplomatie war trotz ihrer Karriere als Botschafterin nie ihre Stärke gewesen – und das, was sie zu sagen hatte und was im Moment nicht mehr als ein halb garer Gedanke war, konnte heikle Konsequenzen haben. Sogar in einem Gespräch mit Bull.
»Perry braucht Hilfe. Sind wir uns da einig?«
»Absolut«, sagte Bull wie aus der Pistole geschossen. »Er sieht das vielleicht noch nicht ein, aber das wäre ja nicht das erste Mal. Natürlich braucht der Mann Hilfe. Ob er will oder nicht.«
»Schön, dass du's so siehst.« Sie schnalzte mit der Zunge. »Und was wäre unseres Wissens die einzige Möglichkeit, ihm zu helfen?«
Bull pustete die Backen auf. »Die, die man uns gerade genommen hat: ihn mit der FANTASY nach Lashat zu bringen.« Er machte eine merkliche Pause. »Thora, wenn du darauf hinauswillst, was ich vermute, sollten wir reden ... aber nicht über Funk.«
Thora nickte lobend. Manchmal war er schneller von Begriff als gedacht. »Bist du daheim?«
»Klar, ich hab frei.«
»Und bist du allein?«
»Autum kommt nachher noch mit den Mädchen vorbei. Wieso ...«
»Ich bin in fünf Minuten da. Gib der Bodenkontrolle Bescheid.«
Sie desaktivierte sämtliche Sicherheitssysteme und leitete eine Sturzsequenz ein, wie man sie Piloten im Großen Imperium für Notfälle beibrachte.
Einen Moment lang dachte sie an das dumme Gesicht des Händlers, bei dem sie den Gleiter damals gekauft und um einen zusätzlichen Hitzeschild im Bugbereich gebeten hatte. Er hatte nicht verstanden, wozu sie den bei einem zivilen Modell brauchte. Perry, der dabei gewesen war, hatte nicht fragen müssen – er kannte seine Frau, wenn sie es eilig hatte.
Die Bewohner von Terrania würden eine schöne Sternschnuppe zu sehen bekommen.
Der Erdball, wie die Menschen ihn poetisch nannten, raste auf sie zu. Schon heizten die obersten Atmosphärenschichten den Gleiter auf. Erst als die Temperatur des Hitzeschilds kritische Werte erreichte, schaltete Thora den schwachen Schutzschirm zu, ehe ihr die Bodenplatte um die Ohren flog. Jenseits der ionisierten Gase sah sie in der Frontscheibe, von der Positronik durch holografische Einblendungen unterstützt, die eurasische Landmasse, die rasch anwuchs. Mittendrin prangte der kakifarbene Klecks der zentralasiatischen Wüsten, der beinahe wirkte wie der Große Rote Fleck auf Jupiter, und darin wiederum wurde Momente später Terrania sichtbar wie die Iris in einem Auge. Die unmöglich lange Silberlinie des Orbitallifts steckte wie eine Nadel darin.
Thora war mittlerweile fast auf einer Höhe mit dem zivilen Luftverkehr und verzögerte weiter, fiel aber nach wie vor fast senkrecht wie ein Stein. Schon konnte sie das blaue Mosaik des Goshunsees unter sich sehen, das aus dem verwirrenden Netzwerk von Verkehrswegen, Raumhäfen, Wohn- und Geschäftsvierteln wohltuend hervorstach. Sie zielte direkt auf das Tosoma Islands Archipel.
Reginald Bulls Bungalow war etwas bescheidener als ihr eigener, lag aber nicht minder idyllisch. Auch er verfügte über ein privates Landefeld, das Thoras flammende Bremstriebwerke nun einem Härtetest unterzogen. Ein Röhrenfeld schützte dabei die nähere Umgebung. Dann desaktivierte sie den Antrieb und federte in drei Metern Höhe auf ihrem Antigravfeld, unschuldig wie ein Blatt in einem warmen Aufwind.
Reginald Bull stand ungeachtet ihres halsbrecherischen Manövers mit verschränkten Armen aufrecht am Rand des Landefelds. Er wirkte nicht beeindruckt.
Thora ließ den Gleiter auf Bodenniveau sinken und schaltete alle Systeme in den Bereitschaftsmodus. Dann klappte sie die Glassitglocke zurück und atmete tief durch. Die vertraute salzige Seeluft schlug ihr entgegen.
»Geht es dir jetzt besser?«, fragte Bull und kletterte auf den Sitz des Co-Piloten. »Wenn du sichergehen wolltest, dass die komplette Luftraumüberwachung von unserem Treffen erfährt, ist dir das gelungen.«
»Sie sind mich gewohnt«, wehrte sie ab. »Und was auf unseren Inseln passiert, bleibt auf unseren Inseln. Du erinnerst dich? Es gibt sogar ein Gesetz dazu.«
Er grunzte mürrisch. »Schließ den Deckel.«
Sie entsprach seinem Wunsch, verdunkelte das Glassit und drehte sich zu ihm um. »Also?«, fragte sie ohne Überleitung.
Bull schaute sie ernst an. »Du wolltest einen Vorschlag machen.«
Er will, dass ich es ausspreche.
»Perry braucht Hilfe«, resümierte Thora. »Hilfe gibt es auf Lashat. Der einzige Weg dorthin ist die FANTASY. Und wenn uns die TU-Verantwortlichen das Raumschiff, das wir brauchen, nicht geben wollen ...«
Bull hob eine Braue.
»... dann nehmen wir es uns eben«, schloss Thora.
Reginald Bull schien nicht im Mindesten überrascht. »Dir ist klar, dass wir damit womöglich alles zerstören, was wir aufgebaut haben. Unsere Positionen, die Karrieren ... Man wird uns anklagen, verurteilen und einsperren. Oder wir fliehen und können, wenn's blöd läuft, nie mehr ins Solsystem zurück.«
Thora zuckte mit den Schultern. »Wäre nicht das erste System, in dem ich Hausverbot habe.«
»Thora, das ist kein Witz!«
Sie sah ihn an. Die blauen Augen in dem von Sommersprossen und kleinen Narben gezeichneten Gesicht, das so viel erlebt hatte, schauten ihr ruhig entgegen.
»Ich weiß, Reg. Ich weiß das alles. Aber ich kann nicht anders. Verstehst du? Ich kann Perry nicht sterben lassen. Wenn das geschähe ...«
... würde ein zu großer Teil von mir mit ihm sterben.
Bulls Mundwinkel zuckten, ein unsicheres Grinsen. Gefühlsausbrüche waren nicht seine Stärke, es sei denn, es galt, sich über etwas aufzuregen.
»Mir musst du das nicht erklären«, wehrte er ab. »Die Frage ist: Können wir das wirklich von den anderen verlangen?«
Thora zögerte. Ehrlich gesagt, war ihr dieser Gedanke noch nicht gekommen. »Sie werden es genauso sehen. Ohne Perry Rhodan ...«
Bull schüttelte den Kopf. »Perry mag viel für die Menschen getan haben, aber das heißt nicht, dass sie den Gefallen automatisch erwidern.«
Thora verbiss sich einen Protest. Das war eine der Seiten an den Menschen, mit der sie immer gehadert hatte. »Was schlägst du vor? Wir brauchen eine Crew.«
»Und wir werden eine kriegen«, sagte Bull. »Aber nur Freiwillige! Wir fragen alle, denen wir vertrauen können und die qualifiziert sind, die FANTASY zu fliegen ...«
»Also alle, die voriges Mal dabei waren«, schloss Thora. »Was genau das ist, was ich sage. – Reg, ich kann ja verstehen, dass es dir riskant erscheint. Aber ich bin sicher, dass niemand Nein sagt. Was wollen wir wetten?«
»Mit dir wette ich nicht.« Er lachte trocken. »Was ist mit deinen Söhnen? Sind sie mit von der Partie?«
»Keine Frage«, antwortete Thora. »Sagst du deinen Töchtern Bescheid?« Laura und Sophie Bull-Legacy hatten die FANTASY bei ihrem ersten Testflug gesteuert.
»Ich rede mit ihnen.« Er brummte ernst. »Und ich rede mit ihrer Mutter.«
Thora fragte nicht weiter. Sie ahnte, dass das Gespräch mit Autum Legacy der schwierigste Teil des Plans für ihn werden würde. »Was den Rest betrifft ...«
»Ich mache ein paar Anrufe«, versprach Bull. »Und ich rede auch mit Ngata.«
Das alarmierte Thora. Den ehemaligen Administrator der Terranischen Union und nunmehrigen Präsidenten der Solaren Union verband eine lange, komplizierte Partnerschaft mit Perry Rhodan. »Hältst du das für eine gute Idee?«
»Ohne Ngata kommen wir nicht mal in die Nähe des Schiffs«, beharrte Bull. »Und er hat alles für Perry getan, was er konnte. Es ist nicht seine Schuld, dass die Vollversammlung und der Unionsrat gegen ihn gestimmt haben. Ngata steht auf unserer Seite. Vertrau mir.«
»In Ordnung.« Thora griff nach seinem Arm. »Danke, Reg.«
»Ist doch selbstverständlich.« Er zog den Arm weg. »Was mir mehr Sorge macht, sind Merkosh und sein Vitron. Wir brauchen das Gel aus Merkoshs Raumboot, um Perry auf den Beinen zu halten. Auch im Compariat dürfte es nützlich sein. Und das Vitron ist derzeit an Bord der CREST II ...«
»Darum kümmere ich mich.«
Reginald Bull grunzte. »Dann bleibt nur noch eine Frage.«
»Nämlich?«
Er wirkte mit einem Mal sehr nervös. »Wer von uns beiden bringt es Perry bei?«