Читать книгу Perry Rhodan Neo Paket 22 - Perry Rhodan - Страница 14
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Reginald Bull
Maui John Ngata war ein sehr alter Mann geworden. Den Gedanken bekam Reginald Bull nicht aus dem Kopf, während er zusah, wie der greise Präsident der Solaren Union bedächtig auf der Bank des Diners Platz nahm. Die Falten in dem dunklen Gesicht waren so tief wie die Schluchten seiner neuseeländischen Heimat.
»Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben«, sagte Bull und setzte sich ihm gegenüber. Der Diner war einer altmodischen Sports Bar nachempfunden: eine lange Theke, mehrere kleine Sitzgruppen aus je zwei Bänken und einem Tisch, signierte Fotos und eine große TV-Wand, auf der gerade eine Rugby-Meisterschaft übertragen wurde. Der Inhaber war ein Mongole in Ngatas Alter, der sie mit höflichem Lächeln begrüßt und dann kommentarlos in einen Seitenflügel geführt hatte, dessen Tische trotz der frühen Stunde alle von kleinen Reservierungsschildchen geblockt wurden. Offensichtlich besuchte der Präsident diesen Diner nicht zum ersten Mal.
»Ich wusste nicht, dass Sie eine Schwäche für Burger haben«, kommentierte Bull, während er die Karte studierte.
Ngata hob die Schultern. »Es gibt nicht viele Orte, wo ich ungestört sein kann. Ohne Leibwächter, ohne Assistenten, Termine oder Streit.«
Bull verkniff sich die Bemerkung über Amtsmüdigkeit, die ihm auf der Zunge lag – nicht bloß, weil sie seinem Anliegen geschadet hätte. Ngata war längst nicht so bescheiden, wie er tat. Der Platz, den er gewählt hatte, bot eine phantastische Aussicht auf die stahlblaue, teilverspiegelte Flanke des Solar Administration Buildings, kurz SAB oder Jab genannt. Stolz wie der Bug eines Eisbrechers reckte es sich dem Militärraumhafen Port Hope entgegen, eine trotzige Erinnerung an die Gefahren des Raumflugs, die Herausforderung der Kolonien und die menschliche Entschlossenheit, sich diesen Fährnissen zu stellen.
So stand es zumindest auf dem Sockel eines der vielen Denkmäler in Fußgängerreichweite des SAB.
Für Bull repräsentierte das Gebäude vor allem die Liebe des Architekten zu messerscharfen Kanten. Und er spürte genau, was Ngata mit dieser Aussicht bezweckte. Er wollte sagen: Das da habe ich erreicht, ich, der Sohn einer Minderheit, die zu meines Vaters Zeiten noch offen diskriminiert wurde. Weder habe ich ein Raumschiff befehligt noch Schlachten geschlagen. Ich habe einfach nur meine Arbeit gemacht, hier auf der Erde. Ich war das, was Sie immer hassten: ein Politiker. Und sehen Sie, was ich vollbracht habe.
»Es fällt mir schwer zu glauben, dass die Termine Sie nicht trotzdem einholen.«
Ngata sah ihn prüfend an. Wahrscheinlich war er sich nicht sicher, ob Bull ihn kritisieren oder ihm schmeicheln wollte. Ihr Verhältnis war nicht immer leicht gewesen. Dass sie nun privat beisammensaßen, zeigte, wie ernst die Lage war.
»Ab einer bestimmten Menge von Terminen und Pflichten kann man es ohnehin keinem mehr recht machen. Deshalb habe ich es mir zur Regel gesetzt, in solchen Situationen alle gleich zu behandeln – und warten zu lassen.«
»Vernünftig«, kommentierte Bull.
»Ich bin neugierig. Wie handhaben Sie das als Systemadmiral, wenn man Ihnen keine Ruhe lässt?«
»Ich schreie«, antwortete Bull.
Der alte Mongole trat an ihren Tisch, um die Bestellung aufzunehmen, was Ngata ohne einen Blick auf die Karte erledigte. Bull wählte einen klassischen Cheeseburger und seinem schlechten Gewissen zuliebe eine kalorienarme Cola, Ngata ein tropisches Verbrechen mit extra viel Guacamole und dazu ein Ingwerbier, so als hätte er sein Revier noch nicht genug markiert.
»Fast alle Kolonien haben Protest gegen den Beschluss der Vollversammlung und des Unionsrats eingelegt, die FANTASY vorerst nicht mehr starten zu lassen«, berichtete Ngata. »Olymp besonders deutlich. Anson Argyris stellt sogar unsere Handelsvereinbarungen zur Disposition – mit der Begründung, sie seien vor allem Rhodans wegen so vorteilhaft für uns gehalten.«
»Der Kaiser?«, staunte Bull. »Wer hätte gedacht, dass ihm so an Perry gelegen ist.«
»Er ist nicht der Einzige.«
»Ich habe gehört, dass die deutsche Delegation die letzte Sitzung der Terranischen Union geschlossen boykottiert hat?«
»Da müssen Sie Stella Michelsen fragen«, sagte Ngata. »Aber es wäre wenig überraschend. Perry Rhodan ist sehr populär in Deutschland.«
»So sagt man.«
»Und dass Ertrus die geplante Militärübung abbläst, wissen Sie wahrscheinlich selbst.«
Bull brummte nur und nickte Richtung des Militärhafens mit seinen hoch aufragenden Funktionsgebäuden und Raumschiffriesen, von denen die meisten lediglich Beiboote waren. Die viele Hundert Meter durchmessenden Mutterschiffe landeten nur, wenn es einen zwingenden Grund dafür gab. »Auch ich sollte eigentlich gerade an meinem Schreibtisch sitzen.«
»Aber dennoch sind wir beide hier«, stellte Ngata fest. »Während dort draußen die Menschen demonstrieren und die ersten Petitionen bald die Hundertmillionen-Marke knacken. Also – kommen Sie zum Thema.«
»Schön«, sagte Bull. Der alte Mongole kam zurück und stellte ihnen die Getränke hin. »Wieso haben die TU-Vollversammlung und der Unionsrat Perrys Wunsch wirklich abgelehnt?«
Ngata nippte genießerisch an seinem Ingwerbier, als gelte es, den Jahrgang zu bestimmen. »Ihnen ist gewiss aufgefallen, dass ich nicht mehr der Terranischen, sondern der Solaren Union vorstehe und dass das zwei unterschiedliche Dinge sind? Das eine ist was mit Ländern, das andere hat mit Planeten zu tun.«
»Ich trete Sie gleich vom einen zum anderen, wenn Sie nicht mit den Spielchen aufhören.«
Ngata lachte. Es klang wie ein alter Tiger oder ein sehr junger Haluter. »Nach allem, was ich höre, wären da zunächst die wirtschaftlichen Gründe.«
Bull hätte sich fast an seiner Cola verschluckt. »Soll das ein Scherz sein?«
Ngata schüttelte den schweren Kopf. »Keineswegs. Der Linearantrieb ist ein wichtiges Prestigeprojekt der Terranischen Union. In seiner Entwicklung stecken viele Milliarden Dollar, Arbeitsplätze in sämtlichen Mitgliedstaaten hängen daran. Hinzu kommen militärische Interessen – warum muss ich das eigentlich ausgerechnet Ihnen erklären, Systemadmiral?«
»Meine Hauptsorge zurzeit ist vor allem, dass wir zu wenig Schiffe haben«, konterte Bull. »Nicht, dass sie zu langsam wären. Wir kommen überallhin, wo wir hinmüssen, und die Alten Straßen dürften nach unserem Verständnis noch ein Weilchen funktionieren.«
»Und darauf wollen Sie sich verlassen? Die Technik unserer Vorfahren versagt – genau deswegen stecken wir ja in dieser Krise.« Ngata wirkte leicht brüskiert. »Gerade Sie als Altersloser müssten doch sehen, was für einen unglaublichen Vorteil dieser Antrieb der Union langfristig brächte.«
Nun kommen wir der Sache näher, dachte Bull, dem nicht entging, dass Ngata sich scheute, ihn als Unsterblichen zu bezeichnen. Er konnte es ihm nicht verübeln. Im Gegensatz zu Leuten wie Atlan oder Mirona Thetin fand auch er solche Begriffe ein wenig albern.
»Gerade mir – und das sage ich in meiner Eigenschaft als Systemadmiral – ist es herzlich egal, ob wir diesen Antrieb heute, nächste Woche oder erst in zehn Jahren kriegen. Ein Rückschlag bedeutet doch noch keine Niederlage.«
»So funktioniert Politik aber nicht«, belehrte ihn der Präsident der Solaren Union. »Nach der Hindenburg waren Zeppeline erst mal vom Tisch. Fast dasselbe Schicksal widerfuhr vor hundert Jahren der Magenetschwebebahn. Wenn die Öffentlichkeit ein geliebtes Projekt verliert, erholt sie sich nicht mehr davon. Ich weiß nicht, wer dieses Experimentalschiff die FANTASY getauft hat, aber er hat ihm damit einen schlechten Dienst erwiesen. Die Erwartungen an die FANTASY sind jetzt schon völlig übersteigert. Kein Politiker kann so ein Projekt mehr durchsetzen, wenn in der Wahrnehmung seiner Wähler ein schlechtes Karma daran hängt. Wir kamen noch mal mit einem blauen Auge davon – der nächste Flug muss ein voller Erfolg sein. Und so weit sind wir noch nicht.«
»Und Perry?«
»Insgesamt waren Vollversammlung und Rat nicht davon überzeugt, dass ein Flug in das Einflussgebiet einer bislang unbekannten Macht tatsächlich das beste oder gar alleinige Mittel darstellt, dem Protektor zu helfen. Auf Mimas beispielsweise konnte er schon einmal erfolgreich behandelt werden. Vielleicht ...«
»Ich stelle fest, dass gerade wir Alterslosen es sind, die zur Eile drängen«, unterbrach Bull. »Die TU-Verantwortlichen tun, als hätten wir alle Zeit der Welt – Perry aber läuft die Zeit davon.«
»Vielleicht«, sagte Maui John Ngata, »sind manche in der Vollversammlung und im Rat auch der Ansicht, dass Perry Rhodan seine Zeit gehabt hat.«
Das war er – der Satz, auf den Bull insgeheim gewartet hatte, der einschlug wie eine Bombe. Sie wollen ihn sterben lassen. Sie wollen ihn gar nicht retten!
»Und Sie?«, fragte Bull. »Sind Sie auch dieser Ansicht?«
Der alte Mongole brachte ihre Burger und entband den Präsidenten der Solaren Union von einer Antwort. Stattdessen machte Ngata einige lobende Worte über das Essen, bis der Alte dankbar lächelte und sich wieder entfernte. Da Ngata auch danach noch keine Anstalten machte, die Frage zu beantworten, biss Bull in seinen Burger.
Erinnere dich, weshalb du hier bist – du brauchst seine Unterstützung. Ngata wollte Perry helfen, das hat er bewiesen. Du aber willst mehr als das. Du verlangst von ihm, dass er das Gesetz bricht ... Also mach dir den alten Sturkopf nicht gleich zum Gegner.
Der Burger schmeckte ausgezeichnet. Das Fleisch stammte nicht von einem lebenden Tier, sondern aus einem Bottich, aber den Unterschied bemerkte man schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Die Erde hatte fünfzehn Milliarden Menschen zu ernähren – für eine reine Echtfleischversorgung mit Kühen fehlte schlicht der Platz, von der ethischen Seite ganz abgesehen. Früher hätte sich Bull daran nicht gestört. Inzwischen hatte er genug Aliens von fragwürdigem Äußeren kennengelernt, um etwas vorsichtiger damit zu sein, wem er das Empfindungsvermögen absprach, nur weil er gerade Kohldampf schob.
Was heißt schon natürlich?, fragte er sich. Nichts war mehr natürlich. Gezüchtetes Kuhfleisch. Unsterbliche Menschen. Cheeseburger und Zellaktivatoren ... Er musste sich eingestehen, dass er ein schrecklicher Philosoph war.
»Wie sieht es denn Ihre Frau?«, fragte Ngata unvermittelt.
»Autum?« Bull schreckte auf. Alter Fuchs. Ob er das bei seinen Politikerkollegen auch so macht? Er hatte keine Lust, mit dem SU-Präsidenten die Scherben seiner Ehe zu sortieren. »Sie sieht ... mehr Seiten bei diesem Dilemma als ich.«
Ngata nickte wissend und tupfte sich die Guacamole vom Mund. »Da ist sie wie ich.«
Autum ist überhaupt nicht wie du, dich hätte ich nämlich nie geheiratet. Eine Gemeinsamkeit ließ sich aber nicht leugnen: Beide, Autum Legacy und Maui John Ngata, hatten es abgelehnt, einen Aktivator zu tragen. Ehrlich gesagt, hatte Bull damals nicht begriffen, wieso. Zwar hatte Perry Rhodan mehr als einmal Bedenken geäußert – aber eigentlich war Reginald Bull immer der Typ gewesen, der mit einem geschenkten Gaul nicht übers Gaulsein diskutierte.
Längst verstand er Autum besser – und damit wohl leider auch Ngata.
Er dachte daran, wie ihn seine Frau am Morgen angesehen hatte, nachdem er ihr von seinem Treffen mit Thora erzählt hatte. Stocksteif, die Hand an der Sessellehne, eine kupferfarbene Strähne ihres gefärbten Haars in der Stirn, das vertraute Gesicht mit den immer tieferen Falten gespannt wie ein Musikinstrument, das noch nicht wusste, was die Melodie sein würde. Wenn man mit jemandem älter wurde, bemerkte man diese Veränderungen nicht, denn beide Partner fühlten die gemeinsam verbrachten Jahre in jedem Moment des Zusammenseins. Doch seit er Autum nicht mehr täglich um sich hatte, fiel es ihm auf. Und wenn er Fotos oder Holos von früher betrachtete, aus den späten Vierziger- und frühen Fünfzigerjahren, als sie einander kennengelernt hatten und Autum Legacy noch eine junge GHOST-Agentin gewesen war, wurde die Lüge, die sie hatten leben wollen, offensichtlich. Damals war sie gerade mal halb so alt gewesen wie er – nun war sie eine Frau Mitte sechzig. Und sie hatte ihn überholt: Bull sah auf diesen Bildern fast genauso aus wie gegenwärtig, war seither lediglich ein bisschen dicker geworden. Es ließ sich nicht leugnen: Er wirkte jünger als sie.
»Lass mich wiederholen«, hatte sie ruhig gesagt. »Du und Thora – ihr wollt in die Lunar Research Area einbrechen, die FANTASY – nebenbei bemerkt, das wichtigste Raumschiff, das wir gerade bauen – stehlen, und – entgegen dem ausdrücklichen Beschluss der Vollversammlung und des Rats der Terranischen Union, deren Sicherheitschefin ich zufällig bin – ins Ungewisse aufbrechen. Und das erzählst du mir? Und jetzt? Darf ich fragen, weshalb?«
»Weil ich dich liebe wie am ersten Tag«, hatte Bull die Situation zu entschärfen versucht.
Doch Autum war nicht nach Scherzen zumute gewesen. Sie hatte die Hand mit gespreizten Fingern zur Schläfe geführt, als erlitte sie eine plötzliche Migräneattacke.
»Und um mir deine Liebe zu beweisen, willst du unsere Töchter auch gleich noch mitnehmen?«, schlussfolgerte sie. »Das macht sich bestimmt gut in ihrem Resümee – das heißt, sofern sie von dieser Reise lebend zurückkehren. Wenn man sie dann später nach ihren Qualifikationen fragt, können sie sagen: Wir haben einmal das modernste Raumschiff der Welt gestohlen! Wir haben es geflogen, und es ist nicht mal explodiert! Wer könnte bei so einer Vita schon Nein sagen?«
»Autum ...«
Und da hatte sie ihn angefahren. Nicht geschrien, weil das nicht ihre Art war. Auch nicht geschubst. Aber ihr Blick, ihr Tonfall, die Muskeln, die in Gesicht und Schultern hervortraten, hatten Bull zurücktaumeln lassen, als hätte ihn ein Windstoß erwischt.
»Es ist alles egal, nicht wahr? Was du über uns denkst, was du mir ins Gesicht sagst. Ich glaube dir, dass du noch etwas für mich empfindest und dass du unsere beiden Mädchen liebst. Und ich kapiere, dass die beiden Mitte dreißig sind und sich nicht darum scheren, was irgendjemand ihnen vorschreibt. Aber wenn es hart auf hart kommt, zählt Perry für dich mehr als alles andere. Und nicht aus irgendeiner Männerfreundschaft oder so was heraus. Oder weil ihr in meiner Kindheit schon zum Mond geflogen seid. Perry zählt mehr für dich, weil ihr euch heute ähnlicher seid als du und ich oder andere Menschen. Er und du, ihr werdet noch in hundert Jahren da sein, wenn deine Töchter schon lange unter der Erde sind. Und Thora auch. Ihr habt alle dasselbe Problem – das ihr euch selbst eingebrockt habt. Und jetzt bittet ihr mich, dass ich ihm helfe?«
Reginald Bull hatte nichts erwidert. Er war nicht gut in so etwas. Deshalb war sie wahrscheinlich auch ausgezogen. Er hatte sich verteidigen wollen – immerhin hatte er sich die Zelldusche, die man ihm damals verpasst hatte, nicht ausgesucht, und ohne den Aktivator, den er mittlerweile trug, wäre er wahrscheinlich voriges Jahr gestorben. Er glaubte trotz allem nicht, dass Autum das lieber gewesen wäre. Auch Perry hatte sich sein Leben anders vorgestellt, davon war er überzeugt. Er hatte einfach das Pech, dass zu viele kosmische Mächte sich in sein Schicksal einmischten. Und nun brauchte er Hilfe ...
Bull konnte das Autum nicht erklären. Reden war ohnehin nicht seine Stärke, schon gar nicht, wenn zu viele Gefühle ins Spiel kamen.
»Ich kann verstehen, wenn du nichts damit zu tun haben willst«, hatte er lahm gesagt und es mit einem Grinsen versucht. »Als Sicherheitschefin der Terranischen Union ist es dein Job, die Union vor Leuten wie uns zu beschützen – nicht, ihnen zu helfen.«
»Du verstehst gar nichts«, hatte Autum Legacy erwidert. »Und diese Unterhaltung hat nie stattgefunden.«
Doch, ich verstehe dich, dachte Reginald Bull und sah zu, wie Maui John Ngata sein Essen beendete und sein Ingwerbier schlürfte. Wir dachten, dass wir euch zurücklassen – wir, die Alterslosen, die Unsterblichen. In Wahrheit seid ihr es, die uns hinter euch lasst. Ihr zieht immer weiter, und wir stehen still.
»Ich werde Ihnen helfen«, sprach Ngata unvermittelt.
Bull hätte beinahe sein Glas umgestoßen. »Wirklich?«, fragte er dümmlich.
»Ja.« Ngata faltete die Hände. »Und ich möchte Ihnen auch gern erklären, weshalb.«
Bull schloss den Mund und folgte dem Blick des Präsidenten, der aus dem Fenster sah, in Richtung des SAB und dahinter Port Hope.
»Wenn Sie das da draußen sehen, Systemadmiral, was sehen Sie dann? Und sagen Sie bitte nicht, Ihre Arbeit.«
Bull hasste solche Spiele, aber er ließ sich darauf ein. »Ich sehe Terrania«, antwortete er.
Ngata schüttelte den Kopf, kaum dass Bull geendet hatte. »Was empfinden Sie bei dem Anblick?«
»Stolz?«, riet Bull. Dann besann er sich. »Ein wenig Demut, dass wir es so weit geschafft haben?«
»Wenn ich diese Wolkenkratzer und Raumschiffe dort sehe«, sagte Ngata, »sehe ich vor allem Möglichkeiten. Möglichkeiten, über die ich nur staunen kann. Und ja, dass wir es überhaupt so weit geschafft haben, stellt an sich ein Wunder dar. Wir leben in der unwahrscheinlichsten aller Welten, die sich unsere Großväter erträumt haben. Und ein kleiner, unverständiger Teil von mir glaubt – und passen Sie jetzt auf, denn das habe ich noch nie gesagt und sage es bestimmt kein zweites Mal –, dass das an Perry Rhodan liegt.«
Ngata hob den Finger wie ein Lehrer, der sich eine Unterbrechung verbat. »Ich sage nicht, dass wir es ihm verdanken, denn das wäre vermessen. Er ist auch nur ein einzelner Mensch und hat keine Zauberkräfte. Aber etwas dort draußen hat einen Narren an ihm gefressen, und Dinge geschehen nicht dank, aber doch wegen ihm – und vielleicht, nur vielleicht, ist es besser für uns alle, wenn es auch künftig dabei bleibt.«
»Wow!«, entfuhr es Bull. »Haben Sie gerade gesagt, dass Sie Perry zwar nicht für etwas Besonderes halten ... irgendwie aber schon?«
Ngata seufzte. »Ich habe gesagt, was ich zu sagen hatte – machen Sie daraus, was Sie wollen. Ich habe Perry Rhodan jedenfalls nie um das beneidet, was er ist oder tut. Meine Aufgabe sah ich immer darin, dafür zu sorgen, dass er die Bodenhaftung nicht verliert. Es ist ein gefährlicher Luxus für eine Demokratie, sich jemanden wie ihn zu leisten. Es hätte mehr als einmal gute Gründe gegeben, ihm für seine Alleingänge und die Gefahr, in die er uns brachte, den Prozess zu machen. Deshalb ist es so wichtig, dass es einen gewählten Vertreter gibt, der ihn im Zaum halten kann.«
»Und das sind Sie?«
»Ich war es«, korrigierte Ngata. »Und jetzt ist es Stella Michelsen. Sie sieht manche Dinge anders als ich – aber was für uns auf dem Spiel steht, hat sie erkannt. Sie ist eine gute Frau, und es beruhigt mich, die Terranische Union in ihren Händen zu wissen. Im Übrigen steht auch sie auf Rhodans Seite – aber ihr sind die Hände gebunden, so wie meine einst gebunden waren.«
Bull konnte sich des eigenartigen Gefühls nicht erwehren, dass der Präsident der Solaren Union zwischen Burgern und Softdrinks gerade seinen Nachlass regelte. Er wünschte, er wäre in der Vergangenheit so offen gewesen, als sie einander am liebsten an die Gurgel gegangen wären.
»Sie haben noch nicht gesagt, wie genau Sie mir helfen können«, merkte Bull höflich an.
Ngata gluckste. »Sie haben das Prinzip begriffen. Rupfen Sie die Eitelkeit, wo immer sie Wurzeln schlägt.« Er gab dem alten Mongolen ein Zeichen, dass sie bereit waren, zu zahlen. »Ich bringe Sie alle in die Lunar Research Area, ohne dass jemand Fragen stellt. Den Hangar der FANTASY werden Sie selbst finden. Dann tun Sie, was Sie nicht lassen können.«
Bull nickte nachdenklich. »Die Hälfte des Wegs.«
»Die andere Hälfte ist Ihr Problem. Ich habe aber auch eine Bedingung.«
Wahrscheinlich hätte Bull ihn nicht wundern sollen. Alles bei diesem alten Gauner hatte einen Haken. »Nämlich?«
»Sie werden nicht mitfliegen«, sagte Ngata. »Wir wissen beide, wie diese Angelegenheit enden wird: mit einem Scherbenhaufen. Und ich brauche jemanden hier vor Ort, der ihn aufkehrt.«
Er braucht mich als Sündenbock, erkannte Bull. Er hilft uns, die FANTASY zu stehlen, aber er will nicht derjenige sein, der darüber seinen Job verliert.
Er überlegte, ob er es Ngata verübeln konnte, und kam zu dem Schluss, dass es ein fairer Preis war. Falls er nun die längste Zeit seines Lebens Systemadmiral gewesen sein sollte, suchte er sich eben etwas Neues.
Im Gegensatz zu Ngata hatte er die Zeit.
»Einverstanden«, sagte Reginald Bull. »Ich danke Ihnen, Sir. Auch für das ausgezeichnete Essen.«
Maui John Ngata grinste und zahlte ihrer beider Rechnung.
Dann riefen sie sich getrennte Gleiter und zogen ihrer Wege.