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Perry Rhodan
»Sie haben ihn«, sagte Laura Bull-Legacy und löste sich von dem Positronikterminal, vor dem sie und ihre Schwester während der vergangenen Minuten gesessen hatten wie Musikerinnen vor ihren Instrumenten. »Tekener ist raus.«
»Wie weit seid ihr mit den Systemen?«, fragte Perry Rhodan.
»Fertig«, meldete Sophie Bull-Legacy.
»Und der Weg zum Hangar?«
»Ist frei«, antwortete ein sehr erschöpfter Gucky, der auf müden Füßen um die nächste Ecke gewatschelt kam, gefolgt von Josue Moncadas. »Da hinten sprang noch mal ein Notsystem an, aber wir haben es abgewürgt.«
»Gucky!«, rief Laura. »Geht es dir gut?«
»Komm!«, sagte Moncadas und wollte den Ilt auf den Arm nehmen. »Du hast dich zu sehr angestrengt. Lass mich dir helfen, wie du mir geholfen hast.«
Doch Gucky wehrte träge ab. »Wir sind hier fertig. Ich schlafe mich aus, sobald wir unterwegs sind.«
»Du kannst fahren«, bot Sophie an und deutete auf einen kleinen Transportroboter mit Raupenantrieb, der etwa die Ausmaße eines Kinderautos hatte. Wie alle automatisierten Systeme dieser Sektion der Lunar Research Area unterstand die Maschine nun der Kontrolle der beiden NATHAN-Interpreterinnen.
Gucky stieß einen freudigen Pfiff aus, nahm auf der Ladefläche des Roboters Platz, öffnete sein Dinnerjackett und machte es sich so bequem wie möglich.
»Los geht's«, sagte Perry Rhodan.
Sie setzten sich in Bewegung: Rhodan, gefolgt von seinen Söhnen und Patentöchtern, dahinter Gucky und Moncadas. Den Abschluss bildete Merkosh oder genauer sein Vitron, das fast den ganzen Korridor ausfüllte und ihm treu nachschwebte.
Eins musste man Bull lassen, dachte Rhodan, während sie die zahlreichen desaktivierten Schirmprojektoren, Überwachungskameras, Lichtschranken und Sensoren passierten: Sein Plan war aufgegangen, kleineren Schnitzern zum Trotz. Merkosh hatte die Sperrschirme ausgeschaltet, Moncadas die wichtigsten Sicherheitssysteme sabotiert, und Laura und Sophie hatten sich der internen Positronikterminals bemächtigt und die Kontrolle übernommen.
Noch eine andere Bitte hatten sie Rhodan erfüllt.
Die Töchter von Autum Legacy und Reginald Bull waren nicht überrascht gewesen, als Rhodan plötzlich bei ihnen aufgetaucht war. Gucky hatte Rhodans Ruf telepathisch empfangen und Rhodan aus seiner Space-Disk zu den Zwillingen teleportiert. Gestaunt hatten sie erst, als er sein Anliegen geäußert hatte: dass alle Spuren in den lokalen Systemen, die eine Verwicklung von Bull und anderen Teammitgliedern offenbarten – von der Saalanmietung angefangen bis zu den gefälschten Zugangscodes –, ausschließlich auf Perry Rhodan hinwiesen.
»Ich möchte, dass allein mich die Schuld trifft, wenn die Spezialisten der LRA sich morgen ans Aufräumen machen«, hatte Rhodan gesagt. »Ich habe keine Lust, dass eurem Vater oder euch der Prozess wegen dieser Sache gemacht wird.«
Thomas und Farouq hatten ernst und eher missbilligend dreingeblickt, aber nicht widersprochen. Laura und Sophie hatten sich an ihre Positronikterminals gesetzt, und kurz darauf waren die entsprechenden Beweise in den Logdateien der Lunar Research Area perfekt gefälscht gewesen.
Während sie den weiten Gang durchquerten, waren die Crewmitglieder im Hangar bereits damit beschäftigt, die letzten Vorbereitungen für den Start der FANTASY anzuschließen. Die verschiedenen Teams arbeiteten wie Rädchen in einem Uhrwerk. Die einzigen Opfer der gesamten Aktion waren zwei paralysierte Sicherheitsleute und ihre im Bereitschaftsraum eingesperrten Kollegen, die gerade feststellen mussten, dass ihnen weder Türen noch Koms mehr gehorchten. Auch dafür würde sich Rhodan eines Tages verantworten müssen. Immerhin hatte es keine Verletzte gegeben.
Dann traten sie aus dem Korridor und in den Hangar der FANTASY hinaus.
Einen kurzen Moment hielt Perry Rhodan inne. Aus der Bodenperspektive war die FANTASY eine beeindruckende Konstruktion, 280 Meter lang und mit den seitlichen Antriebsgondeln 220 Meter breit; die zentrale Heckflosse mit ihren fast 75 Metern war hoch wie ein Glockenturm. Das Raumschiff war silberfarben, der Aufbau ähnelte einem stromlinienförmigen Trimaran oder Tragflügelboot. Kein Vergleich mit den militärischen Kugelraumern, deren Form sich historisch aus den Platzansprüchen früher Transitionstriebwerke und dem Wunsch nach maximal flexiblem Manövriervermögen in der Schlacht ergeben hatte. Die FANTASY war ein schönes und stolzes Sternenschiff, eine Studie hinsichtlich des Designs wie ihrer Technik.
Fast zeitgleich mit ihnen traten Thora, Reginald Bull und der Kommandostab des Experimentalraumers aus einer Schleuse am anderen Ende des Hangars. In ihrer festlichen Garderobe – die Männer im Anzug, die Frauen im Abendkleid – sahen sie aus wie ein verirrter Staatsempfang.
Alle trafen sich unter dem abgewinkelten Bug. Ein Stück dahinter waren in der oberen Rundung die Zentrale und der Besatzungsbereich untergebracht. Gucky stieg von seinem Transportroboter, der irgendwohin davonfuhr. Die ersten Techniker betraten über Rampen das Raumschiff und halfen Merkosh, sein Vitron einzuladen.
»Hey, Perry«, sagte Bull und blieb vor Rhodan stehen.
»Tut gut, dich zu sehen«, freute sich Conrad Deringhouse, der mit John Marshall neben ihn trat.
Thora nickte ihrem Mann nur zu. Ihr weißes Haar funkelte auf den Schultern ihrer Jacke. Ein paar Sekunden sagte niemand mehr ein Wort.
Misstrauisch blickte Bull erst Thora, dann Rhodan an. »Was ist los?«
»Du kommst nicht mit, Reg«, verkündete Rhodan ernst. »Es tut mir leid.« Ehe sein Freund protestieren konnte, wandte sich Rhodan seinen Söhnen zu. »Und ihr auch nicht.«
»Aber ...!«, wollte Thomas aufbegehren.
Thora schüttelte den Kopf. »Lass gut sein, Tom. Es ist besser so. Ich bleibe auch.«
»Wie bitte?« Bull sah Rhodans Frau entgeistert an. »Was soll das werden? Habt ihr alle den Verstand verloren?«
»Dad«, drängte Thomas. »Wieso willst du allein gehen?« Seine rot schimmernden Augen tränten.
Farouq legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Ich war wütend, als ich herausfand, was ihr hinter meinem Rücken plant«, gestand Rhodan. »Tut nicht so, als ob euch das nicht klar gewesen wäre! Eure Mutter aber hat mich überzeugt – ich tue das für euch und für alle, die meinen, dass es selbstsüchtig von mir wäre, mein Leben einfach so aufzugeben. Ich sehe das anders – aber vielleicht habe ich unrecht. Deshalb bin ich bereit, diesen Flug mitzumachen, solange alle an Bord sich über die Gefahren im Klaren sind. Ich setze diesem Risiko aber niemanden aus, wenn es nicht unbedingt sein muss. Und bei aller Liebe, Thomas – und du weißt, dass ich dich liebe –, aber auf diesem Flug wirst du nicht gebraucht. Auch du nicht, Reg, oder du, John. Euer Platz ist hier – bei der Flotte, im Lakeside Institute. Grüßt Autum und Belle. Sagt ihnen, ich habe bereits dafür Sorge getragen, dass nichts auf euch zurückfällt.«
Bulls Gesicht wechselte die Farbe wie eine Flunder. Sein Mund öffnete und schloss sich, dann lachte auch er. »Schön, dass du das schon geplant hast! Weißt du eigentlich, was wir alles tun mussten, damit du diesen Flug machen kannst? Ich habe Ngata längst versprochen, dass ich alles auf meine Kappe nehme ...«
»Du musst für mich nicht den Kopf hinhalten«, sagte Rhodan. »Wenn man in den Logdateien nachsieht, wer für das heutige Chaos verantwortlich ist, wird man meinen Namen finden, keinen sonst. Wenn man euch dennoch fragt, weshalb ihr hier wart, müsst ihr sagen, dass ihr mich aufhalten wolltet. Eure Aufgabe ist es, das zu tun, was ihr immer getan habt: die Erde zu schützen und die Institutionen der Terranischen Union zu achten. Ich brauche euch, wenn ich wiederkehre. Ich brauche euch, wenn man mir den Prozess macht.«
»Dir ist schon klar, dass jeder noch so große Idiot sich denken kann, dass du einen solchen Coup nicht allein durchziehen konntest?«, warf Thora ein. »Und wenn wir noch so viele Absprachen treffen!«
»Mag sein. Aber was sich jemand denken und was er beweisen kann, sind zwei verschiedene Dinge.«
»Du willst also unbedingt den Retter spielen.« Bull warf einen Blick zu Thora. »Selbst jetzt. Und du hast es gewusst.«
»Reg«, sagte Rhodan.
»Du bist ein sturer Bock«, schleuderte ihm sein ältester Freund ins Gesicht. »Und ich hasse dich dafür.«
»Ich hasse dich auch, Reg«, sagte Rhodan.
Dann schlossen sie einander in die Arme.
Der Reihe nach nahmen die Besatzungsmitglieder Abschied und gingen an Bord: Kommandant Conrad Deringhouse und Gabrielle Montoya, seine Erste Offizierin, er im Galaanzug, sie in einem glitzernden Paillettenkleid; der Funk- und Ortungsspezialist Alberto Pérez und Chefingenieur Froser Metscho; Pari Sato, Peace Kibaki und der restliche Führungsstab.
Gucky würde sie begleiten – weil es ohnehin nicht möglich war, ihn daran zu hindern –, außerdem Josue Moncadas, um Gucky zu unterstützten. Merkosh flog selbstverständlich mit, um Rhodan nötigenfalls zu versorgen und am Ende ihrer Reise ihr Fürsprecher beim Compariat zu sein. Ronald Tekener war dabei, um die Wahrheit über seine Vergangenheit zu erfahren; und falls Merkosh falsches Spiel mit ihnen trieb, war er der Einzige, der Lashat je gesehen hatte. Jessica Tekener sagte Tom Lebwohl und folgte dann ihrem Bruder, denn ohne ihren mäßigenden Einfluss hielt Rhodan den Pockennarbigen für ein zu großes Risiko. Auch Laura und Sophie Bull-Legacy fielen Tom und Farouq Rhodan da Zoltral um den Hals; dann drückten die Zwillinge ihren Vater an sich.
»Passt auf euch auf«, bat Reginald Bull sie leise.
Nur zu gern hätte Rhodan seinem Freund den Schmerz des Abschieds erspart. Doch sie wussten beide, dass niemand sonst die FANTASY zuverlässig fliegen konnte.
Zu guter Letzt standen nur noch Bull, Marshall, Thora, Tom und Farouq mit Perry Rhodan vor der Rampe.
John Marshall schüttelte ihm die Hand und wünschte alles Gute. Wahrscheinlich hatte der Telepath längst geahnt, was Rhodan plante, und respektierte seinen Wunsch.
»Viel Glück, Dad«, sagte auch Farouq. »Du tust das Richtige, davon bin ich überzeugt. Und komm heil wieder.«
Thomas aber bekam kein Wort über die Lippen. Rhodan sah auch so, was in seinem Sohn vorging – die Augen seiner Mutter verrieten ihn. Er sah darin das Gefühl des Verratenseins, der Hilflosigkeit. Und es brach Rhodan beinahe das Herz.
»Denk daran«, warnte Thora. »Wir haben eine Vereinbarung.« Sie stand beherrscht wie eine Königin, und einen Moment lang sah Rhodan die arkonidische Kommandantin vor sich, die er vor einem halben Jahrhundert und einer halben Ewigkeit auf dem Mond kennengelernt hatte, Kapitänin eines sinkenden Schiffs, aber zu stolz, sich je eine Blöße zu geben. »Du hast versprochen, lebend heimzukommen. Und das wirst du auch. Und dann werden wir dich in Stücke reißen.«
»Wie könnte ich da widerstehen?«, flüsterte Rhodan, und sie gestattete sich ein ironisches Zucken des Mundwinkels. »Ich halte mein Wort«, versprach er.
»Gut.« Sie wandte sich ab und ließ ihn stehen, gefolgt von ihren Söhnen und seinen Freunden.
Rhodan blickte ihnen noch nach, als eine junge, blonde Technikerin die Rampe herabgestolpert kam. »Na los, wir sind spät dran!«, rief sie, noch ehe sie erkannte, wen sie da anblaffte. »Sir!«, setzte sie rasch hinzu und stellte sich verlegen vor. »Multitechnikerin Taussig, Sir. Bereit zum Abflug!«
Perry Rhodan schmunzelte. »Dann wollen wir Sie nicht länger warten lassen.«
Er eilte ihr nach, die Rampe empor, und betrat als Letzter die FANTASY.
In der Zentrale hatten Laura und Sophie Bull-Legacy bereits in den Pilotensesseln Platz genommen. Fast alles in dem kargen, metallblauen Raum war auf fortschrittlichste Holotechnik ausgelegt. Kaum dass Perry Rhodan eintrat und sich das Schott hinter ihm schloss, wurde die Beleuchtung gedämpft und die virtuelle Welt der Kontrollen und Steuerelemente erwachte zum Leben. Auf einen Schlag wirkte der Raum deutlich weiter, und eine nach der anderen bestätigten die kreisförmig um die zentrale Großkonsole angeordneten Stationen ihre Einsatzbereitschaft, angefangen mit Ortung und Funk, Navigation sowie Energie. Dass die Hälfte der Anwesenden ihre beste Zivilkleidung trug, machte den Moment fast noch feierlicher.
»Alles bereit, Sir«, meldeten die Zwillinge.
Conrad Deringhouse, der sein Sakko lässig über die Lehne seines Kommandosessels geworfen hatte, warf einen kurzen Blick zu Gabrielle Montoya in ihren funkelnden Pailletten, dann zu Rhodan, der auf einem Gästesitz saß.
Das sind deine Freunde und ihre Familien, die für dich ihr Leben riskieren, ging es ihm durch den Kopf. Und du bist nur Passagier, Ballast ... Patient. Vielleicht hatte er sich auch deshalb gegen diesen Flug gesträubt: weil er geahnt hatte, dass es sich so anfühlen würde – und weil er es nicht ertrug, tatenlos danebenzusitzen.
Es stand ihm nicht zu, das Schicksal dieser Männer und Frauen an sich zu reißen.
Deringhouse wartete kurz, ob Rhodan etwas sagen würde, und nachdem er es nicht tat, gab er den Startbefehl: »Bringt uns raus!«
In perfektem Einklang strichen Laura und Sophie wie zwei Violinespielerinnen durch die erblühenden Holos vor ihren Plätzen.
Auf einmal zerplatzten die Hologramme in einem Regen von Licht. Einen Moment lang geschah gar nichts – dann hellte sich die Zentrale wieder auf wie ein Kinosaal am Ende der Vorstellung.
»Was ist los?«, rief Deringhouse und erhob sich.
Laura und Sophie tippten hektisch auf zwei holografische Tastaturen ein. »Wir wissen es nicht, Sir. Die FANTASY reagiert nicht. Es wirkt beinahe, als ob ...«
»Von mir wollen Sie sich nicht verabschieden, Protektor?«, hallte eine tiefe, wohlbekannte Stimme durch die Zentrale.
»NATHAN!« Rhodan sprang von seinem Sitz auf.
Natürlich. Es war töricht gewesen, zu meinen, dass die Mondintelligenz nichts von diesem Vorhaben erfuhr. NATHAN war überall und nirgends, war unverstanden und unerklärt. Nichts entging seinen Sinnen, seinem hyperinpotronischen Intellekt.
Beinahe war Rhodan erleichtert. Dennoch fühlte er sich übertölpelt, und das behagte ihm nicht. All der Aufwand, der Streit, die Tränen – für nichts. Ihre Verschwörung war aufgeflogen, der Flug gescheitert, bevor er überhaupt begonnen hatte.
Auch die NATHAN-Interpreterinnen blickten betreten drein: zwei Schülerinnen, die der Lehrer beim Abschreiben erwischt hatte. »Wir wollten nicht ... Wir haben nur versucht ...«
NATHAN lachte gutmütig. »Keine Sorge«, beschwichtigte er. »Ich habe nicht vor, euch aufzuhalten. Im Gegenteil! Wenn Sie gefragt hätten, Protektor ...«
»Du weißt, weshalb ich das nicht konnte, NATHAN«, sagte Rhodan. »Aber wenn du es ernst meinst, lass uns fliegen!«
»Ich werde sogar mehr tun als das«, sprach die Hyperinpotronik. »Ich werde die Anwesenheit Ihrer Mitverschwörer aus meinen Speichern löschen. Und ich werde Ihnen noch ein Geschenk mitgeben.«
Ein Hologramm baute sich auf, das den Hangar vor dem Bug der FANTASY zeigte. Dort, fast vierzig Meter über dem Boden, schwebte eine etwa einen Meter durchmessende, komplex strukturierte Kugel aus Metall.
»Ein MINSTREL!«, riefen die Zwillinge wie aus einem Mund.
Ein MINSTREL war ein kleiner, aber hochkomplexer Ableger der lunaren Hyperinpotronik – praktisch inkompatibel mit dem Verstand eines normalen Menschen, aber eine kognitive Goldgrube für NATHAN-Interpreterinnen wie Laura und Sophie.
»Er wird Ihnen auf Ihrer Reise wertvolle Dienste leisten«, versprach NATHAN.
»Das ist großzügig«, sagte Rhodan ohne Ironie.
NATHAN lachte leise. »Es ist nicht ganz uneigennützig. Denn ich möchte Sie im Gegenzug um einen Gefallen bitten.«
Rhodan ballte und öffnete die Hände. Es war wie immer – alles hatte seinen Preis.
»Was können wir für dich tun?«, fragte er.
»Fliegen Sie nach Cybora. Das ist nur ein kleiner Umweg auf Ihrer Reise. Und nehmen Sie Mentro Kosum an Bord.«
»Wer ist das?«, wunderte sich Rhodan.
»Ihr Pilot«, antwortete NATHAN lapidar. »Ihr richtiger Pilot.«
Die Zwillinge tauschten Blicke.
»Nichts für ungut«, entschuldigte sich NATHAN. »Kosum gehört zu einer neuen Generation von Emotionauten. Nur er kann dem Raumschiff sein volles Potenzial entlocken. Er ist bereit für den Einsatz und wartet nur darauf, dass man ihm sein Codewort nennt: Pequod.«
Das Walfangschiff aus Herman Melvilles Moby Dick. Rhodan hoffte, dass ihn das in NATHANS Augen nicht zu Ahab, dem fanatischen Kapitän machte, der seine Mannschaft der Jagd nach dem Weißen Wal opferte.
»Die FANTASY ist nicht für den Flug via SERT-Steuerung bereit«, gab Deringhouse zu bedenken.
»Mein MINSTREL wird die entsprechenden Modifikationen vornehmen. Es wird nicht lange dauern. Anzug und Haube finden Sie im Lagerraum.«
Rhodan staunte. Hatte NATHAN dies von langer Hand geplant? Und was für Fortschritte hatte man in den vergangenen Jahren auf Cybora gemacht? Man erfuhr auf der Erde viel zu wenig über die Vorgänge auf dieser mithilfe der Posbis gegründeten Kolonie.
»Wir freuen uns darauf, diesen Wunderpiloten kennenzulernen«, sagte er.
»Guten Flug«, wünschte NATHAN.
Der MINSTREL wurde eingeschleust und schwebte wenig später in die Zentrale, wo er lautlos neben Laura und Sophie verharrte. Aus der Nähe betrachtet, sah man, dass die Kugel aus Hunderten kleinen Kuben zusammengesetzt war. Ein paar Sekunden starrten die Zwillinge ins Leere, als berieten sie sich lautlos. Dann riefen sie abermals ihre Kontrollen auf, Deringhouse erteilte den Befehl zum Start, und diesmal gehorchte das Raumschiff und erwachte zum Leben.
Die Hangartore über ihnen glitten auf, die Antigravtriebwerke neutralisierten die lunare Schwerkraft und hoben die FANTASY sanft wie auf einem Kissen aus ihrem Schacht und in die schwarze, sternenvolle Nacht hinaus.
»Wenn bislang noch niemand bemerkt hat, was wir vorhaben, dann spätestens jetzt«, raunte Montoya, als sich die Feldtriebwerke einschalteten.
»Bringen Sie uns möglichst rasch auf Lichtgeschwindigkeit«, wies Deringhouse die Zwillinge an. »Ist der Linearantrieb einsatzbereit?«
»Alle Systeme auf Grün«, bestätigten Laura und Sophie. »Zielstern Spica, Libraschirm wird aktiviert.«
Der Kommandant schaltete eine Rundrufverbindung zum Rest der Besatzung. »Deringhouse hier. Machen Sie sich bereit zum Linearflug. Maschinenraum, wie ist die Lage?«
»Alle auf Posten und bereit, Sir«, antwortete Froser Metscho, der seinen ersten Flug als Chefingenieur direkt vor Ort betreute.
»Nur damit keine Missverständnisse auftreten«, fügte Deringhouse hinzu. »Niemand fasst den Transitionsantrieb an, ohne dass ich den Befehl dazu erteile. Egal was passiert. Ist das klar?«
»Sonnenklar, Sir.«
Die FANTASY verfügte wie die meisten Fernraumschiffe ihrer Größe auch über einen konventionellen Hyperantrieb mit begrenzter Reichweite, damit sie im Fall eines Versagens der Lineartriebwerke nicht völlig hilflos waren. Rhodan konnte sich denken, weshalb der Sprungantrieb auf diesem Flug aber tabu sein sollte.
Ich bin der Grund. Der Transitionsantrieb darf nicht benutzt werden, weil ich einen größeren Sprung vielleicht nicht überleben würde.
Genau wie der Sprungantrieb erforderten auch die Lineartriebwerke jedoch eine sehr hohe Eintrittsgeschwindigkeit – sogar mehr: mindestens 90 Prozent der Lichtgeschwindigkeit.
»Sir!«, rief Alberto Pérez von der Ortungs- und Funkstation.
»Und da sind Sie auch schon«, raunte Montoya ahnungsvoll.
»Drei Schlachtschiffe«, bestätigte Pérez. »Die SAN DIEGO, die JOHANNESBURG und die JAKARTA. Sie haben ihre Waffen aktiviert und fordern uns zur Umkehr auf.«
»Ignorieren!«, befahl Deringhouse kalt. »Wie schnell sind wir?«
»Siebzig Prozent«, meldeten die Zwillinge.
»Sie halten mit, Sir«, sagte Pérez. »Und sie rufen uns abermals.«
»Stellen Sie eine Komverbindung her – nur Audio«, sagte Rhodan und stand auf.
»Perry, ich weiß wahrhaftig nicht, ob ...«
»Was wollen sie machen?«, unterbrach er Deringhouse. »Auf uns schießen?«
»Ich würde schießen«, gestand Montoya. »Wenn jemand gerade unser wichtigstes Raumschiff stiehlt ...«
»Das wäre eine ausnehmend schlechte Idee«, sagte Rhodan. »Ich muss den Damen und Herren nur noch darlegen, weshalb.«
Deringhouse gab Pérez ein Zeichen, und der Funker öffnete einen Kanal.
»Hier spricht Protektor Perry Rhodan!«, sagte er laut. »Ich befehle Ihnen, Ihre Waffen zu desaktivieren. Die FANTASY untersteht meinem Befehl. Ich habe sie gegen den Willen des Unionsrats entführt und die Besatzung gezwungen, mich zu unterstützen. Während wir miteinander reden, fahren wir bereits den Linearantrieb hoch. Dieser befindet sich, wie Sie wissen, noch im Experimentalstadium. Wir verfügen in dieser Phase des Starts über keine Abwehrschirme. Jeder Treffer, den Sie uns zufügen, kann das gesamte Schiff vernichten. Sie spielen mit dem Leben von über hundert unschuldigen Männern und Frauen. Ganz zu schweigen von der FANTASY selbst, die, wie Sie ebenfalls wissen, von enormer Bedeutung ist, wirtschaftlich wie politisch. Ich bin sicher, dass keiner von Ihnen derjenige sein will, der eine solche Katastrophe zu verantworten hat. Rhodan Ende.«
Einen Moment lang herrschte verdutztes Schweigen in der Zentrale.
»Achtzig Prozent Licht«, meldeten die Pilotinnen.
»Das war von vorn bis hinten kompletter Mist, was du da gerade erzählt hast«, stellte Deringhouse fest.
»Klar«, gab Rhodan zu. »Aber sie haben nicht mehr viel Zeit, darüber nachzudenken.«
Deringhouse gluckste. »Ich wünschte, ich hätte meinen Scotch noch.«
»Fünfundachtzig Prozent.«
Perry Rhodan nahm auf seinem Sitz Platz und schnallte sich an.
Jetzt gilt es.
»Die Schiffe fallen zurück«, meldete Alberto Pérez und atmete vernehmlich auf.
Rhodan ließ sich nichts anmerken, aber innerlich grinste er. Reg hätte dieser Bluff gefallen.
»Neunzig Prozent«, meldeten die Zwillinge. »Libraschirm bereit für den Wechsel in den Linearraum.«
»Bringen Sie uns nach Spica!«, befahl Conrad Deringhouse.
»Mit Vergnügen, Sir.«
Und die FANTASY glitt aus der Welt, wie sie sie kannten.