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4.

Der Brunnen in der Wüste

Das Beiboot der FANTASY sieht aus wie ein altmodisches Doppeldecker-Flugzeug. Irgendetwas ist seltsam daran, aber Nadine Baya wundert sich nicht weiter. Auch nicht, dass sich unter ihr die Sahara erstreckt. Ist sie wirklich zurück auf der Erde? Denn diese Wüste unter ihr, das ist die Sahara, das weiß sie ganz sicher. Die Heimat ihres Vaters ist ihr sehr gut bekannt, sie hat Tunesien einige Male besucht.

Der altertümliche Verbrennungsmotor des Beiboots stottert. Nadine wirft einen Blick auf die Kontrollholos. Die Energiereserven gehen zur Neige – entweder hat sie nicht mehr genug Deuterium im Direktstrahlmeiler oder ihr geht das Benzin aus. Momentan weiß sie nicht mehr, was von beidem zutrifft. Ungeachtet der Tatsache, dass es sich eigentlich um ein Flugzeug handelt, schaltet Nadine den Prallschirm ein, um sich auf eine Notlandung vorzubereiten.

Ihr gelingt ein mäßig sanftes Aufsetzen im Sand – nun wundert sie sich doch: Der Sand ist purpurrot, eine Färbung, die sie bislang noch nie gesehen hat. »Vielleicht bin ich doch nicht in der Sahara«, murmelt Nadine.

Mit einem Spotzen erstirbt der Motor. Dieses Beiboot – oder Flugzeug? – wird so schnell nicht wieder abheben. Nadine schnallt sich ab und steigt aus. Die Sonne brennt heiß auf sie herab. Der seltsame Sand fühlt sich ungewöhnlich unter ihren Sohlen an. Wie Murmeln oder kleine Kügelchen. Nadine bückt sich und lässt eine Handvoll durch ihre Finger rieseln. Es sind wirklich perfekte kleine Kugeln, keine normalen Sandkörner.

Ist diese Wüste künstlich erschaffen worden?

Nadine richtet sich auf und sieht sich um. Die Wüste erstreckt sich in eintönigen Dünen in alle Richtungen. Halt: Einige Hundert Schritte vor der Nase des Flugzeugs entdeckt Nadine einen grauen Fleck vor dem purpurroten Hintergrund. Sie beschattet ihr Gesicht mit der Hand. Das scheint so etwas wie ein Brunnen zu sein. Und auf dem Rand sitzt eine humanoide Gestalt, die ihr zuwinkt.

Nadine geht los. Wie sie es von ihrem Vater gelernt hat, bewegt sie sich langsam, um in der Hitze nicht zu schnell zu ermüden. »Die Europäer laufen falsch«, hat er stets gesagt. »Sie laufen immer, als wären es achtzehn Grad. Doch in heißen Gegenden muss man langsam gehen, und immer von Schatten zu Schatten.«

Schatten gibt es ringsum zwar keinen, doch zumindest, was das Tempo angeht, hält sich Nadine an den Rat ihres Vaters. Angst hat sie keine. Sie ist zu Hause, sie wird einen Ausweg finden. Während sie sich ihrem Ziel nähert, kneift sie die Augen zusammen, um durch die flirrende Luft den Brunnen und den Fremden genauer zu betrachten. Er kommt ihr bekannt vor. Zu ihrer Verblüffung ist es ein kleiner Junge mit goldblondem Haar, der ihr ernst, aber freundlich entgegensieht. Er trägt einen grünen Anzug und einen gelben Schal.

»Wenn er mich jetzt bittet, ihm ein Schaf zu zeichnen, weiß ich, dass ich übergeschnappt bin«, murmelt Nadine.

Als sie den Brunnen erreicht, dämmert es, und die ersten Sterne werden sichtbar. Die beiden mustern einander einige Augenblicke schweigend. Der kleine Prinz sieht genauso aus, wie sie ihn sich stets vorgestellt hat. Ihre Mutter hat ihr häufig aus dem Kinderbuchklassiker von Antoine de Saint-Exupéry vorgelesen. Sie hat die Geschichte geliebt.

»Hallo!«, sagt der kleine Prinz schließlich mit einer hellen Kinderstimme. »Schön, dass du hier bist, Nadine. Aber du solltest hier nicht bleiben. Keiner sollte hier bleiben.«

Nadine legt fragend die Stirn in Falten. »Warum nicht? Und was ist ›hier‹ überhaupt?« Sie weist um sich. »Ist das nicht die Sahara?«

»Natürlich nicht. Du weißt doch genau, dass du mit der FANTASY an der Grenze des Omnitischen Compariats bist. Wie solltest du denn in die Sahara kommen?«

»Du meinst, in diesem Sonnensystem hier gibt es einen Planeten, der so aussieht?«

»Wenn das deine Erklärung ist.«

»Meine Erklärung? Was ist denn die Wahrheit?«

»Die Wahrheit liegt im Auge des Betrachters.«

Nadine atmet tief durch. Was auch immer das für ein Wesen ist: Sein sphinxhaftes Gehabe geht ihr auf die Nerven. »Na schön, wie auch immer. Kannst du mir weiterhelfen?«

»Wobei?«

»Bei ...« Sie stockt. Was hat sie noch einmal auf diesem Planeten gewollt? Sie weiß es nicht mehr. Das macht ihr Sorgen. »Die FANTASY ist schwer beschädigt ...«

»... und ihr fragt euch, warum euer neuer Wunderantrieb nicht funktioniert hat, wie er soll.« Der kleine Prinz lächelt. »Ich weiß. Aber ich befürchte, dabei kann ich dir nicht helfen. In diesem Sonnensystem gibt es nichts, was euch weiterhelfen kann. Im Gegenteil.«

Nadine horcht auf. »Wie meinst du das?«

Der kleine Prinz sieht zum Himmel empor, der sich verdunkelt. »Ich frage mich, ob die Sterne leuchten, damit jeder seinen eigenen eines Tages wiederfindet.« Nadine kennt diesen Satz – er stammt aus dem Kinderbuch. Der kleine Prinz sieht sie an. »Ihr Menschen solltet schleunigst euren Stern wiederfinden.«

»Das wollen wir doch.« Nadine ist verärgert. »Aber wir können das Schiff mit unseren derzeitigen Möglichkeiten nicht instand setzen!«

»Ihr müsst einen anderen Weg finden.« Plötzlich ist es keine Kinderstimme mehr, die aus dem Mund des Jungen dringt. Vor Nadines Augen verschwimmt die Gestalt des kleinen Prinzen, flackert wie ein Hologramm ohne ausreichende Energieversorgung. Er verwandelt sich in eine Schlange. Flackert noch einmal kurz. Wird dann zu Merkosh. »Die FANTASY muss das System verlassen!«

Nun bekommt es Nadine doch mit der Angst zu tun. Sie ist dem Oproner auf der FANTASY natürlich schon einige Male begegnet – es ist kein großes Raumschiff. Aber persönliche Worte haben sie nie gewechselt.

»Aber ... wie kommen Sie darauf?«, fragt sie konsterniert.

»Dieses System tut uns nicht gut. Der ganze Flug war eine schlechte Idee. Sie haben die FANTASY nicht fachgerecht auf dieses Abenteuer vorbereitet, Nadine.« Merkosh blinzelt vorwurfsvoll.

Nadine fällt aus allen Wolken. »Ich? Aber ... ich bin doch nur eine Technikerin, was hätte ich ...?«

»Sind Sie sicher, dass Sie die Schrauben am Reaktor des Quintadim-Parallelspurtriebwerks richtig festgezogen haben, Nadine?« Merkosh legt den Kopf schief. »Sie behaupten doch gern, dass Sie jedes Teil auf der FANTASY so gut kennen, dass Sie es im Schlaf auswechseln könnten. Dann war es vielleicht Ihre Schuld, dass der Linearantrieb versagt hat – weil Sie ihn nicht korrekt gewartet haben.«

Unsicher weicht Nadine einige Schritte zurück. Sie verschränkt abwehrend die Arme vor der Brust. »Das ist doch Unsinn.« Ihre Stimme klingt so unsicher, wie sie sich fühlt.

»Vielleicht könnten Silvia und Giordano noch leben – wenn Sie nicht versagt hätten«, fährt Merkosh fort. »Machen Sie Ihren Fehler wieder gut, und sorgen Sie dafür, dass die Menschen so schnell wie möglich von hier verschwinden.«

Nadine spürt Zorn in sich aufsteigen. »Lassen Sie das!« Sie ist erschrocken darüber, wie laut sie spricht. Normalerweise erhebt sie niemals die Stimme gegen jemanden wie Merkosh – jemanden, der zwar nicht direkt ihr Vorgesetzter, aber doch eine hochrangige Person ist. Aber der Oproner macht sie wütend. »Hören Sie auf, mich zu beschuldigen. Ich konnte nichts für die Havarie der FANTASY.« Aber ein leiser Zweifel nagt an Nadine: Was, wenn doch..?

Die Gestalt von Merkosh flackert wieder und verschwimmt. Und plötzlich steht Nadine Sophie Bull-Legacy gegenüber. Oder ist es Laura Bull-Legacy? Nadine ist nicht sicher, um welche der Zwillingsschwestern es sich handelt.

Verblüfft reißt sie die Augen auf. »Was ist denn jetzt los?«

Sophie – oder Laura? – antwortet nicht. Sie greift sich an den Hals. Ihr Gesicht ist verzerrt, spiegelt nacktes Grauen wider. Sie öffnet den Mund, aber kein Ton kommt heraus. Stattdessen hallt ein markerschütternder Schrei aus dem Brunnen herauf, der Nadine das Blut gefrieren lässt.

»Sophie ... Laura ...« Nadine streckt die Arme aus und geht auf die junge Frau zu. Doch ehe Nadine sie erreicht, kippt Bull-Legacy nach hinten und stürzt in den Brunnen.

»Nein!« Nadines Schrei vermischt sich mit dem aus dem Brunnen, der auf einmal verhallt.

Jede Faser ihres Körpers schmerzt plötzlich vor Anspannung. Nadine macht einen Satz, doch die Steine des Brunnens rücken in der Mitte zusammen. Sie verklumpen wie Teig und formen etwas Neues: einen Runenstein, wie Nadine ihn einst auf einer Studienfahrt nach Dänemark gesehen hat. Die Zeichen darauf kommen ihr bekannt vor, aber es sind keine Ornamente, Kreuze oder Tierdarstellungen, wie Nadine sie in Jütland bewundern konnte. Es sind eher arabische Schriftzeichen, aber auch nicht wirklich, viel bildhafter.

Nadine Baya wirft sich verzweifelt gegen den aufrecht stehenden Stein, will ihn umwerfen, um Sophie-Laura darunter hervorzuholen. Unter dem Stein muss sich das Brunnenloch verbergen. Doch er ist viel zu schwer.

Und er schreit wieder, schrill und anklagend und zornig. Unter dem Stein quillt dicke, schwarze Flüssigkeit hervor.

Mit einem Ruck setzte sich Nadine Baya im Bett auf. Dieses Mal schrie sie nicht – dafür war ihre Kehle viel zu trocken und ihr Entsetzen viel zu groß. Sie atmete heftig und hatte das Gefühl, ersticken zu müssen. Nur langsam beruhigte sich ihr Puls. Mit wackligen Knien stand sie auf, ging in ihre Nasszelle und drehte den Wasserhahn auf. Mit den Händen schöpfte sie die Flüssigkeit in ihr Gesicht, bis ihre Atmung wieder ruhiger ging. Sie stützte ihre Hände auf dem schmalen Becken ab und starrte auf das Hologramm an der Wand, das auf Spiegelwirkung eingestellt war.

Ihr eigener Anblick erschreckte sie: Ihre gebräunte Haut sah fahl und gelblich aus, unter ihren Augen lagen tiefe Schatten. In einem Augapfel war eine kleine Ader geplatzt und färbte ihn teilweise rot. Sie hatte sich die Lippen aufgebissen. Ihre üppige, schwarze Lockenpracht stand wirr in alle Richtungen ab.

»Schöner Mist«, warf sie ihrem Spiegelbild vor. »So geht es nicht weiter.« Überraschenderweise konnte sie sich dieses Mal an vieles erinnern, was sie im Traum erlebt hatte. Ein Doppeldecker-Flugzeug – wie irrsinnig ist das denn?

Von all den abstrusen, albtraumtypischen Dingen mal abgesehen, blieb eine dumpfe Ahnung von Bedrohung. Und ein Gefühl der Schuld: War es wirklich ihr Fehler gewesen, dass der Linearantrieb versagt hatte? Sie musste ihre Aufzeichnungen durchgehen und vor allem die Schrauben am Reaktor überprüfen. Vielleicht würde ihr das am kommenden Morgen absurd erscheinen, aber derzeit war es für Baya absolut logisch.

Wahrscheinlich ist das alles ein Hirngespinst. Ich schlafe zu schlecht und arbeite zu viel, und das ist das Ergebnis.

Aber das seltsame Gefühl blieb. Ebenso wie die Erinnerung an den seltsamen Stein, die Schreie und die Runen.

Vielleicht sollte ich darüber doch mal mit einem Vorgesetzten reden, überlegte Baya. Nur mit wem?

Sie hätte früher kein Problem gehabt, mit Juna Dasima Baharum darüber zu reden. Aber Froser Metscho? Der war ein anderes Kaliber. Mit wem sonst? Pari Sato, die Chefärztin vielleicht? Die würde ihr wahrscheinlich Überspanntheit bescheinigen und ihr ein paar Happy-Pillen der Aras verordnen. Nein, das kam nicht infrage.

Die Bull-Legacy-Zwillinge? Auch dabei hatte Baya kein gutes Gefühl. Laura und Sophie waren auf dem besten Weg, ihre Freundinnen zu werden. Da wollte Baya nicht plötzlich als die Irre mit den Albträumen auftreten. Zudem war eine der beiden Zwillingsfrauen in ihrem Traum vorgekommen. Es fühlte sich falsch an, mit Laura oder Sophie darüber zu reden. Was sollte sie denn sagen? »Hey, hallo, ich habe heute Nacht geträumt, dass du in einen Brunnen fällst und danach in einer schwarzen Flüssigkeit ertrinkst.« Kein guter Stoff für Small Talk.

Womit Baya wieder bei Froser Metscho war. Der Gedanke, den Chefingenieur mit ihrem Problem zu behelligen, bereitete ihr Unbehagen. Der Mann hatte seit der Havarie wahrlich genug andere Sorgen.

Nadine Baya seufzte, nickte ihrem Spiegelbild schicksalsergeben zu und ging zurück ins Bett. Sie musste etwas Schlaf bekommen, egal wie. Bis zu ihrem Schichtbeginn verblieben noch drei Stunden. Bis dahin würde sie sich überlegen, ob sie sich tatsächlich an Froser Metscho wenden sollte.

Perry Rhodan Neo Paket 22

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