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2.

Damoklesschwert

Er wirkte wacher als die anderen, mehr da. Eigentlich war das unmöglich. Laura Bull-Legacy kniff die Augen zusammen und versuchte, ihren Eindruck zu verstehen. Vor ihr saß Perry Rhodan, ihr Patenonkel und der Protektor der Terranischen Union, der gerade angeblich im Alleingang die FANTASY gestohlen hatte und mit ihr aus dem Hyperraum geschleudert worden war.

Aus der Parlinger-Tasche gefallen, dachte Laura. Das klang so harmlos. Das Raumschiff war schwer beschädigt, dennoch überraschte es Laura, was sie an diesem Vormittag des 28. Augusts 2089 in den Gesichtern in der Messe las. Die Besatzungsmitglieder waren nicht nur angespannt, sondern auch unausgeschlafen. Eigentlich hätte Laura trotz allem eine positivere oder zumindest neutralere Stimmung erwartet. Gewiss, ihre Lage war bedrohlich, doch es herrschte keine akute Gefahr. Das hinderte das altbekannte Kribbeln in Lauras Magen nicht, zur Höchstform aufzulaufen. Sie hatte ein besonderes Gespür, und dieses Gespür meldete sich mit der Vehemenz einer Alarmsirene.

Rhodan lächelte schief. Sein Gesicht war hagerer als sonst, doch das tat seiner Ausdruckskraft keinen Abbruch. Die lebhaften, graublauen Augen sprachen von den Wundern, die er gesehen hatte. Er machte eine auffordernde Geste. »Setz dich! Du starrst mich seit Sekunden an, als wäre ich ein kosmisches Rätsel, also kannst du auch Platz nehmen und einen Tee mit mir trinken.«

Laura sah auf das Gerät am Handgelenk. Sie hatte noch zwei Stunden Zeit bis zum Schichtwechsel. Zögernd setzte sie sich. Ihre Brust kam ihr enger vor als sonst, die Lunge eingesperrt. Eigentlich liebte sie es, mit Rhodan zusammenzusitzen. Er war ihr Patenonkel, und sie hatten viele Stunden miteinander verbracht. Seine Nähe versprach für gewöhnlich Geborgenheit. An diesem Vormittag indes fühlte sie sich ihm gegenüber unwohl. Vielleicht gerade weil er trotz des Desasters und seiner eigenen furchtbaren Lage mehr Zuversicht ausstrahlte als jeder andere im Raum. Seine Stärke verunsicherte Laura. Er hatte einen Zellaktivator, der stockte, war dem Tod näher als jeder sonst an Bord, und nun war der Plan seiner Frau Thora, die FANTASY zu kapern, um mit ihr eine Lösung für den defekten Aktivator zu finden, katastrophal gescheitert.

Selbst wenn sie diese Notlage überstanden und einen Heimweg fanden – für Rhodan wäre es vorbei. Es sei denn, sie erreichten doch noch ihr eigentliches Ziel: den Planeten Lashat, wo sich eventuell Hilfe für ihn finden ließ, um ihn von der Dunkelleben-Infektion zu heilen und möglicherweise den Zellaktivator zu reparieren. Zwar war Lashat mittlerweile deutlich näher gerückt. Allerdings vermochte die FANTASY ohne funktionierenden Linearantrieb derzeit nicht, nach Lashat zu gelangen. Es gab zu viele »Vielleichts« und »Eventuells«, und doch blieb der legendäre Perry Rhodan die Ruhe in Person.

»Ich ahne, was du denkst«, sagte er. »Aber sieh es nicht zu düster. Es gibt immer einen Weg. Noch sind wir nicht geschlagen.«

Laura nickte stumm und griff nach der Teetasse, die er ihr reichte. »Entschuldige, falls ich mich seltsam verhalte. Ich habe ziemlich schlecht geschlafen.«

»Da bist du nicht die Einzige, wie es scheint.« Rhodan beobachtete zwei Techniker, die am Automaten darum stritten, wer sich zuerst einen Imbissriegel nehmen durfte. Laura fragte sich, wann es ernsthafte Probleme wegen der Versorgung geben würde. Sie hatten Nahrung für zwei Monate. Die konnten verdammt schnell vorbeigehen, falls sich die Arbeiten am Transitionsantrieb in die Länge zogen oder Ersatzteile benötigt wurden, die sie nicht vorrätig hatten. Und dann?

»Können Sie nicht woanders Wurzeln schlagen?«, fragte Froser Metscho, der Chefingenieur der FANTASY. Obwohl er in Ordnung war, mochte Laura ihn nicht sonderlich. Er kam ihr in sich zerrissen vor, wie jemand, der an alten Wunden litt, die er nie hatte heilen lassen.

Der Angesprochene antwortete nicht, was Metscho wohl auch nicht erwartet hatte, denn es handelte sich um Merkosh, und der benahm sich häufig anders, als man es gewohnt war. Trotzdem brachte Laura das Bild, das Merkosh bot, zum Frösteln.

Der zwei Meter große, überschlanke Oproner stand wie ein junger Baum mitten in der Messe und bewegte sich nicht. Wie üblich trug er eine kurze Hose und auch der Oberkörper war knapp bedeckt. Er hatte die Arme, abgebrochenen, dürren Ästen gleich, dicht an die Seite gelegt. Die Zeichen auf seiner glasartigen Haut erschienen Laura dunkler als sonst – und bildlicher. Zusammen mit dem gut sichtbaren Adergeflecht kamen sie ihr unheimlich vor. Ihr war, als stünde dort eine Botschaft, deren Inhalt sie erschreckte, auch wenn sie nicht wusste, worin er bestand. Im Gegensatz zu sonst leuchtete Merkoshs Gehirn kaum durch den halbtransparenten Schädelknochen. Nicht zum ersten Mal fragte sich Laura, ob Merkosh die Helligkeit selbst bestimmte.

Während Merkoshs Körper wie festgefroren wirkte, bewegten sich die großen, dunkelgrünen Augen unablässig. Die zu einem Rüssel geformten Lippen waren weit vorgestülpt. Was genau Merkosh damit ausdrücken wollte, wusste Laura nicht. »Ist das normal?«

Rhodan hob kaum merklich die Schultern. »Was ist bei Merkosh schon normal?«

»Ich meine ... Er kommt mir noch seltsamer vor als sonst.«

»Die Havarie setzt jedem zu, auch ihm.«

Laura fragte sich, ob das stimmte. »Er scheint dich zu mögen. Wahrscheinlich macht er sich Sorgen um dich.«

»Oder um uns alle. Merkoshs Denkvorgänge sind kompliziert und andersartig, aber ich bin sicher, dass wir ihm trotz der Unterschiede wichtig sind.«

»Ob er auch schlecht geschlafen hat?«

»Du könntest ihn fragen.«

Der Gedanke erschreckte Laura. Sie mochte es nicht, andere anzusprechen, wenn sie sich derart ungewöhnlich verhielten. Gerade gab Merkosh einen leisen Brummton von sich. Hoffentlich fing er nicht an, wirklich laut zu werden. Die Töne, die er ausstieß, konnten unangenehm werden. »Lieber nicht.«

Sie tranken den Tee schweigend. Als Gucky in die Messe trat, stand Rhodan auf. »Du entschuldigst mich?«

»Klar.« Laura nickte dem Mausbiber zu, der sich zusammen mit Perry Rhodan in eine Ecke setzte. Die Messe war eng, aber derzeit kaum besucht. Viele hatten sich zurückgezogen, um sich in den Kabinen auszuruhen. Jedenfalls die, die keine Reparaturschicht hatten. Es schien, als wäre der Ruhe- und Erholungsbedarf bei allen deutlich erhöht. Auch Laura fühlte sich müde.

»Ist da noch frei?«, fragte Nadine Baya, eine der Multitechnikerinnen.

Laura lächelte. Sie freute sich, Baya zu treffen. »Für dich immer. Wie kommst du mit dem Ava zurecht?«

»Bestens.« Es klang schuldbewusst, als hätte Baya weniger geübt als sonst.

Laura entschied, darüber hinwegzugehen. Wie ihre Schwester konnte sie Menschen gut lesen – deshalb wusste sie, wann es besser war, anderen ihre Ruhe zu lassen. Baya war ohnehin nicht mit übergroßem Selbstbewusstsein gesegnet.

Neben ihnen am Tisch raufte sich Jessica Tekener die dunkelblonden Haare. Die Privatermittlerin, die ihren Bruder Ronald an Bord begleitet hatte, stieß heftig die Luft aus. »Der Kaffee ist kalt! Gottverdammt, warum ist der Kaffee kalt? Ich habe ihn erst vor zwei Minuten geholt! Geben jetzt alle Maschinen an Bord den Geist auf?«

Baya drehte sich zu ihr um. »Äh ... entschuldige, das ist meine Tasse. Die steht da schon ewig rum. Deine steht drüben, am Automat. Merkosh hat sie verschleppt.«

Tatsächlich hatte sich der Oproner von der Mitte der Messe wegbewegt. Und erstaunlicherweise hatte er sich den Inhalt der Kaffeetasse nicht auf die Haut gekippt, um ihn aufzunehmen. Stattdessen hatte er den Kunststoffbehälter falsch herum auf dem Boden abgestellt. Ein ringförmiger Reinigungsroboter saugte gerade nahezu lautlos die Flüssigkeit auf.

»Das gibt's doch nicht!«, wetterte Jessica. »Wenn der Kaffee vorzeitig aus ist, werde ich diesen irren Oproner auswringen, bis er welchen absondert!« Die sonst so leichtfüßige Frau stapfte davon, um sich eine neue Tasse zu holen. Dabei schenkte sie Merkosh einen Blick, der Arkonstahl zum Schmelzen gebracht hätte.

»Wow!« Laura war ehrlich überrascht über die heftige Reaktion. »Was ist bloß in sie gefahren?«

»Vielleicht hat sie schlecht geschlafen.«

»So wie du?«

Baya wurde rot, als hätte Laura sie dabei erwischt, Vorräte zu horten. »Ich habe wirklich bescheiden geschlafen.«

»Was ist denn los? Sind die Reparaturen anstrengend?« Laura fragte es, obwohl sie die Antwort kannte. Durch den MINSTREL wusste sie, dass die Instandsetzungsarbeiten weitgehend stressfrei vonstattengingen, doch was eine Künstliche Intelligenz anhand von Daten interpretierte und ein Mensch empfand, konnten zwei vollkommen verschiedene Dinge sein.

»Nein, nein.« Baya winkte ab. »Die Reparaturen laufen. Es sind die Albträume ...«

Laura fröstelte. Auch sie hatte Albträume gehabt, doch sie erinnerte sich nicht, was genau darin vorgefallen war. Von den Bildern der Nacht waren nur Fetzen geblieben, als hätte jemand ein dünnes Gespinst aus Staub und Spinnweben zerrissen und aufgewirbelt. Überdauert hatte der Eindruck von Dunkelheit und einer Stille, die Laura zu verschlingen drohte, zusammen mit dem diffusen Gefühl, am falschen Ort zu sein ...

Merkosh berührte die Zeichen auf seiner Haut, brummte laut auf und rannte aus der Messe.

Kaum jemand schenkte ihm Aufmerksamkeit, nur Jessica Tekener stieß ein »Endlich!« hervor. Sie fügte etwas verspätet »Und komm nicht wieder!« hinzu, als hätte sie Merkosh höchstpersönlich aus der Messe gescheucht.

Laura fühlte sich in dem aggressiven Klima ringsum immer unwohler. Sie verstand Merkosh. Am liebsten wäre sie ebenfalls aufgesprungen und davongelaufen. Gerade in angespannten Situationen kam sie mit offen zur Schau gestellter Aggression schlecht zurecht, selbst wenn es nur verbaler Zorn war.

Baya trank den Rest des Heißgetränks leer. Sie verzog das Gesicht. »Ich muss zu meiner Schicht.«

»Ich habe noch etwas Zeit.«

»Du Glückliche.« Die Multitechnikerin stand auf.

Kurz entschlossen tat Laura es ihr nach. »Ich komme mit.«

Sie begleitete Baya ein Stück, ehe sie sich in einem der engen Gänge trennten. Seltsamerweise fühlte sich Laura Bull-Legacy auch außerhalb der Messe nicht wohler. Ihr war, als hätte die aggressive Stimmung sie infiziert. Sie trug einen Teil noch immer in sich, er hatte sich in ihr verankert, wollte Wurzeln schlagen, wachsen ...

»Alberner Gedanke«, murmelte sie.

Aber gegen das Gefühl kam sie nicht an. Die Gänge erschienen ihr kühler als üblich und trotz der künstlichen Helligkeit düster. Kälte nistete sich in ihren Knochen ein.

Erst in der Zentrale wurde es besser. Der Anblick der vertrauten, metallisch blauen Wände wirkte beruhigend. Die vielen Holobilder begrüßten Laura Bull-Legacy wie alte Freunde, die treu auf sie gewartet hatten.

Doch es war vor allem ihre Zwillingsschwester Sophie Bull-Legacy, die sie stärkte. Durch Sophie kam sich Laura größer vor – und gleichzeitig mehr wie sie selbst. So war es schon immer gewesen. Andere brauchten einen Spiegel, um sich zu sehen. Laura hatte Sophie, und als Kind war der Gedanke »Ich bin du« ganz normal gewesen, wie bei jemanden, der in einen Spiegel sah und sich darin selbst erkannte.

»So früh schon da?«, begrüßte Sophie sie gut gelaunt. Es war eine Wohltat, ihre Stimme zu hören. »Du kannst wohl nicht ohne mich auskommen. Deine Schicht fängt doch noch gar nicht an.«

»Ich weiß.« Laura setzte sich. Vor ihr schwebte der MINSTREL, die etwa einen Meter durchmessende Kugel aus unzähligen, sich ständig verschiebenden Kuben in changierenden Blautönen. »Was macht unser Sängerknabe?« Sie war zurzeit nicht aktiv mit dem MINSTREL verbunden, sonst hätte sie ihn selbst fragen können. Doch sie nahm die Musik bereits entfernt wahr, die von dem NATHAN-Ableger ausging. Auch diese Wahrnehmung tröstete und stärkte sie.

Der MINSTREL war etwas ganz Besonderes. Eine Verbindung zu Menschen konnte er nur über Laura und Sophie herstellen, weil er als lediglich winziger Spross der lunaren Hyperinpotronik trotz seiner extrem hohen Packungsdichte Defizite hatte, was die Kommunikation mit Humanoiden anging. Eben dafür brauchte der MINSTREL Übersetzer. Nicht umsonst war er nach einem fahrenden Sänger des irdischen Mittelalters benannt. Für Laura klangen seine Botschaften wie eine besondere Fuge. Der drahtlose Datenfluss glich einer entrückten Melodie mit einem Thema. Der MINSTREL gab Konzerte, die nur Sophie und sie zu deuten wussten.

»Er ist schweigsamer als üblich«, antwortete Sophie. Ihre Miene schien sich ein wenig zu verdunkeln. »Bevor du aufgetaucht bist, hat er sich kaum gerührt. Ich fürchte, er hat dich lieber als mich.«

Sie schauten einander an, grinsten und lachten beide. Es war befreiend.

»Ist schon komisch, sich einen Kerl zu teilen«, scherzte Laura. »Aber ich bin sicher, wir bekommen das hin.«

»Immerhin leistet der Kerl eine ansehnliche Arbeit. Ich denke, wir werden den Linearantrieb in absehbarer Zeit wieder hinbekommen. Zumindest vorübergehend, sodass wir weiterfliegen können, irgendwohin, wo man uns helfen kann. Aber behalt es noch für dich. Onkel Perry will der Mannschaft nicht erst Hoffnung machen und sie ihr dann wieder nehmen. Ein paar Berechnungen stehen noch aus. Spätestens in zwei Tagen müssten wir mit Gewissheit eine Einschätzung haben, wann wir von hier verschwinden können.«

»Klingt vielversprechend.« Laura hätte sich freuen oder zumindest beruhigt sein sollen, doch sie fühlte sich kein Stück entspannter als zuvor.

»Und warum bist du schon hier?«, erkundigte sich Sophie.

Kurz dachte Laura über die Frage nach. Es gab tatsächlich einen Grund, auch wenn sie das zuvor nicht mal selbst bemerkt hatte – Sophie dagegen schon. Seit den Vorfällen auf der Kolonie Rumal und der anschließenden Psychotherapie kam ihr Sophie stärker vor – gereift und ruhiger. Sophie liebte das Abenteuer, ließ sich rasch auf Neues ein. Ein wenig hatte Laura Furcht, die Schwester könnte sich schneller entwickeln als sie und sie mental zurücklassen. Ein unangenehmer Gedanke. Sie gehörten nun mal zusammen, waren nahezu eins, hatten sich eine Gebärmutter geteilt und seitdem noch jede Menge mehr.

Laura suchte Blickkontakt, fühlte Sophie noch intensiver als zuvor. »Weil ich ...«

»... reden will«, endete Sophie. »Über ...«

»... die Lage an Bord. Und über ...«

»... die Albträume.«

»Ja.« Laura schluckte. »So mies habe ich mich seit der Trennung von Mom und Dad nicht mehr gefühlt ... Da ist irgendwas, aber ich bekomme es nicht zu fassen. Immer wenn ich danach greifen will, windet es sich aus meinen Fingern. Es fühlt sich an, als ...«

»... hinge ein Damoklesschwert über allem«, endete Sophie.

»Exakt!« Genau das war der Eindruck, der Laura seit Stunden umtrieb, und den sie nicht in Worte hatte fassen können. »Und das ist verrückt. Perrys Aktivator arbeitet wieder erstaunlich stabil, wir können Lashat noch erreichen, und eine Heimkehr zur Erde ist nicht ausgeschlossen, falls wir Hilfe finden. Selbst wenn nicht, gibt es ein oder zwei Schiffe wie die CREST II, die uns auf längere Sicht retten und heimbringen könnten. Warum gruselt es mich trotzdem, als wären wir dem Tod näher als dem Leben?«

Sophie Bull-Legacy lächelte. »Das ist bloß ein Gefühl, Schwesterchen. Lass dich davon nicht unterkriegen. Wir sind mit Perry und Gucky unterwegs. Die beiden sind schon mit viel schlimmeren Situationen fertiggeworden. Immerhin war Perry sogar in Andromeda und hat einen Heimweg gefunden. Du wirst sehen, wir sind im Handumdrehen von hier verschwunden.«

Laura Bull-Legacy hoffte, dass ihre Zwillingsschwester richtiglag.

Perry Rhodan Neo Paket 22

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