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21.

Silvia Taussig

Es dauerte drei Tage, bis die Schwierigkeiten begannen.

Zunächst war alles wie erwartet verlaufen. Ihre erste Etappe sollte sie über 23.000 Lichtjahre führen – knapp die Hälfte des Wegs Richtung Lashat in der Southside der Milchstraße, an den Rand des Omnitischen Compariats. Sie flogen mit einem Überlichtfaktor von 1,5 Millionen, was für diese Teilstrecke eine Flugzeit von etwa fünfeinhalb Tagen ergab – ein Kompromiss. Denn einerseits waren der Eintritt in die und der Austritt aus der Superposition genau das, was den Antrieb und das Raumschiff insgesamt am meisten strapazierte. Andererseits wollten sie ihr Glück nicht herauszufordern und den neuen Antrieb noch länger am Stück laufen lassen.

Auch ein reibungsloser Flug indes erforderte die permanente Aufmerksamkeit des technischen Personals, von Chefingenieur Froser Metscho über Giordano Ricci und die anderen Abteilungsleiter bis zu den Technikern wie Silvia Taussig, Nadine Baya oder Ian Munroe. Sie mussten die Systeme überwachen, Messungen vornehmen, Simulationen erstellen, Ergebnisse gegenrechnen und manchmal ganz altmodisch ein überlastetes Bauteil austauschen.

Ein Linearflug, meinte Munroe irgendwann, war so ähnlich wie Billard mit einem Teilchenbeschleuniger zu spielen: Machte man alles richtig, ging die Kugel genau in die richtige Tasche am anderen Ende des Tischs. Machte man etwas falsch, konnte man seine Moleküle aus sämtlichen Löchern kratzen.

Silvia Taussig spielte kein Billard und fand den Vergleich nur mäßig erheiternd. Wer sich dagegen vor Lachen kaum noch eingekriegt hatte, war Mentro Kosum, ihr neuer Pilot. Dabei musste er sich am allerwenigsten um das Funktionieren des Antriebs kümmern. Das frisch installierte SERT-Gerät gaukelte ihm zwar vor, das gesamte Raumschiff als Verlängerung seines Körpers zu erleben. Aber was im Triebwerk wirklich vor sich ging, blieb ihm genauso verborgen wie die Prozesse in seinem Bauch. Was ihn betraf, war die Aufgabe des technischen Personals lediglich, dafür zu sorgen, dass er kein Magengrummeln bekam.

Silvia erinnerte sich ...

»Wir sind keine Gastroenterologen«, scherzte Giordano Ricci, während sie Mentro Kosums Sitz in der Zentrale festschraubten.

»Aber Helden!«, erwiderte Kosum freundlich, sah ihnen ungeduldig bei der Arbeit zu und bröselte den Boden mit etwas voll, das für Silvia Taussig wie grüne, verschimmelte Erdnüsse aussah. »Ihr habt mich aus tiefsten Kerkern befreit. Und ein zweites Date mit einer sehr speziellen Dame abgewehrt.«

»Im Vermeiden zweiter Dates sind wir Spezialisten«, rutschte es Silvia heraus. Als sie Riccis konsternierten Ausdruck bemerkte, plapperte sie rasch weiter. »Die neue Steuerung wird sehr viel Feingefühl erfordern. Wir sollten jemanden abstellen, der sich rund um die Uhr bereithält, um nötige Justierungen vorzunehmen ...«

»Rund um die Uhr?« Kosum schloss lachend den Reißverschluss seines SERT-Anzugs und zwängte sich die dazugehörige Haube über die rostrote Haarmähne. »Lustige Vorstellung von Arbeitsrecht, die ihr da habt. Zum Glück haben wir noch zwei andere Pilotinnen, die bislang blendend ohne mich zurechtkamen, nicht wahr?« Er zwinkerte den Bull-Legacy-Zwillingen und ihrem MINSTREL zu, der neugierig näher schwebte.

»Das ist richtig«, lenkte Silvia ein. Ehrlich gesagt, hatte sie nichts dagegen, wenn der MINSTREL sich um alles Weitere kümmerte. Immerhin war nun ein geregelter Dreischichten-Dienst in der Zentrale möglich.

»Viel Spaß«, sagte Ricci zum Abschied und klopfte Kosum auf den Helm. Der schlaksige Riese lehnte sich in seinem neuen Sitz zurück und reckte in einer archaischen Geste den Daumen. Dann klinkte er sich ein und versank in der Welt der FANTASY, wie Silvia Taussig sie nie erleben würde.

Das war der erste Tag.

Die SERT-Steuerung schien tadellos zu funktionieren, denn die nächsten vierundzwanzig Stunden sah und hörte Silvia Taussig nichts mehr von Mentro Kosum und den Führungsoffizieren. Wen sie dagegen traf, war Perry Rhodan auf einem seiner Routinebesuche in der Medostation. Dort passte sie gerade einen Biocontainer an die Spezifikationen an, die Merkosh der Chefmedizinerin Pari Sato genannt hatte. Oder eher, sie versuchte es.

»Bitte entscheiden Sie sich!«, bat sie die Ärztin und den Oproner, die sich in einem hitzigen Streitgespräch befanden. »Minus achtundsechzig Grad bei dreieinhalb Bar oder minus hundertzwölf bei zweidreiviertel?«

»Bei derart tiefen Temperaturen kann ich die Probe nicht rasch genug verabreichen.« Die ungewöhnlich große Japanerin strich sich das blaue Haar aus dem Gesicht. »Die Expertin für Humanbiologie bin noch immer ich!«

Der Oproner reckte protestierend seinen Rüssel. »Bei höherem Druck kann ich die Haltbarkeit nicht garantieren!«

»Es ist ein Gel, Merkosh. Dem ist ein knappes Bar mehr oder weniger herzlich egal.«

»Ah«, ereiferte sich ihr außerirdischer Gast immer lauter. »Dann sind Sie jetzt also auch Expertin für Vitrontechnologie?«

»Bitte beruhigen Sie sich!« Rhodan kam aus der Nasszelle zurück. Der Protektor war nur mit einer Art Nachthemd bekleidet, unter dem sich der eiförmige Zellaktivator abhob. Peinlich berührt wandte Silvia den Kopf ab. Sie wusste ja, dass Rhodan regelmäßig Untersuchungen über sich ergehen lassen musste – schließlich war seine Gesundheit der Grund oder doch wenigstens Vorwand ihres Flugs. Dennoch hatte sie gerade das Gefühl, seine Privatsphäre zu verletzen ... ganz im Gegensatz zur Ärztin und dem Oproner, die solche Vorbehalte offenbar nicht kannten.

»Merkosh, ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar, dass Sie uns gestatten, einen Vorrat Ihres wertvollen Gels hier für Notfälle zu meiner Verfügung zu halten. Aber ich vertraue Doktor Satos Urteil, was Aufbewahrung und Verabreichung von Medikamenten angeht. Es sei denn natürlich, dass es Eigenheiten des Gels zu berücksichtigen gilt, die Sie uns noch nicht mitgeteilt haben ...«

»Ich könnte einen Testlauf machen«, schlug Silvia vor, und die drei sehr unterschiedlichen Gesichter wandten sich ihr zu. Hauptsache, sie starrte nicht weiter den Protektor in seiner Krankenhauskleidung an. »Alles, was ich brauche, ist ein molekularbiologischer Scan. Das dürfte höchstens zwei Stunden dauern. Dann noch mal zwei bis drei Stunden, um die Haltbarkeit des Gels bei verschiedenen Druck- und Temperaturverhältnissen über einen Zeitraum von mehreren Wochen bis Monaten hochzurechnen. Bis heute Abend wüssten wir ganz genau, unter welchen Bedingungen sich dieses Gel am wohlsten fühlt.«

»Das können Sie programmieren?«, fragte Doktor Sato skeptisch.

»Mit Verlaub«, antwortete Silvia. »Ich tue den ganzen Tag nichts anderes. Dass wir alle noch am Leben sind, obwohl wir uns weder richtig im Hier noch im Dort befinden, ist hundertmal bemerkenswerter als die Haltbarkeit irgendeiner Probe.«

Sato wollte zu einer scharfen Erwiderung ansetzen, aber Rhodan räusperte sich lautstark.

»Ma'am«, fügte Silvia höflich hinzu.

»Machen Sie Ihren Test«, bat Rhodan. »Schließlich soll mir diese Probe ja injiziert werden, wenn ich das nächste Mal umfalle. Da wüsste ich gern genau, dass sie tut, was sie soll.«

Damit war das entschieden, und Silvia machte sich an die Arbeit.

Das war der zweite Tag.

Am dritten Tag ihres Flugs rief Conrad Deringhouse sie in die Zentrale.

»Hast du eine Ahnung, was los ist?«, fragte sie Nadine Baya, die ebenfalls auf dem Weg in die Bugsektion war.

Doch ihre Freundin zuckte nur ratlos die Achseln. »Fast das gesamte freie Personal ist gerufen worden.«

Sie trafen Giordano Ricci und die restlichen Kollegen vor dem Zugangsschott.

Ihre Antwort erhielten sie, sobald sie eintraten.

In der Zentrale herrschte das Flackerlicht Dutzender Hologramme, die von den diensthabenden Spezialisten im Sekundentakt aufgerufen und wieder geschlossen wurden. Der Einzige, der still in seinem Sessel ruhte, war der Cyboraner Mentro Kosum in seinem SERT-Anzug. Über der gesamten Szenerie hing wie eine Käseglocke der Holodom, der wie gewöhnlich die eigentümlichen visuellen Qualleneffekte in der Umgebung der FANTASY zeigte.

Die Quallen aber gebärdeten sich wie wild.

Silvia wusste zwar genau, dass es keine Lebewesen waren – es konnte nicht anders sein –, doch es fiel schwerer denn je, sich an dieses Wissen zu klammern. Waren die Quallen bislang gemächlich wie Fische in einem Aquarium getrieben, peitschten sie nun mit ihren Tentakeln, entfernten sich und schossen auf die FANTASY zu, als wollten sie das Raumschiff rammen. Fast wirkte es, als sähen sie die Besatzung – und versuchten, sie anzugreifen.

Sie blickte zum Kommandanten und zur Ersten Offizierin, zu Perry Rhodan, Merkosh, den Mutanten. Alle standen still wie grimmige Statuen, als fürchteten sie, ihre unheimlichen Verfolger aufzustören.

Und wie jeder, der beim ersten Testflug zur Wega dabei gewesen war, musste Silvia daran denken, dass sich auch damals die Probleme auf ähnliche Weise angekündigt hatten.

»Hat irgendjemand eine Erklärung dafür?«, fragte Conrad Deringhouse.

Das Schweigen in der Zentrale war so tief, dass man den Schneeklang hören konnte. Auch dieser schien feindseliger als sonst, aber wahrscheinlich bildete sich Silvia das nur ein. Optische Täuschungen, fünfdimensionale Resonanzen – nichts davon ist uns freundlich oder feindlich gesinnt. Nur Menschen sind das ...

»Metscho?«, fragte Deringhouse, nachdem niemand eine Antwort gab.

»Keine Erklärung«, sagte der stämmige Chefingenieur kleinlaut. Sie hatte noch immer Probleme, ihn einzuschätzen. Verglichen mit früheren Chefs war er kein sehr geselliger Typ – und im Moment machte er den Anschein, als würde er am liebsten im Boden versinken. »Ich halte es aber für ausgeschlossen, dass diese Phänomene eine Gefahr für uns darstellen. Der Libraschirm ist stabil, der Antrieb arbeitet fehlerfrei ...«

Deringhouse schien mit dieser Auskunft nicht zufrieden. »Hat der MINSTREL vielleicht einen Vorschlag?«, rief er.

Die Zwillinge tauschten Blicke, als stünden sie in telepathischem Kontakt – was, wenn Silvia es richtig durchschaute, in gewisser Weise sogar der Fall war.

»Er überlegt noch«, sagte die eine Schwester. Silvia Taussig konnte sie beim besten Willen nicht auseinanderhalten. »Sir«, sagte die andere.

»Er überlegt?« Der Kommandant wirkte wie kurz vor einem Wutausbruch. Doch er ließ sich nicht von seinen Emotionen übermannen. »Metscho, ich wünsche eine komplette Überprüfung des Linearantriebs und aller relevanten Sekundärsysteme. Erklären Sie mir, was wir hier sehen und wieso es anders als letztes Mal keine Gefahr für uns darstellt. Wenn Ihnen das gelingt – und nur dann! –, werde ich diesen Flug nicht abbrechen. Sie haben vierundzwanzig Stunden. Los, an die Arbeit!«

Conrad Deringhouse scheuchte das Personal aus der Zentrale wie einen Gänseschwarm.

Der Rest des Tages bestand aus wenig mehr als Arbeit. Deprimierend fruchtloser Arbeit, denn sie konnten im laufenden Betrieb nicht viel mehr machen als das, was sie ohnehin schon taten. Wollten sie wirklich tiefer dringen, hätten sie das Triebwerk abschalten müssen. Das aber wollte noch niemand, am allerwenigsten Froser Metscho, der wahrscheinlich seine Karriere auf dem Spiel sah. Alle arbeiteten gegen die Zeit.

Am vierten Tag lud Giordano Ricci sie überraschend zum Essen ein.

»Wie ist das denn passiert?«, fragte Nadine Baya, als Silvia Taussig ihr mittags im Maschinenraum davon erzählte.

»Ich habe keine Ahnung, was er sich dabei denkt«, gestand sie. »Eigentlich haben wir genug andere Sorgen.«

»Vielleicht ist er einer dieser Typen, die erst unter Stress und Gefahr richtig aufblühen?«

»Ich weiß nicht«, zweifelte Silvia. »Er wirkte wirklich ziemlich angespannt. Er sagte, er müsse unbedingt mit mir reden.«

»Dann alles Gute.« Ihre Freundin zwinkerte. »Und jetzt hilf mir, diese Simulation abzuschließen. Wir haben Deringhouse fast so weit, dass er uns glaubt, dass wir den Libraschirm unter Kontrolle haben. Bloß Ian behauptet noch, dass die Phasenregulation ihm einen Fehler ausspuckt.«

Wie meistens behielt Nadine Baya recht und Ian Munroe unrecht. Der Libraschirm zeigte keinerlei Anzeichen von Fluktuation, und nach einer ausführliche Präsentation der Ergebnisse gab Conrad Deringhouse sich zähneknirschend geschlagen und ließ sie ihren Flug bis auf Weiteres fortsetzen.

Erleichtert beendete Silvia ihre Schicht. Wenn sie ehrlich war, war ihr gerade nicht nach einem Rendezvous zumute. Nach wie vor waren sie dem Kommandanten eine Antwort auf die Frage schuldig, was denn nun die Erklärung für das Verhalten der vermeintlichen Quallenwesen war. Das Einzige, worüber unter den Technikern Einigkeit herrschte, war, dass man es nicht wusste. Bis auf ein, zwei Exzentriker in ihren Reihen glaubte ja auch niemand, dass die Quallen überhaupt real waren.

Doch vielleicht brauchte sie jemanden zum Reden, und vielleicht tat es gut, gemeinsam mit Ricci an der Lösung des Problems zu arbeiten. Wenigstens ersparte ihnen das die Peinlichkeit, über ihre Gefühle zu reden.

»Vergessen wir mal Ians dummen Billardkugelvergleich«, fiel sie über ihn her, kaum dass sie mit ihren Essenstabletts in einer Ecke der verwaisten Messe Platz genommen hatten. Sie hatte sich geduscht und umgezogen, aber nicht wirklich hübsch gemacht. Was sie anging, war dies ein Arbeitstreffen – nicht mehr, nicht weniger. »Denken wir uns die FANTASY eher als ein Surfbrett, das mit seinem Halbraumfeld tief im Wasser liegt. Und diese Quallenwesen als die Gischt, die wir aufspritzen, und die in der Sonne funkelt. Regenbogen und alles.«

Ricci schien von der Eröffnung nicht überrascht, sondern hörte aufmerksam zu. Fast enttäuschte es sie – war er ebenfalls mit der Erwartung eines Arbeitstreffens gekommen? Er trug sogar noch seine Dienstuniform. Sein Essen hatte er noch ebenso wenig angerührt wie sie.

»Und jetzt hat die Gischt auf einmal ihre Farbe geändert«, schloss sie und breitete die Hände auf dem Tisch aus. »Wieso?«

»Du meinst, wir stören mit unserem Flug durch den Hyperraum irgendwas auf? Wie eine Luftverwirbelung, einen Interferenzeffekt?« Er überlegte. »Aber wieso die Änderung?«

»Er könnte sich während der zurückliegenden Tage immer weiter aufgebaut haben«, mutmaßte sie. »Wie eine Bugwelle.«

Er nickte nachdenklich, schien weder überzeugt noch ablehnend.

»Weshalb wolltest du mich sehen, Giordano?«

Er griff nach seinem Arbeitspad und schob es ihr über den Tisch. »Ich möchte, dass du dir das hier ansiehst.«

Sie studierte den Schirm des Pads. Komplexe Berechnungen zum Wechselspiel von Gravitationswellen und Hyperkristallen.

»Whoa«, murmelte sie und nippte an ihrem Glas. »Wie komme ich denn zu der Ehre? Krieg ich ein Zertifikat dafür?«

Er lächelte müde. »Ich grüble schon seit gestern darüber. Aber ich glaube ...« Er schüttelte den Kopf und korrigierte sich. »Es wäre denkbar, ... dass uns ein gravierender Fehler unterlief.«

Silvia schaute wieder auf das Pad. »Die Soll-Absorptionsraten der Schwingquarze kommen mir etwas spanisch vor.«

Er nickte. »Das ist genau das Problem. Wenn diese Berechnungen stimmen, müssen wir die komplette Rücksturzsequenz überdenken. Bei der gegenwärtigen Kalibrierung versuchen wir, dein Surfbrett zu bremsen, indem wir die Hände ins Wasser tauchen. Kein Problem, wenn man gemütlich im tiefen Wasser paddelt. Aber angenommen, da wäre eine Untiefe, und unter uns baut sich eine Welle auf, eine sehr große Welle, mit immenser Kraft ...«

»Dann bricht es uns die Arme und reißt uns vom Brett«, schloss Silvia. »Die Hyperkristalle können die hohen Energien nicht ableiten und überladen.«

»Das ist genau, was diese Zahlen sagen«, bestätigte Ricci. »Wenn ich richtig gerechnet habe.«

»Aber was sollte eine solche Welle verursachen? Was wäre die Untiefe, die wir nicht bedacht haben?«

Er zuckte die Achseln. »Neutronensterne, Schwarze Löcher vielleicht? Wir wissen einfach noch zu wenig über Hyperraumtopografie. Und deshalb kann ich auch nicht einschätzen, was mein kleines Rechenexempel wirklich taugt. Wenn meine Annahme stimmt, geben die Testläufe mir recht. Aber stimmt sie denn? Ich bastle seit heute früh daran herum, nur nebenher natürlich. Vielleicht ist es bloß eine fixe Idee ...«

»Du solltest es deinem Vorgesetzten zeigen«, sagte sie ernst. »Nicht deiner Untergebenen.«

Er nickte und leerte sein Glas. »Das ist die andere Sache, über die ich mit dir reden wollte.«

Etwas an seinem Tonfall verriet ihr, dass die eigentliche schlechte Nachricht erst noch kam. Sie hatte ihn noch nie so nervös erlebt. Wie ein Schüler, der plötzlich erkennt, dass er in einer Prüfung sitzt, auf die er sich nie vorbereitet hat.

»Erzähl's mir«, forderte sie ihn auf.

Er nickte dankbar, dann senkte er verschwörerisch die Stimme. »Ich hatte natürlich denselben Gedanken wie du: Diese Sache ist zu groß, aber vielleicht ist es nur Quatsch, damit kann ich nicht einfach zum Kommandanten, denn selbst mit Billardkugeln und Surfbrettern ist es einfach sehr kompliziert zu erklären – und was ist wahrscheinlicher? Dass ausgerechnet ich auf etwas komme, was sämtlichen Kollegen und ihren Superpositroniken nicht aufgefallen ist? Oder dass ich mich in etwas verrannt habe? Ich habe nicht mal einen Doktortitel.«

»Ich auch nicht, wenn es dich beruhigt.« Sie hätte nie gedacht, dass Ricci so unsicher war. Es machte ihn sympathisch, aber beruhigend fand sie es nicht.

»Ich wollte also erst mal zu Metscho. Es war kurz nach seiner Schicht, aber er war weder in der Zentrale noch im Maschinenraum. In seiner Kabine war er auch nicht. Ich hab ihn durch die Positronik suchen lassen und schließlich im Hangar bei der Space-Disk gefunden.«

»Was tat er denn da?«

»Er ... Er saß an eine der Landestützen gelehnt und weinte.«

Silvia schluckte. »Er was?«

Ricci war auf einmal ganz blass, als mache die Erinnerung an das Erlebte ihm Angst.

»Er war so aufgelöst, dass er mich erst gar nicht bemerkte. Ich stand bestimmt eine Minute mit dem Pad in der Hand da, bis er mich ansah.«

»Und dann?«

»Dann habe ich mich entschuldigt und versucht, mit ihm über ... unser Problem zu reden, doch er hörte mir nicht richtig zu. Er fing nur immer wieder von Juna an ...«

»Juna Baharum? Unserer alten Chefingenieurin?«

»Genau der – nach der die Space-Disk benannt ist.«

Silvia erinnerte sich. Baharum hatte bei den ersten Tests gern davon gesprochen, »den Drachen von der Leine« zu lassen. Daraufhin hatte sich der Spitzname DRAGON für die Disk eingeschlichen.

»Aber wieso? Was hat Juna denn ...« Sie biss sich auf die Lippe. »Au verdammt. Meinst du, sie wusste vielleicht von dem Absorptionsproblem?«

»Ich hab ehrlich keine Ahnung. Metscho redete nur immerzu von ihr ... und den Opfern, die wir alle gebracht hätten. Unseren Opfern, um hier zu sein.«

»Mein Gott«, sagte Silvia betroffen. »Das klingt wahrhaftig nicht gut ... Das ist nicht der Zustand, in dem ich mir meinen Chefingenieur gerade wünsche.«

»Nein«, pflichtete Ricci ihr bei. »Ist es nicht.«

»Meinst du denn, er ist dem Job noch gewachsen? Sollten wir ...«

»... zu Deringhouse gehen und Metscho anschwärzen? Jetzt? In dieser Situation?« Riccis Gesicht verriet deutlich, was er davon hielt. »Er wird uns fragen, ob wir nichts Besseres zu tun haben.«

»Haben wir das denn?«, fragte sie kleinlaut. »Eine bessere Möglichkeit? Was sollen wir tun? Wir haben vielleicht oder vielleicht auch nicht ein Problem mit dem Schiff. Und vielleicht oder vielleicht auch nicht haben wir einen Chefingenieur mit massiven persönlichen Problemen.«

»Der den Rest des Flugs trotzdem unser Vorgesetzter bleiben könnte«, gab er zu bedenken.

»Oder Zimmernachbar des Protektors auf der Medostation.«

Sie schauten einander an.

»Wenn du neuer Chefingenieur wirst, krieg ich dann ein richtiges zweites Date?«, fragte sie.

Das löste einen Augenblick die Spannung, und sie lachten.

»Wir machen Folgendes«, sagte er schließlich. »Deringhouse ist vorerst zufrieden, und wir haben noch gut achtzehn Stunden Flug vor uns. In dieser Zeit lassen wir noch einmal alles mit erweiterten Parametern von der Positronik überprüfen. Wenn das Ergebnis dasselbe bleibt, fragen wir die Pilotinnen, ob ihr MINSTREL vielleicht eine Meinung dazu hat. Und je nachdem, wie das läuft, gehen wir zu Deringhouse.«

»Und was, wenn sich das Problem weiter verschärft? Wenn die Welle, von der du vorhin geredet hast, immer größer wird?« Sie deutete auf das Pad. »Entschuldige, wenn ich mich irre, aber auf mich wirkt das so, als ob die Überladung der Hyperkristalle potenziell umso schlimmer wird, je länger der Antrieb läuft. Was unter anderem erklären würde, weshalb uns bei den Kurzflügen zur Wega und nach Spica nichts auffiel.«

»Das Wichtigste ist, dass wir im Fall einer Überladung rasch reagieren. Eine Kaskade würde wahrscheinlich in einer der Antriebsgondeln beginnen und von dort auf den Maschinenraum übergreifen. Wir müssen auf jeden Fall einen Reaktorbruch vermeiden. Die Kristallmatrizen können wir rekalibrieren, den Energiemeiler nicht.«

Sie ließ sich seinen Vorschlag durch den Kopf gehen. Versuchte, die verschiedenen Risiken und ihre Konsequenzen nüchtern abzuschätzen. »Aufs Beste hoffen, aber aufs Schlimmste gefasst sein?«

»So ungefähr.«

Silvia Taussig nickte. »So machen wir's.«

Er wirkte erleichtert.

»Und ... Giordano?«

»Ja?«

»Danke für dein Vertrauen.«

»Ich danke dir«, sagte Giordano Ricci. »Und wenn du mich mal brauchst, bin ich für dich da. Das verspreche ich dir.«

Das war der vierte Tag.

Perry Rhodan Neo Paket 22

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