Читать книгу Pulverdampf aus der Revolvermündung: Super Western Bibliothek 15 Romane und eine Kurzgeschichte - Pete Hackett - Страница 24

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Die Arrestzellen befanden sich in einem der wenigen Steinhäuser des Forts, weit von den Mannschaftsunterkünften und den sonstigen Gebäuden entfernt.

Direkt nebenan, unmittelbar an die Palisaden grenzend, ragten die Erdwälle des Munitionsdepots auf. Patronen für Revolver, Karabiner und Gewehre, aber auch für die Gatling-Maschinenkanonen lagerten dort. Loses Schwarzpulver hielt man nur noch in kleinen Mengen als Vorrat. Dafür aber Dynamit in verschiedenen Formen und auch Granaten für die zwei oder drei Haubitzen, die zu jedem Kavallerie-Regiment gehörten.

»Schön gemütlich hier«, sagte einer der Soldaten, als sie Frank auf den Arrestbau zu führten. »Ist ungefähr so, als würdest du auf einem Fass Schwarzpulver sitzen, und ein paar bescheuerte Indsmen versuchen, die Zündschnur in Gang zu kriegen.«

Die anderen lachten.

Frank fand es überhaupt nicht witzig. Wenn Angreifer Brandpfeile auf das Fort abfeuerten und dabei das Munitionsdepot trafen, ging das Arrestgebäude als Erstes mit in die Luft.

Drinnen gab es keine Wände, nur Gitterkäfige mit einem Vorraum und einem Mittelgang. Die kleinen Fenster, hoch in den Außenmauern, ließen die Sonnenstrahlen nur gebündelt herein, und die Gitterstäbe der Fensteröffnungen erzeugten zusammen mit den Eisengittern der Zellen bizarre Muster von rechteckigen und quadratischen Schatten auf dem Fußboden.

Letzterer bestand aus fest aneinandergefügten Steinplatten, Granit aus den Rocky Mountains vermutlich. Keine Chance also, ein Loch in die Erde zu graben und Maulwurf zu spielen.

In den Schattenzonen herrschte Halbdunkel. Im Vorraum brannte sogar eine Wandlampe. Deren schadhafter Docht erzeugte eine blakende Kerosinflamme.

Stimmengewirr erfüllte das Gemäuer. Doch es wurde still, als die Soldaten den Zivilisten hereinführten.

Schon auf den ersten Blick sah Frank, dass er hier der Einzige war, der keine Uniform trug.

Er fragte sich, ob der Regimentskommandeur überhaupt das Recht hatte, ihn einzusperren.

Die Frage war ziemlich überflüssig.

O’Hegarty hatte die Macht.

Und das genügte, so lange ihm keiner auf die Finger klopfte. Sinnlos also, sich über Recht oder Unrecht Gedanken zu machen. Fest stand nur, dass es ein Riesenfehler gewesen war, in dieses Fort zu reiten.

Helena wäre die richtige Adresse gewesen, die Hauptstadt des Bundesstaates Montana. Dort musste es unabhängige Regierungs-Dienststellen geben, hochrangige Persönlichkeiten, die sich von militärischem Säbelrasseln nicht beeindrucken ließen.

Doch Frank wusste, dass es für die Einsicht zu spät war.

An einen übleren Ort als diesen konnte er kaum noch geraten. Schwaden von Tabakrauch hingen in der Luft und stiegen hinauf in die sonnenerhellten Fensterschächte. Es roch nach schalem Bier und billigem Fusel.

An dem Tisch im Vorraum saßen vier Männer und pokerten, zwei Aufseher und zwei Häftlinge. Letztere waren an den Fußketten zu erkennen, die sie trugen. Die Aufseher waren Corporals. Ihre Uniformjacken hatten sie abgelegt, die Hemdsärmel aufgekrempelt. Die Koppel mit den Revolvern in den geschlossenen Holstern hingen über den Stuhllehnen.

In fünf der insgesamt acht Zellen hockten jeweils zwei Männer auf den Pritschen. Überall standen Bier- und Whiskyflaschen auf dem Fußboden unter den Pritschen, vor den Pritschen. Und Zigaretten, Zigarren und Pfeifentabak gab es offenbar im Überfluss. Auf einer Bank neben der Tür standen die benutzten Essgeschirre vom Frühstück.

Alle Arrestanten, das bemerkte Frank im Vorbeigehen, trugen Fußketten mit eisernen Schellen an den Beinen, in Knöchelhöhe.

Die Soldaten führten Frank ganz nach hinten und sperrten ihn in die leere Zelle rechts im Winkel der Wände.

»Freu dich nicht zu früh«, sagte ein Soldat, der die Gedanken des neuen Gefangenen ahnte. »Sobald der Schmied nüchtern ist, kriegst du auch deine Eisen.«

Gelächter erscholl aus den Zellen.

»Dann kriegt er sie nie!«, dröhnte ein Bass aus der Zelle, die der von Frank gegenüber lag. »Weil der Drecksack von einem Schmied nie nüchtern ist!«

Gelächter ertönte.

»Unsere Schellen sitzen nicht ohne Grund alle schief!«, rief einer.

»Und wenn du nicht aufpasst, brät der Suffkopf dir ein Brandzeichen ins Fell«, tönte ein anderer.

Und wieder dröhnte Gelächter durch den großen Raum mit seinen Eisengittern.

Die Gittertür von Franks Zelle fiel scheppernd zu. Einer der Aufseher schlurfte herbei und schloss ab. Die Soldaten verließen das Gebäude, und vorn machten die Pokerspieler weiter.

Frank setzte sich auf den Rand seiner Pritsche. Sie war an der Außenwand befestigt, sodass er den gesamten Raum überblicken konnte.

Nur die vier von der Pokerrunde kümmerten sich um sich selbst. Alle anderen Augenpaare waren auf den Neuen gerichtet.

Eine Weile sagte niemand ein Wort.

Dann, unvermittelt, meldete sich die Bassstimme von gegenüber.

»Zivilist, was?«

»Mensch«, erwiderte Frank und blickte hinüber.

Der Inhaber des Basses war ein vierschrötiger Kerl mit flacher Stirn und dicken Nackenwülsten. Oben war sein Schädel blank, nur ein handtellerbreiter dunkler Kranz war von seiner einstigen Haarpracht übrig geblieben. Er trug ein einfaches Leinenhemd mit kurzen Ärmeln, wie die anderen auch.

»Was?«, grunzte er. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. Der Blick, mit dem Frank ansah, begann zu glimmen.

Einer, vor dem man sich in Acht nehmen musste, das erkannte Frank, ohne zweimal hinsehen zu müssen.

»Ich bin ein Mensch«, erklärte er, damit der andere es nun auch verstand. »Ich heiße Frank Harrison, und bei mir gibt's keine Unterschiede zwischen Leuten in normalen Klamotten und Leuten in Uniform.«

Der Vierschrötige verzog der Gesicht scheinbar beeindruckt.

»Habt ihr das gehört?«, rief er in die Runde. »Wir haben hier einen Mr. Harrison, und wie es aussieht, ist er ein ganz edelmütiger Knabe.«

Die Kerle lachten wie auf Kommando.

»Pass bloß auf, Zivilist Harrison!«, rief der zweite Mann in der Zelle des Vierschrötigen, ein drahtiger Kerl mit einem Fuchsgesicht. »Hier wird nur nach einer Pfeife getanzt, und die spielt Master Sergeant Ryan Pratt. Verstanden?«

Der Vierschrötige grinste geschmeichelt. »Degradiert zum einfachen Soldaten«, sagte er volltönend, als handelte es sich um einen Orden, den er erhalten hatte.

»Eine Schweinerei war das«, ereiferte sich der Fuchs. »Nur weil Ryan ein paar ausgemusterte Armee-Schießeisen verschachert hat - an Indsmen, die sowieso nicht damit umgehen können. Da machen diese Hurensöhne in Washington gleich so einen Aufstand daraus. Unser Colonel hätte die Sache einfach unter den Tisch fallen lassen.«

»Das kann ich mir denken«, bemerkte Frank bitter.

»He, he!«, rief Ryan Pratt grollend. »Was hast du gegen O’Hegarty? Oder ...«, seine Stimme senkte sich zu einem lauernden Klang, »bist du ein Spion, den er hier einlochen musste? Damit du uns belauschst und später vor Gericht als Zeuge gegen uns aussagen kannst?«

»Blödsinn!«

Pratts Augen wurden schmal, als er zischte. »Weshalb bist du hier, Harrison? Los, spuck's aus!«

»Lasst mich einfach in Ruhe«, erwiderte Frank. »Ich kümmere mich nicht um euch, und ihr kümmert euch nicht um mich. So einfach ist das.«

Pratt schüttelte den Kopf. »Nicht, so lange du meine Frage nicht beantwortet hast. Zwing mich nicht, dich aus deiner Zelle holen zu lassen, damit die Jungs es aus dir herausprügeln.« Mit einer Kopfbewegung deutete er auf die Aufseher vorn am Tisch und dann, mit einer zweiten Kopfbewegung auf die übrigen Zelleninsassen.

Deren Augen leuchteten voller Vorfreude, und sie rieben sich die Handknöchel in der Aussicht auf ein wenig Abwechslung.

Frank horchte auf, doch er ließ sich nichts anmerken.

Ryan Pratt bestimmte also, was hier im Arrestgebäude lief - wenn auch nur bis zu einer gewissen Grenze. Über die Steinmauern des Gebäudes ging Pratts Macht jedenfalls nicht hinaus.

Frank beschloss, klein beizugeben.

»Ich bin ins Fort gekommen, um mich zu beschweren«, erklärte er. »Ich habe mitgekriegt, wie eure Leute einen Transport von Nez Perces behandeln. Da ist mir der Kragen geplatzt. Aber den Colonel scheint das alles nicht zu interessieren. Der hat sich nur für die Indianerin interessiert, die bei mir war. Sie hat er dabehalten, und mich hat er einsperren lassen.«

»Das sieht ihm ähnlich, dem alten Bock!« Ryan Pratt grölte los, er prustete und schnaufte und hieb sich auf die Schenkel.

Die ganze Meute folgte seinem Beispiel. Auch die beiden sogenannten Aufseher wieherten und johlten mit.

Der Arrestbau war erfüllt vom Lärm der Stimmen, und es dauerte geraume Zeit, bis es wieder ruhig wurde.

»Harrison ...«, sagte Ryan Pratt gedehnt, in die erneute Stille hinein, »du bist also ein Indianerfreund?«

Frank erschrak. Verdammt, hatte er einen Fehler gemacht? Diese Kerle verkauften den Indianern zwar Waffen, aber deshalb standen sie offenbar keineswegs auf deren Seite.

»Ich bin für Gerechtigkeit«, sagte er standhaft. »Und die gilt für alle Menschen.«

Pratt nickte bedächtig und scheinbar friedfertig. »Das sagt unser neuer Präsident auch. Über den haben wir gerade gesprochen, als du reingekommen bist. Der hat es nämlich nicht nur mit den Indsmen, sondern auch mit d en Niggern - unten im Süden.«

»Und das ist für uns eine verdammte Scheiße!«, rief ein rotbärtiger Hüne in Pratts Nachbarzelle.

»Wir sind nämlich die Ersten, die sie aus der Army rausschmeißen«, ereiferte sich ein Glatzkopf in der übernächsten Zelle.

»Kein Wunder«, hätte Frank am liebsten gesagt, »den Abschaum schafft sich die Armee zuerst vom Hals.«

Laut sagte er: »Präsident Hayes ist ein vernünftiger Mann. Man kann nur hoffen, dass er sich mit seinen Plänen durchsetzt.«

Pratt starrte ihn durch die Gitterstäbe an. Im nächsten Moment röhrte er los.

»Nun hört euch das ein! Ein Kuhtreiber, der was von Politik verstehen will!«

In den Nachbarzellen setzte erneutes Gewieher ein.

Pratt sorgte mit einer Handbewegung für Ruhe. Er beugte sich zum Mittelgang vor und bedachte den neuen Gefangenen mit einem schadenfrohen Grinsen.

»Du hast übrigens ausgesprochenes Pech, mein Junge. Wärst du jetzt frei, könntest du nämlich nach Helena reiten und mit deinem Indianerfreund Präsidenten quatschen. Der kommt nämlich übermorgen da an. Will an die Westküste. Ja, wirklich, der hat sich in den Kopf gesetzt, der erste Präsident zu sein, der an die Westküste reist. Und unterwegs schwingt er Reden und erzählt den Leuten, wie gut ma n Nigger und Rothäute behandeln muss.«

Erneut lachten die Kerle in den Zellen, was das Zeug hielt. In ihren Augen wusste Master Sergeant Ryan Pratt natürlich über alles Bescheid - und zwar besser, als jemals ein Präsident der Vereinigten Staaten über irgendetwas Bescheid wissen konnte.

Frank Harrison dagegen war plötzlich aufgeregt wie ein kleiner Junge, und er musste sich höllisch zusammenreißen, um es sich nicht anmerken zu lassen.

Präsident Hayes in Helena!

Du lieber Himmel, das war die Lösung!

Er musste mit Hayes reden, der Präsident musste ihn anhören. Nur er konnte den Nez Perces helfen. Denn nur er hatte mehr Macht als die Armeeführung.

Zum Glück beachteten ihn Ryan Pratt und seine Kumpane nicht mehr. Sie fingen an, sich über die Indianerfreunde in Washington das Maul zu zerreißen. Denn deren Pläne würden zwangsläufig dazu führen, dass die Zahlenstärke der US Army verringert wurde.

Soldaten wie Pratt und Konsorten, die vor zivilen Gerichten zu Gefängnisstrafen verurteilt worden wären, würden als Erste gefeuert werden. Unehrenhafte Entlassung bedeutete das, keinerlei Rechte mehr, keinerlei Ansprüche an den Staat.

Rutherford Birchard Hayes, der neunzehnte Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, hatte am 4. März dieses Jahres - 1877 - seinen Amtseid im Weißen Haus in Washington abgelegt.

Schon in seinem vorherigen Amt, als Gouverneur von Ohio, hatte er sich dafür eingesetzt, dass die Besatzungszeit in den Südstaaten ein Ende haben müsse. Viele seiner politischen Freunde waren der gleichen Ansicht.

Neue Gesetze sollten sicherstellen, dass die Rechte der »Freedmen«, der befreiten Sklaven, auch ohne Militärpräsenz durchgesetzt werden konnten.

Die im Süden als Bewacher stationierten Unionstruppen verursachten enorme Kosten. Die konnte man einsparen, indem man die meisten Einheiten aus dem Süden abzog. Danach konnte dann die gesamte Armee verkleinert werden, zumal versucht werden sollte, das Indianerproblem am Verhandlungstisch zu lösen.

Rutherford B. Hayes hatte bereits mehrere Delegationen von Häuptlingen empfangen, die als politisch gemäßigt galten. Über sie wollte er auch auf jene Stammesführer Einfluss nehmen, die sich noch immer mit kriegerischen Mitteln gegen die Anwesenheit des Weißen Mannes wehrten.

Präsident Hayes würde schockiert sein, wenn er erfuhr, wie die Arme mit den Nez Perces - und sicherlich auch mit anderen Indianerstämmen - umging.

Übermorgen in Helena ...

Der Gedanke ließ Frank nicht mehr los.

Verdammt, er musste es schaffen!

Es musste ihm gelingen, den Präsidenten auf seiner Reise an die Westküste abzufangen.

Er musste sowieso raus aus diesem elenden Loch, und zwar, bevor ihn der besoffene Schmied in Ketten legte.

Frank rief sich innerlich zur Ruhe. Er legte sich auf die Pritsche, blickte in die Sonnenstreifen und hörte den Wortwechsel der Gefangenen schon bald nicht mehr. Er konzentrierte sich auf die Möglichkeiten, die er hatte.

Und schon bald reifte ein Plan in seinem Kopf.

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