Читать книгу Pulverdampf aus der Revolvermündung: Super Western Bibliothek 15 Romane und eine Kurzgeschichte - Pete Hackett - Страница 35
Über den Autor
ОглавлениеUnter dem Pseudonym Pete Hackett verbirgt sich der Schriftsteller Peter Haberl. Er schreibt Romane über die Pionierzeit des amerikanischen Westens, denen eine archaische Kraft innewohnt, wie sie sonst nur dem jungen G.F.Unger eigen war - eisenhart und bleihaltig. Seit langem ist es nicht mehr gelungen, diese Epoche in ihrer epischen Breite so mitreißend und authentisch darzustellen.
Mit einer Gesamtauflage von über zwei Millionen Exemplaren ist Pete Hackett (alias Peter Haberl) einer der erfolgreichsten lebenden Western-Autoren. Für den Bastei-Verlag schrieb er unter dem Pseudonym William Scott die Serie "Texas-Marshal" und zahlreiche andere Romane. Ex-Bastei-Cheflektor Peter Thannisch: "Pete Hackett ist ein Phänomen, das ich gern mit dem jungen G.F. Unger vergleiche. Seine Western sind mannhaft und von edler Gesinnung."
Hackett ist auch Verfasser der neuen Serie "Der Kopfgeldjäger". Sie erscheint exklusiv als E-book bei CassiopeiaPress.
Ein CassiopeiaPress E-Book
© by Author www.Haberl-Peter.de
© der Digitalausgabe 2013 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Adam Browning beschattete die Augen mit der linken Hand, beobachtete kurze Zeit den Reiter, der im Süden der Ranch auf einem Hügel verhielt, und rief dann: "Dee, da kommt einer von Süden herauf. Hat er denn das Schild nicht gesehen, das Unbefugten das Betreten der Weide der Osborne-Ranch verbietet?"
Dee Burnett kam aus dem Haupthaus und trat neben Browning an das Vorbaugeländer. "Wir werden es dem Narren mit Nachdruck klar machen, dass er hier nichts verloren hat. Lass ihn nur näher kommen." Dee Burnett griff nach seinem Revolver und lüftete ihn etwas im Holster.
Der Reiter trieb sein Pferd an. Im leichten Trab näherte er sich der Ranch. Er hatte sich den Hut tief in die Stirn gezogen. Da er die Sonne hinter sich hatte, lag sein Gesicht im Schatten. Die beiden Cowboys der Osborne-Ranch hatten keine Ahnung, dass sich ihnen Unheil und Tod auf stampfenden Hufen näherte...
Der Fremde lenkte sein Pferd in den Ranchhof. Unter den Hufen wirbelte gelber Staub. Das Pferd prustete. Eine Gebisskette klirrte.
Aus dem Stall war Jim Holladay getreten. Es war der dritte Mann, den Wes Osborne auf der ehemaligen Warner-Ranch stationiert hatte. Er hielt eine Forke in den Händen. Jetzt lehnte er sie weg und zog seinen Revolvergurt in die Höhe. Fast gemächlich schlenderte er hinüber zum Haupthaus. Es handelte es sich um ein ziemliches neues Gebäude aus Balken und Brettern.
Beim Brunnen in der Mitte des Ranchhofes hielt der fremde Reiter an. Er hob sein rechtes Bein über das Sattelhorn und glitt vom Pferd.
Es war ein großer Mann mit breiten Schultern und schmalen Hüften. Gekleidet war er wie ein Cowboy. Ein schwerer Revolver steckte im offenen Holster an seiner rechten Seite. Jetzt schob er sich den schwarzen, flachkronigen Stetson ein wenig aus der Stirn. Sein Gesicht war schmal und sonnengebräunt und wurde von einem dunklen Augenpaar beherrscht. Er verfügte über ein kantiges Kinn, was Energie und Willenskraft verriet. Dunkle Haare lugten unter seinem Hut hervor.
Er ließ den Ledereimer in die Tiefe sausen. Die drei Männer, die ihn anstarrten, beachtete er nicht. Die Winde quietschte, als er den vollen Eimer in die Höhe hievte.
Adam Browning und Dee Burnett wechselten einen bedeutungsvollen Blick. "Entweder hat der Bursche was an den Augen, oder er hat nicht alle Tassen im Schrank", presste Browning mit schmalen Lippen hervor. Dann erhob er seine Stimme und rief: "Hi, Fremder. Du benimmst dich, als wärst du hier zu Hause."
Der Mann stellte den vollen Eimer vor das Pferd hin. Sofort tauchte das Tier seine Nase hinein. Dann wandte sich der Fremde Adam Browning zu. Diese zuckte zusammen wie unter einem Peitschenhieb. "Goddam!", entfuhr es ihm und über sein Gesicht lief der Schimmer des jähen Erkennens. "John Warner!" Seine Rechte legte sich auf den Revolvergriff.
"Sehr richtig", sagte Warner und nickte. "Du siehst das schon richtig, ich bin hier zu Hause."
Browning schluckte.
Auch Dee Burnett hatte die Hand auf den Coltknauf gelegt. Er fixierte John Warner wie eine außerirdische Erscheinung.
Jim Holladay hatte angehalten. Breitbeinig stand er da, seine Arme baumelten locker von den Schultern, doch es war deutlich, dass er trotz seiner lässigen Haltung unter lauernder Anspannung stand.
Die Atmosphäre auf dem Ranchhof mutete plötzlich gefährlich und unerträglich an.
John Warner ließ erneut seine Stimme erklingen: "Ich denke, Osborne hat meine Ranch zu einem Außenwerk umfunktioniert. Er hat ein neues Wohngebäude errichten lassen. Aber das war er mir wohl schuldig, nachdem er mein Wohnhaus in Schutt und Asche legte."
"Was willst du, Warner?"
"Das fragst du, Browning?" John Warner schürzte die Lippen. "Du warst doch dabei, als mich Dave Sherman am Lasso über den Hof schleifte, bis mir die Haut in Fetzen von den Knochen hing. Nun, es hat einige Zeit gedauert, bis ich wieder gesund wurde und mich überwand, nach Hause zu reiten." Warners Stimme sank herab. Abgehackt sagte er: "Ich will meine Ranch zurück, Browning. Mit allem, was dazugehört. Ich sehe, dass die Corrals fast leer sind. Meine Pferde finde ich sicherlich auf der Osborne-Ranch. Bestellt Osborne, dass ich sie mir holen werde. Und nun packt euren Krempel und verschwindet. Ihr habt eine halbe Stunde Zeit. Nach Ablauf der halben Stunde mache ich euch Beine."
"Du scheinst in den wenigen Wochen, seit wir dich aus dem Land jagten, größenwahnsinnig geworden zu sein, Warner. Ja, ich war dabei, als dich Sherman über den Ranchhof schleifte. Scheinbar hat dir das nicht gereicht. Nun, wir werden dich eben noch einmal zurechtstutzen. Was wir von dir übrig lassen, werden wir zusammenfegen und an die Schweine verfüttern."
"Dann fangt mal an", stieß John Warner hervor, und dann ging alles blitzschnell.
Die Osborne-Männer rissen ihre Revolver heraus.
John Warners Zug war eine huschende Bewegung von Hand, Arm und Schulter.
Und dann sangen die Waffen ihr tödliches Lied. Die Detonationen verschmolzen ineinander, rollten hinaus in die Prärie und verhallten mit geheimnisvollem Geraune. John Warner lag am Boden, rollte herum, feuerte, wälzte sich erneut herum... Die Männer Osbornes wurden von den Treffern geschüttelt und brachen zusammen.
Pulverdampf wölkte nebelhaft und zerflatterte. Die Stille, die nach den Schüssen eintrat, war bleischwer und erdrückend.
John Warner erhob sich. Er hielt den Colt im Anschlag und richtete ihn abwechselnd auf die drei schlaffen Gestalten. Zwei lagen auf der Veranda, die dritte im Hof. Leises Wimmern war zu hören. Es kam von dem Burschen, der im Hof lag. Die gebotene Vorsicht nicht außer Acht lassend schritt Warner zu ihm hin und ging auf das linke Knie nieder.
Jim Holladays Lider zuckten. Er atmete stoßweise und rasselnd. Er hatte die Kugel in die rechte Brustseite bekommen. John Warner erkannte, dass hier ohne ärztliche Hilfe nichts zu machen war.
Er richtete sich auf und schritt zum Ranchhaus, stieg die vier Stufen zur Veranda hinauf und beugte sich über Adam Browning. Der Bursche war tot. Warner ging zu Burnett hin. Auch Burnett hatte eine Kugel in die Brust bekommen. Er war besinnungslos.
John Warner holsterte den Revolver.
Er holte einen flachen Farmwagen aus der Remise, schirrte ein Pferd aus dem Corral ein und holte einige Arme voll Stroh aus dem Schober, das er auf der Ladefläche des Fuhrwerks verteilte. Zuletzt legte er die beiden Verwundeten und den Toten auf den Wagen. Und dann kümmerte sich John Warner um sein Pferd. Er nahm dem Tier Sattel und Zaumzeug ab und trieb es in den Corral...
*
John Warner hielt das Gespann vor dem Sheriff's Office in Logan an. Die Stadt lag am North Fork des Solomon River. Menschen blieben auf den Gehsteigen stehen und beobachteten Warner. Er zog den Bremshebel an, wickelte die Zügel darum und sprang vom Bock.
Die Stadt hatte sich nicht verändert. Die Main Street lag im Sonnenglast. Kinder spielten am Fahrbahnrand. Einige Hunde lagen faul in den Schatten. In einer Gassenmündung standen drei Frauen und unterhielten sich.
Die Stadt vermittelte Ruhe und Frieden.
Die Tür des Sheriff's Office öffnete sich und ein hochgewachsener, hagerer Mann trat auf den Vorbau. An seiner schwarzen Lederweste blinkte der Sechszack. Er kniff die Augen eng, seine Lippen sprangen auseinander. "Du bist also zurückgekehrt, John. Und du hast dich mit Pulver und Blei zurückgemeldet, wie ich sehe."
"Ich schoss in Notwehr", versetzte Warner. "Als ich die Kerle aufforderte, von meiner Ranch zu verschwinden, zogen sie die Revolver. Adam Browning bezahlte mit dem Leben. Die beiden anderen sind schwer verwundet."
"Das wird Osborne nicht schlucken." Der Sheriff stieg vom Vorbau und kam auf die Fahrbahn. Als er neben John Warner trat, konnte man sehen, dass die beiden Männer gleich groß waren. Donegan richtete den Blick seiner pulvergrauen Augen auf Warner. "Diesmal wird er es nicht dabei belassen, dich aus dem Land zu jagen, John."
"Damit rechne ich, Matt. Doch diesmal soll sich Osborne an mir die Zähne ausbeißen. – Was hast eigentlich du unternommen, nachdem ich verschwunden war und sich Osborne mein Land unter den Nagel riss. Hast du dem verdammten Weidepiraten keine Fragen gestellt?"
"Du warst fort, John. Niemand wusste genau, was geschehen war. Osborne trieb sein Vieh auf dein Land, er ließ deine Ranch wieder aufbauen und machte sie zu einem Außenwerk der Osborne-Ranch. – Nein, ich stellte keine Fragen."
"Du hast dich schon immer herausgehalten, wenn es um Osborne-Interessen ging, Matt. Sicher, du bist gut dabei gefahren. Osborne hat dir den Stern nicht von der Weste gerissen. Es ist der Weg des geringsten Widerstandes, den du immer gegangen bist."
"Du schätzt mich falsch ein, John", grollte Matt Donegan. "Es ist nicht der Weg des geringsten Widerstandes, den ich immer gegangen bin, sondern ich habe mich immer nur den Verhältnissen angepasst und..."
"Du musst dich vor mir nicht rechtfertigen, Matt", stieß Warner hervor und unterbrach den Sheriff. "Ich übergebe dir die beiden Verwundeten und den Toten, damit du die nötigen Schritte in die Wege leiten kannst. Wenn die Kerle abgeladen sind, dann lass mir das Gespann zum Saloon bringen."
"Wirst du..." Der Sheriff zögerte, nagte an seiner Unterlippe, gab sich einen Ruck und hub noch einmal an. "Wirst du Mae besuchen?"
"Natürlich. Sie muss wissen, dass ich wieder zurück bin. Du weißt ja, dass Mae und ich so gut wie verlobt waren. Es hat sich nichts geändert."
"Du hast die Gegend sang- und klanglos verlassen. Wochenlang hörte niemand von dir ein Lebenszeichen. Mae fühlte sich von dir versetzt. Ich denke, sie ist nicht gut auf dich zu sprechen."
"Du hast diese Situation doch sicher ausgenutzt und ihr den Hof gemacht, Matt. Wie weit bist du gekommen bei ihr? Hat sie dein Werben erhört?"
Matt Donegan senkte den Kopf und starrte auf seine Stiefelspitzen hinunter. Plötzlich hob er das Gesicht, sah John Warner fest an und sagte: "Niemand rechnete mehr damit, dass du jemals wieder nach Hause zurückkehrst, John. Mae hat angefangen, es nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit dem Herzen zu akzeptieren. Doch jetzt tauchst du wieder auf und bist drauf und dran, hier eine Stampede vom Zaun zu brechen. Du hast keine Chance gegen Osborne. Er wird dich hinwegfegen. Und Mae wird wieder bittere Tränen deinetwegen vergießen. Warum bist du zurückgekehrt?"
"Einige Vorfälle in den vergangenen Wochen haben mir die Augen geöffnet, Matt. Dave Sherman hat mich nicht zerbrochen, als er mich am Lasso hinter seinem Pferd her schleifte. Ich habe gelernt, dass ein Mann kämpfen muss, wenn er anders seinen Platz nicht behaupten kann. Davonzulaufen ist sinnlos. Die Vergangenheit holt dich immer wieder ein. Man muss seine Ängste und Zweifel ganz einfach nur überwinden oder abschütteln."
Mit dem letzten Wort wandte John Warner sich ab und ließ den Sheriff stehen. Er stiefelte schräg über die Fahrbahn auf den Store zu.
Matt Donegans Brauen hatten sich zusammengeschoben. Zwei steile Falten hatten sich über seiner Nasenwurzel eingekerbt. Düster blickte er John Warner hinterher. Sein Gesicht war Spiegelbild seiner Empfindungen. Es gefiel ihm nicht, dass Warner zurückgekehrt war.
John Warner betrat den Store. Die Türglocke bimmelte. Hinter der Ladentheke stand ein grauhaariger Mann von etwa 50 Jahren.
Warner grüßte.
Der Grauhaarige sagte: "Ich habe Sie schon gesehen, Warner. Sie haben also auf die Heimatweide zurückgefunden. Hoffentlich bereuen Sie es eines Tages nicht. Mit Wes Osborne ist nicht zu spaßen. Er hat Sie einmal verjagt, und er wird Sie wieder verjagen."
"Er wird es versuchen, Mr. Hopkins. Doch ich habe mir vorgenommen, mich nicht noch einmal vertreiben zu lassen. Ist Mae zu sprechen?"
Carl Hopkins verzog das Gesicht. Ein abweisender Zug setzte sich um seinen Mund fest. Er knurrte: "Lassen Sie die Finger von Mae, Warner. Sie haben keine Zukunft. Dieser Landstrich lebt im Schatten der Osborne-Ranch. Für Sie ist hier kein Platz. Also klemmen Sie sich ihren Gaul wieder zwischen die Beine und reiten Sie. Es ist ein gut gemeinter Ratschlag..."
"John!" Es war die Stimme einer Frau, die den Namen rief. Sie stand in der Tür, die in das Lager führte. "John, mein Gott, du bist heimgekehrt!" Sie lief auf ihn zu und warf sich in seine Arme. "Dem Himmel sei dank! Du bist wieder hier."
Sie lachte und weinte.
John Warner schob sie ein wenig zurück. Seine Hände lagen um ihre Oberarme. "Ja, Mae, ich bin nach Hause zurückgekehrt." Er lächelte. Es war ein starres Lächeln, an dem die Augen nicht teilnahmen. "Aber mir scheint, einige Gentlemen sind darüber ganz und gar nicht erfreut."
"Warum bist du damals nicht in die Stadt gekommen, John?" Mae schniefte. Eine Locke ihres blonden Haares fiel ihr in die Stirn. Aus großen, blauen Augen blickte sie ihn an. Ihre Lippen bebten. In ihrem hübschen Gesicht zuckten die Nerven. Die Freude drohte sie zu überwältigen. "Weshalb bist du wochenlang verschwunden? Es ist einiges durchgesickert, was Dave Sherman mit dir anstellte. Du hättest doch..."
Warner schüttelte den Kopf.
Mae hielt inne.
"Sie haben mich fertig gemacht, Mae. Sherman hat mich hinter seinem Pferd her am Lasso kreuz und quer über den Ranchhof geschleift. Dann gebot er mir, das Land zu verlassen und mich nie wieder hier blicken zu lassen. Ich war am Ende. Und ich hatte Angst – erbärmliche Angst, dass sie mich noch einmal zurechtstutzen oder vielleicht sogar töten würden. Ich wäre auf allen Vieren aus dem Land gekrochen, um ihnen nicht noch einmal in die Hände zu fallen."
"So groß kann Ihre Angst nicht sein, Warner", blaffte Carl Hopkins.
Warner achtete nicht auf ihn. Sein Blick versank in dem Maes. "Hat sich zwischen uns etwas geändert, Mae?"
"Nein, John. Ich liebe dich, und das weißt du. Ich werde dich immer lieben. Egal, was geschieht."
"Er ist ein Verlorener", knurrte ihr Vater. "Osborne wird ihn mit der Peitsche aus dem Land prügeln."
John Warner schenkte seine Aufmerksamkeit dem Storebesitzer. "Mir ist etwas erhalten geblieben, Hopkins", stieß er hervor, "etwas, das euch allen in dieser Stadt fehlt. Stolz, Hopkins. Sherman hat ihn nicht brechen können. Er hat mich zurückgetrieben. Und er wird mir helfen, mich zu behaupten."
"Verrückter Stolz, Warner", versetzte Carl Hopkins. "Er wird Sie in die Hölle führen."
"Wir werden es sehen", sagte John Warner. Dann blickte er wieder in Maes Gesicht. "Lass uns ein Stück gehen, Mae. Ich denke, es gibt eine Menge zu erzählen."
Carl Hopkins schwieg, als Warner und seine Tochter den Laden verließen. Die Ladenglocke bimmelte einige Male. Das Geräusch riss den Storehalter aus seiner gedanklichen Versunkenheit. Er schmetterte die Faust auf den Ladentisch. "Zur Hölle mit dir, John Warner!"
Carl Hopkins wollte seine Tochter glücklich sehen. John Warner aber würde sie ins Unglück stürzen. Davon war er in diesen Minuten felsenfest überzeugt.
*
Mae und John Warner gingen Arm in Arm bis zum Stadtrand. Das Paar erregte Aufmerksamkeit. Sheriff Matt Donegan überquerte weit hinter ihnen die Straße, um den Arzt in Kenntnis zu setzen, dass er sich um die beiden Verwundeten auf dem Fuhrwerk kümmern müsse. Er blieb stehen und starrte zwischen engen Augenschlitzen hervor hinter den beiden her. Sein Gesicht war wie aus Stein gemeißelt.
Warner sagte: "Ich war am Arkansas River und habe dort den Farmern gegen einen mächtigen Weidepiraten beigestanden. Das hat mir geholfen, zu mir selbst zurückzufinden. Ich konnte mich dem Drang, nach Hause zurückzukehren und um meinen Grund und Boden zu kämpfen, nicht mehr widersetzen. Aber der Hauptgrund, der mich zurückführte, warst du, Mae. Dein Vater ist gegen unsere Verbindung. Er hält mich für einen Verlierer. Wie stehst du zu mir nach allem?"
"Ich war zunächst enttäuscht, John, als du sang- und klanglos verschwunden warst. Wochenlang hörte ich nichts von dir. Einige Zeit war ich sogar davon überzeugt, dass dich die Schießer Osbornes getötet haben und deinen Leichnam irgendwo in der Wildnis verschwinden haben lassen." Mae blieb stehen, wandte sich ihm zu und schaute hinauf in sein Gesicht. "Aber du lebst und bist zurückgekehrt. Alles wird gut, John. Ich liebe dich."
"Hat dir Matt Donegan den Hof gemacht?"
Mae lächelte herb. "Nicht nur er. Auch Wes Osborne bemühte sich plötzlich um mich. Dad meint, an seiner Seite hätte ich ausgesorgt."
"Hättest du sicher."
"Aber ich liebe Osborne nicht. Und ich heirate keinen Mann, den ich nicht liebe. Ich habe es Dad gesagt. Es gefiel ihm nicht. Ich habe auch Osborne gegenüber keinen Zweifel aufkommen lassen. Er meinte, dass ich meine Meinung noch ändern würde." Mae stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste John Warner auf den Mund. "Ich will nur einen, John, und das bist du. Ich bin glücklich, dass du wieder daheim bist. Du hast das Recht auf deiner Seite. Matt wird dir in deinem Kampf gegen Osborne beistehen müssen."
"Ich habe mit Matt gesprochen. Er wird sich raushalten, wie er sich immer herausgehalten hat, wenn irgendwelche Belange Osbornes berührt wurden. Ich habe einen Osborne-Mann getötet und zwei andere schwer verwundet. Sicher ist bereits ein Mann aus der Stadt unterwegs, um dies Osborne zu melden. – Matt wird den Kopf in den Sand stecken. Der Stern an seiner Brust ist ein Hohn. Aber ich brauche Matt nicht. Ich werde meine Angelegenheiten alleine regeln."
Mae war erschrocken. Ihre Stimme schwankte, als sie sagte: "Es – es ist schon zu einem Kampf gekommen?"
"Ja, auf meiner Ranch. Osbornes Männer griffen zu den Waffen. Ich musste mich wehren."
Mae lehnte die Stirn an John Warners Brust. "Großer Gott, John, Wes Osborne wird ein Rudel unter Shermans Führung schicken. Sie haben dich schon einmal besiegt. Nachdem du einen von Osbornes Männern getötet und zwei verwundet hast, werden sie nicht lange fackeln..."
Aus jedem Zug ihres ebenmäßigen Gesichts sprachen Angst und Sorge. Fast zaghaft sagte sie: "Ich wäre bereit, mit dir das Land zu verlassen, John. Wir sind beide jung, wir können arbeiten, und wir könnten uns – irgendwo weit weg – ein neues Leben aufbauen. Ein Leben in Ruhe und Frieden."
John Warners Miene verschloss sich. "Nein!", stieß er fast zornig hervor. "Ich werde nicht noch einmal fliehen. Wie sollte ich jeden Morgen mein Gesicht im Spiegel betrachten, wenn ich erneut die Flucht vor Osborne ergreifen würde? Ich würde mich selbst dafür hassen, Mae. Bei Gott, Flucht ist keine Lösung. Ich würde mein Selbstbewusstsein verlieren und den Stolz, der wieder in mir erwacht ist, einbüßen. Willst du das? Wünscht du dir einen Mann, der an seiner eigenen Feigheit zerbrochen ist?"
"Es ist eine Art selbstmörderischer Stolz, der dich leitete, John. Aber du kannst wohl nicht aus deiner Haut. Ich glaube, ich verstehe dich."
John Warner griff nach ihr, zog sie dicht an sich heran und küsste sie. Es war ein langer, inniger Kuss voll Leidenschaft. Mae klammerte sich an Warner, als wollte sie ihn nie wieder los lassen. Ihr Kuss beinhaltete ein Versprechen – das Versprechen, allen Widerständen zum Trotz zu ihm zu halten...
*
John Warner hatte Mae zum Store zurück begleitet. Nachdem sie ihm noch einen Kuss auf den Mund gehaucht hatte, ging sie in den Laden. Warner begab sich zum Saloon.
Es war um die Mitte des Nachmittags und im Saloon gab es nur zwei Gäste. Einer lehnte am Tresen. Es war ein alter, weißhaariger Bursche in einer zerschlissenen Jacke, in dessem Gesicht eine rote, großporige Knollennase prangte. Vor ihm stand ein großes Glas voll Whisky.
Bei dem anderen Mann, der an einem der runden Tische saß, handelte es sich um einen Bewohner der Stadt.
Der Salooner, der hinter der Theke stand und in einer Zeitung las, hob den Blick, erkannte den Ankömmling und verzog das Gesicht, als hätte man ihn mit einem Kaktus gefüttert.
John Warner ging zum Tresen. "Hallo, Doug, hallo Bob."
Der weißhaarige Oldtimer mit der roten Nase und den wässrigen Augen wandte sich Warner zu. "Aaah, John Warner! Wieder im Lande? Hast du dich entschlossen, den Kampf gegen Osborne und seine schießwütigen Burschen aufzunehmen?"
"Ich will den Kampf nicht, Doug", murmelte Warner. "Aber wenn Osborne ihn will, dann soll er ihn haben."
"Heh, Warner, wirst du einen ausgeben auf deine Heimkehr?" Doug Watson legte den Kopf schief und blinzelte. "Wirst du doch, oder täusche ich mich?"
"Du solltest nicht soviel trinken, Doug. Eines Tages wirst du daran zu Grunde gehen."
Doug Warner griff nach dem Glas, das vor ihm stand, setzte es an die Lippen und trank es mit einem Zug aus. "Meine Leber schreit förmlich nach Whisky, Warner. Du wirst diesen Schrei doch nicht ignorieren?"
"Schenk ihm einen ein, Bob", sagte John Warner lächelnd. "Mach das Glas ruhig voll."
Robert Calhoun, der Salooner, griff nach der Flasche, füllte Doug Watsons Glas, dann sagte er kehlig: "Es gefällt mir nicht, dass du in meinen Saloon kommst, John. Falls Reiter von der Osborne-Ranch hier aufkreuzen und dich sehen, ist der Teufel los. Das Inventar meines Ladens würde sicher darunter leiden."
John Warner spürte eine jähe Verbitterung. Sie drückte sich in seinem Gesicht aus. Ein herber Ausdruck kerbte sich in seine Mundwinkel. "Keine Sorge, Bob. Sollten Osborne-Männer auftauchen, verlasse ich den Saloon. Im Moment aber sind keine Osborne-Leute in Sicht. Drum gib mir ein Bier. Ich habe Durst."
"Versteh mich nicht falsch..." Bob Calhoun knetete seine Hände. Sein Blick irrte ab. "Aber..."
John Warner fiel ihm ins Wort. "Ist schon in Ordnung, Bob. Ich weiß, was ich davon zu halten habe. Nun, ich habe nicht erwartet, dass man in Logan in einen Freudentaumel ausbricht, wenn ich nach Hause zurückkehre. Dass die Stadt Wes Osborne aus der Hand frisst, war mir von Anfang an klar. Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Bob."
"Es ist eine lausige Stadt", mischte sich Doug Watson ein. "Eine Rattenburg. Hier tanzen sie alle nach der Pfeife der Oberratte. Dreimal darfst du raten, wen ich damit meine, Warner."
"Du solltest vorsichtiger sein, Doug", versetzte John Warner. "Es könnte Osborne zu Ohren kommen, dass du ihn für die Oberratte hältst." Warner schoss dem Salooner einen schnellen Blick zu. Dieser zog den Kopf zwischen die Schultern und schaute weg. Sein Gesicht rötete sich. "Sicher geschieht nichts in dieser Stadt, von dem Osborne nicht innerhalb kürzester Zeit Bescheid erfährt."
Bob Calhoun schenkte ein Bier ein und stellte es vor John hin.
"Auf deine Heimkehr, Warner", sagte Doug Watson, griff nach dem Glas Whisky und hielt es in die Höhe. "Ich wünsche dir, dass du stark genug bist, deinen Platz hier zu behaupten."
Nach dem letzten Wort schüttete Doug Watson den Whisky in sich hinein, als tränke er Wasser. Er rülpste, stellte das Glas ab, und setzte sich in Richtung Pendeltür in Bewegung. "Ich sollte wohl wirklich nicht so viel saufen", brabbelte er vor sich hin, dann verschwand er nach draußen.
John Warner nahm einen Schluck von seinem Bier.
Dann kam der Sheriff. Die Flügel der Pendeltür schlugen knarrend und quietschend hinter ihm aus. Seine Absätze tackten auf den Fußbodendielen, die mit Sägemehl bestreut waren. Donegan stellte sich neben John Warner an den Schanktisch und sagte: "Der Totengräber hat Browning abgeholt. Burnett und Holladay sind beim Doc."
"Fein", murmelte Warner. "Dann werde ich jetzt noch ein paar Vorräte besorgen und anschließend die Stadt verlassen."
"Du hast mit Mae gesprochen. Ich habe euch gesehen."
"Sicher. Mae und ich waren ein Paar, ehe ich das Land verließ, weil..." Warner brach ab. Er dachte nicht gern an diese dunkelste Stunde in seinem Leben zurück. "Was sollte sich daran geändert haben? Mae weiß jetzt, was mich aus dem Land trieb. Sie hat es akzeptiert."
"Du wirst sie unglücklich machen, John. Das hat Mae nicht verdient. Du solltest etwas mehr Verantwortungsgefühl zeigen. Du hast Osborne herausgefordert und stehst auf einem ziemlich verlorenen Posten. O verdammt! Warum lässt du Mae nicht aus dem Spiel? Du weckst in ihr Hoffnungen, die du niemals erfüllen kannst."
"Mae ist 28 Jahre alt, Matt. Sie wird wissen, was sie tun muss. Sie hat sich für mich entschieden. Ich weiß, dass dir das nicht gefällt. Aber es ist nun einmal so. Du musst dich damit abfinden."
"Ich warne dich, John."
"Ich verstehe nicht."
"Du bist drauf und dran, einen Krieg in diesem Landstrich zu provozieren. Ich werde nicht tatenlos zusehen, wie du hier den wilden Mann spielst."
Ein spöttisches Auflachen entrang sich John Warner. "Ich werde keinen Fuß auf Osborne-Land setzen, Matt. Aber Osborne wird auf mein Land kommen, um es mir zu geben. Von wem also geht der Unfriede aus? Doch wohl nicht von mir. Du wirst dich an Osborne halten müssen, wenn du jemand zur Raison bringen willst, Matt."
Scharf stieß der Sheriff die Luft durch die Nase aus. "Osborne hat das Land auf seinen Namen eintragen lassen, John. Der Anspruch ist amtlich beglaubigt. Wenn du ihm sein Recht streitig machen willst, stellst du dich gegen das Gesetz. Und dann musst du mit mir rechnen."
Mit dem letzten Wort schwang Matt Donegan herum und stiefelte zum Ausgang. Als er draußen war, sagte Bob Calhoun grollend: "Mir scheint, du hast Gott und die Welt gegen dich, Warner. Meinst du nicht, es wäre besser, aufzugeben und zu verschwinden? Du könntest dir eine Menge Ärger ersparen."
"Ich bin nicht gekommen, um Ärger aus dem Weg zu gehen", knurrte John Warner. Dann trank er noch einmal von seinem Bier, warf ein Fünfcentstück auf den Schanktisch und verließ den Saloon.
Bob Calhoun atmete auf.
John Warner ging zum Sheriff's Office, wo sein Fuhrwerk stand. Er schwang sich auf den Bock und fuhr zum Store, hielt das Pferd an und sprang auf die Straße. Die Ladentür bimmelte nervtötend, als er das Geschäft betrat. Unfreundlich und ohne jede Wärme musterte Carl Hopkins den Mann, den seine Tochter liebte.
Mae war nicht im Laden.
John Warner sagte: "Ich benötige einige Dinge auf der Ranch, Mr. Hopkins. Ich kann die Sachen auch bezahlen. Denn ich habe unterwegs einige Gelegenheitsjobs ausgeübt und ein paar Dollar zusammengekratzt."
"Ich glaube nicht, dass ich Ihnen etwas verkaufe, Warner. Fahren Sie von mir aus hinauf nach Phillipsburg, oder hinüber nach Densmore. Ich jedenfalls würde Ihnen nicht mal einen Hufnagel verkaufen."
"Fürchten Sie, dass Ihnen Osborne böse ist?"
"Ich fürchte, dass Sie meine Tochter ins Unglück stürzen, Warner. Und ich werde alles tun, um Sie zu bewegen, wieder aus der Gegend zu verschwinden."
Warner nickte. "Ich kann Sie nicht zwingen, mir etwas zu verkaufen." Er machte kehrt und verließ den Store. Als er auf dem Wagenbock saß und die Zügel ordnete, erschien Carl Hopkins in der Tür des Ladens. "Wie kann ich ihnen begreiflich machen, dass Sie hier zum Untergang verdammt sind, Warner? Sie haben keine Chance. Geben Sie Mae frei. Sie hat das Leben noch vor sich. Entbinden Sie meine Tochter von jedwedem Versprechen, das sie Ihnen vielleicht gegeben hat. Ich – ich bezahle Ihnen 500 Dollar..."
John Warner ließ die Zügel auf den Rücken des Gespannpferdes klatschen. Das Tier zog an, der Wagen begann zu rollen. In John Warners Gesicht spiegelte sich nur kalte Verachtung wider...
*
"Er ist also zurückgekehrt", knurrte Wes Osborne. Der 40-Jährige stand am Fenster der Halle des Ranchhauses und starrte hinaus auf den staubigen Hof. Er hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt.
"Ja. Und er hat sich entschlossen, zu kämpfen", erwiderte Dave Sherman, der Vormann. Er lehnte neben dem Kamin an der Wand und hielt die Arme vor der Brust verschränkt. "Ein Toter und zwei Schwerverletzte. Deutlicher hätte er es uns nicht klar machen können, dass er den Verdruss mit uns sucht."
Osborne drehte sich herum. Er war ein mittelgroßer Mann mit schwarzen Haaren und einem Schnurrbart, der seine Oberlippe verdeckte. Seine dunklen Augen glitzerten unheilvoll. "Fegt ihn hinweg, Dave! Bis morgen früh muss das Thema Warner für alle Zeiten erledigt sein. Begrabt diesen Narren auf dem Land, das er als das seine betrachtet."
"In Ordnung, Boss", sagte Dave Sherman. "Ich regle das. John Warner wird uns kein Kopfzerbrechen mehr bereiten."
Sherman stieß sich von der Wand ab und lenkte seine Schritte zur Tür. Osborne blickte ihm nach. Dann war er alleine in der Halle. Seine Gedanken waren bei Mae Hopkins. Er hatte bei ihrem Vater um ihre Hand angehalten. Carl Hopkins war sofort damit einverstanden, dass Mae und er, Osborne, ein Paar werden würden.
Wes Osborne wusste, in welchem Verhältnis Mae zu John Warner gestanden hatte. Nicht nur das Stück Land an seiner Weidegrenze war damals ausschlaggebend dafür gewesen, dass er Warner vertrieb. Er war ihm bei Mae Hopkins im Wege gewesen. Hindernisse, die sich ihm in den Weg zu stellen drohten, pflegte Wes Osborne mit brachialer Gewalt zur Seite zu räumen.
Er kannte weder Gnade noch Erbarmen, wenn es darum ging, seine Pläne und Absichten umzusetzen und ein bestimmtes Ziel zu erreichen.
Nun war Warner zurückgekehrt. Und er hatte der Osborne-Ranch eine Niederlage bereitet, als er die auf der Warner-Ranch stationierten Männer niederkämpfte.
Niederlagen hinzunehmen war Wes Osborne nicht bereit.
Einer jähen Eingebung folgend verließ er die Halle. Draußen befahl er einem Help, vor seinen Buggy ein Pferd zu spannen. Dann rief er nach Emerson Shaw und Abe Stanton, seine beiden Revolvermänner, ohne die er sich nicht von der Ranch bewegte. Er sagte: "Sattelt eure Pferde. Wir begeben uns in die Stadt. Seid in einer Viertelstunde abmarschbereit."
Anderthalb Stunden später betrat Wes Osborne den Store in Logan. Es ging auf die Abenddämmerung zu. Die Schatten auf der Main Street wanderten schnell und stießen gegen die Häuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Im Laden war es düster. Das Bimmeln der Türglocke lockte Carl Hopkins aus dem Lagerraum. Als er Osborne erkannte, hellte sich sein Gesicht auf. "Sie, Mr. Osborne! Was führt Sie zu mir?"
"Warner ist zurückgekehrt."
"Ich weiß. Er war hier."
"Hat er mit Mae gesprochen?"
Hopkins zeigte jähe Verunsicherung. "Ja. Ich – ich konnte es nicht verhindern." Schnell fügte er hinzu: "Warner wollte einige Dinge bei mir kaufen. Ich habe mich geweigert. Er hat die Stadt wieder verlassen..."
"Wie hat Mae reagiert?"
Hopkins trat von einem Bein auf das andere. Er schien hinter dem Verkaufstisch zu schrumpfen, und er musste zweimal ansetzen, um Antwort zu geben. "Sie – sie behauptet, Warner zu lieben. Mir hat sie erzählt, dass sie ihm angeboten hat, mit ihm aus dem Land zu gehen. Aber verlassen Sie sich drauf, Mr. Osborne. Ich werde ihr diese Flausen austreiben. Ich stehe zu dem Wort, das ich Ihnen gegeben habe."
"Das will ich auch schwer hoffen, Hopkins", knurrte Wes Osborne. "Ich werde dafür sorgen, dass Warner wieder aus der Gegend verschwindet. Diesmal für immer. Nehmen Sie Einfluss auf Ihre Tochter, Hopkins. Machen Sie ihr klar, dass es nur einen Mann für sie gibt, und dass dieser Mann ich bin."
"Natürlich, Mr. Osborne. Ich würde nichts mehr begrüßen, als dass meine Tochter Ihre Frau werden würde. Ich wüsste Mae gut versorgt und..."
"Mae muss es begreifen", schnappte Osborne. "Sie als Ihr Vater müssen es ihr begreiflich machen. Zwingen Sie sie..."
Da ging die Tür auf, die in die Wohnung Hopkins führte. Mae erschien im Türrahmen. Ihre Augen blitzten, sie sagte mit klarer, präziser Stimme: "Ich lasse mich zu nichts zwingen, Osborne. Schon gar nicht dazu, die Frau eines Mannes zu werden, den ich verabscheue. Hören Sie auf, meinen Vater zu bedrängen. Die Zeiten, in denen ein Vater seine Tochter zwingen konnte, einen bestimmten Mann zu ehelichen, sind vorbei."
"Du wirst lernen..."
Mae schnitt Osborne schroff das Wort ab: "Gar nichts werde ich, Osborne. Es gibt nur einen Mann in meinem Leben, und das ist John Warner. Sie haben ihn von seinem Grund und Boden vertrieben, Ihr Vormann schleifte ihn am Lasso hinter seinem Pferd her, und John hat das Land verlassen. Aber er ist zurückgekehrt, Osborne."
"Na und. Er hat keinen Anspruch mehr auf das Land, nachdem ich es auf meinen Namen eintragen ließ. Warner wird in diesem Landstrich kein Bein auf die Erde kriegen, Mae. Es gibt für dich keine Zukunft mit ihm. Warner wird wieder verschwinden. Ich aber werde da sein. Du solltest den Bogen bei mir nicht überspannen. Ich könnte das Interesse an dir verlieren. Und ich kann deinen Vater fertig machen. Denk mal darüber nach, Mae. Ja, tu das. Am Ende wirst du zu der Überzeugung gelangen, dass ich der richtige Mann bin. Wenn wir erst mal ein Paar sind, wird auch die Liebe wachsen."
"Niemals!"
"Du bist unklug, Mae." Osborne schwang auf dem Absatz herum, ging zur Tür, legte die Hand auf den Türknauf und sagte über die Schulter: "Ich gebe dir zwei Wochen Zeit, Mae. Dann werde ich mir die Antwort holen, ob du meine Frau werden willst oder nicht. Denk dran, dass deine Zukunft und auch die Zukunft deines Vaters von deiner Antwort abhängen werden."
Mit dem letzten Wort öffnete Osborne die Tür und verließ den Laden. Die Blicke von Vater und Tochter kreuzten sich wie Degenklingen. Mae stieß hervor: "Lieber sterbe ich, als dass ich ihm gehöre. Und du solltest meine Entscheidung akzeptieren, Vater. Du solltest dich von Osborne nicht einschüchtern lassen."
*
Es war finster, als der Pulk Reiter zwischen den Hügeln verhielt. Der Mond befand sich hinter den Bergen im Osten. Am Himmel funkelten nur wenige Sterne. Wolkenschatten wanderten über das Land.
"Absitzen!", befahl Dave Sherman. "Nehmt eure Gewehre. Ihr wisst Bescheid. Wir machen kurzen Prozess mit diesem Hundesohn."
Pferde stampften und prusteten. Metallisches Knacken erfüllte die Nacht, als die Männer die Gewehre durchluden. Dann schlichen Sie auseinander.
Die Gebäude der Ranch lagen in Dunkelheit. Irgendwo knarrte eine offene Tür, die der Wind bewegte. Zwei Schemen tauchten bei der Haustür auf. Sie ließ sich öffnen. Die beiden glitten ins Haus – lautlos wie Schatten. Sand knirschte unter schleichenden Schritten. Das Unheil schritt auf leisen Sohlen um das Ranchhaus.
Die beiden Kerle, die ins Haus eingedrungen waren, kannten sich scheinbar aus hier. Einer durchquerte die Küche und legte seine Hand auf den Knauf der Tür, die in die Schlafkammer führte. Im nächsten Moment flog die Tür auf. Im Mondlicht, das in schräger Bahn durch das Fenster fiel, war zu erkennen, dass das Bett an der Wand unberührt war.
"Der Hundesohn ist nicht hier", knirschte der Bursche, der in der Schlafzimmertür stand. Er machte kehrt und kam in die Küche zurück. Der andere der beiden riss ein Streichholz an. Es war Dave Sherman. Auf dem Tisch stand eine Petroleumlampe. Sherman hob den Glaszylinder herunter, hielt das Flämmchen an den Docht, und schließlich kroch Licht trübes auseinander. Er stülpte den Glaszylinder über die Flamme und sie brannte ruhig.
Da peitschte draußen ein Schuss.
Sherman zuckte zusammen. Seine Zähne mahlten übereinander.
Geschrei entstand auf dem Ranchhof. Ein Pferd wieherte.
Und in das verhallende Echo der Detonation hinein krachte es erneut.
Sherman lief nach draußen.
Der Mond hatte sich hinter den Hügeln im Osten hervorgeschoben. Die Wolkendecke war aufgerissen. Der Ranchhof wurde vom Mondlicht versilbert. Umso finsterer muteten die Schatten zwischen den Gebäuden an.
Die Männer, die Sherman mitgebracht hatte, waren in Deckung gegangen.
"Wer hat geschossen?", rief Sherman.
"Keine Ahnung", erhielt er zur Antwort. Die Stimme trieb aus der Dunkelheit. "Wahrscheinlich ist es Warner."
"Ist jemand verletzt?"
"Nein. Sieht so aus, als wollte er uns nur Schreck einjagen."
Nach dem letzten Wort kehrte Stille ein. Nur das Wispern und Raunen des Windes im Zweiggespinst des Ufergebüsches des Bow Creek war zu vernehmen. Es war, als meldeten sich die längst verklungenen Stimmen dieses rauen, gnadenlosen Landes.
Sekundenlang durchbrach nichts die angespannte, lastende Stille. Doch dann rief Sherman: "Warner, wenn du in der Nähe bist, dann hör zu, was ich dir zu sagen habe!" Die Stimme entfernte sich von dem Vormann und versank in der Stille.
Und dann erklang Hufschlag. Er wehte über einen Hügel nördlich der Ranch heran. Langsam entfernte er sich.
"Zu den Pferden!", rief Sherman, einem ersten Impuls folgend. "Wir schnappen uns den Hurensohn."
"Brennen wir das Gerümpel hier nieder?", fragte einer.
"Nein", versetzte Sherman.
"Warum nicht? Dann könnte er sich hier schon nicht mehr verkriechen."
Sherman gab darauf keine Antwort. Er rief: "Kilkeene, Masters und Short, ihr bleibt hier, für den Fall, dass er hierher zurückkehrt. Ihr anderen folgt mir."
Sie rannten zu ihren Pferden und warfen sich in die Sättel. Zusammen mit Sherman waren es vier Männer. Sie jagten die Tiere den Hügel hinauf, lenkten sie auf der anderen Seite wieder hinunter und zügelten in der Senke, um sich am Hufschlag des Pferdes, den sie vorhin vernommen hatten, zu orientieren.
Aber da war nichts mehr zu hören.
"Verdammt!", zischte Dave Sherman. "Der Hundesohn spielt mit uns Katz und Maus."
In sein letztes Wort hinein dröhnte ein Schuss. Das Pferd eines seiner Männer brach zusammen wie vom Blitz getroffen. Der Reiter sprang im letzten Moment ab. Die anderen reagierten mit dem nächsten Atemzug. Sie warfen sich regelrecht von den Pferden, benutzten die Tiere als Deckung, und dann krachten ihre Gewehre. Ihre Kugeln pfiffen den Hang hinauf, auf dessen Kuppe eben das Mündungsfeuer zu sehen gewesen war. Und dann rannten die Kerle in Deckung. Sie verschwanden hinter Büschen oder warfen sich in Mulden. Der Bursche, dessen Pferd erschossen worden war, lag flach hinter dem leblosen Tierkörper.
John Warner feuerte noch zwei Schüsse hangabwärts, dann lief er zu seinem Pferd, kletterte in den Sattel und trieb das Tier den Hang hinunter. In ihm war eine grimmige Entschlossenheit. Er war jedoch nicht bereit, sich der Übermacht zum Kampf zu stellen. Sie hätten ihn überrannt.
Die Männer von der Osborne Ranch vernahmen die Hufschläge.
"Er flieht!", fauchte Sherman und sprang auf. Lauernd und sprungbereit stand er da. Nichts geschah. "Wir folgen ihm! – Lester, kehr zur Ranch zurück. Wir drei werden es diesem Bastard zeigen..."
Der Mann namens Lester machte sich daran, seinem toten Pferd den Sattel und das Zaumzeug abzunehmen. Währenddessen folgten seine Gefährten unter Shermans Führung dem Pferd, dessen Hufe sie in der Finsternis pochen hörten.
Ja, es war ein Katz- und Mausspiel, das John Warner mit ihnen veranstaltete. Dahinter steckte System. Warner hatte Dave Sherman an der Stimme erkannt. Als er auf dem Kamm des Hügels die Reiter erwartete, konnte er den Vormann im Mond- und Sternenlicht deutlich erkennen. Der Hass kam bei John Warner in langen, heftigen Schüben. Und er hatte sich vorgenommen, mit Dave Sherman abzurechnen.
John Warner wartete in einer Hügellücke. Er und das Pferd verschmolzen mit der Dunkelheit. Hufschläge näherten sich. Warner bannte das Pferd unter sich mit hartem Schenkeldruck auf der Stelle. Seine Hände umklammerten das Gewehr.
Dann sah er die drei Reiterschemen über dem Scheitelpunkt einer Anhöhe. Scharf wurden ihre Gestalten vom Mondlicht umrissen. Sie hoben sich wie Scherenschnitte vor dem helleren Hintergrund ab.
John Warner hob die Winchester an die Schulter. Die Reiter boten ein gutes Ziel. Er hatte die Gestalt des Burschen auf der linken Seite im Visier. Doch alles in ihm sträubte sich dagegen, diesen Mann aus dem Hinterhalt vom Pferd zu schießen. Also senkte Warner den Lauf ein wenig. Und dann krümmte er den Zeigefinger. Feuer, Rauch und Blei stießen aus der Mündung. Das Pferd, auf das Warner geschossen hatte, brach zusammen. Lautes Geschrei erschallte. Die beiden anderen Reiter sprangen ab und zerrten die Pferde hinter sich her hangabwärts.
John Warner zog sein Pferd um die linke Hand und ritt in westliche Richtung. Die Gewehre der Osborne-Männer dröhnten. Dort, wo Warner seinen Schuss abgegeben hatte, pfiff heißes Blei durch die Luft, ohne Schaden anzurichten.
Warner ritt einen weiten Bogen und kehrte in die Nähe seiner Ranch zurück. Auf halber Höhe einer Hügelflanke saß er ab. Im Ranchhof, am Holm, standen drei Pferde. Sie gehörten den Männern, denen Sherman befohlen hatte, auf der Ranch zurückzubleiben. Zwischenzeitlich hatte sich der Cowboy namens Lester zu ihnen gesellt. Jetzt kam ein weiterer Mann zurück. Er schleppte seinen Sattel. Stimmen erklangen. Dann erreichte der Bursche die Veranda des Haupthauses und legte seinen Sattel ab. Er verschwand im Haus.
John Warner lauschte und witterte wie ein Wolf. Seine Sinne arbeiteten mit doppelter Schärfe. Der geringste Fehler konnte für ihn tödlich enden. Er gab sich keinen Illusionen hin. Die Kerle von der Osborne-Ranch waren gekommen, um ihn für alle Zeiten abzuservieren. Warner hatte zwischenzeitlich begriffen, dass es nicht allein um das Stück Land ging, das er für seine Ranch in Anspruch genommen hatte. Er stand Wes Osborne bei Mae im Weg.
Warners Gedanken wurden unterbrochen, als er Hufestampfen vernahm. Sherman und der letzte Mann des Pulks, mit dem er losgeritten war, um ihn, John Warner, zu jagen und zu stellen, kamen. Warner registrierte es mit grimmiger Genugtuung.
Die Wolkendecke schob sich wieder zusammen. Der silbrige Schein auf dem Land verschwand. Die Dunkelheit legte sich wie ein schwarzer Mantel auf die Hügel und in die Senken.
Das Pochen der Hufe näherte sich Warner. Er bohrte seinen Blick in die Finsternis. Und dann schälten sich am Fuß des Hügels die beiden Reiterschemen aus der Nacht. John Warner konnte nicht unterscheiden, bei welchem von beiden es sich um Dave Sherman handelte. Daher rief er:
"Sherman, ich bin hier, auf dem Abhang. Ich kann euch sehen. Du hast was gut bei mir. Tragen wir es aus, wie es sich gehört. Schick deinen Begleiter auf die Ranch. Oder fühlst du dich nur groß und unschlagbar, wenn dir eine raue Mannschaft den Rücken stärkt?"
Dave Sherman lauschte den Worten kurze Zeit hinterher. Seine Hände hatten sich am Gewehr regelrecht festgesaugt. Er wusste, dass er die Herausforderung annehmen musste, wenn er vor der Mannschaft sein Gesicht nicht verlieren wollte.
"Slim, reite zur Ranch", presste er hervor. Dann rief er: "In Ordnung, Warner. Ich stelle mich dir zum Kampf. Ich werde dich Narren aus den viel zu großen Stiefeln putzen, die du dir angezogen hast."
Slim Dexter, der Cowboy, hatte sein Pferd herumgezogen und lenkte es zur Ranch. Er stellte das Tier zu den anderen an den Haltebalken und ging ins Ranchhaus.
"Was ist nun, Warner", rief Sherman. "Zeig dich, damit wir es hinter uns bringen können."
John Warner trieb sein Pferd an. Er ließ es schräg den Hang hinuntergehen. Unten verharrte Dave Sherman auf seinem Vierbeiner. Er hielt das Gewehr an der Seite im Anschlag. Den Kolben hatte er unter die Achsel gepresst. Hart krümmte sich sein Zeigefinger um den Abzug.
Dave Sherman fühlte sich unbehaglich. Er spürte Beklemmung. Er hatte noch nie in einem Kampf Mann gegen Mann gestanden. Wenn es in der Vergangenheit rau geworden war, hatten immer andere für ihn die Kastanien aus dem Feuer geholt. Und ehe er eine hartbeinige Mannschaft befehligte, war er jedem Verdruss aus dem Weg gegangen.
Dem gnadenlosen Gesetz des Überlebens unterworfen warf der Vormann sämtliche Gebote der Fairness über Bord. Als er die schattenhafte Bewegung am Abhang wahrnahm, feuerte er. In rasender Folge jagte er Schuss um Schuss aus dem Gewehr. Die Mündungsflammen rissen ihn immer wieder aus der Finsternis.
Mit dem Brechen des ersten Schusses hatte John Warner seinem Pferd die Sporen gegeben. Das Tier machte einen erschreckten Satz. Warner ließ sich aus dem Sattel kippen und schlug am Boden auf. Mündungsflammen leckten die feurige Zungen durch die Finsternis auf ihn zu. Sherman schoss wie besessen. Die Nerven waren mit ihm durchgegangen.
Warners Ziel waren die Mündungsflammen. Er feuerte nur einmal. Schlagartig brach das Feuer Shermans ab. Ein dumpfer Aufprall war zu hören, dann ein verlöschendes Röcheln.
Die Waffen schwiegen.
Warner erhob sich und ging zu seinem Pferd, das unruhig auf der Stelle tänzelte, nahm es am Zaumzeug und flüsterte dem Tier ins Ohr: "Ruhig, ganz ruhig, mein Alter. Ich denke, diese Schlacht haben wir gewonnen. Verschwinden wir."
Mit einem Satz gelangte er in den Sattel. Er ließ das Pferd den Hügel hinauf gehen und verschwand über den Höhenkamm...
*
"Dieser elende Bastard", knirschte Wes Osborne. "Jetzt gehen schon zwei meiner Männer auf sein Konto. Adam Browning und Dave Sherman. Das war Mord. Ihr werdet doch dem Sheriff gegenüber bezeugen, dass er Sherman aus dem Hinterhalt vom Pferd geschossen hat? Das werdet ihr doch?"
In seiner Frage lag eine unverhohlene Drohung.
Slim Dexter sagte: "Ja, Boss. Warner soll für den Tod Brownings und Shermans hängen. Wir werden jeden Eid schwören, dass er Sherman aus sicherer Deckung vom Pferd schoss."
"Gut. Dexter, Sie nehmen ab sofort Shermans Stellung ein."
Slim Dexter schaute verblüfft. Dann sagte er: "Vielen Dank, Boss. Ich weiß die Beförderung zu schätzen."
Wes Osborne nickte und fuhr fort: "Sheriff Donegan muss unverzüglich informiert werden. Es ist jetzt Sache des Gesetzes, Warner unschädlich zu machen und zur Rechenschaft zu ziehen. Unabhängig davon zahle ich demjenigen, der Warner in die Hölle schickt, 500 Dollar Kopfgeld. Ich erkläre diesen Hundesohn für vogelfrei."
Gemurmel ging durch die Rotte der Männer, die sich im Ranchhof eingefunden hatten.
"Sollten wir die Warner-Ranch nicht wieder besetzen, Boss?", fragte Slim Dexter. "Es wäre vielleicht ganz gut, wenn Sie Shaw oder Stanton dort stationieren würden. Warner hat gegen keinen der beiden eine Chance, sollte er auf der Ranch auftauchen."
Osborne überlegte. Er führte seinen Daumennagel an der Unterlippe entlang und hielt den Kopf gesenkt. Schließlich sagte er: "Keine schlechte Idee. Ich werde Shaw und drei Männer auf der Ranch stationieren. Ja." Osborne nickte mehrere Male, als wollte er damit seine Worte unterstreichen. "Abe Stanton schicke ich mit drei Männern nach Logan. Dieser verdammte Hund soll sich nirgendwo mehr sehen lassen können, ohne dass er meinen Leuten gegenüber steht. Sollte er sich hierher wagen, werden wir ihm einen gebührenden Empfang bereiten. – Schickt mir Shaw und Stanton."
Wes Osborne ging ins Ranchhaus.
Es ging auf Mitternacht. Eine Laterne, die ein Mann hielt, spendete Licht. Das Tier, über dessen Rücken der tote Dave Sherman hing, wurde zu einer Scheune geführt. Sherman wurde abgeladen und in der Scheune auf einen flachen Wagen gelegt. Ein Mann breitete eine Decke über ihm aus. Die anderen Pferde wurden abgesattelt und abgezäumt und in einen Corral getrieben.
Dexter war im Bunkhouse verschwunden. Gleich darauf kamen Emerson Shaw und Abe Stanton ins Freie. Sie waren nur mit Hose und Hemd bekleidet. Die beiden hatten schon in den Betten gelegen und waren wenig begeistert über die Störung.
Sie stapften zum Haupthaus. Aus dem Fenster der Halle fiel Licht. Osborne erwartete sie. Er sagte: "Sherman ist tot. Warner hat ihm eine Kugel in die Brust geschossen. Ich will diesen Hurensohn tot sehen. Shaw, Sie werden sich mit drei Männer auf der ehemaligen Warner-Ranch verschanzen. Sie, Stanton, reiten morgen früh mit drei Männern in die Stadt und bleiben dort. Egal, wo Warner aufkreuzt - ob auf seiner Ranch oder in der Stadt – ihr erschießt ihn ohne Federlesens."
"Sie werden ohne Schutz sein, Boss", sagte Abe Stanton. "Befürchten Sie nicht, dass Warner auf die Ranch kommt, um Sie auszuschalten?"
"Ein halbes Dutzend Männer auf der Ranch werden für meine Sicherheit sorgen. Es ist schon in Ordnung, Stanton. Ich will nicht irgendwen auf die Warner-Ranch und in die Stadt schicken. John Warner ist nicht zu unterschätzen."
"Er ist ein kleiner Pinscher", sagte Emerson Shaw geringschätzig. "Bisher hatte er nur Glück. Wir werden seiner Glücksträhne ein Ende bereiten."
"500 Dollar demjenigen, der Warner tötet", wiederholte Osborne sein Angebot.
"Das lässt sich hören", knurrte Shaw. "Gebe Gott, dass Warner auf seiner Ranch Unterschlupf sucht."
*
Nachdem die Osborne-Männer abgezogen waren, begab sich John Warner auf seine Ranch. Für den Rest der Nacht blieb er dort. Sein Pferd hatte er im Stall untergestellt. Er hatte Dave Sherman zur Rechenschaft gezogen. Aber in ihm war kein Triumph deswegen. Nicht einmal ein Gefühl der Genugtuung wollte sich einstellen.
Warner war sich darüber im Klaren, dass Osborne ein Kesseltreiben auf ihn veranstalten würde. Er konnte von niemand Hilfe erwarten. Matt Donegan, der Sheriff, würde sich raushalten. Warner fragte sich, ob er den County Sheriff einschalten sollte. Er verwarf diesen Gedanken.
Bis jetzt sah es so aus, dass er zwei Männer Osbornes erschossen und zwei schwer verwundet hatte. Die Kerle, die den Schießereien beiwohnten, würden Stein und Bein schwören, dass er, Warner, nicht aus einer Notwehrsituation heraus schoss.
Je länger Warner darüber nachdachte, umso mehr begriff er, dass er eigentlich auf einem verlorenen Posten stand. Nicht nur Osborne würde ihn jagen, sondern auch das Gesetz. Sein Herz schlug höher beim Gedanken daran. Er war ein Todgeweihter, ein Verfemter.
Die Erkenntnis drohte ihn zu erdrücken. Er dachte an Mae. Sie war die einzige, die zu ihm hielt. Sie hatte ihm ewige Liebe geschworen. Aber durfte er sie an dieses Versprechen binden?
O verdammt! Das alles drohte ihm plötzlich über den Kopf zu wachsen. Er war sich seiner Einsamkeit bewusst. Es riss ihn hoch. Er schwitzte. Das Herz schlug dumpf in seiner Brust. Er war im Recht, und dennoch würde man ihn jagen wie einen tollwütigen Hund. John Warner sagte sich, dass es ein Fehler war, zum Bow Creek zurückzukehren. Er hatte das Schicksal herausgefordert – und es sah ganz so aus, als wäre er der Verlierer, als habe er sich mit seiner Heimkehr den Todesstoß versetzt.
John Warner ging zum Fenster und starrte hinaus in den Ranchhof. >Du hast auf das falsche Pferd gesetzt, John!<, durchfuhr es ihn. >Du bist einer Illusion hinterhergehetzt. Hast du allen Ernstes erwartet, hier dein Recht zu bekommen? Du Narr, warum hast du dir nicht gleich selbst eine Kugel in den Kopf geschossen?<
Es waren bittere Gedanken, denen er nachhing.
Er kehrte zum Bett zurück und setzte sich auf die Bettkante. An Schlaf dachte er nicht mehr. Dazu war er viel zu sehr aufgewühlt. Und als der Morgen graute, hielt John Warner nichts mehr im Haus. Er holte sein Pferd aus dem Stall und sattelte es. Dann ritt er nach Norden. Logan war sein Ziel. Er wollte mit Mae sprechen und ihr erklären, dass er sie von dem Versprechen, das sie ihm gegeben hatte, entbinden werde. Er war bereit, Mae freizugeben...
*
Die Main Street von Logan lag im gleißenden Sonnenlicht, als John Warner die Stadt erreichte. In Logan hatte der Alltag begonnen. Warner ritt bis zum Store, saß ab, band sein Pferd an den Hitchrack und betrat gleich darauf den Laden.
Carl Hopkins stand hinter dem Verkaufstisch. "Was wollen Sie?", fragte er unfreundlich, ohne Warners Gruß zu erwidern.
"Ich muss mit Mae sprechen", erwiderte Warner. "Es ist wichtig."
Hopkins verzog das Gesicht. Er wollte zu einer Erwiderung ansetzen, aber da erschien Mae schon in der Tür zur Wohnung und sagte: "Hier bin ich, John. Was gibt es?"
"Ich muss mit dir reden, Mae. Unter vier Augen."
Etwas an Warner irritierte die Frau. Das leichte Lächeln, das um ihre Lippen spielte, zerrann. Warner verströmte etwas, das die Frau berührte und in ihr ein seltsames Gefühl des Unbehagens und der Beklemmung hervor rief.
"Gehen wir ein Stück, John."
Sie verließen den Laden. Carl Hopkins Hände öffneten und schlossen sich. Es war die Ohnmacht des Hilflosen, die ihn beherrschte. Er konnte Mae nicht den Umgang mit John Warner verbieten. Mae war längst volljährig. Hopkins, dessen Frau vor vier Jahren gestorben war, fürchtete, Mae auch noch zu verlieren, wenn er versuchte, ihr seinen Willen aufzuzwingen. Er konnte nur versuchen, sie mit gutem Zureden davon zu überzeugen, dass Sie ihr Glück nicht bei John Warner finden würde. Aber das kostete Geduld...
Ihre Schritte tackten auf den Gehsteigbohlen. "Was ist los, John? Etwas stimmt nicht. Ich fühle es ganz deutlich." Eine unerklärliche Angst erfüllte Mae, Angst vor dem, was ihr John Warner gleich sagen würde.
Er blieb ruckhaft stehen.
Auch Mae hielt an. Sie blickte in sein Gesicht. Er konnte ihrem Blick nicht standhalten. Betreten schaute er zur Seite. Dann sagte er heiser: "Mae, ich kann dich nicht länger an mich binden. Es hat keinen Sinn. Aus uns beiden kann kein Paar werden."
Seine Worte waren wie Hammerschläge gefallen.
Verständnislos fixierte Mae den Mann, den sie liebte. "Nenn mir den Grund, John."
"Gestern Nacht war Sherman mit einer Horde Reiter auf der Warner-Ranch. Ich habe Sherman im Kampf getötet. Ich muss aber davon ausgehen, dass die Kerle, die er dabei hatte, jeden Eid ablegen werden, wonach ich ihn aus dem Hinterhalt erschossen habe. Es war dumm von mir. Ich habe Osborne einen Trumpf in die Hand gegeben, den er gnadenlose gegen mich ausspielen wird. – Ich bin gescheitert, Mae. Man wird mich jagen und wahrscheinlich auch zur Strecke bringen. An meiner Seite hast du keine Zukunft. Darum entbinde ich dich von deinem Versprechen."
"Sprich mit Matt Donegan darüber", sagte Mae, nachdem sie alles verarbeitet hatte. "Er..."
John Warner lachte bitter auf. Mae unterbrach sich. Dann stieß Warner hervor: "Matt wird gar nicht anders können, als mich zu hetzen, um mich als Mörder vor Gericht zu bringen. Er würde mich selbst wider besseres Wissen jagen, denn er tanzt nach Osbornes Pfeife. – Es hat keinen Sinn mehr, Mae. Ich habe verloren. Es war Irrsinn, in diesen Landstrich zurückzukehren. Du wirst einen anderen Mann finden und mit ihm glücklich werden, Mae. Vergiss mich."
Abrupt wandte Warner sich um. Mit langen Schritten entfernte er sich.
In Maes Augen schossen die Tränen. "John..."
Er wandte sich nicht mehr um.
"John, bitte..."
Unbeirrt schritt er weiter. Dieses Kapitel war für ihn abgeschlossen. Im Buch seines Lebens wurde ein neues Kapitel begonnen. Die Feder sollte der Tod führen, und der schrieb mit Blut...
Vor der Tür des Stores stand Carl Hopkins. Verkniffen blickte er John Warner entgegen. Warner leinte sein Pferd los und schwang sich in den Sattel. Ehe er das Pferd herumzog, sagte er mit herbem Tonfall: "Sie können sich freuen, Hopkins. Ich habe Mae freigegeben. Sie haben jetzt gute Chancen, Ihre Tochter an Wes Osborne verkuppeln zu können."
Er zog das Pferd um die linke Hand und trieb es an.
John Warner wandte sich nicht um.
Mae lief aufweinend in den Store, von dort in ihr Zimmer, und schloss sich ein. Ihre Welt war zusammengebrochen, eingestürzt wie ein Kartenhaus. Der Mann, den sie liebte, hatte ihr knallhart gesagt, dass Schluss sei. Mae Hopkins war am Boden zerstört.
Carl Hopkins war ihr gefolgt. Er rüttelte an ihrer Tür. "Mach auf, Mae. Ich bitte dich..."
"Geh weg, Dad!", rief Mae unter Tränen. "Ich will alleine sein."
"Was ist geschehen?"
Mae gab darauf keine Antwort. Und so gab Carl Hopkins auf. Er kehrte in seinen Laden zurück.
Langsam ritt John Warner am Fahrbahnrand entlang. Er war voll nagender Gedanken. Er hatte Mae wehgetan. Es fraß in ihm wie ätzende Säure. Aber durfte er sie festhalten, nach allem, was geschehen war? Nein!
Es hallte durch seinen Verstand. Er hatte das Richtige getan. Sein Entschluss war unumstößlich. Mae sollte auf ihn böse sein, sie sollte ihn hassen. Dadurch würde es ihr leichter fallen, über alles hinweg zu kommen.
John Warner hatte sich mit einem Panzer aus Stahl umgeben. Aber innerlich konnte er sich nicht von Mae Hopkins lösen. Er liebte sie. Und er schwor sich, um sein Recht zu kämpfen. Er musste jetzt keine Rücksicht mehr nehmen. Er konnte sich ausschließlich auf seinen Kampf konzentrieren...
Er wurde aus seiner Versunkenheit gerissen, als er Hufschläge vernahm. John Warner hatte das Stadtende erreicht. Unwillkürlich fiel er seinem Pferd in die Zügel. Vier Reiter näherten sich der Stadt.
Es waren Abe Stanton, Osbornes Revolvermann, und drei Männer, die den Sattel der Osborne-Ranch drückten. Jetzt erkannten sie John Warner. Stanton zischte: "Schnappen wir uns den Bastard. Der Boss will ihn tot sehen! Denkt an die 500 Dollar Kopfgeld."
Sie gaben ihren Pferden die Sporen und ließen die Zügel schießen. Staub wallte unter den wirbelnden Hufen in die Höhe. Die Männer von der Osborne-Ranch rissen ihre Revolver heraus.
Auf einen Kampf konnte sich John Warner nicht einlassen. Das Verhältnis stand vier zu eins und war absolut tödlich. Er zerrte sein Pferd herum und hämmerte ihm die Absätze in die Seiten. Das Tier streckte sich. John Warner stob die Main Street hinunter und riss das Pferd in die erste Seitenstraße, die von Norden her in die Stadt führte.
Einige Schüsse krachten. Aber die Kugeln konnten John Warner nichts anhaben. Die Detonationen stießen durch die Stadt wie eine Botschaft von Untergang und Tod. Menschen rannten in Deckung, um nicht von einer verirrten Kugel getroffen zu werden.
John Warner jagte aus der Stadt. Als er sich einmal umwandte, sah er die vier Reiter zwischen den Häusern hervor kommen. Pfeilschnell flogen ihre Pferde dahin. Vor Warner dehnte sich eine Ebene, die nach einer Meile etwa von Hügeln begrenzt wurde. Zwischen den Hügeln würde er die Kerle von der Osborne-Ranch abhängen können.
Die Distanz zwischen ihm und seinen Jägern betrug etwa 200 Yards. Sie peitschten ihre Pferde mit den langen Zügeln und rauem Geschrei hinter ihm her. Plötzlich riss Abe Stanton sein Pferd in den Stand. Seine Winchester flirrte aus dem Scabbard, er repetierte und zielte sorgfältig. Dann peitschte sein Schuss.
Es war schwer, einen Reiter auf einem galoppierenden Pferd auf diese Entfernung zu treffen. Und so verfehlte er John Warner. Dieser jagte in schnurgerade Richtung nach Norden. Die Hügel rückten schnell näher. Erneut schaute er hinter sich. Die Entfernung zu den Osborne-Männern hatte sich nicht verändert.
Weit auf den Pferdehals gebeugt stob Warner auf einen Hügeleinschnitt zu. Die Hufe des Pferdes schienen kaum noch den Boden zu berühren. Das Hufgeprassel vermischte sich mit dem Hämmern von Schüssen.
Stantons Begleiter parierten ebenfalls ihre Pferde. Die bremsenden Hufe zogen tiefe Spuren. Grassoden und Erdreich spritzten. Die Kerle hatten begriffen, dass sie Warner vor den Hügeln nicht mehr einholen konnten. Und darum versuchten sie, ihn mit einem gezielten Schuss auszuschalten. Die Gewehre dröhnten. Auch Stanton feuerte wieder. Es war ein Zielschießen wie auf einem Schießstand.
Warners Pferd brach zusammen. John Warner schüttelte die Steigbügel von den Füßen, spreizte die Beine und spürte einen harten Ruck bis in die Hüftgelenke, als seine Absätze auf den hartgebackenen Boden knallten. Das Tier unter ihm schlitterte weiter und riss ihn um. Das Pferd kippte auf die Seite, keilte noch ein paar Mal mit den Hufen aus, dann lag es still. Wie von Furien gehetzt robbte John Warner in den Schutz des Kadavers. Er zog die Winchester aus dem Scabbard und riegelte eine Patrone in die Kammer. Um ihn herum spritzte Dreck und wirbelte Staub, wo die Kugeln der Osborne-Reiter einschlugen.
Unvermittelt schwiegen die Gewehre. Die Echos der Schüsse verhallten. Die Kerle von der Osborne-Ranch trieben ihre Pferde wieder an. John Warner spähte über den Leib seines toten Pferdes hinweg und sah sie kommen.
Er feuerte. Eines der Pferde stürzte, der Reiter flog wie von einem Katapult geschleudert durch die Luft und überschlug sich dann mehrere Male auf dem Boden. Doch der Bursche war nicht ausgeschaltet. Er kroch schlangengleich hinter einen Strauch und war für Warner nicht mehr zu sehen.
Die anderen Angreifer ritten auseinander und jagten auf die westlich Hügel zu, wo sie verschwanden.
Warner schaute sich um, suchte nach einer besseren Deckung. Seine Gegner konnten die Hügel umreiten und hinter seinen Rücken gelangen. Hier lag er wie auf einem Präsentierteller. Außer einigen Sträuchern gab es kaum Deckung. Es musste ihm gelingen, die Hügel zu erreichen und eine der Anhöhen zu erklimmen.
Er lauschte angespannt. Nicht das leiseste Hufgeräusch wehte an sein Gehör. Warner wagte nicht, sich zu erheben. Der Bursche, der hinter dem Strauch lauerte, konnte ihm, sobald er hinter dem Pferdeleib hochkam, den Fangschuss verpassen.
Doch hier konnte er nicht bleiben. John Warner entschied sich von einem Atemzug zum anderen. Er spannte seine Muskeln, aktivierte seine Sinne, und drückte sich ab. Mit langen Sätzen stürmte er durch die Senke, und die Anhöhe, die er sich zum Ziel genommen hatte, mutete ihn unendlich weit entfernt an. Jeder Sprung konnte der letzte sein.
Der Bursche, der hinter dem Strauch in Deckung gegangen war, schickte ihm seine Kugeln hinterher. Auch auf einem der Hügel im Westen begann ein Gewehr sein höllisches Crescendo hinauszubrüllen. Aber John Warner, der Haken schlug wie ein Hase, bot ein schlechtes Ziel. Trotzdem lag die eine oder andere Kugel gefährlich nahe. Die Hügel schienen das dröhnende Inferno festzuhalten, der Widerhall verstärkte es. John Warner hechtete hinter einen dichtbelaubten Busch und verschwand. Seine Lungen pumpten und stachen, er spürte Trockenheit im Hals.
Seine Gegner nahmen den Busch unter Feuer. Zweige und Blätter regneten auf Warner herunter. Er schmiegte sich hart auf den Boden, zog den Kopf ein, hörte das Fauchen des Bleis über sich, und er fragte sich voll Sorge, wann er wohl einen Zufallstreffer kassierte, der ihn tötete oder zumindest kampfunfähig machte.
Auf dem Bauch kroch er zur Seite. Schweiß brannte in seinen Augen und entzündete sie. Die Situation war fast ausweglos für ihn. Warner setzte alles auf eine Karte. Der Busch war als Deckung völlig unzureichend. Er hetzte weiter. Die hochhackigen Reitstiefel behinderten ihn. Der rasende Herzschlag drohte ihm den Brustkorb zu sprengen.
Steil schwang sich vor ihm der Hang empor. Sein Atem hetzte. Seine Bronchien rasselten und pfiffen, er fieberte innerlich, seine Beine wurden schwer wie Blei. Aber ein übermenschlicher Durchhaltewille peitschte ihn vorwärts.
Und schließlich kam er trotz des Feuers seiner Gegner vollkommen ausgepumpt oben an. John Warner sank im Schatten eines Felsens, der auf der Kuppe aus dem Boden ragte, nieder und spürte die Kraftlosigkeit, die seinen Körper erfasste.
Das rasende Feuer brach ab. Der Tod, der schon nach John Warner gegriffen hatte, zog die knöcherne Klaue zurück.
Unten, in der Senke, lag sein totes Pferd, umgeben von einer Wolke Insekten, die der Blutgeruch angelockt hatte. Der Bursche, der hinter dem Busch Zuflucht gesucht hatte, rannte zwischen die Hügel im Westen der Ebene. Warner hob die Winchester, zielte, ließ das Gewehr wieder sinken und seufzte. Er hätte nur sein Blei vergeudet. Auf diese Entfernung war ein Treffer fast unmöglich.
Die Minuten reihten sich aneinander. Die Sonne wanderte höher und höher und brachte die Luft zum Flirren. Warners Herzschlag und Atmung hatten wieder den normalen Rhythmus angenommen. Neue Energien flossen in seinen Körper zurück.
John Warner ahnte, dass sich die vier Kerle anschlichen wie hungrige Wölfe, dass sie aber die gebotene Vorsicht walten ließen und nichts herausforderten.
Etwas in John Warner war verhärtet, ein mitleidloser Zug hatte sich Bahn in seine Miene gebrochen. Seine Augen blickten hart wie Stahl.
*
John Warner konnte sich nicht nach vier Seiten gleichzeitig verteidigen. Er war nicht vermessen genug, sich einzubilden, dass er die vier Kerle schlagen könnte. Also verließ er die Kuppe und rannte die Hügelflanke hinunter. Als er in der Senke anlangte, brüllten auf dem Hügel im Westen die Gewehre auf. Die Mündungsblitze verschmolzen mit dem Sonnenlicht. Wie ein Gruß aus der Hölle prallte das Peitschen heran. Er warf sich hin, rollte weiter und gelangte in eine Bodenmulde, die ihm nur notdürftig Schutz bot.
Hart presste er seinen Körper gegen den Boden. Und dann begannen wieder die Gewehre zu hämmern. Das Krachen stieß über die Ebene und rollte die Abhänge hinauf. Klumpen von Erdreich wurden über John Warner geschleudert.
Schlagartig brach das Feuer wieder ab. Bleierne Stille folgte dem höllischen Intermezzo, das die Kerle von der Osborne-Ranch veranstaltet hatten.
Warner sah sich um. Außer einigen Büschen gab es in seiner Nähe keine Deckung. Er beobachtete wieder den Hügel im Westen, auf dem sich seine Gegner postiert hatten und rechnete sich aus, dass sie versuchen würden, ihn in die Zange zu nehmen. Während ihn einer mit seinen Kugeln in der Bodenmulde festnagelte und seinen Gefährten Feuerschutz gab, konnten diese ihn von verschiedenen Seiten packen.
Er schnellte hoch und spurtete los, einige Schüsse krachten, Warner hechtete hinter einen Busch und rollte herum. Sofort robbte er weiter, kam hoch, schnellte mit langen Sätzen zu einer Rinne, die der Regen im Laufe vieler tausend Jahre in den Abhang gewaschen hatte, und warf sich hinein.
Als John Warner in den Schutz der Rinne flog und für die Männer auf dem Hügel nicht mehr zu sehen war, knirschte einer der Osborne-Reiter: "Der Hundesohn ist mit dem Satan im Bunde! Die Pest an seinen Hals!"
"Wir kriegen ihn", versicherte Abe Stanton, doch seine Stimme wies einen nervösen Unterton auf. "Olsen, versuch auf den Hügel zu kommen, an dessen Fuß er sich verschanzt hat. Treib ihn aus seiner Deckung." Stanton kratzte sich am Hals, leckte sich über die trockenen Lippen, und schloss: "Wir anderen bleiben hier. Und wenn er auch nur seine Nasenspitze zeigt, schießen wir sie ihm weg."
Bill Olsen lief zu seinem Pferd.
In der Senke spähte John Warner über den Rand der Rinne und beobachtete voll kalter Ruhe den Hügelrücken. Von seinen Gegnern war nichts zu sehen. Warner kroch die Rinne hinauf und erreichte den Kamm des Hügels. Auf allen vieren bewegte er sich darüber hinweg, erhob sich und lief in die Senke hinunter.
Als er unten ankam, vernahm er das Pochen der Hufe eines einzelnen Pferdes. Zuerst dachte John Warner, seine überreizten Sinne spielten ihm einen Streich, doch der Hufschlag wurde deutlicher, und John Warner glitt hinter einen Busch. Der Reiter näherte sich zwischen den Hügeln. Noch konnte Warner ihn nicht sehen. Schließlich aber kam er um die Anhöhe herum.
Bill Olsen hatte das Gewehr quer über den Mähnenkamm seines Braunen gelegt und hielt es mit der Rechten am Kolbenhals fest. Die Linke führte die Leinen. Als er mit John Warner auf einer Höhe war, zeigte sich dieser.
Olsen reagierte überraschend schnell. Aber er war für John Warner zu langsam. Warner schoss aus der Hüfte. Sein Blei fegte Olsen regelrecht vom Pferderücken. Sein Gewehr flog im hohen Bogen davon. Der Braune machte einen erschreckten Satz nach vorn.
Olsen war nicht tot. Er lag auf dem Rücken. John Warners Geschoß hatte ihm die linke Schulter zerschmettert. Blut quoll aus der Wunde. Bill Olsen röchelte. Der glühende Schmerz tobte bis unter seine Schädeldecke und drohte ihm die Besinnung zu rauben. Doch Angst und Entsetzen verliehen ihm die Kraft, Schmerz und Betäubung zu überwinden, den Kopf zu heben und nach dem Colt zu greifen.
Die feurige Lohe, die aus John Warners Gewehrmündung auf ihn zustieß, war die letzte Wahrnehmung seines Lebens. Den Knall des Schusses hörte er schon nicht mehr. Er fiel zurück, seine Hand öffnete sich und der Sechsschüsser fiel ins Gras.
John Warner empfand nichts. Sie hatten ihm diesen Kampf aufgezwungen, für ihn ging es ums Überleben. Rücksichtnahme und Mitleid konnte er sich nicht leisten.
Er ging um den Toten herum und schwang sich auf das Pferd, das noch erschreckt von dem Schuss schnaubend zurückscheute, das John Warner jedoch sehr schnell seinem Willen unterwarf.
John Warner ritt im Schutze der Anhöhen ein ganzes Stück nach Westen, schwenkte nach Süden ein und näherte sich schließlich dem Hügel, von dem aus er beschossen worden war, von der Ostseite. Er ließ, als er befürchten musste, gehört zu werden, das Pferd zurück und schlich sich an.
Seine Vermutung, dass sie ihn in die Zange nehmen wollten, bestätigte sich. An der Basis des Abhanges stand nur noch ein Pferd. John Warners aufmerksamer Blick schweifte über die Hügelkuppe.
Einer saß noch dort oben.
Das war für John Warner keine Frage.
Aufgabe des Burschen war es gewesen, ihn in der Senke festzunageln.
John Warner machte sich an den Aufstieg. Unablässig sicherte er nach oben. Hier gab es Gestrüpp und Felsbrocken, die sporadisch aus der Erde wuchteten und Schutz boten. Er glitt von Deckung zu Deckung, schnell und lautlos wie ein Schatten, wartete, witterte und gehorchte seinen Instinkten. Und sie ließen ihn nicht im Stich. Als er hinter einem der Felsen hervortrat, mit den Augen die nächste Deckungsmöglichkeit anpeilend, nahm er oben zwischen den Felsen die flüchtige Bewegung wahr, drückte sich ab, und der Schütze fand nicht mehr die Zeit, sich auf das jäh veränderte Ziel einzustellen. Seine Kugel klatschte gegen Felsgestein, meißelte einen wahren Hagel von Splittern los und quarrte mit grässlichem Heulen als Querschläger davon.
John Warner stand jetzt vollkommen ungeschützt auf dem Abhang, breitbeinig und leicht in der Mitte eingeknickt, als suchte er festen Stand. Seine Winchester krachte. Oben taumelte mit einem schrillen Aufschrei ein Mann zwischen den Felsen hervor, stolperte, knickte in den Knien ein, drückte sich noch einmal zu seiner vollen Größe in die Höhe, plötzlich jedoch drehte er sich halb um seine Achse und kreiselte zu Boden. Sein Hut rollte ein Stück hangabwärts und verfing sich schließlich im Gras.
Vorsichtig pirschte John Warner sich an ihn heran. Der Bursche röchelte erstickend. Es hörte sich fast an wie verzweifeltes Wimmern. Er hatte John Warners Kugel in den rechten Oberschenkel bekommen. Mit beiden Händen umklammerte er das Bein. Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor. Die pulsierenden Schmerzen verzerrten sein verschwitztes Gesicht. Schmerz und Schock lähmten das Bewusstsein des Burschen.
Als John Warner wie aus dem Boden gewachsen neben ihm auftauchte, verstummte sein Röcheln. Sein Kehlkopf rutschte hinauf und hinunter, als er würgend schluckte. John Warner bückte sich, zog dem Burschen den Colt aus dem Holster, steckte ihn sich in den Hosenbund, nahm das Gewehr und zerschlug es an einem Felsbrocken in zwei Stücke.
Der Bursche stierte ihn aus unterlaufenen Augen an, in denen Schmerz und Hass, aber auch die panische Angst wüteten.
Wortlos wandte John Warner sich ab und schritt den Hang hinunter. Der Verwundete musste zähneknirschend zusehen, wie John Warner sein Pferd losband und davonführte. Er schleppte sich in den Schatten und knüpfte sein Halstuch auf, schlang es oberhalb der Wunde eng um seinen Oberschenkel und drosselte so die Blutzufuhr ins Bein ab. Dann lehnte er sich keuchend, halb betäubt vom Schmerz und aus jeder Pore schwitzend, mit dem Rücken gegen den Fels, um wieder Kraft zu schöpfen. Wie eine zweite Haut klebte sein Hemd an seinem Körper.
Er zuckte zusammen, als Schüsse peitschten. Die Detonationen verschmolzen ineinander und verebbten schließlich grollend.
In das Grollen hinein krachten wieder die Waffen. Die Echos verhallten. Und dann herrschte wieder diese nervenzerrende, erdrückende Stille. Sogar die Natur schien den Atem anzuhalten.
Hufschlag erklang...
*
John Warner stob in nördliche Richtung davon. Abe Stanton gab es auf, ihn zu verfolgen. Er hatte einen Toten und einen Verletzten zu beklagen und keine Lust, sich selbst oder den letzten Mann, der mit ihm in die Stadt beordert worden war, auch noch zu opfern.
Stanton und sein geschlagener Haufen kehrten in die Stadt zurück. Bill Olsen hing quer über den Rücken des Pferdes, das der Bursche mit dem durchschossenen Bein ritt. Der Mann trug einen durchbluteten Verband um den Oberschenkel. Auf der Main Street kam ihnen der Sheriff entgegen. Er trug sein Gewehr bei sich.
Der Trupp hielt an. Stanton sagte: "In der Nacht gab es eine Schießerei auf der ehemaligen Warner-Ranch. John Warner hat Dave Sherman aus dem Hinterhalt erschossen. Slim Dexter und einige Männer können es bezeugen."
"Er beginnt sich zu einem reißenden Tier zu verwandeln", versetzte der Sheriff. "Erst Browning, dann Sherman, und dieser Mann –" der Sheriff wies mit dem Kinn auf den Toten. "- geht sicherlich auch auf sein Konto."
"So ist es, Sheriff. Sie sollten sich drum kümmern, ehe Warner noch mehr Blut vergießt. Mr. Osborne hat die Warner-Ranch wieder besetzen lassen. Möglich, dass Warner dort für Furore sorgt. Er hat sich darauf verlegt, aus dem Hinterhalt zu agieren."
"Ich werde mich drum kümmern", versprach Donegan und machte kehrt. Da sah er Mae vor der Tür des Stores. Er ging zu ihr hin und sagte: "Hast du es gehört, Mae? John Warner hat sich als eiskalter Mörder entpuppt. Drei Männer gehen schon auf sein Konto. Ich werde alles tun, um ihm das blutige Handwerk zu legen."
Mae schloss einen Augenblick die Augen und atmete tief durch. "John war vorhin bei mir. Er hat mir erzählt, was sich in der Nacht zugetragen hat. Er hat Sherman im Kampf getötet. Sie kamen auf seine Ranch, um ihn zu erledigen. John hat sich gewehrt. Dabei kam Sherman ums Leben."
"Es gibt Zeugen für den Mord."
"Osborne-Männer."
"Wenn schon. Sie sind verpflichtet, vor Gericht die Wahrheit zu sagen. – Was wollte John von dir?"
Etwas in Maes Zügen verhärtete. "Er hat mir den Laufpass gegeben. Er meinte, es gäbe für uns keine gemeinsame Zukunft. Nun, es ist sein Wille. Ich kann ihn nicht zwingen, mich zu heiraten. Ich werde wohl Wes Osbornes Werben erhören." Sie lachte sarkastisch auf. "Dann wird wenigstens mein Vater glücklich."
Matt Donegan presste sekundenlang die Lippen zusammen, dass sie nur einen dünnen, blutleeren Strich bildeten. Dann stieß er hervor: "Du weißt, was ich für dich empfinde, Mae. Ich liebe dich ehrlich. Bei Osborne ist es keine Liebe. Er will sich nur mit der schönsten Frau weit und breit schmücken. Du wirst nicht glücklich an seiner Seite."
"Lass das meine Sorge sein, Matt."
"Verdammt, Mae! Das ist eine reine Trotzreaktion von dir! Überleg es dir gut, was du tust. Wenn du erst mal ja gesagt hast, wird es kein Zurück für dich geben." Ruckartig wandte Donegan sich ab. Mit ausholenden Schritten entfernte er sich. Er ging in den zum Sheriff's Office gehörenden Stall und sattelte sein Pferd. Dann verließ er die Stadt in Richtung Süden.
Der Sheriff ritt zur Warner-Ranch. Als er in den Hof ritt, verließ Emerson Shaw das Haupthaus. "Hat sich John Warner hier blicken lassen?", fragte der Sheriff.
"Nein. Und ich will ihm auch nicht raten, herzukommen."
Donegan musterte den Revolvermann unter halb gesenkten Lidern hervor. Plötzlich sagte er: "Osborne hat zur Jagd auf Warner geblasen, wie?"
"Ja. Warner ist ein gemeiner Mörder. Er hat in der Nacht Dave Sherman ermordet. Auch der Tod Adam Browning wirft Fragen auf. Ich denke, Sie sind gefordert, Sheriff."
"Sicher." Donegan nickte und zog sein Pferd herum. Im Trab verließ er die Ranch. Er lenkte das Tier nach Nordosten. Etwa zwei Meilen von der Stadt entfernt buckelte eine Gruppe von Felsen. Sie waren bis zu 100 Fuß hoch. In den Ritzen zwischen den riesigen Gesteinsblöcken wucherten dornige Büsche und verkrüppelte Kiefern. Ein natürlicher Pfad führte zwischen die Gesteinsriesen. Es gab hier tiefe Felsspalten und eine Höhle.
Donegan ritt zwischen die Felsen. Der Boden war sandig. Hin und wieder bildete eine Felsplatte den Untergrund. Die Hufe klirrten, wenn sie auf Stein prallten.
Ein natürlicher Pfad führte nach oben und verschwand zwischen den Felsen. Am Beginn dieses Pfades zügelte Donegan das Pferd. Er legte beide Hände wie einen Trichter gegen den Mund und rief: "John! John Warner!"
Es dauerte nur kurze Zeit, dann erschien der Gerufene oben auf dem Felsen. Er hielt das Gewehr mit beiden Händen schräg vor der Brust. "Was willst du, Matt?"
"Komm herunter. Ich will mit dir sprechen."
John Warner verschwand. Wenige Minuten später erschien er auf dem Pfad, der sich in Windungen nach oben schwang und bei der Höhle endete. "Hier bin ich, Matt. Wenn du gekommen bist, um mich festzunehmen, muss ich dich enttäuschen. Ich werde mich nicht verhaften lassen."
Matt Donegan stemmte beide Arme auf das Sattelhorn. "Hier haben wir schon als Kinder gespielt, John. Weißt du noch? Ich ahnte, dass du dich hier verkrochen hast."
"Yeah. Da waren wir noch Freunde. Aber diese Zeiten sind vorbei. Wir stehen auf verschiedenen Seiten."
"So sehe ich das auch, John. Ich vertrete das Gesetz. Und du bist ein Mörder."
"Ich habe niemand ermordet."
"Was ist mit Dave Sherman?"
"Ihn habe ich im Kampf getötet. Sherman hatte dieselben Chancen wie ich. Aber sicher, Matt, mir war das von vornherein klar. Die Kerle, die mit Sherman geritten sind, sagen übereinstimmend aus, dass ich ihn ohne jede Vorwarnung aus dem Sattel putzte."
"Wie war das mit Adam Browning? Emerson Shaw meint, dass bei seinem Tod auch nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist."
"Die drei Kerle griffen nach den Waffen. Ich rechnete damit, und so konnten sie mich nicht überraschen. Frag Burnett und Jim Holladay."
"Das werde ich. Verdammt, John, warum bist du bloß in diesen Landstrich zurückgekehrt? Mit dir hat der Verdruss hier Einzug gehalten. Ich muss gegen dich vorgehen. Ich bin Sheriff."
"Ich lasse mich nicht wie einen Hammel zur Schlachtbank führen, Matt. Von dir nicht, nicht von Osborne, von niemandem. Ich gebe dir mein Ehrenwort, dass ich niemand umgebracht habe. Verdammt, Matt, Osborne hat damit angefangen. Er ließ mich vor Wochen von meinem Grund und Boden vertreiben. Es war Regierungsland, das ich in Anspruch nahm. Ich bewirtschaftete es und es wäre eines Tages in meinen Besitz übergegangen. Osborne ist ein verdammter Landräuber. Nun bin ich zurückgekehrt, um mein Recht zu kämpfen. Aber mir wurden nichts als Knüppel zwischen die Beine geworfen. Die einzige, die zu mir hielt, war Mae."
"Du hast sie in die Arme Wes Osbornes getrieben, John. Sie sagte es mir, ehe ich die Stadt verließ selbst. Sie wird, nachdem du ihr den Laufpass gegeben hast, Osbornes Werben erhören. O verdammt, John. Sie hat es nicht nur so dahergesagt. Es war ihr vollkommen ernst. – Du hast nicht nur dein Leben zerstört, John. Ich werde jetzt meinen Stern abnehmen. Und dann werde ich dich verprügeln. Nicht als Sheriff. Sieh in mir nur Matt Donegan, den Mann, der einmal dein Freund war. Ich muss dir eine Lektion verpassen, John. Wie ich schon sagte: Du hast nicht nur dein Leben zerstört, sondern auch das Leben Maes und im Endeffekt auch meines. Denn ich liebe Mae. Sie begann, meine Gefühle zu erwidern. Aber dann kamst du zurück..."
Matt Donegan nahm den Stern ab und schob ihn in die Westentasche. Dann saß er ab, zog die Weste aus und hängte sie an den Sattel. "Du wirst doch nicht kneifen, John?" Mit einem Ruck öffnete er die Schließe seines Revolvergurtes. Er ließ den Gürtel achtlos zu Boden fallen.
John Warner nagte an seiner Unterlippe. Dann lehnte er das Gewehr gegen den Felsen, nahm ebenfalls seinen Revolvergurt ab, rollte ihn zusammen und legte ihn auf den Felsblock. "Du sollst deinen Kampf haben, Matt. Ich denke, er ist längst fällig zwischen uns. Und zwar seit der Zeit, in der wir beide anfingen, Mae anzuhimmeln. Als sie sich für mich entschied, hat sich deine Freundschaft zu mir in Hass verkehrt. So ist es doch, Matt?"
"Ich hasse dich nicht, John. Es ist wohl eher so, dass unsere Freundschaft nicht eng genug war, um Bestand zu haben. Wenn du denkst, dass ich dich hasse, weil dir Mae den Vorzug gegeben hat, so ist das ein Trugschluss. Ich bin nur wütend auf dich. – Komm her."
Matt Donegan hob die Arme, winkelte sie ab und ballte die Hände zu Fäusten. Ja, er war zornig auf John Warner. Denn Warner zwang ihn, den Sheriff, der einmal sein Freund war, gegen ihn vorzugehen. Er, Donegan, konnte die Augen nicht einfach vor den Anschuldigungen verschließen, die von Seiten Osbornes erhoben wurden.
Sein Zorn brauchte ein Ventil.
Er hoffte Dampf ablassen zu können, wenn er John Warner verprügelte.
Und Warner nahm die Herausforderung an. Er kam mit pendelnden Armen. In seinen Augen glomm die düstere Bereitschaft, Matt Donegan in Stücke zu schlagen...
*
Ein dumpfer Ton kämpfte sich in Donegans Brust hoch und brach aus seinem Mund, ähnlich dem hungrigen Knurren eines beutewitternden Wolfes. Und völlig überraschend stieß er sich ab. Mit einem fürchterlichen Schwinger wollte er John Warner schon beim ersten Ansturm von den Beinen fegen.
John Warner reagierte instinktiv. Er tauchte ab und die Faust Donegans pfiff über seinen Kopf hinweg. Donegan wurde von der Wucht seines Schlages halb herumgerissen, geriet ins Taumeln und hatte Mühe, sein Gleichgewicht zu bewahren.
Aber er fing sich sogleich, warf sich herum und setzte sofort nach. Seine Arme umklammerten John Warner. Ein Rammstoß mit seiner Stirn sollte Warners Gesicht treffen. Warner warf den Kopf zurück und sprengte Donegans Umklammerung. Dann hämmerte er ihm die rechte Faust in den Leib und ließ sofort die Linke folgen, die gegen den Kinnwinkel des Sheriffs knallte. Ein Haken in den Leib ließ Donegan in der Mitte einknicken, ein Schwinger gegen das Kinn ließ ihn zur Seite taumeln.
John Warner wartete ab. Er gab Donegan Zeit, sich zu erholen. Von seinem Gesicht war nicht abzulesen, was in diesen Augenblicken hinter seiner Stirn vorging. Dachte er an ihre frühere Freundschaft? Gab es eine Hemmschwelle, die es ihm verbot, dem angeschlagenen Gegner den Rest zu geben?
Matt Donegan schüttelte seine Benommenheit ab und griff mit wild schwingenden Fäusten an. Sie pfiffen auf John Warner zu. Er konnte zwei der Schläge ausweichen, den dritten parierte er mit dem Unterarm und ließ seine Linke fliegen. Er traf Donegan auf das Brustbein und sah ihn nach Luft japsen. Donegan taumelte einen Schritt zurück. Sein Gesicht lief dunkel an, seine Augen traten aus den Höhlen.
Warner hatte Donegan mit seinem Schlag die Luft genommen. Der Sheriff japste wie ein Erstickender. Und wieder wartete John Warner, bis bei Donegan der erlösende Atemzug kam.
Doch dann trat er wieder in Aktion. Er machte einen halben Schritt auf Donegan zu, knallte ihm einen Haken auf die kurzen Rippen und ließ sofort die Linke fliegen, mit der er Donegan am Kinnwinkel erwischte. Einen Herzschlag lang hatte John Warner das Gefühl, seine Handknochen zersplitterten unter der Wucht des Treffers.
Donegan zeigte diesmal kaum Reaktion. Er schüttelte sich nur, ihm entrang sich ein abgerissenes Grunzen, und dann warf er sich mit ausgebreiteten Armen John Warner entgegen, als wollte er ihn umschlingen und zerquetschen. John Warner sprang zurück und entging der Umklammerung. Er hatte die Arme angewinkelt und die Fäuste gehoben. Donegan folgte ihm. Er schlug einige Heumacher. Ein einziger Treffer mit seinen Fäusten hätte ein Pferd umgeworfen. Aber seine Fäuste zischten immer wieder ins Leere. Es war die blinde Wut, die ihn trieb. Er zwang John Warner immer weiter zurückzuweichen.
In Donegans Gesicht glitzerte Schweiß. Sein Atem ging stoßweise und rasselnd.
Donegan kam mit erhobenen Fäusten. Er ließ sie pendeln wie ein professioneller Faustkämpfer. Er begann John Warner zu umrunden, belauerte ihn und suchte nach einer Blöße bei seinem Gegner.
John Warner drehte sich auf der Stelle. Unvermittelt unternahm er einen Ausfallschritt. Seine Linke zuckte nach Matt Donegans Kopf, und der Sheriff riss unwillkürlich beide Fäuste zur Deckung hoch. Da bohrte sich ihm John Warners Rechte in die Magengrube. In diesem Schlag lagen alle Empfindungen, die John Warner beherrschten.
Ein wilder Schrei löste sich aus Donegans Mund. Sein Oberkörper krümmte sich noch vorn, genau in John Warners hochgezogenen Schwinger hinein. Dieser knallharte Uppercut ließ den Schädel Donegans wieder hochsausen, und John Warner schoss eine kerzengerade Rechte mitten in das Gesicht seines Gegners ab.
Donegan ächzte. Blut rann aus seiner Nase und aus einer Platzwunde auf seiner Unterlippe. Die Benommenheit nach den unerbittlichen Treffern ließ seinen Kopf von einer Seite auf die andere pendeln. Er war angeschlagen, aber die Furcht, dass er diesen Kampf verlieren könnte, riss ihn aus der Betäubung.
Er stürzte sich John Warner entgegen. Seine Fäuste wirbelten. Matt Donegan kämpfte mit Kraft und Verbissenheit. Seine Zähne waren fest aufeinander gepresst, seine Lippen in der Anspannung verzogen. Der Sheriff kämpfte mit stummer Verbissenheit. Er schien die Umwelt total vergessen zu haben.
Sein Angriff kam wie eine Explosion. Doch John Warner blieb in den Knien elastisch. Er federte zurück, steppte zur Seite, duckte sich ab, tauchte unter Donegans Heumachern hinweg, und bald spürte Donegan, wie seine Arme ermüdeten. Der Rhythmus seiner Schwinger kam längst nicht mehr so rasend, und die Erkenntnis, dass er seinen Gegner noch kein einziges Mal ernstlich getroffen hatte, fraß sich in sein Gemüt wie ätzende Säure.
Er hielt inne und japste nach Luft. John Warner war zwei Schritte auf Distanz gegangen. Und jetzt begann Warner, ihn zu umtänzeln. Er bewegte sich leichtfüßig und pantherhaft. Plötzlich schnellte er auf Donegan zu. Er warf sich mit der linken Schulter gegen dessen Leib und feuerte ihm gleichzeitig die geballte Faust ins Gesicht. Donegan stolperte rückwärts, ein Gurgeln quoll aus seinem Mund, mit letzter Willenskraft schickte er seine Rechte noch einmal auf die Reise, im nächsten Moment die Linke.
Und sie traf.
John Warner, der dem ersten Schwinger ausweichen wollte, beugte sich genau in den Haken hinein. Er hatte das Gefühl, der Kopf würde ihm von den Schultern geschlagen. Er flog regelrecht zur Seite, Blitze zuckten vor seinen Augen, und die Welt schien sich um ihn herum zu drehen. Er wankte und spürte, wie seine Beine unter ihm nachgeben wollten. Der Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen.
Donegan entging John Warners momentane Schwäche nicht. Er wandte sich ihm schnell und wild zu. Wie durch Nebelschleier sah John Warner ihn vor sich auftauchen. Mit einer einzigen, kraftvollen Bewegung, an der sein ganzer Körper beteiligt zu sein schien, rammte Donegan ihm das Knie von der Seite her gegen die Rippen.
John Warner stöhnte mit weitaufgerissenem Mund. Der Atem entwich seinen Lungen. Er sah nur noch feurige Garben, und dann traf ihn Donegan mit aller Härte am Ohr. Sein Kopf wurde auf die linke Schulter gerissen, er sank auf die Knie und war in diesem Augenblick vollkommen orientierungslos, wusste nicht mehr, wo hinten oder vorne war. Er sank auf die Knie nieder.
Donegan zeigte erste Anzeichen von Erschöpfung. Die Treffer, die er einstecken musste, zeigten Wirkung. Im Moment aber triumphierte er.
John Warner mobilisierte noch einmal alle Energien, die in ihm steckten. Der Wille, diesen Kampf zu gewinnen, gewann die Oberhand. Die Nebelschleier vor seinen Augen rissen. Verschwommen sah er Matt Donegan einen Schritt vor sich.
Er überwand die bleierne Erschöpfung, in der er trieb.
Und plötzlich sah John Warner wieder klar. Sein Verstand funktionierte wieder. Die Signale, die sein Bewusstsein aussandten, fanden Gehör. Seine Muskeln und Sehnen reagierten wieder. Aus seiner knienden Haltung warf er sich nach vorn. Seine Hände erwischten Donegans Beine dicht über den Knöcheln. Mit einem kraftvollen Ruck riss John Warner die Füße des Gegners vom Boden weg.
Donegan war total überrumpelt. Seine Arme ruderten haltsuchend, aber da war nichts, woran er sich klammern konnte. Der Länge nach krachte er auf den Rücken.
John Warner kämpfte sich hoch. Er wischte sich mit dem Hemdärmel Staub und Schweiß aus den Augen. Steifbeinig setzte er sich in Bewegung.
Donegan vernahm das Knirschen von Sand und Kies unter den harten Ledersohlen, das leise, melodische Klirren der Sporen. Sein unterlaufener Blick tastete sich an Warner in die Höhe. Aus dieser Perspektive kam ihm John Warner riesengroß und gewaltig vor. Donegans Zahnschmelz knirschte. Er rollte auf den Bauch und zog die Beine an, sein Oberkörper kam hoch. Ehe er sich aber zu seiner vollen Größe aufrichten konnte, landete John Warner eine knochentrockene Doublette an seinem Kinn. Donegans Kopf flog in den Nacken. Ein ersterbender Laut brach über seine Lippen. Und als ihn John Warners weit aus der Hüfte gezogener Schwinger genau auf den Punkt traf, kippte er hinüber und blieb verkrümmt liegen.
Donegan war fertig. Er hob den Kopf, versuchte, sich noch einmal hochzurappeln, fiel aber kraftlos zurück.
John Warners Arme schmerzten bis in die Schultergelenke. Er spürte schmerzhafte Verspannungen in seinen Händen. Er hatte diesen Kampf für sich entschieden. Aber er fühlte sich nicht als Sieger. Er hatte genauso Federn lassen müssen wie Matt Donegan. Es war ein Pyrrhussieg...
John Warner wandte sich ab, wankte zu einem Felsblock, ließ sich darauf nieder und barg das Gesicht in beiden Händen. Er spürte Erschöpfung – eine Erschöpfung, die von innen heraus kam und die dem Wissen entsprang, dass er mit seinem Sieg über Matt Donegan nichts besser gemacht oder erreicht hatte.
Er achtete nicht auf den Sheriff. Dieser kämpfte sich auf die Beine. Schwankend, wie ein Schilfrohr im Wind, stand er da. Dann taumelte er zu seinem Pferd, zog das Gewehr aus dem Scabbard und repetierte.
Das knackende Geräusch riss John Warner aus seiner Lethargie. Er ließ die Hände sinken und drehte den Kopf zu Donegan herum. Matt Donegan sagte mit schmalen Lippen: "Ich verhafte dich im Namen des Gesetzes, John. Dir wird vorgeworfen, drei Männer ermordet zu haben. Bis meine Untersuchungen abgeschlossen sind, nehme ich dich in Haft. Und sollte ich zu dem Ergebnis kommen, dass du tatsächlich heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen getötet hast, wird das Gericht über dein Schicksal entscheiden. Nimm die Hände hoch, John, und mach mir keine Schwierigkeiten. Es würde mir leid tun, wenn ich auf dich schießen müsste."
Müde Resignation erfasste John Warner.
*
Matt Donegan hatte das Gewehr zur Seite gelehnt und hielt jetzt seinen Revolver in der Faust. Er nahm ein Handschellenpaar aus seiner Satteltasche. Damit fesselte er John Warner die Hände auf den Rücken. Angesichts des auf ihn angeschlagenen Revolvers sah Warner keine Chance, das Blatt zu seinen Gunsten zu wenden.
Als er gefesselt war, zog Donegan seine Weste an und befestigte den Stern wieder an der linken Brustseite. "Tut mir leid um dich, John", murmelte er. Sein Gesicht trug die Spuren von John Warners Fäusten. Das rechte Auge war fast zugeschwollen. Auch am Kinn zeigte sich ein dunkler Bluterguss. Aus kleinen Platzwunden sickerte Blut. "Aber wenn Slim Dexter und die anderen Reiter der Osborne-Ranch bei Ihrer Aussage bleiben, wirst du wohl hängen."
John Warner schluckte, als würgte ihn eine unsichtbare Faust. Dann sagte er: "Mein Wort drauf, Matt, dass ich in Notwehr geschossen habe. Als ich nach Hause kam und die Kerle von der Osborne-Ranch aufforderte, meine Ranch zu verlassen, griffen sie nach den Revolvern. Ich musste mich verteidigen. Vergangene Nacht tauchte Dave Sherman mit einem raubeinigen Rudel bei mir auf. Sie veranstalteten eine Hetzjagd auf mich. Ich erschoss einige ihrer Pferde, bis sich mir zuletzt Sherman zum Kampf Mann gegen Mann stellte. Er versuchte sogar, mich hereinzulegen, doch er hatte Pech."
Warner holte Luft. Matt Donegan musterte ihn, als versuchte er, John Warners geheimste Gedanken zu ergründen. Er erforschte ihn regelrecht.
Warner fuhr fort: "Als ich heute die Stadt verlassen wollte, kreuzten Abe Stanton und drei Osborne-Männer meinen Weg. Sie eröffneten sofort das Feuer auf mich. Und dann jagten sie mich in der Wildnis. Ihre Absicht war ganz klar. Ich sollte, wenn die Jagd zu Ende war, tot sein. Ich schoss einem der Kerle eine Kugel ins Bein, der andere bezahlte mit dem Leben. Notwehr, Matt. Gerade du müsstest mich kennen und wissen, dass ich niemals einen Mann aus dem Hinterhalt abservieren würde."
"Ich werde die Wahrheit herausfinden, John", murmelte Donegan. "Ganz sicher. Ich hole jetzt dein Pferd. Es steht gewiss in der Höhle."
Er stieg den natürlichen Pfad hinauf und verschwand aus John Warners Blickfeld. Es dauerte nicht lange, dann war klingender Hufschlag zu vernehmen. Und dann erschien Donegan mit dem Pferd. Er führte es am Kopfgeschirr. "Ich werde dir jetzt die Hände vorne fesseln, damit du die Zügel führen kannst, John. Versuch nicht, mich zu überlisten."
Wenig später ritten sie. John Warner ritt voraus. Matt Donegan folgte eine Pferdelänge hinter ihm. Schon bald konnten sie die Stadt vor sich sehen. Und dann ritten sie zwischen die ersten Häuser. Donegan dirigierte John Warner zum Sheriff's Office. Dort musste er absitzen. Auch der Sheriff glitt vom Pferd.
Neugierige strömten heran und bildeten einen Kreis um den Sheriff und seinen Gefangenen. Stimmen klangen durcheinander.
Donegan trieb Warner ins Büro und von dort in den Zellentrakt. Er sperrte John Warner in eine der beiden Zellen. Die Handschellen hatte er ihm abgenommen. Das Schlagen der Gittertür und das Knirschen des Schlüssels im Schloss beinhalteten etwas Endgültiges, etwas Abschließendes. John Warner ging zu der Pritsche und setzte sich auf den Rand.
Donegan verließ den Zellentrakt, trat hinaus auf den Vorbau und rief: "Geht nach Hause, Leute. Solange er nicht verurteilt ist, gilt John Warner als unschuldig. Er bestreitet, Sherman aus dem Hinterhalt erschossen zu haben. Ich werde herauszufinden haben, was sich wirklich abspielte."
Ein Mann schob sich in den Vordergrund. Es war Abe Stanton. "Du brauchst nur Slim Dexter und die anderen Männer, die dabei waren, zu fragen, Sheriff. Sie werden dir berichten, dass Warner aus dem Hinterhalt auf Sherman schoss. Weiter brauchst du gar nicht zu ermitteln. Ein Mord genügt, um ihn aufzuhängen."
Zustimmendes Gemurmel setzte ein.
"Sicher", versetzte Donegan. "Ein Mord genügt, um ihn aufzuhängen. Wenn er aber hängt, geschieht das nach Recht und Gesetz. Also geht nach Hause, Leute."
"Wie siehst du überhaupt aus, Sheriff", rief einer. "Bist du unter die Hufe einer Stampede geraten?"
"Es gab einen Kampf zwischen Warner und mir. Eine persönliche Sache. Warner sieht nicht viel besser aus."
Die Menge zerstreute sich. Hier und dort blieben kleine Gruppen stehen, um zu debattieren.
Stanton hatte die Daumen in seinen Revolvergurt gehakt. Er legte den Kopf ein wenig schief und sagte: "Ein Bote ist unterwegs zur Ranch. Wenn Osborne hört, dass ein weiterer Mann seiner Mannschaft getötet wurde, wird er rot sehen."
Donegan zuckte gleichmütig mit den Schultern. "Ich werde alles daran setzen, um die Wahrheit herauszufinden. Und danach werde ich entscheiden, was zu veranlassen ist."
Stanton grinste spöttisch.
Der Sheriff sprang vom Vorbau, schritt an Stanton vorbei, stiefelte ein Stück die Main Street hinunter, bog in eine Gasse ein und klopfte am Ende der Gasse an die Tür eines Hauses. Als die Tür geöffnet wurde, sagte er: "Ich möchte mit Jim Holladay sprechen, Doc. Ist er vernehmungsfähig?"
"Ich habe ihm die Kugel herausgeholt", erklärte Doc Matthew. "Ja, Sie können mit ihm sprechen, Sheriff. Sie sollten ihn aber nicht über die Gebühr in Anspruch nehmen. Er ist noch ziemlich schwach und braucht Ruhe."
"Es sind nur ein paar Fragen, Doc."
"Kommen Sie herein."
Doc Matthew ließ Matt Donegan an sich vorbei ins Haus treten. Dann führte er ihn in das Zimmer, das er für die stationäre Behandlung von Kranken eingerichtet hatte. Da standen zwei Betten. In dem einen lag Dee Burnett. Er schlief. Sein Gesicht war blass und eingefallen. Im anderen Bett lag Jim Holladay. Er hatte die Augen geöffnet. Auch er war blass und sah krank aus. Seine Hände lagen auf der Bettdecke.
Matt Donegan stellte sich ans Fußende des Bettes. "Hallo, Holladay. Wie geht es?"
"Ich – ich fühle mich elend."
"Erzählen Sie mir, das vorgefallen ist auf der Warner-Ranch."
Holladay bewegte die Hände auf der Bettdecke. Der Blick seiner fiebrigen Augen war auf den Sheriff gerichtet. "Warner kam auf die Ranch", begann er stockend, "und forderte uns auf, zu verschwinden. Als wir uns weigerten, griff er zum Colt. Ehe wir zu Besinnung kamen, krachte es einige Male – und von da an weiß ich nichts mehr. Als ich wieder zu mir gekommen bin, lag ich hier. Ich habe gehört, dass Browning bei der Schießerei gestorben ist. Es war Mord, Sheriff."
"Wirst du das vor Gericht wiederholen, Holladay?"
"Natürlich, es ist die Wahrheit. Ich kann jeden Eid drauf schwören."
"Vielen Dank, Holladay. Das war's schon."
Der Sheriff verließ das Krankenzimmer. Er schaute ausgesprochen ernst. Der Arzt sagte: "Holladay ist über den Berg. Bei Burnett ist es noch kritisch. Bei ihm saß die Kugel nahe beim Herzen. Sollte er sterben, hat Warner zwei Männer auf dem Gewissen. Waren Sie nicht mal Freunde, Sie und Warner?"
"Dann hätte Warner zwischenzeitlich vier Männer auf dem Gewissen", berichtete Donegan den Arzt. "Dass wir Freunde waren ist lange her. Was mich seltsam anmutet Doc, ist die Tatsache, dass Warner es war, der die Verwundeten in die Stadt brachte. Würde er das auch getan haben, wenn er Browning, Burnett und Holladay ohne jede Warnung niedergeknallt hätte? Wäre es ihm dann nicht egal gewesen, was aus den Verwundeten geworden wäre?"
"Eine berechtigte Frage, Sheriff", knurrte der Doc. "Sie werden es nicht leicht haben, die Wahrheit zu ergründen."
"Wenn John Warner schuldig ist, muss er hängen", sagte der Sheriff hart. "Ich will aber auf keinen Fall, dass er auf Grund irgendwelcher Unwahrheiten und Intrigen gehängt wird."
Donegan verabschiedete sich von Doc Matthew...
*
Matt Donegan kehrte zum Office zurück. Er ging sofort in den Zellentrakt. John Warner erhob sich von der Pritsche, kam zur Gitterwand und umklammerte mit den Händen zwei der zolldicken Gitterstäbe. Fragend schaute er den Sheriff an.
"Ich habe mit Holladay gesprochen. Er behauptet, du hättest ohne jede Vorwarnung den Colt gezogen und zu schießen begonnen. Er, Browning und Burnett seien gar nicht zur Besinnung gekommen."
"Natürlich behauptet er das", knurrte John Warner. "Die Kerle, die in der Nacht auf meiner Ranch waren, werden auch behaupten, dass ich Sherman aus dem Hinterhalt tötete. Du wirst mich anklagen müssen, Matt. Das Urteil gegen mich dürfte bereits feststehen. Man wird einen Unschuldigen aufknüpfen."
Dumpfes Pochen war zu vernehmen. Jemand klopfte gegen die Tür. Dann war ein leises Knarren zu vernehmen. Donegan wandte sich um, verließ den Zellentrakt und betrat sein Büro. Seine Brauen zuckten in die Höhe. "Du?!"
Es war Mae Hopkins. "Ja, Matt. Ich will mit John sprechen."
Donegan schaute verkniffen. Dann stieß er hervor: "Hat er dir nicht den Laufpass gegeben? Was willst du noch von ihm?"
"Ich will die Umstände, den Tod Sherman betreffend, aus seinem Mund hören. Ich glaube nicht, dass John ein Mörder ist."
"Du liebst ihn nach wie vor, Mae", murmelte Matt Donegan. "Ich war eben beim Doc und habe mit Holladay gesprochen. Seiner Aussage nach hat John auch Adam Browning ermordet. Er soll plötzlich und unerwartet das Feuer eröffnet haben. Es sieht schlecht aus, Mae. Alles spricht gegen John. Du solltest nicht mit ihm sprechen. Du machst für ihn alles nur noch schwerer."
Mae stutzte. Sie starrte in Donegans Gesicht als wollte sie ihn hypnotisieren. "Und was glaubst du, Matt?"
Ein Schatten lief über das Gesicht des Sheriffs. Nach kurzer Überlegung sagte er: "Was ich denke, ist unmaßgeblich. Fakten zählen, Mae. Und Fakt ist, dass eine Reihe von Zeugen gegen John aussagen werden."
"Damit wäre also sein Schicksal besiegelt", entrang es sich Mae, und es klang ausgesprochen herb. "Das Urteil gegen ihn steht so gut wie fest."
Donegan hob die Schultern, ließ sie wieder nach unten sacken, und sagte: "Sprich mit John. Eine Waffe wirst du ja nicht bei dir haben, um sie ihm zuzustecken. Ich nehme an, du willst ihn unter vier Augen sprechen."
"Danke, Matt."
Mae ging zur Tür, die in den Zellentrakt führte. Ehe sie sie durchschreiten konnte, hielt sie Donegans Stimme noch einmal zurück. Donegan sagte: "War das dein Ernst, Mae, als du sagtest, du würdest Wes Osborne heiraten?"
Langsam drehte die Frau sich um. Das Blut war ihr ins Gesicht geschossen. Fest presste sie die Lippen zusammen. Dann nickte sie. "Ich habe nur zwei Möglichkeiten, Matt. Entweder, ich heirate Osborne, oder mein Vater und ich müssen die Gegend verlassen. Osborne hat mir ein Ultimatum gesetzte. Zwei Wochen. Wenn ich nach Ablauf dieser Zeit seinen Heiratsantrag nicht annehme, wird er meinen Vater fertig machen. Dad ist alt. Irgendwo neu anzufangen würde ihm sicher nicht leicht fallen."
"Dieser elende Schuft", knurrte Matt Donegan. "Himmel, Mae, du weißt, wie ich zu dir stehe. Ich wäre bereit, zusammen mit dir und deinem Vater diesen Landstrich zu verlassen. Ich würde für uns alle sorgen..."
"Du siehst, was mit Männern geschieht, die sich Osbornes Absichten in den Weg stellen. John ist das lebende Beispiel dafür. Unabhängig davon - ich mag dich sehr gerne, Matt. Ich mag dich wie einen Bruder. Liebe aber empfinde ich für John. Trotz allem. Es tut mir Leid, Matt, dass ich dir das sagen musste. Aber ich denke, es bedurfte längst einer klärenden Aussprache. Nun weißt du Bescheid."
Donegan atmete tief durch. Ihre Worte klangen in ihm nach. Sie hatte ihn aller Illusionen beraubt. Er verspürte eine tiefe Enttäuschung. Schließlich senkte er den Kopf. "Du opferst dich, Mae. Und das ist keine Basis für eine Ehe mit Osborne. Du wirst daran zerbrechen und zu Grunde gehen."
Mae sagte nichts mehr, sondern schritt durch die offene Tür in den Zellentrakt. Der Sheriff zog die Tür hinter ihr zu. John stand an der Gitterwand. Er hatte alles gehört, was gesprochen worden war. Er sagte: "Matt hat Recht. Du wirst nicht glücklich mit Osborne. Eine Ehe mit ihm wird für dich die Hölle. Warum heiratest du nicht Matt? Er liebt dich von ganzem Herzen. Er hat dich schon immer geliebt. Mich zu lieben bedeutet sein Herz an einen Verlorenen, einen Gescheiterten zu hängen, Mae. Ich habe keine Zukunft, ich bin so gut wie tot."
"Ich weiß, dass du unschuldig bist. Ich werde den besten Rechtsanwalt aus Kansas City herholen, damit er dich verteidigt. Ich lasse nicht zu, dass sie dich hängen."
"Das kostet viel Geld, Mae, Geld, das ich nicht habe. Ich..."
"Ich habe das Geld, und ich werde es investieren."
"Das bedeutet, dass ich dann in deiner Schuld stehe, Mae. Himmel, ich will das nicht. Vergiss mich, Mae. Ich habe dich von deinem Wort entbunden. Du..."
Wieder unterbrach sie ihn. "Du kannst sagen, was du willst, John. Ich weiß, was zu tun ist. Du kannst mich nicht davon abhalten. Niemand kann mich davon abhalten. Weder mein Vater, noch Wes Osborne noch sonst jemand. In dieser Sache werde ich tun, was ich für richtig halte."
Sie wandte sich ab und verließ schnell den Zellentrakt.
John Warner ging zu der Pritsche zurück und ließ sich schwer darauf fallen. Er seufzte. Aus dem Office war Stimmengemurmel zu vernehmen. Matt Donegan und Mae sprachen miteinander. Ihre Worte konnte John nicht verstehen. Dann klappte eine Tür und Ruhe kehrte ein.
John Warners Schicksal schien sich in einer Sackgasse verfahren zu haben. Alles in ihm lehnte sich dagegen auf. Aber die Situation sprach eindeutig gegen ihn...
*
Der Abend kam, und mit ihm kamen Wes Osborne und ein halbes Dutzend seiner Reiter in die Stadt. Die Kerle saßen beim Saloon ab, banden die Pferde an den Holm und gingen hinein.
An einem der Tische saß Abe Stanton. Er winkte, als er seinen Boss sah, und Osborne steuerte auf den Tisch Stantons zu. Die Reiter gingen zur Theke. Slim Dexter befand sich unter ihnen. Sie bestellten Whisky.
So mancher der Gäste zog den Kopf zwischen die Schultern. Der Verdruss, den die Horde mit in die Stadt gebracht hatte, war regelrecht zu riechen.
"Donegan hat Warner also gestellt", sagte Osborne, nachdem er sich gesetzt hatte.
"Ja. Aber Donegan schießt quer. Er scheint seinen Job plötzlich sehr ernst zu nehmen. Er will Ermittlungen anstellen und dann entscheiden, ob er Anklage gegen Warner erhebt. Es sieht ganz so aus, als würde er den Aussagen unserer Männer nicht vertrauen."
"Donegan ist ein kleines Licht, und wenn er mir nicht mehr passt als Sheriff, schicke ich ihn in die Wüste." Osborne lachte scheppernd auf. "Nun, ich denke nicht, dass er die Hand beißt, die ihn all die Jahre gestreichelt hat, Stanton. Zu einer Anklage gegen Warner wird es gar nicht erst kommen. Wir holen Warner aus dem Jail und hängen ihn auf. Kein Hahn wird nach ihm krähen."
Der Salooner kam heran. Osborne bestellte sich ein Glas Wasser. Als er es hatte und einen Schluck getrunken hatte, sagte er: "Ich werde zu Donegan gehen und ihm empfehlen, für eine Viertelstunde unterzutauchen. Mir machen kurzen Prozess mit Warner." Er erhob sich und rief: "Alles, was von jetzt an hier im Saloon getrunken wird, geht auf meine Rechnung. Trinkt, Leute. Ich bezahle alles."
Er warf Stanton einen triumphierenden Blick zu. Dann wandte er sich zum Ausgang.
"Hoch lebe Osborne!", rief ein Mann an einem der Tische.
"Three cheers for Wes Osborne!", stimmte ein weiterer Mann ein.
Doug Watson, der Trunkenbold, stand am Ende des Tresens und brabbelte etwas vor sich hin, stieß sich ab und verließ den Saloon durch die Hintertür. Er wollte nicht auf Osbornes Rechnung trinken.
Hinter Osborne pendelten die Türflügel aus. Zwischen den Häusern nistete schon die Dunkelheit. Im Westen verglühte das Abendrot. Am Westhimmel zeigte sich der Abendstern.
Osborne schaute hinüber zum Store. Er überlegte einen Moment, ob er Hopkins einen Besuch abstatten und an das Ultimatum erinnern sollte, das er Mae gesetzt hatte. Er verdrängte diesen Gedanken, stieg die wenigen Stufen hinunter und schritt in die Richtung des Sheriff's Office davon. Er erreichte das Gebäude und betrat das Büro ohne anzuklopfen.
Matt Donegan saß im Schein einer Laterne am Schreibtisch und schrieb etwas in eine Kladde. Wahrscheinlich seinen täglichen Bericht. Er blickte auf, erkannte Osborne und lehnte sich zurück. Sein Gesicht verschloss sich. Er ließ den Bleistift achtlos fallen.
"Meinen Glückwunsch, Donegan", sagte Osborne, ohne vorher zu grüßen.
"Wozu?", fragte der Sheriff.
"Zu Ihrem Erfolg. Sie haben innerhalb kürzester Zeit den Mörder meiner Männer dingfest gemacht. Eine beachtliche Leistung. Immerhin ist Warner eine ziemlich gefährliche und unberechenbare Nummer."
"Es war nicht schwer, Osborne. Was führt Sie her? Sie sind doch nicht nur gekommen, um mir zu meinem Erfolg zu gratulieren."
"Warner ist ein gemeiner Mörder, Sheriff", murmelte Osborne. Ihm war nicht entgangen, dass sich Donegan ausgesprochen distanziert verhielt. Seine Brauen hatten sich zusammengeschoben. "Er verdient weder Verständnis, noch Entgegenkommen, noch Gnade. Es bedarf keiner Anklage und Verhandlung. Wir nehmen das in die Hand, Donegan. Ihnen gebe ich den guten Rat, für eine Viertelstunde aus dem Office zu verschwinden. Wenn Sie wieder auftauchen ist alles vorbei. Niemand kann Ihnen etwas am Zeug flicken."
Hart traten die Backenknochen in Donegans Gesicht hervor. Sein Kinn wurde kantig. "Vergessen Sie's, Osborne. In dieser Stadt wird ein Mann nur gehängt, wenn es das Gesetz so will. Lynchjustiz dulde ich nicht. Also schlagen Sie sich dieses Ansinnen aus dem Kopf. An Warner kommen Sie nur über meine Leiche heran."
Osborne schaute den Sheriff an, als hätte dieser etwas vollkommen Blödsinniges von sich gegeben. Er wollte es nicht glauben, dass es jemand gab, der sich ihm zu widersetzen wagte. Es überstieg seinen Verstand. "Sie scheinen nicht richtig verstanden zu haben, Donegan", presste er hervor. "Alles, was ich von Ihnen verlange, ist eine Viertelstunde zu verschw..."
"Raus!" Donegan wies mit dem ausgestreckten Arm zu Tür. "Verschwinden Sie, Osborne. Wissen Sie überhaupt, dass Sie drauf und dran sind, einen Mord zu begehen? Lynchjustiz ist Mord."
"Was ist bloß in Sie gefahren, Osborne. Wir sind doch immer gut ausgekommen. Warum stellen Sie sich plötzlich so an? Warner ist ein Mörder. Er hat den Tod verdient."
"Aber Sie sind weder sein Richter noch sein Henker, Osborne", stieß Donegan hervor. Seine Stimme sank herab, als er fortfuhr: "Ich habe mich besonnen. Zum ersten Mal habe ich begriffen, was es heißt, einen Stern zu tragen. In der Vergangenheit tanzte ich nach Ihrer Pfeife, Osborne. Der Stern an meiner Brust war ein Hohn. Das soll sich ab heute ändern. Ich will alles tun, um dem Stern und dem Eid, den ich geschworen habe, gerecht werden."
"Ich werde sie hinwegfegen wie ein lästiges Insekt, Donegan", knirschte Osborne. "Denken Sie mal drüber nach. Sie sind ein Schwächling, ein Versager. Ohne mich sind Sie nichts – gar nichts. Sie sind gut gefahren in all den Jahren, seit Sie hier den Stern tragen. Warum wollen Sie das ändern, Donegan?"
"Ich bin es den Leuten, die an Recht und Ordnung glauben, schuldig, Osborne. Und jetzt verschwinden Sie aus meinem Büro. Und versuchen Sie nicht, mit Ihren Leuten Warner gewaltsam aus dem Jail zu holen. Ich würde es mit all der Kompetenz, die mir mein Job verleiht, verhindern. Denken Sie darüber nach, Osborne."
"Ja", fauchte der Rancher. "Ich werde nachdenken. Und am Ende meiner Gedanken werden Särge stehen. Zwei Särge. Ihrer, Donegan, und der Sarg John Warners."
Sie starrten sich an. Osborne vermittelte nur Feindschaft. Von Donegan gingen steinerne Ruhe und kalte Ablehnung aus. Er hielt dem Blick Osbornes stand. Unvermittelt wandte sich Osborne um und verließ das Office.
Donegan stieß die verbrauchte Atemluft durch die Nase aus. Sekundenlang erschrak er vor seiner eigenen Courage. Er hatte sich den mächtigsten Mann im Phillips County zum Feind gemacht. Er würde alleine dastehen. Darüber gab er sich keinen Illusionen hin. Wenn Osborne und seine Männer kamen, würde er ihnen mutterseelenallein gegenüberstehen. Der Stern würde ihn nicht schützen können. Für Osborne war das ein Stück Blech, auf das er spuckte.
Donegan ging zum Gewehrschrank. Er nahm eine Schrotflinte heraus und klappte den Doppellauf nach unten. Matt glänzten die Böden der Patronenhülsen, die in den Läufen steckten. Der Sheriff klappte die Läufe wieder nach oben. Er stellte die Shotgun in den Schrank zurück, nahm die Laterne vom Schreibtisch und ging in den Zellentrakt. Das trübe Licht huschte vor ihm her in die Zelle, in der John Warner saß. Groß und verzerrt wurden die Schatten der Männer und der Gitterstäbe auf den Boden und gegen die Wand geworfen. Im Office schlug der Regulator neunmal.
"Osborne war hier", gab der Sheriff zu verstehen. "Er will dich hängen sehen, John. Ich habe ihm gesagt, dass er an dich nur über meine Leiche herankommt."
Überrascht musterte John Warner den Sheriff. "Woher hast du plötzlich soviel Rückgrat? Bist du nicht eine der Figuren, die Osborne wie auf einem Schachbrett hin und her schiebt und dort abstellt, wo er sie gerade braucht?"
Donegan atmete etwas schneller. "Du verachtest mich, John, nicht wahr?"
"Ich kann dich nicht achten. Du bist Sheriff von Osbornes Gnaden. Eine Marionette, Matt, deren Schnüre Osborne in der Hand hält."
"Wahrscheinlich hast du recht, John", grollte Donegan. "Ja, du hast recht. Ich war Osbornes Mann. Wie du bereits einmal sagtest: Ich bin den Weg des geringsten Widerstandes gegangen. Aber das soll sich ändern. Ich will dem Stern, den ich trage, gerecht werden."
"Ein Mann muss bereit sein, für seine Überzeugung Risiken einzugehen, Matt", sagte John Warner ernst. "Ist er das nicht, taugt entweder seine Überzeugung oder er selbst nichts. Du verstehst, was ich damit sagen will?"
"Ja. Ich habe mich festgelegt, und ich gehe das Risiko ein, niedergekämpft zu werden. Und sollte ich dabei zu Grunde gehen – ich will, dass man in dieser Stadt sowohl den Stern wie auch den Mann, der ihn trägt, respektiert."
"Osborne wird deinen Stern niemals respektieren."
"Ich weiß." Matt Donegan wandte sich ab und verließ den Zellentrakt. Er sperrte die Tür des Office ab, stellte sich einen Stuhl an Fenster und beobachtete die Main Street.
Männer und Frauen gingen vorbei, Fuhrwerke zogen vorüber, hin und wieder kam ein Reiter in das Blickfeld des Sheriffs. Er ließ sich nicht täuschen. Die Ruhe, die die Stadt vermittelte, war nicht echt. Die Stadt erinnerte ihn an ein Pulverfass, dessen Lunte noch nicht in Brand gesetzt worden war. Aber das Streichholz brannte bereits. Und in der Hand hielt es Wes Osborne...
*
Das Lachen und Grölen im Saloon hatte an Lautstärke zugenommen. Es waren weitere Männer aus der Stadt in den Schankraum gekommen. Alle betranken sich auf Wes Osbornes Rechnung. Er selbst trank nur Wasser. Die Stimmung war ausgelassen.
Nachdem fast keiner der Gäste mehr nüchtern war, erhob sich Osborne. Er stieg auf seinen Stuhl und rief: "Ruhe, Leute! Ruhe! Hört mal alle her!"
Nur langsam wurde es ruhig. Schließlich aber widmeten alle ihre Aufmerksamkeit dem Ranchboss. Der ließ seine Stimme erklingen: "Im Jail sitzt ein Mörder, Leute, einer, der aus niedrigen Beweggründen drei meiner Männer erschossen hat. Dave Sherman tötete er aus dem Hinterhalt. Ist dieser Mann die Luft noch wert, die er atmet?"
Einer schrie mit schwerer Zunge: "Mörder gehören an den Strick!"
"Sehr richtig!", kam es laut von Osborne. "Mörder gehören gehängt. Ich spreche von John Warner. Er kam nach vielen Wochen, in denen kein Mensch von ihm etwas gehört hatte, zurück und gebärdet sich wie ein tollwütiger Hund. Adam Browning, Dave Sherman, Bill Olsen – diese drei Männer gehen auf sein Konto. Er tötete sie ohne besondere Not, einfach nur aus dem Gefühl des Hasses und der Rachsucht heraus. Was hat Warner damit verdient?"
"Den Strick!", brüllte einer.
"Hängen wir ihn auf!", schrie ein anderer.
Und plötzlich brüllten und johlten alle durcheinander. Einer sprang auf die Theke. "Holen wir den Bastard aus dem Gefängnis und knüpfen wir ihn auf! Das ist die einzige Antwort auf seine Verbrechen. Warner ist ein Geschwür, das aus dem Angesicht der Erde getilgt werden muss. Er soll für seine Schandtaten büßen!"
Die betrunkene Meute setzte sich in Bewegung. Die Kerle schoben und drängten. Tische wurden verrückt, Stühle kippten um, Gläser zerschellten am Fußboden. Dann ergoss sich die Horde ins Freie.
"Besorgt einen Strick!", erklang es wild.
"Nehmt ein Lasso!", brüllte ein Mann.
Die Meute zog vor das Sheriff's Office. Osborne und seine Reiter waren nicht dabei. Sie standen auf dem Vorbau des Saloons und beobachteten die Entwicklung auf der Straße. Eine tiefe Genugtuung erfüllte Wes Osborne. Mit Bier und Schnaps hatte er die Kerle im Saloon manipuliert. Und jetzt hatte er sie so weit, dass sie seinen Willen in die Tat umsetzten.
Sheriff Matt Donegan hatte das Licht gelöscht. Jetzt schob er das Fenster hoch. "Geht nach Hause, Leute. Es gibt keine Hängepartie. John Warner wird vor Gericht gestellt, und eine Jury sowie ein Richter werden über sein Schicksal befinden."
"Warum dieses Aufhebens, Sheriff!", schrie einer. "Die Schuld Warners ist erwiesen. Er hat drei Männer getötet. Skrupellos und eiskalt. Dafür gehört er an den Strick."
"Verschwinde aus dem Office, Sheriff!", ertönte es an anderer Stelle. "Du kannst uns nicht aufhalten. Also lass den Dingen ihren Lauf."
"Nehmt Vernunft an, Leute", rief Donegan. "Selbst wenn Warner ein niederträchtiger Mörder sein sollte – wollt ihr euch mit ihm auf eine Stufe stellen? Ihr seid betrunken. Vielleicht gelingt es euch, mich zu überrennen und Warner aufzuknüpfen. Aber was wird morgen sein, wenn ihr wieder nüchtern seid. Dann werdet ihr begreifen, dass ihr einen Mord begangen habt. Wollt ihr euch vor euren Söhnen und Töchtern schämen? Wollt ihr euch jedes Mal, wenn ihr in den Spiegel schaut, sagen, dass ihr Mörder seid?"
Verworrener Lärm entstand. Plötzlich krachte ein Schuss. Die Kugel klatschte neben dem Fenster gegen die Fassade des Sheriff's Office. Der Knall stieß durch die Stadt. Jemand brüllte: "Lasst euch von Donegan nichts erzählen! Er hätte Prediger werden sollen. Dieser Dummkopf beschützt einen Mörder. Wir pfeifen auf ihn. Überrennt diesen Narren, und wenn er schießt, dann hängt ihn neben Warner!"
Die Männer, die mit Osborne in die Stadt gekommen waren, hatten den Vorbau verlassen und sich unter die hängelüsterne Menschenrotte gemischt. Einer von ihnen schürte mit seinen Worten das Feuer, das Osborne gelegt hatte.
"Er ist sowieso kein richtiger Sheriff!", erklang es mit kippender Stimme. "Bisher hat er nur den Stern spazieren getragen. Reißt ihm das Stück Blech herunter und jagte ihn aus der Stadt."
Es waren böse, unheilvolle Impulse, die von den Schreihälsen ausgingen. Lärm brandete wieder auf. An verschiedenen Stellen wurde nach einem Strick für John Warner gebrüllt. Wie eine höllische Verheißung rollte der Lärm durch die Stadt. Logan stand voll und ganz im Banne des Bösen.
Die Meute setzte sich in Bewegung. Die hinteren schoben. Die vorderen hatten überhaupt keine Chance. Sie versuchten aber auch gar nicht, sich dem Drängen von hinten entgegen zu stemmen. Einer hielt ein Lasso.
Donegan feuerte einen Schuss über die Köpfe. "Die nächste Kugel trifft einen von euch!", brüllte der Sheriff.
"Geh zur Hölle, Donegan! Wenn du einen von uns erschießt, baumelst du genauso wie Warner!"
Da ertönte es aus der Dunkelheit einer Gasse hell, klar und sachlich: "Dann müsst ihr mich auch aufhängen, Leute! Ich trage eine Shotgun bei mir. Und ich werde nicht zögern, das gehackte Blei aus den Läufen zu jagen, wenn ihr nur noch einen Schritt in Richtung Office macht.
Die Meute kam ins Stocken.
Wes Osborne schrie: "Halt du dich raus, Mae. Verschwinde von der Straße!"
"Du hast mir nichts zu befehlen, Osborne", rief die Frau. "Ich lasse nicht zu, dass dieser Mob John Warner aufhängt. Pfeif sie zurück, Wes. Ich habe mich entschlossen, dich zu heiraten. Ja, du hörst richtig. Ich will deine Frau werden. Aber du musst diese Horde zurückpfeifen. Ich will nicht, dass John Warners Blut an deinen Händen klebt."
Einige Sekunden der absoluten Stille verstrichen.
Osborne musste diese Eröffnung erst mal verarbeiten. Als sein Verstand alles erfasst hatte, rief er: "Die ganze Stadt ist Zeuge, Mae. Solltest du dein Wort brechen..." Den Rest verschwieg Osborne. Er erhob noch einmal seine Stimme: "In Ordnung, Leute, lasst es gut sein. Der Wunsch meiner zukünftigen Frau ist mir Befehl. Überlasst es dem Gericht, über Warner den Stab zu brechen. Kommt zurück in den Saloon und feiert mit mir meine Verlobung mit Mae Hopkins, der schönsten Frau im County."
Einige Hochrufe kamen auf, dann machte die Meute kehrt und drängte in den Saloon zurück.
Mae trat aus der Finsternis der Gasse. Sie hielt die Shotgun mit der Rechten am Kolbenhals, der Schaft mit dem Doppellauf lag in ihrer linken Armbeuge.
Osborne war unter dem Vorbaugeländer hindurch getaucht und auf die Straße gesprungen. Er ging langsam auf Mae zu. Dann stand er ihr gegenüber. "Du wirst deinen Entschluss niemals bereuen, Darling", murmelte Osborne. "Ich mache dich zu ungekrönten Königin im County. Du wirst weit und breit die Firstlady sein." Er griff nach Mae.
Die Frau senkte den Kopf. Alles in ihr bäumte sich gegen diesen Mann auf. Sie fand ihn widerlich, denn er ging über Leichen, wenn es galt, seinem Willen Geltung zu verschaffen. Dennoch ließ sie es geschehen, dass er sie dicht an sich heranzog. "Du wirst es niemals bereuen, Mae", wiederholte er, dann küsste er sie.
Mae versteifte in seinen Armen.
*
Matt Donegan ging in den Zellentrakt. Er trug eine Laterne. Licht breitete sich aus und kroch bis in die Ecken. Der Sheriff blickte ausgesprochen ernst drein.
"Wenn Mae nicht eingegriffen hätte – ich weiß nicht, wie es dann ausgegangen wäre", sagte Donegan.
"Ich glaube, ich habe mich in dir sehr getäuscht, Matt", gab John Warner zu verstehen.
Matt Donegan winkte ab.
John Warner erhob wieder die Stimme. "Es darf nicht sein, dass Mae diesen verdammten Schuft heiratet. Du musst es verhindern, Matt."
"Wie sollte ich Maes Entschluss ändern? Sie hat sich festgelegt. Ihr Entschluss ist aus der Verbitterung heraus entstanden, nachdem du ihr erklärt hast, dass es zwischen euch beiden zu Ende sei."
"Du musst auf Mae einwirken, Matt. Magst du zu mir stehen wie du willst – erfülle mir diese Bitte."
"O verdammt", murmelte der Sheriff. "Die ganze Situation scheint total verfahren zu sein. Ich weiß bald nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Wahrscheinlich trage ich wirklich den Stern nur spazieren. Okay, John, ich werde jetzt meinen Rundgang machen und darüber nachdenken. Aber mach dir keine allzu großen Hoffnungen. Mae hat mir mit Nachdruck zu verstehen gegeben, dass sie Osborne heiraten wird."
Donegan verließ den Zellentrakt. Die Finsternis schlug über John Warner zusammen. Die Tür klappte hinter dem Sheriff zu.
Matt Donegan stellte die Lampe auf den Tisch und drehte den Docht zurück, bis die Flamme verlosch. Dann nahm er sein Gewehr, schloss die Tür auf und trat ins Freie. Er atmete tief durch und füllte seine Lungen mit frischem Sauerstoff. Aus dem Saloon trieb verworrener Lärm heran. Donegan verspürte einen galligen Geschmack in der Mundhöhle. Die Main Street lag wie ausgestorben vor ihm. Er legte sich das Gewehr auf die Schulter und marschierte los. Seine Schritte verursachten ein leises Tacken auf den Gehsteigbohlen.
Mae hatte mit ihrem Eingreifen ihn wie auch John Warner gerettet. Das war für Matt Donegan keine Frage. Er hätte dem Mob nicht standhalten können, er hätte ihm nichts entgegenzusetzen gehabt. Donegan war sich nicht mal sicher, ob er es fertig gebracht hätte, einfach in die Meute hineinzuschießen.
Er war nach einigen Überlegungen zu dem Ergebnis gekommen, dass es längst zur persönlichen Sache zwischen Wes Osborne und John Warner geworden war. Es ging nicht um das Stück Land am Bow Creek. Osborne wollte einen Konkurrenten bei Mae Hopkins ausschalten. Er hasste Warner. Und ihm war jedes Mittel recht, um Warner aus dem Weg zu räumen.
>Darauf, dass Warner vor Gericht gestellt und verurteilt wird, verlässt sich Osborne nicht,< durchfuhr es den Sheriff. >Er will auf Nummer sicher gehen. Und darum wird er nicht ruhen, bis John tot ist.<
Matt Donegan passierte den Saloon. Er stieg auf den Vorbau und warf über die geschwungenen Ränder der Pendeltür einen Blick in den Schankraum. Das Fest, das Wes Osborne gab, war im vollen Gange. Es wurde gelacht, gejohlt, gegrölt und getrunken. Niemand mehr im Saloon schien nüchtern zu sein, abgesehen von Osborne und seinen Männern, die sich zurückhielten.
Donegan verließ den Vorbau wieder und ging weiter. Er zuckte zusammen, als er aus einer finsteren Passage zwischen zwei Häusern angesprochen wurde. Eine näselnde Stimme sagte: "Wer nicht für Osborne ist, Sheriff, ist gegen ihn. Glauben Sie, er schluckt es, dass Sie ihm heute die Stirn geboten haben?"
"Bist du es, Doug?" Donegan war stehen geblieben.
"Yeah." Eine mittelgroße Gestalt schälte sich aus der Dunkelheit zwischen den Häusern. Es war Doug Watson, der Trinker. "Das vergibt Ihnen Osborne niemals, Sheriff. Sie haben ihn sich zum Feind gemacht."
"Weshalb bist du nicht im Saloon, Doug? Osborne hat heute die Spendierhose an. Du könntest trinken bis zu umfällst."
"Ich will keinen Schnaps von Osborne. Er ist ein gemeiner Lump. Ich rate Ihnen, Sheriff, aufzupassen. Ich habe drei Kerle gesehen, die den Saloon durch die Hintertür verließen. Es waren Slim Dexter und noch zwei Reiter Osbornes. Sie führen etwas im Schilde. Und es ist gewiss nichts Gutes."
"Vielen Dank für den Hinweis, Doug. Ja, ich werde die Augen offen halten. Wenn in Logan wieder Ruhe eingekehrt ist, gebe ich einen aus, Doug."
"Darauf freue ich mich, Sheriff." Doug Watson zog sich wieder in den Schatten zurück.
Matt Donegan ging weiter. Anspannung erfüllte ihn. Seine Augen waren in ständiger Bewegung und nahmen die Umgebung auf. Jäh schalteten seine Sinne auf Alarm, als er die huschende Bewegung in der Mündung einer Gasse wahrnahm. Er hielt an, bohrte seinen Blick in die Dunkelheit, konnte aber nichts mehr wahrnehmen, was sich für ihn als Gefahr entpuppen konnte. Wahrscheinlich hatte er eine Katze oder einen Hund gesehen...
Donegan schwang das Gewehr von seiner Schulter und nahm es an die Hüfte. Vorsichtig ging er weiter. Und er sagte sich, dass Wes Osbornes Unduldsamkeit nicht unterschätzt werden durfte. Osborne ließ sich von niemand gegen den Karren fahren. Donegan spürte ein seltsames Kribbeln zwischen den Schulterblättern, als er daran dachte, dass er sich den Rancher zum Feind gemacht hatte.
Was hatten die drei Kerle vor, die den Saloon durch die Hintertür verlassen hatten? Sollten sie ihm, dem Sheriff auflauern, um ihm einen Denkzettel zu verpassen?
Donegan erreichte das Ende der Stadt und machte kehrt.
Unangefochten gelangte er ins Sheriff's Office zurück. Er schloss die Tür auf, ging hinein und legte das Gewehr auf den Schreibtisch. Als die Lampe brannte, ging er in den Zellentrakt. John Warner lag auf der Pritsche. Jetzt erhob er sich und kam ans Gitter.
Donegan sagte: "Osborne feiert im Saloon mit der halben Stadt sein Verlöbnis mit Mae."
John Warner griff hinter seinen Rücken. Als seine Hand wieder zum Vorschein kam, umklammerte sie einen Bullcolt. Die Mündung glotzte Matt Donegan an wie das hohle Auge eines Totenschädels. Die Kugelköpfe der Patronen schimmerten matt in den Kammern.
"Sperr auf, Matt. Es tut mir leid, aber ich lasse mich nicht für etwas aufhängen, das ich nicht begangen habe."
Der Sheriff war zurückgeprallt. Seine Hand legte sich unwillkürlich auf den Knauf des Sechsschüssers. Als aber John Warner den Hahn des Revolvers spannte, erstarrte er mitten in der Bewegung.
"Der Schlüssel befindet sich draußen im Office, John", murmelte Matt Donegan. "Von wem hast du die Waffe?"
"Jemand schob sie mir zum Fenster herein."
"Mae?"
"Keine Ahnung. Du trägst den Schlüssel für diesen Käfig in der Westentasche, Matt. Ich weiß es. Also stell dich nicht an und sperr auf. Ich gebe dir mein Wort, dass ich weder Browning, noch Sherman noch einen dritten Mann Osbornes aus dem Hinterhalt erschossen habe. Es handelte sich in allen drei Fällen um Notwehr. Und nun öffne den Käfig, Matt. Ich werde dir den Beweis bringen, dass ich kein Mörder bin."
Plötzlich lief der Schimmer des Begreifens über Donegans Gesicht. Er stieß hervor: "Doug Watson hat mir erzählt, dass drei Männer Osbornes den Saloon durch den Hinterausgang verlassen haben. Gosh, John, sie haben dir den Revolver zugesteckt. Sobald du das Office verlässt, sollen sie dich erschießen."
"Sperr auf, Matt. Wenn deine Vermutung zutrifft, dann werde ich mich zu wehren wissen. Ich bin jetzt gewarnt, werde also nicht mit offenen Augen ins Verderben rennen. Mein Wort drauf, Matt, dass ich die Gegend nicht verlassen werde, ohne meine Unschuld bewiesen zu haben."
Matt Donegan griff in die Westentasche, holte den Zellentürschlüssel heraus und schob ihn ins Schloss. Im nächsten Moment schwang die Zellentür auf. John Warner trat in den Flur vor den Zellen. Er zog die Waffe des Sheriffs aus dem Holster. "Hinein mit dir, Matt. Zwing mich nicht, dich niederzuschlagen."
Matt Donegan betrat die Zelle. John Warner schloss die Tür hinter ihm, drehte den Schlüssel herum, zog ihn ab und schob ihn in die Hosentasche. Dann entspannte er den Bullcolt, schob ihn hinter seinen Hosenbund und nahm die Waffe des Sheriffs in die Rechte. "Ich werde mir ein Gewehr von dir ausleihen, Matt", knurrte Warner. "Aber du bekommst alles zurück."
"Du schaffst es nicht, John. Es ist Selbstmord."
Darauf gab Warner keine Antwort. Er verließ den Zellentrakt, holte sich eine Winchester aus dem Waffenschrank, kontrollierte, ob das Magazin gefüllt war und repetierte. Das Gewehr nahm er in die Linke. In seiner Rechten lag der Colt.
John Warner sperrte die Vordertür von innen ab, ging zur Hintertür, öffnete sie und glitt in den Hof. Pechige Finsternis umgab ihn. Er duckte sich, lauschte und witterte und sandte seine Instinkte aus. Dann setzte er sich in Bewegung.
Da blitzte es beim Hoftor auf. Der Schuss sprengte die Stille, die hinter den Häusern herrschte. John Warner warf sich zur Seite und feuerte seinerseits. Er schoss auf die Stelle, an der Mündungslicht aufblitzte. Geisterhafte Lichtreflexe zuckten über ihn hinweg und rissen für den Bruchteil einer Sekunde aus der Finsternis. Mit dem Verlöschen des Mündungslichts glitt er zur Seite.
Beim Tor zerplatzte eine Feuerblume. Ein Colt wummerte dumpf. Dort, wo John Warner eben noch gestanden hatte, pfiff die Kugel durch die Luft und meißelte Mauerwerk aus der Wand des Gefängnisses. Irgendwo begann wie verrückt ein Hund zu bellen. Der Krach hatte ihn aus seiner Ruhe gerissen. Einige andere Hunde stimmten ein.
Durch das Hoftor gab es für John Warner kein Entkommen. Er lief ins Office zurück, verriegelte die Hintertür und begab sich zur Vordertür. Er schloss sie auf, öffnete sie und trat sofort zur Seite. Eine Winchester peitschte. Die Kugel sirrte ins Office und schlug in die Wand. Der Schütze befand sich auf einem Hausdach auf der dem Office gegenüberliegenden Straßenseite.
John Warner stürmte, als der Gewehrschuss noch nicht richtig verklungen war, aus dem Office. In Zickzacklinie rannte er über die Straße. Schüsse peitschten. Warner hechtete nach vorne, rollte über die Schulter ab, kam vom eigenen Schwung getragen wieder auf die Beine - und verschwand in einer stockfinsteren Gasse.
Und dann erfüllte nur noch das zornige Bellen der Hunde die Stadt. John Warner stand eng an eine Hauswand geschmiegt am Beginn der Gasse und beobachtete die Main Street.
Er brauchte ein Pferd. Gesattelte Pferde standen vor dem Saloon. John Warner war kalt wie ein Eisblock...
*
Aus dem Saloon drängten Männer. John stieß den Revolver ins Holster und nahm das Gewehr an die Hüfte. Er jagte zwei Kugeln über die Köpfe hinweg. Schreiend flüchteten die Kerle zurück in den Schankraum. Wild schlugen die Flügel der Pendeltür.
John Warner ging davon aus, dass er es mit drei Gegnern zu tun hatte. Einer der Kerle hatte sich beim Hoftor des Sheriff's Office befunden. Der andere auf der dem Office gegenüberliegenden Straßenseite auf einem Hausdach. Wo war der dritte Mann. Lauerte er bei den Pferden? Oder im Mietstall?
John Warner wandte sich um und rannte in die Gasse. Er lief hinter den Häusern entlang und kaum auf die Höhe des Saloons, schlich an der Seitenwand vor bis zur Main Street und äugte um die Ecke. Dann lief er zu den Pferden, die beim Haltebalken standen. Er drängte sich zwischen die nervös schnaubenden Tiere. Irgendwo brüllte einer überschnappend: "Er ist bei den Pferden vor dem Saloon! Lasst ihn nicht entkommen.
John Warner hatte einen der Zügel gelöst. Er zerrte das Pferd aus dem Pulk der anderen Tiere und kam mit einem kraftvollen Satz in den Sattel.
Ein Gewehr krachte. Warner konnte nicht ausmachen, wo sich der Schütze befand. Er hämmerte dem Pferd die Absätze in die Weichen. Erschreckt streckte sich das Tier. Weitere Schüsse dröhnten.
Auf den Vorbau des Saloons stürzten zwei Männer Osbornes. John Warner war schon 50 Yards entfernt. Sie feuerten zwar mit ihren Colts hinter ihm her, doch die Distanz war schon zu weit für Schüsse mit dem Revolver. Und dann bog Warner in eine Seitenstraße ein und verschwand.
"Auf die Pferde!", brüllte jemand. "Wir jagen diesen Aasgeier, bis ihm die Zunge zum Hals heraushängt."
Die Kerle, die Warner beim Sheriff's Office aufgelauert hatten, kamen zum Saloon. Die anderen Reiter Osbornes verließen den Schankraum. Sie leinten ihre Pferde los, saßen auf und donnerten hinter John Warner her.
Nur Abe Stanton blieb bei Wes Osborne.
"Muss ich denn wirklich alles selber machen, damit es klappt", brummte Osborne vor sich hin. Außer Stanton, dem Revolvermann, hörte ihn niemand. "Kommen Sie, Stanton. Sehen wir mal im Office nach."
Sie fanden den Sheriff hinter Schloss und Riegel. "Der Reserveschlüssel für die Zellen liegt im Schreibtischschub", sagte Matt Donegan.
"Wie konnte das geschehen?", fragte Osborne.
"Jemand hat Warner einen Colt durch das Fenster gereicht. Damit hat er mich überrumpelt. Nun sperren Sie schon auf, Osborne, damit ich Warner folgen kann."
"Woher wissen Sie denn, dass er entkommen ist?"
"Ich hörte Hufschlag. Daher nehme ich es an. Seltsam, nicht wahr, Osborne? Erst reicht jemand Warner einen Bullcolt durch das Fenster, dann erwartete man ihn vor dem Gefängnis mit Pulver und Blei."
"Was wollen Sie damit sagen, Donegan?"
"Dass jemand Warners Flucht inszenierte, um ihn anschließend aus dem Verkehr zu ziehen. Ein teuflischer Plan."
"Holen Sie den Schlüssel aus dem Schreibtisch, Stanton", befahl Osborne, ohne den Sheriff aus den Augen zu lassen. Sein Blick war stechend, durchdringend. "Sie haben doch nicht mich in Verdacht, Donegan?"
"Für mich zählen nur Fakten. Ich verdächtige weder Sie noch sonst jemand, Osborne. Fakt ist, dass Warner Hilfe von draußen erhielt."
Abe Stanton kam mit dem Zellentürschlüssel zurück und sperrte auf. Donegan verließ die Zelle.
Osborne sagte: "Vielleicht haben sogar Sie selbst die Flucht Warners inszeniert, Donegan."
"Das soll wohl ein Witz sein", knurrte der Sheriff. "Unterstellen Sie mir vielleicht auch, dass ich einige Leute zum Office bestellt habe, die Warner mit heißem Blei in Empfang nehmen sollten?" Donegan lachte sarkastisch auf. "Es wäre einfacher gewesen, heute Abend das Office zu verlassen und ihm den hängelüsternen Mob zu überlassen."
Donegan ging ins Büro, holte aus einer Schublade des Waffenschranks einen Colt und eine Schachtel voll Munition und begann, das Schießeisen aufzuladen. Dann ließ er die Trommel einmal rotieren. Sie lief leicht. Leises Schnurren war zu hören. Donegan versenkte den 45er im Holster. Dann nahm er sich eine Winchester heraus, prüfte die Ladung und sagte: "Ich werde Warner verfolgen. Soviel ich aus den Hufschlägen vorhin hören konnte, sind Ihre Leute schon hinter ihm her." Donegan machte eine kurze Pause. Dann: "Warum hassen Sie Warner eigentlich so sehr, Osborne. Sie haben doch erreicht, was Sie wollten. Mae hat versprochen, Sie zu heiraten."
"Sie vergessen ganz, dass Warner ein gemeiner Mörder ist, Donegan. Es geht hier nicht um Hass oder andere Gefühle. Es geht einzig und allein darum, einem Verbrecher das Handwerk zu legen. Das sollten Sie auf keinen Fall vergessen, Donegan. Denn würde der Stern an Ihrer zur Farce degradiert werden."
"Wenn Sie das Office verlassen", sagte Donegan angefüllt mit wildem Sarkasmus, "dann machen Sie das Licht aus und schließen Sie die Tür. Ich habe schon viel zu viel Zeit mit sinnlosem Gerede vergeudet." Er ging zur Hintertür, wandte sich aber noch einmal um, ehe er ins Freie trat. "Ach ja, Osborne, was ich noch sagen wollte: Ich glaube nicht, dass John Warner ein Mörder ist. Ich denke viel eher, dass seine Version von den Vorfällen den Tatsachen entspricht und dass er in Notwehr handelte. Und zwar in allen drei Fällen."
Nach dem letzten Wort verließ Matt Donegan das Office. Er trat in den Hof und ging in den Stall, um sein Pferd zu satteln und zu zäumen.
Als er eine Viertelstunde später losritt, beobachteten Osborne und Stanton ihn. Sie hatten ebenfalls das Office verlassen und standen auf dem Vorbau des Saloons. Osbornes Augen funkelten gehässig. "Machen Sie ihn fertig, Stanton. Ich kann keinen Sheriff brauchen, der sich gegen mich wendet. Erledigen Sie diesen Narren."
Abe Stanton verließ den Vorbau, ging zu seinem Pferd, leinte es los und saß auf. Dann folgte er dem Sheriff in die Gasse, durch die dieser Logan verlassen hatte.
*
Die Hufe des Pferdes unter Matt Donegan pochten dumpf. Das Geräusch schluckte alle anderen Geräusche, die die Nacht erfüllten. Donegan hielt an, um zu lauschen. Von John Warner und dem Rudel, das diesem folgte, war nichts zu hören. Doch hinter Donegan war Hufgetrappel zu vernehmen.
Donegan trieb sein Pferd zwischen zwei Hügel und hielt im Schlagschatten an. Er zog das Gewehr aus dem Scabbard und repetierte. Mit den Oberschenkeln drückte er dem Pferd die Luft aus den Lungen und zwang es, ruhig zu stehen.
Die Hufschläge näherten sich. Und dann gab die Finsternis einen einzelnen Reiter frei. Er zog etwa 20 Yards von Donegan entfernt vorüber. Der Sheriff konnte nicht erkennen, um wen es sich handelte. Er rief: "Anhalten und Hände in die Höhe."
Stanton schien keine Schrecksekunde zu kennen. Bei ihm blitzte es auf. Die Kugel pfiff dorthin, von wo die Stimme gekommen war. Mit dem Brechen des Schusses sprang Stanton vom Pferd. Er hastete auf einen Strauch zu und ging dahinter in Deckung.
"Hier spricht der Sheriff", rief Donegan, weil er nicht ausschließen konnte, dass der andere ihn verwechselte und daher das Feuer eröffnet hatte.
Stanton rief: "Aaah, Sheriff, ich dachte schon, da lauert Warner. Ich bin es, Abe Stanton. Ich versuche, unsere Männer einzuholen, die Warner jagen. Tut mir leid, dass ich auf Sie geschossen habe."
Stanton hatte sich hinter dem Strauchwerk erhoben und ging zu seinem Pferd. Er saß auf. Aus der Hügellücke ritt Matt Donegan. Er hatte das Gewehr mit der Kolbenplatte auf seinem Oberschenkel abgestellt und hielt es am Kolbenhals fest. "Was für einen Auftrag haben Sie, Stanton? Warner tot zurückzubringen?"
Stanton trieb sein Pferd etwas auf den Sheriff zu. Er hielt sich so, dass er dem Sheriff die linke Seite zeigte. Als er sich ihm bis auf eine Pferdelänge genähert hatte, zog er den Colt. Es entging Donegan. Und als der Revolver donnerte, war es zu spät. Der grelle Blitz blendete Donegan. Die Kugel riss ihn aus dem Sattel. Schwer prallte er am Boden auf. Seltsamerweise spürte er keinen Schmerz. Er wollte den Kopf heben, hatte aber nicht die Kraft dazu. Ein Röcheln brach aus seiner Kehle. Und dann wurde es schwarz vor seinen Augen. Sein letzter Eindruck war, in einem pechschwarzen, bodenlosen Schacht zu stürzen.
Abe Stanton stieß den Sechsschüsser ins Futteral. Dann saß er ab. Er wollte auf Nummer sicher gehen. Zufrieden stellte er fest, dass Donegan tot war. Er stieg wieder auf sein Pferd und folgte der Spur, die sich deutlich im hohen Gras abzeichnete.
Sein Pferd war etwa eine Viertelstunde getrabt, als an Stantons Gehör das Donnern von Schüssen sickerte. Die Osborne-Männer hatten also Warner eingeholt. Stanton trieb sein Pferd zu einer schnelleren Gangart. Der Lärm der Schießerei rückte näher und wurde deutlicher. Und weitere zehn Minuten später etwa stieß der Revolvermann auf ein Rudel Pferde, das im Schutz einer Buschgruppe stand. Die Tiere waren an den Ästen festgebunden. Ganz in der Nähe dröhnte ein Gewehr. Andere stimmten ein. Und dann wummerte dumpf ein Colt. Der Wind trieb den Geruch verbrannten Pulvers heran.
Abe Stanton schwang sich vom Pferd...
*
John Warner hatte sich auf einem Hügel verschanzt. Ein paar Felsen boten ihm und seinem Pferd Deckung. Er feuerte auf die Kerle, die versuchten, den Hügel zu stürmen und schätzte, dass er es mit mindestens fünf Gegnern zu tun hatte. Die Finsternis war Verbündeter seiner Jäger. Warner nahm nur huschende Bewegungen wahr. Wenn er darauf feuerte, war der jeweilige Schemen schon wieder in Deckung verschwunden.
Einer schrie: "Gib auf, Warner. Du kannst uns nicht entkommen. Willst du wirklich auf diesem Hügel sterben?"
John Warner gab keine Antwort. Einer seiner Gegner löste sich aus der Deckung eines Gebüsches und rannte hangaufwärts. Warner hielt auf ihn. Der Bursche hechtete zur Seite. Sofort wurde die Stelle, an der John Warners Mündungslichter aufglühten, von drei oder vier Waffen unter Feuer genommen. Es krachte und jaulte Ohren betäubend.
John Warner registrierte, dass sie lediglich von drei Seiten versuchten, ihn in die Zange zu nehmen. Der Weg nach Osten schien frei zu sein. Hier konnte er sich nicht mehr lange halten. Er entschied sich von einem Augenblick zum anderen, zog sich zurück und erreichte sein Pferd. Das Tier am Kopfgeschirr führend wandte er sich nach Osten. Der grasige Untergrund war weich wie ein Teppich, so dass die Hufschläge kaum zu hören waren. Dennoch kam jedes Geräusch, das er und das Pferd verursachten, Warner überlaut vor.
Doch seine Jäger schienen nicht zu bemerken, dass er sich anschickte, zu fliehen. Sie waren wahrscheinlich damit beschäftigt, sich den Hang hinauf zu arbeiten und waren nur auf ihre Sicherheit bedacht.
Als John Warner der Meinung war, der dreiseitigen Umklammerung entronnen zu sein, saß er auf. Er schob das Gewehr in den Scabbard, nahm den Revolver zur Hand und spannte den Hahn. So ganz traute er dem Frieden nicht. Es konnte auch eine Falle sein.
Und es war eine Falle. Warner war noch keine 100 Yards weit gekommen, als seitlich von ihm ein Schemen in die Höhe wuchs. John Warner sah ihn aus den Augenwinkeln. Seine Hand mit dem Revolver ruckte herum. Die Schüsse fielen fast gleichzeitig. John Warner spürte einen fürchterlichen Schlag gegen die Schulter. Der Schmerz kam mit Vehemenz. Sein linker Arm wurde gefühllos.
Der Schemen war zusammengebrochen. Aber da blitzte es vor Warner auf. Sein Pferd brach zusammen. Es hatte die Kugel in den Kopf bekommen. John Warner stürzte zusammen mit dem Tier, rollte zur Seite und hielt krampfhaft das Gewehr fest.
Die Umrisse des Mannes, der zuletzt geschossen hatte, hoben sich scharf gegen den helleren Hintergrund ab. John Warner lag auf dem Bauch und sah die Silhouette. Er überlegte nicht lange und drückte ab. Die Kugel fuhr – von einem Donnerschlag begleitet -, aus dem Lauf. Dem Burschen wurden die Beine vom Boden weggerissen. Dann krachte er zu Boden.
Warner erhob sich. Schmerz von seiner durchschossenen Schulter flutete bis unter seine Schädeldecke. Hinter ihm war das Trampeln von Schritten zu hören. Warner konnte den linken Arm wieder bewegen – wenn auch nur unter quälenden Schmerzen. Ein Taumel wollte ihn erfassen. Warm rann es seinen Arm und die Brust hinunter. Er biss die Zähne zusammen und rannte los. Der Hügelkamm senkte sich nach Osten hin ab. Warners Lungen fingen an zu pumpen. Seine Bronchien pfiffen. Er hatte es noch immer mit drei oder vier Gegnern zu tun. In seinem Zustand war er nur halbwertig. Er lief mit dem Tod um die Wette...
John Warner erreichte die Senke. Da gab es viele Büsche. Er behielt die Richtung nach Osten bei. Sein Herzschlag raste. In seinen Ohren rauschte das Blut. In einer Gruppe von Büschen warf er sich zu Boden. Er konnte nicht mehr. Der Schmerz ließ ihn röcheln. Sein Atem flog. Schweiß rann ihm über die Wangen. Der linke Arm war nur bedingt einsetzbar. Wenn er ihn bewegte, eskalierte der Schmerz.
Warner nahm sein Halstuch ab und stopfte es unter das Hemd. So hoffte er die Blutung zu stillen. Er kroch unter einen Busch. Wie ein waidwundes Tier versuchte er, sich vor seinen Jägern zu verstecken.
Dann hörte er sie kommen. Ihre Sporen klirrten leise. Ab und zu knackte ein dürrer Ast unter einem Tritt. Stimmen erklangen, versanken in der Stille, erklangen auf's Neue. Stiefelleder knarrte.
"Er kann nicht weit sein", hörte er einen Mann rufen.
"Durchkämmt die Senke nach ihm!", ordnete einer an. "Er kann sich nur irgendwo zwischen den Büschen verkrochen haben. Sein Pferd ist tot. Vielleicht ist er sogar verwundet."
John Warner versuchte ganz flach zu atmen. Es gelang ihm nicht. Er war noch immer außer Atem. Er lag da ohne sich zu bewegen. Jetzt war er dankbar dafür, dass es Nacht war.
Ganz in seiner Nähe schlich ein Mann vorbei. Zweige peitschen. Laub raschelte. John Warner konnte sogar das Schaben des Hosenstoffs hören, der beim Gehen an den inneren Oberschenkeln aneinander rieb. Er staute den Atem und hatte das Gefühl, dass ihm jeden Moment die Lungen platzten mussten. Aber dann entfernte sich der Bursche und Warner atmete aus.
Er blieb, wo er war. Die Kerle durchstreiften noch einige Zeit das Buschland, dann gaben sie auf. Sie verschwanden. John Warner blieb unter dem Strauch liegen. Er fühlte sich müde und zerschlagen. Die Dunkelheit, die ihn umgab, verstärkte das Gefühl von Unsicherheit, Einsamkeit und Verlorenheit...
*
John Warner taumelte durch die Finsternis, stolperte über einen abgebrochenen Ast und schlug lang hin. Benommen blieb er minutenlang liegen. In seinen Schläfen dröhnte es. Er war benommen, und es dauerte einige Zeit, bis seine Gedanken wieder einigermaßen klar waren. Schweratmend erhob er sich wieder, seine Hände waren zerschunden und bluteten. Er hatte sie sich auf scharfem Gestein verletzt. Ein milchiger Schleier lag über seinen Augen, seine Lider waren schwer wie Blei. Er drohte erneut die Gewalt über seinen Körper zu verlieren. Doch schon in der nächsten Sekunde gewann der Überlebenswille die Oberhand und erfüllte den schwer angeschlagenen Körper mit neuer Energie.
Mit letzter Kraft taumelte er den Pfad hinauf, der zu der Felsenhöhle führte. Seine Beine wollten ihn kaum noch tragen. Er wankte in die Höhle und ließ sich einfach zu Boden fallen. Die Kälte aus dem Gestein kroch durch seine Kleidung. Die Schatten der Bewusstlosigkeit glitten heran, doch sie rissen ihn nicht in die Tiefe.
Er wusste nicht, wie lange er am Boden gelegen hatte, als er sich auf alle Viere hochrappelte und zur Felswand kroch. Er setzte sich und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Das Gewehr hielt er immer noch in der Hand. Jetzt lehnte er es neben sich an den Fels. Sein Körper kam zur Ruhe. In der Wunde an seiner Schulter hämmerte und stach es.
John Warner war klar, dass er Hilfe brauchte. Er hatte kein Pferd, war verwundet und ausgehöhlt. In diesem Zustand hatte er keine Chance. Er schloss die Augen. Sein gequälter Verstand wirbelte und produzierte farbige Bilder. Sie schälten sich aus den Nebeln der Vergangenheit, versanken wieder, um auf's Neue an seinem inneren Auge vorbei zu laufen. Phantasierte er schon?
Er riss die Augen wieder auf. Die Bilder verschwanden. Aber er fühlte wieder die Schwäche - diese schreckliche Schwäche, die alle Sehnen und Muskeln in ihm gelähmt zu haben schien. Übelkeit krampfte seinen Magen zusammen. Irgendwann aber überwältigte ihn die Erschöpfung. Er schlief ein.
Als er wieder aufwachte, war es heller Tag. Außerhalb der Höhle zwitscherten die Vögel. Verständnislos schaute John Warner sich um. Dann aber setzte die Erinnerung ein. Ihm wurde klar, dass er sich in der Nacht mit letzter Kraft in die Höhle geschleppt hatte. Er duckte sich unwillkürlich unter dem Anprall der Erkenntnis, dass er verloren hatte. Ein dumpfer Laut, ein Stöhnen stieg aus seiner Kehle. Alles in ihm bäumte sich dagegen auf.
Er dachte an Mae. Würde sie ihm helfen?
Er verwarf den Gedanken. Denn er konnte sich nicht am helllichten Tag in die Stadt wagen.
Aber da war mehr als das Wissen um seine Verlorenheit. Da waren Hunger und Durst, die in quälten. Er erhob sich. Seine Knie waren weich wie Butter. Er wankte aus der Höhle. Die grelle Sonne blendet ihn. So weit das Auge reichte, sah er nur Wildnis. Hier gab es weder Wasser noch Wild, das er schießen hätte können. Er hätte auch gar kein Feuer entfachen können, weil er keine Streichhölzer bei sich hatte.
Er musste sich in die Stadt wagen. Andernfalls würde er es nicht mehr schaffen, von hier wegzukommen. Er würde elendiglich zu Grunde gehen.
John Warner torkelte durch die Ödnis. Die Sonne brannte auf ihn herunter und verwandelte das Land in einen Glutofen. Der Selbsterhaltungstrieb peitschte John Warner voran. Die Schwäche kroch wie flüssiges Blei durch seinen Körper. Dumpfe Benommenheit brandete in ihm auf. Der Druck in seinem Schädel schien sein Hirn einzuengen. Jeder Atemzug strengte ihn an.
Dann lag die Stadt vor ihm. In der Hitze schienen die Gebäude zu zittern. Jede Deckung, die sich ihm bot, ausnutzend pirschte John Warner auf die Häuser zu. Er durfte nicht gesehen werden. Er lief an Schuppen und Gartenzäunen entlang, passierte einen Pferch mit Ziegen und Schafen und näherte sich dem Store von hinten. Uringeruch hing in der Luft. Kein Windzug regte sich.
John Warner war an der Hintertür des Store. Sie war nicht verschlossen. Er taumelte in den Flur. Hier war es düster. Die Luft hier schien zu stehen. Der Verwundete legte die Hand auf den Knauf einer Tür, die vom Korridor abzweigte, drehte ihn und taumelte in einen Raum, bei dem es sich wohl um die Wohnstube handelte. Denn es gab hier einen braunen Schrank, ein Board, und eine Garnitur mit zwei Plüschsesseln und einer Couch. Sie war um einen Tisch gruppiert, auf dem eine Vase mit Blumen stand.
Vorne, im Laden, bimmelte die Türglocke. Warner verließ die Wohnstube wieder und öffnete eine weitere Tür. Es schaute in einen Schlafraum. Ein Bett stand da, an der Wand war ein Kleiderschrank, auf der anderen Seite sah John Warner einen Spiegeltisch. Einige Flakons mit verschiedenfarbigem Inhalt standen auf der Ablage. John Warner sah auch eine Haarbürste.
Er war in Maes Schlafkammer gelandet.
Vor dem Spiegeltisch stand ein Stuhl. Warner setzte sich darauf. Sein Kinn sank auf die Brust. Er spürte, wie Benommenheit gegen sein Bewusstsein anbrandete. Und plötzlich schien sich der Raum um ihn herum zu drehen. Er wurde von einer unsichtbaren Kraft vom Stuhl gehoben und schlug lang hin. Stechender Schmerz durchfuhr ihn wie ein stählerner Pfeil. In seiner Brust entstand ein tiefes Gurgeln, es kämpfte sich hoch. Der Mund öffnete sich, ein Röcheln drang daraus hervor. Und dann spülte ihn eine Welle der Benommenheit hinweg. Die Besinnungslosigkeit kam wie eine graue, alles verschlingende Flut. So sehr er sich auch bemühte, dagegen anzukämpfen. Er hatte dem nichts entgegenzusetzen...
*
Als John Warner zu sich kam, lag er im Bett. Verständnislos schaute er sich um. Bruchstückhaft kam die Erinnerung. Sein letzter Eindruck war, dass er durch die Hintertür in Hopkins Haus schlich, in einen Schlafraum gelangte und sich auf einen Stuhl setzte. Dann war sein Denken gerissen.
Befand er sich noch in Carl Hopkins Haus? Warner erschrak. Hopkins war gegen ihn eingestellt. Er stand auf der Seite Osbornes.
John Warner spürte ziehenden Schmerz in der Schulter. Sein Oberkörper war nackt. Ein weißer Verband schlang sich um seine Brust und die Schulter. Sein linker Arm lag in einer Schlinge. Er drehte etwas den Kopf und konnte durch ein Fenster die Giebelseite eines Schuppens sehen.
Dann hörte Warner Schritte. Und gleich darauf wurde die Zimmertür geöffnet. In ihrem Rahmen erschien Mae. Als sie sah, dass John Warner zu sich gekommen war, lächelte sie. "Na endlich", sagte sie dann. "Ich dachte schon, du willst überhaupt nicht mehr aufwachen."
Sie kam ins Zimmer, drückte die Tür hinter sich zu und näherte sich dem Bett.
"Wie lange liege ich hier schon?", fragte Warner.
"24 Stunden", kam die Antwort. "Als ich dich fand, warst du halb tot. Wir haben dich dann in mein Bett gelegt..."
"Wir?"
"Ja, Dad und ich."
"Dein Vater ist gegen mich."
"Ich habe ihm gedroht, Logan zu verlassen, wenn er dich an Osborne verrät." Wieder lächelte Mae. "Er hat sich gefügt – wenn auch ziemlich widerstrebend."
"Was ist geschehen?"
"Die Mannschaft der Osborne-Ranch kam von der Jagd nach dir zurück. Die Kerle brachten einen Toten und einen Verletzten mit und berichteten, dass es zu einem Kampf mit dir gekommen sei, dass du ihnen aber entkommen bist." Mae stockte. Sie schluckte würgend. Dann sagte sie: "Aber das ist nicht alles, John. Matt Donegan wurde ebenfalls tot in die Stadt gebracht. Erschossen! Jeder weiß, dass er auf deiner Fährte ritt. Man lastet auch seinen Tod dir an."
John Warner zeigte tiefe Betroffenheit. Er leckte sich über die trockenen Lippen. Ihm entging nicht, dass ihn Mae fragend und voll angespannter Erwartung anstarrte. "Matt – ist – tot", entrang es sich ihm erschüttert. "Gütiger Gott! Du musst mir glauben, Mae: Ich habe Matt nicht erschossen, Mae. Als ich aus dem Gefängnis floh, sperrte ich ihn in die Zelle. Da habe ich ihn zum letzten Mal gesehen."
"Ich glaube dir, John." Sie schaute John Warner offen an. "Ja, ich glaube dir. Man hat nach Matt Osbornes Revolvermann, diesen Abe Stanton, die Stadt verlassen sehen. Er folgte Matt und kam mit der Osborne-Mannschaft wieder zurück. Ich denke, dass er Matt auf dem Gewissen hat. Und viele Menschen in der Stadt denken sicher genau so wie ich. Aber niemand wagt es laut auszusprechen. Alle fürchten Osborne und seinen höllischen Anhang."
"Sicher, Mae. Stanton hat Matt auf dem Gewissen. Er musste sterben, weil er nicht mehr nach Osbornes Pfeife tanzen wollte. Himmel, Mae, ich kann nicht länger hier bleiben. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es in der Stadt die Runde macht, dass ihr mich in eurem Haus versteckt. Osborne will mich tot sehen. Sicher hat er wieder einige seiner Männer in der Stadt postiert."
Er schleuderte mit der rechten Hand die Bettdecke von sich und schwang die Beine aus dem Bett.
"Du bist viel zu schwach, John, um aufzustehen. Der Doc meint, du brauchst mindestens eine Woche Ruhe. Du hast viel Blut verloren."
"In der Stadt trage ich meine Haut zu Markte, Mae. Osborne wird es erfahren. Und er wird seine Killer schicken."
Warner drückte sich hoch. Schwankend stand er. Sein Gesicht hatte sich verzerrt. In seinen Mundwinkeln zuckte es. Aber er hielt sich auf den Beinen.
Mae sah ein, dass sie ihn nicht halten konnte. Jedes weitere Wort wäre in den Wind gesprochen gewesen. Sie half ihm, sich anzukleiden. Zuletzt schnallte er sich den Revolvergurt um. Dann sagte er: "Ich brauche ein Pferd, Mae. Kannst du mir eines aus dem Mietstall besorgen. Ich warte hier so lange. Bring das Tier hinter das Haus."
"Was hast du vor, John?"
"Ich muss Slim Dexter in meine Gewalt bekommen. Er muss gestehen, dass ich Dave Sherman in Notwehr erschoss. Dann ist vielleicht auch Jim Holladay bereit, die Wahrheit zu sagen."
"Das schaffst du nicht, John. Du bist nur noch ein Schatten deiner selbst. Warum verlassen wir nicht diesen Landstrich. Ich würde mit dir überall hin gehen. Wir müssten auch keine Not leiden. Ich habe einige Ersparnisse."
"Nein", knirschte Warner. "Wir müssten Kansas verlassen. Denn hier würde man mich als Mörder jagen." Er schüttelte den Kopf. Trotzig schaute er Mae an. "Ich liebe dich nach wie vor, Mae. Als ich unser Verlöbnis löste..."
"Du brauchst nichts weiter zu sagen", unterbrach sie ihn. "Ich kenne den Grund. Aber jetzt bist du drauf und dran, dich den Wölfen zum Fraß vorzuwerfen. Du bist zu schwach, um gegen Osborne und seine Strolche bestehen zu können."
"Ich muss meine Unschuld beweisen", murmelte John Warner. "Andernfalls ende ich als Geächteter. Ich bin es mir – und auch dir schuldig, Mae. Nur wenn mein Name reingewaschen ist, können wir in Ruhe und Frieden leben."
"Er hat recht", sagte eine dunkle Stimme von der Tür her. Im nächsten Moment trat Carl Hopkins ins Zimmer. "Ich habe lange nachgedacht, Warner", gab er zu verstehen. "Und eben hörte ich deine letzten Worte. Ich bin davon überzeugt, dass du in Notwehr geschossen hast. Ich will mich Maes Glück nicht länger in den Weg stellen. An der Seite eines Gehetzten, eines Verfemten aber würde sie unglücklich werden. Beweise deine Unschuld, Warner, und mein Segen ist euch beiden sicher."
"Dad..." entrang es sich Mae ungläubig. "Du bist wirklich bereit, John als Schwiegersohn zu akzeptieren?"
"Wenn er unschuldig ist – ja."
"Ich werde meine Unschuld beweisen", versicherte John Warner. "Mein Wort drauf. Ich werde Wes Osborne die Maske des Biedermannes vom Gesicht reißen."
*
Es war John Warner gelungen, unbemerkt die Stadt zu verlassen. Jetzt beobachtete er die Osborne-Ranch von der Kuppe eines Hügels aus. Einige Felsen schützten ihn vor unliebsamen Blicken von unten. Ehe er das Haus Hopkins' verlassen hatte, hatte ihm Mae noch eine kräftige Fleischbrühe gekocht. Er fühlte sich bei weitem nicht mehr so schwach und ausgehöhlt wie am Nachmittag, nachdem er aus seiner Besinnungslosigkeit erwachte.
Die Sonne hatte sich dem Westen genähert. Auf der Ranch gingen die Helfer ihrer Arbeit nach. Einmal waren ein paar Cowboys angekommen. Sie hatten ihre Pferde versorgt, mit Wes Osborne, der auf die Veranda gekommen war, ein paar Worte gewechselt und waren dann in der Mannschaftsunterkunft verschwunden.
Es dauerte nicht lange, dann sah John Warner den Mann über den Hof schreiten, den er in seine Gewalt bringen wollte.
Slim Dexter!
Er verschwand im Ranchhaus.
Die Schatten wurden lang und schwach, rötlicher Schein legte sich auf das Land. Dann kam Dexter zurück. Er schritt zur Mannschaftsunterkunft. Es dauerte nur kurze Zeit, dann kamen er und vier Männer wieder in den Hof. Sie holten Sättel aus dem Stall, gingen zum Corral und sattelten sich Pferde. Wenig später verließen sie die Ranch.
Sie schlugen die Richtung zur Stadt ein.
John Warner folgte ihnen. Bis Logan waren es von der Osborne-Ranch etwa sechs Meilen. Es ging durch hügeliges Weideland. Manchmal begegneten Warner Rudeln weidender Rinder. Sie trugen den Osborne-Brand.
Von Osten her schob sich grau in grau die Abenddämmerung ins Land. Der Himmel im Westen schien jetzt in Flammen zu stehen.
Nachdem sie etwa drei Meilen zurückgelegt hatten, überholte John Warner den Reiterpulk. Hinter einem Hügel wartete er. Das Zwielicht legte dunkle Schatten in sein hohlwangiges Gesicht. Die Bergspitzen glänzten noch im Sonnenlicht, doch in den tief eingeschnittenen Hügellücken wob schon die Dunkelheit.
John Warner hörte den Hufschlag der näher kommenden Pferde. Er zog den Colt aus dem Holster. Die Schulterwunde handicapte ihn kaum nennenswert, solange er den linken Arm nicht bewegen musste. Da war nur ziehender, aber erträglicher Schmerz.
Dann waren die Hufschläge ganz nahe. John Warner trieb sein Pferd an. Als ihn die Reiter der Osborne-Ranch wahrnahmen, rissen sie die Pferde zurück und griffen nach den Waffen. Warner feuerte einen Schuss ab. Die Kugel pfiff über die Köpfe der Kerle hinweg. Sie erstarrten in der Bewegung. Hände, die die Knäufe bereits berührten, zuckten zurück, als wären diese plötzlich glühend heiß geworden.
Zwei Pferdelängen vor dem Rudel hielt John Warner an. "Zieht vorsichtig euere Knarren aus den Holstern und lasst sie fallen!" Sein Tonfall ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, dass er angesichts ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit seiner Anordnung auf die raue Art und Weise Nachdruck zu verleihen bereit war.
Mit spitzen Fingern zogen sie die Schießeisen aus den Futteralen und ließen sie zu Boden fallen.
"Absitzen und von den Pferden wegtreten!", kam es barsch von Warner. "Du nicht, Dexter. Du wirfst lediglich noch dein Gewehr weg. Vorwärts."
Während die vier Reiter kein Risiko eingingen und absaßen, zog Slim Dexter seine Winchester aus dem Scabbard und ließ sie seinem Revolver folgen.
"Okay, Leute", sagte Warner. "Ihr werdet jetzt zur Ranch zurücklaufen. Denn eure Pferde nehme ich mit. Haut ab! Der kleine Marsch wird euch sicher nicht schaden."
"Was soll das werden?", schnappte Slim Dexter. Jeder Zug seines Gesichts verriet Unsicherheit und Unbehaglichkeit. Vielleicht drückte sich sogar Furcht in seiner Miene aus.
"Das wirst du schon sehen", versetzte John Warner und winkte mit dem Colt. Es war eine Aufforderung an die Cowboys, seiner Anordnung nachzukommen.
Die vier Weidereiter setzten sich in Bewegung. Als sie über einen Hügel verschwunden waren, sagte John Warner: "Du wirst jetzt absitzen und die Zügel der Pferde zusammenknüpfen, Dexter, damit du die Tiere ins Schlepptau nehmen kannst. Vorwärts. Und versuche lieber nichts." John Warners Stimme klirrte vor Kälte. Sein letzter Satz beinhaltete eine düstere Drohung.
Dexter wagte nicht, sich zu widersetzen. Wenige Minuten später ritten sie. Das Pferd mit Slim Dexter ging eine Pferdelänge vor John Warner. Slim Dexter führte eines der Osborne-Pferde an der Longe. Die anderen Tiere liefen daneben her. Sie ritten Schritttempo. In der Nähe der Stadt befahl John Warner dem Vormann der Osborne-Ranch, die Pferde freizulassen. Dann dirigierte er Dexter zu der Felsengruppe zwei Meilen südlich der Stadt, die ihm schon zweimal als Schlupfwinkel gedient hatte. Sie führten die Pferde den steinigen Pfad hinauf, erreichten die Höhle und leinten die Pferde an die Äste eines dornigen Strauches.
"Was soll ich hier?", fragte Dexter mit schwankender, belegter Stimme. "Was hast du vor?"
"Umdrehen!", kommandierte John Warner.
Als ihm Dexter den Rücken zuwandte, schlug Warner mit dem Colt zu. Dexter brach zusammen. John Warner fesselte ihm mit dünnen Lederschnüren, die er in der Satteltasche mit sich führte, Hände und Füße.
Zwischenzeitlich war es ziemlich finster geworden. John Warner wartete ab, bis es endgültig Nacht war. Dann ritt zur Stadt. Er näherte sich von der Hinterseite dem Haus Hopkins', stellte das Pferd ab, ging zur Tür und pochte dagegen. Wenig später wurde ihm geöffnet. Lichtschein, den eine Laterne verbreitete, blendete ihn. Schließlich erkannte er Carl Hopkins. Er sagte: "Slim Dexter, der die Wahrheit bezüglich des Todes von Dave Sherman kennt, befindet sich in meiner Gewalt. Ich möchte, dass Sie zusammen mit dem Friedensrichter mit mir kommen, Mr. Hopkins. Sie sollen dabei sein, falls Dexter ein Geständnis ablegt."
"In Ordnung, ich komme mit", sagte Hopkins und wandte sich um.
Er verschwand in einem Raum. Finsternis hüllte John Warner ein. Eine helle Stimme erklang "John?"
"Ja, Mae. Ich bin es."
Sie kam zu ihm. Er nahm sie in die Arme. "Alles wird gut", murmelte er, dann küsste er sie.
Carl Hopkins kam zurück. Er sagte: "Lauf zum Friedensrichter, Mae, und sag ihm, dass ich ihn in einer Viertelstunde abholen werde. Es ist sehr wichtig. Er soll sich auf jeden Fall bereit machen. Sag ihm, es geht um Leben oder Tod. Ich besorge nur im Mietstall einen Buggy. Sie, Warner, warten hier."
Mae löste sich von John Warner und eilte davon. Sie stellte keine Fragen. Die Frau hatte begriffen, dass es darum ging, John Warners Unschuld zu beweisen.
Auch Carl Hopkins verschwand...
*
Hopkins fuhr mit dem Buggy auf der Main Street entlang. Er wollte den Friedensrichter abholen. Da trat eine hochgewachsene Gestalt in seinen Weg und der Storehalter musste das Pferd zügeln. Es war Abe Stanton, der Revolvermann Wes Osbornes. Er legte seine Hand an das Kopfgeschirr des Zugpferdes. "Wohin, Hopkins? Ich habe Sie gesehen, als Sie ziemlich eilig zum Mietstall marschierten. Was ist der Grund für Ihre Eile?"
"Das geht Sie gar nichts an, Stanton. Machen Sie den Weg frei. Was bilden Sie sich überhaupt ein?"
"Vor wenigen Minuten ist ein Bote von der Ranch in der Stadt eingetroffen", sagte Stanton. "John Warner hat Slim Dexter auf dem Weg nach Logan entführt. Dass Ihre Tochter in Warner verliebt ist, pfeifen die Spatzen von den Dächern. Haben Sie sich etwa auch auf die Seite Warners geschlagen? Dass Sie zu dieser Stunde ein Fahrzeug mieten, hängt doch sicherlich mit Warner und Dexter zusammen. Ich frage Sie daher zum letzten Mal: Wohin wollen sie mit dem Wagen?"
Da rief aus einer dunklen Gasse John Warner: "Ja, Stanton, es hängt mit mir zusammen. Und zwar damit, dass ich meine Unschuld beweisen werde. Heh, Stanton, wie war das mit Matt Donegan. Sie verließen nach ihm die Stadt. Eines ist sicher: Ich habe Matt nicht erschossen. Kam die Kugel, die ihn tötete, vielleicht aus ihrem Colt?"
Langsam wandte Stanton sich um. Er bohrte seinen Blick in die Finsternis, die in der Gasse herrschte, in der sich John Warner befand. "Das trifft sich ja gut, Warner", rief der Gunslinger. "Kommen Sie auf die Straße."
John Warner trat aus der Dunkelheit der Gasse. Langsam schritt er zur Mitte der Main Street. Abe Stanton drehte sich auf der Stelle und folgte jeder seiner Bewegungen mit den Augen. Warner blieb stehen. Er rief mit einer Stimme, die den Klang zerspringenden Glases hatte: "Ich behaupte, dass Sie der Mörder des Sheriffs sind, Stanton. Sie haben ihn im Auftrag Wes Osbornes erschossen, weil Donegan sich gegen Osborne gestellt hat."
Stanton zog wortlos.
Bei John Warner blitzte es auf. Der Colt bäumte sich auf in seiner Faust. Das dumpfe Wummern der Schüsse staute sich für den Bruchteil einer Sekunde zwischen den Gebäuden der Stadt und verhallte schließlich.
John Warner stand breitbeinig da. Er hielt den Colt in der Waagerechten, um nötigenfalls noch einmal zu feuern.
Abe Stanton wankte. Er machte einen unbeholfenen Schritt nach vorn, strauchelte und stürzte. Er begrub seinen Revolver unter sich. Ein lang gezogenes Stöhnen kam aus seiner Kehle.
Carl Hopkins sprang vom Wagen und kniete bei ihm nieder. Er drehte Stanton auf den Rücken.
John Warner kam heran. Er hielt den Colt noch in der Hand. Aber sein Arm baumelte locker nach unten, die Mündung des Sechsschüssers wies auf den Boden.
Stanton röchelte.
"Reden Sie schon, Stanton", sagte Hopkins mit drängender Stimme. "Erleichtern Sie ihr Gewissen. Waren Sie es, der den Sheriff erschoss?"
"Ja", kam es kaum hörbar aus dem Mund des Sterbenden. "Osborne – schickte – mich – hinter – ihm – her. Donegan – hatte - keine - Chance."
Die Worte waren abgehackt und nur als unverständliche, gurgelnde Laute aus Stantons Mund gekommen. Doch Hopkins hatte verstanden, was der Revolvermann mit letzter Kraft sagte. Mit einem verlöschenden Ton auf den Lippen war Abe Stanton gestorben.
Ein weißhaariger Mann kam schnell die Straße herunter. Er war mit einem dunklen Anzug und einem weißen Hemd gekleidet.
Von überall her kamen plötzlich Menschen. Aus Gassen, aus Wohngebäuden, aus dem Saloon... Sie kamen von allen Seiten. Der Mann im dunklen Anzug hielt bei Carl Hopkins an. "Was ist geschehen, Carl. Du hast deine Tochter zu mir geschickt. Es gehe um Leben oder Tod, meinte sie. Wer ist das? Und wer um alles in der Welt hat geschossen?"
"Geschossen habe ich, Mr. Potter", sagte John Warner. "Bei dem Toten handelt es sich um Abe Stanton, um einen von Osbornes Schnellschießern."
"Sie, Warner! Sie wagen sich in die Stadt? Man legt Ihnen mehrere Morde zur Last..."
"Von denen ich keinen begangen habe, Sir."
Hopkins mischte sich ein. "Stanton hat mit dem letzten Atemzug gestanden, dass er Donegan im Auftrag Osbornes ermordet hat. Steig ein, Jed. Warner hat Slim Dexter in seine Gewalt gebracht. Ich denke, Dexter kann zur Aufklärung des Todes von Dave Sherman beitragen."
"Ich hole mein Pferd", sagte John Warner und holsterte den Colt. Mit ausholenden Schritten ging er davon.
*
"Es ist richtig", sagte Slim Dexter. "Wir ritten im Auftrag Osbornes zur Warner-Ranch, um Warner für alle Zeiten abzuservieren. Doch Warner hatte sich außerhalb seiner Ranch auf die Lauer gelegt. Er rechnete wohl mit unserem Kommen. Er schoss uns einige Pferde weg, und zuletzt standen er und Sherman sich gegenüber. Warner hat Sherman im Kampf getötet."
Jedidiah Potter, der Friedensrichter, und Carl Hopkins hörten es.
"Was können Sie uns über den Vorfall auf der Warner-Ranch berichten, als Adam Browning getötet und Dee Burnett sowie Jim Holladay verwundet wurden?", fragte der Friedensrichter.
"Die Geschichte kenne ich nur vom Hörensagen. Es kam zu einer Schießerei, als Warner auftauchte. Mehr weiß ich nicht. Sie müssen Burnett oder Holladay befragen."
"Werden Sie Ihre Aussage vor Gericht wiederholen?", fragte Jed Potter.
"Natürlich", versetzte Dexter. "Mir kann niemand etwas anhaben. Ich war lediglich dabei, als wir zur Warner-Ranch ritten. Und ich habe nicht mal einen Schuss abgegeben."
"Wenn Sie sich als Kronzeuge zur Verfügung stellen, gehen Sie so oder so straffrei aus", versicherte der Friedensrichter."
"Dann bin ich also ein freier Mann?"
"Nein. Aber Sie werden den Gerichtssaal als freier Mann verlassen, wenn Sie gegen Osborne aussagen."
*
Der Reiter sprang im vollen Galopp aus dem Sattel, rannte die wenigen Stufen zur Veranda hinauf und pochte mit der Faust gegen die Eingangstür des Haupthauses der Osborne-Ranch.
Das abgetriebene Pferd hatte sein Tempo gedrosselt, als es den Mann nicht mehr auf seinem Rücken spürte, und trottete jetzt zum Tränketrog.
Wes Osborne öffnete die Tür. Der Reiter wurde von gelbem Lichtschein übergossen. Die Gestalt des Ranchers wurde scharf vom Licht umrissen.
"Warner hat Stanton erschossen, Boss. Und Stanton hat, bevor er starb, gestanden, den Sheriff ermordet zu haben. Er nannte Sie als Auftraggeber für den Mord, Boss."
Osborne knirschte mit den Zähnen. "Möge dieser Hurensohn in der Hölle schmoren!", zischte er, dann entschloss er sich. "Lass mein Pferd satteln. Ich reite in die Stadt." Er warf sich herum und verschwand im Haus.
Als er wenig später in den Hof kam, lag um seine Hüften ein Patronengurt mit einem schweren Revolver im Holster. In der linken Hand trug er ein Gewehr. Der Cowboy führte ein gesatteltes Pferd heran. "Soll ich Sie begleiten, Boss?"
"Nein. Ich reite alleine. Jeder in der Stadt soll sehen, dass ich nichts zu befürchten habe. Ich werde einige Dinge klar stellen. Ich werde mich der Aussage Stantons stellen. Und man wird mir Glauben schenken..."
Er stieß das Gewehr in den Scabbard, schwang sich in den Sattel und ritt an. Als er den Ranchhof verlassen hatte, trieb er sein Pferd an.
Das Tier trug ihn im Galopp in die Stadt. Überall brannten Lichter. Auch das Sheriff's Office war erleuchtet. Auf der Straße standen Gruppen von Menschen. Soeben hatten John Warner, Carl Hopkins und der Friedensrichter Slim Dexter in die Stadt gebracht. Jetzt befand sich Dexter hinter Schloss und Riegel.
"Da ist Osborne, dieser verdammte Bastard!", brüllte jemand. "Wir sollten ihn an den nächsten Baum hängen!"
"Eine Unverfrorenheit von ihm, sich nach Logan zu wagen!", schrie ein anderer Mann. "Will er uns weiterhin Sand in die Augen streuen?"
Osborne war seinem Pferd in die Zügel gefallen. Die Stimmung hier in der Stadt hatte sich gegen ihn gewandt. Und er schalt sich einen Narren, dass er alleine nach Logan geritten war. Er rief mit weithin hallender Stimme: "Ich weiß zwar nicht, was geschehen ist, Leute, aber ich bin mir keiner Schuld bewusst. Was ist plötzlich in euch gefahren?"
"Stanton hat gestanden, dass er in deinem Auftrag den Sheriff ermordet hat!", schrie eine raue Stimme. "Stanton ist tot! Er kann für den Mord nicht mehr zu Rechenschaft gezogen werden. Aber du, Osborne."
Die Menschen kamen näher und schoben sich um Osborne herum zusammen. Knisternde Spannung erfüllte die Atmosphäre, fast wie vor einem schweren Gewitter.
"Ich weiß nicht, was Stanton bewogen hat, derartigen Unsinn zu erzählen", verlautbarte Osborne mit erhobener Stimme, jedes einzelne Wort betonend. "Was sollte ich für Interesse an Donegans Tod haben?"
Da ließ John Warner sein Organ erklingen. Er stand auf dem Vorbau es Sheriff's Office. Warner rief: "Nicht nur Stanton hat ein Geständnis abgelegt, Osborne. Auch Dexter hat gestanden. Hopkins und der Friedensrichter sind Zeugen. Ich bin reingewaschen von dem Vorwurf, Dave Sherman ermordet zu haben. Und es wird sich auch herausstellen, dass ich Browning und die beiden anderen Cowboys in Notwehr erschoss. Steigen Sie vom Pferd und heben Sie die Hände, Osborne. Wir werden Sie einsperren, und wenn ein neuer Sheriff ernannt ist, wird man Sie der wiederholten Anstiftung zum Mord anklagen."
Ein Ring aus Leibern kreiste Osborne ein. Drohendes Gemurmel und Geraune erhob sich. Die Situation drohte sich zuzuspitzen. Plötzlich gab Osborne seinem Pferd die Sporen. Und er riss den Colt aus dem Holster. Sein Schuss dröhnte. Das Pferd prallte gegen die Wand aus Leibern und riss einige Männer um. Rücksichtslos trieb Osborne das Tier weiter. Die Neugierigen drängten schreiend und fluchend auseinander. Eine Gasse bildete sich, durch die Osborne sein Pferd lenkte. Und wieder krachte sein Colt.
John Warner war vom Vorbau verschwunden. Er rannte schräg über die Fahrbahn auf Osborne zu. Wie hineingeschmiedet lag in seiner Rechten der Revolver.
Osborne hatte den Ring aus Leibern durchbrochen. Er sah John Warner mitten auf der Main Street näher laufen, riss die Faust mit dem Colt hoch und feuerte. Aber er schoss viel zu hastig. Außerdem bewegte sich sein Pferd. John Warner wurde jedenfalls nicht getroffen. Er kniete ab. Das Pferd Osbornes stob auf ihn zu. Warner zielte mit steinerner Ruhe. Dann brüllte sein Colt auf.
Osborne warf beide Arme in die Höhe, kippte nach hinten und stürzte vom Pferd. Sein rechtes Bein blieb im Steigbügel hängen und er wurde von dem galoppierenden Tier ein ganzes Stück mitgeschleift. Staub wallte dicht. Dann glitt der Fuß Osbornes aus dem Steigbügel. Der verbrecherische Rancher blieb mitten auf der Fahrbahn liegen.
John Warner ging zu ihm hin.
Osborne wimmerte leise.
Warner sagte: "Das Spiel ist aus, Osborne. Sicher werden auch Dee Burnett und Jim Holladay die Wahrheit sagen, wenn es keinen mehr gibt, der sie bezahlt. Die Männer, die gestorben sind, gehen allesamt auf Ihr Konto. Ich schätze, man wird Sie hängen."
John Warner wandte sich ab. Da sah er Mae. Sie lief auf dem Gehsteig näher. Ihre schnellen Schritte hämmerten rhythmisch auf den Bohlen. Warner ging ihr entgegen. Und dann lag sie in seinen Armen. Als er sie küsste, wusste sie, dass er ihr gehörte. Für immer.
Der Wolf in Gestalt Wes Osbornes war aus seinem Schafpelz geschlüpft und wurde erlegt.
Die Zukunft gehörte Mae Hopkins und John Warner. Ihrem Glück stand nichts mehr im Wege...
E N D E