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EINZUG

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Ein neues Problemchen kündigt sich an: Finn hat die Windpocken. Aber noch geht es. Nach unserer Ankunft in Karibib besorgen wir uns zuerst eine Unterkunft im Hotel. Die Zimmer sind im Bungalowstil um einen kleinen Innenhof gruppiert und können mit dem Auto erreicht werden. Bäume und blühende Sträucher wachsen am Rande einer Freiluft-Tanzfläche. Nichts modernes, alles etwas winkelig, verbaut, aber doch ganz hübsch.

Nachts ist es unerträglich heiß. Das Öffnen der Fenster vor dem Fliegendraht bringt nichts. Aber es schadet auch nicht, denn die beiden akustischen Überfälle in dieser Nacht hätten auch die Scheiben locker durchdrungen: Das langsam stärker werdende Tuckern der Diesellok gleich nebenan auf der anderen Seite der Straße ist ja noch harmlos. Aber die plötzlich einsetzende Fanfare, die die Nacht zerplatzen lässt, dieser hässlich technische Posaunenton, der mit dicken kalten Metallbacken über unsere schweißnassen Körper dahinbläst, quer durch unsere Zimmer, und der nicht aufhören will! Ist es möglich, dass der Stationsvorsteher schwerhörig ist? Oder hat der Lokführer mit den Karibibern eine Rechnung zu begleichen?

Diese Nacht jedenfalls erfüllt nicht ihren biologischen Sinn, und unser Sohn ist jetzt richtig krank geworden und jammert unablässig.

Am nächsten Morgen warten wir zerschlagen im leeren Haus auf die Spedition. Gegen Mittag erscheint der Schulleiter Jan Kolberg. Ich habe ihn mir älter vorgestellt. Sein jungenhaftes verschmitztes Lächeln und sein unbefangenes Auftreten ohne Vorgesetzten-Allüren berühren uns angenehm. Seine Botschaft ist weniger erfreulich: Die Spedition hat angerufen, sie kommt erst morgen.

Am Abend schlägt sich Ole die Lippe auf, und in der Nacht hat die South African Railways ihren Fahrplan kein bisschen geändert.

Am nächsten Tag müssen wir bis zum frühen Nachmittag warten, bis der Möbelwagen endlich kommt. Und dann geht alles sehr schnell: Nachdem sich das Riesengeschütz auf unserem Grundstück zwischen den grünen Baumkronen der Pfefferbäume postiert hat und das mitgebrachte Kofferradio aus Leibeskräften Reggae-Musik verströmt, räumen die farbigen Packer mit wiegenden Hüften und geschmeidigen Tanzschritt-Einlagen unser Umzugsgut in mäßigem Akkordtempo um, und wir haben gerade noch Zeit, sie in die richtigen Zimmer zu dirigieren, die fehlenden oder kaputten Teile zu registrieren. Auspacken? Zusammenbauen? Einräumen? Nein, dazu hätten sie keinen Auftrag. Je mehr sich die Sachen unübersichtlich stapeln, desto mehr bricht meine Frau zusammen. Sie hat auf mehr Hilfe, auf mehr Service gehofft. Vielleicht ist es auch die Situation des Neubeginns, die Hitze oder die schlaflose Nacht oder die kranken oder quengelnden Kinder – alles zusammen macht vielleicht den Berg, der vor uns liegt, größer, als er ist.

Wir arbeiten uns langsam durch. Die beiden Söhne des Schulleiters helfen uns bei der Montage von Betten und Borden. Ein paar Tage später sieht Hubert Seitz vorbei, mein – ebenfalls von Köln vermittelter – Kollege. Er stammt aus Ulm, lebt seit einem Jahr hier, und ist jetzt gerade mit Frau und Tochter aus Kapstadt zurück. Er ist etwa in meinem Alter, technisch versiert und hilfsbereit. Er wird uns ein paar Verlängerungskabel umrüsten, denn Stecker und Steckdosen sind hier dreipolig.

Für fehlende Anschlüsse sorgt die Firma Waltz. Das Haus ist für diesen Ansturm elektrisch betriebener Geräte nicht eingerichtet, wir haben allein drei Kühlschränke und einen Gefrierschrank mitgebracht.

Das Haus vorne, das parallel zur Straße liegt und über die Garagenauffahrt zu erreichen ist, beherbergt die Küche, das Wohnzimmer, ein Spielzimmer für die Kinder und ein Bad. Der Flur am Eingang dient als Esszimmer. Hier stehen nun unsere Ikea-Gartenmöbel, und von hier aus überblicken wir den nördlichen Teil des Grundstücks mit der Einfahrt, und wunderschön ist der Blick in die Ferne über die Milchbuschhecke hinweg, über die weiter unten verstreut liegenden Häuser des Ortes hinaus in die hügelige Buschebene, die da hinten nach etwa 30 Kilometern am eindrucksvollen Erongo-Gebirge endet.

Über die kleine Küche betreten wir den durchgrünten Innenhof, der dadurch entsteht, dass das zweite Haus mit dem vorderen einen spitzen Winkel bildet und durch eine kurze Mauer mit schmiedeeiserner Tür verbunden ist.

In das obere Stockwerk dieses „Schlafhauses“ führt eine offene Eisentreppe auf einen schmalen Balkon, und unter dieser Konstruktion befindet sich ein gemauertes Goldfischbecken. Am Fuße der Treppe richten wir uns eine kleine Sitzgruppe ein. Hier haben wir morgens und am späten Nachmittag Schatten, und den braucht man.

Die offene Seite dieses Innenhof-Winkels gibt den Blick frei auf den Guavenbaum, der von den Abwässern des Bads unterirdisch versorgt wird. An einer Reihe von Lebensbäumen vorbei gelangt man um den Grillplatz (Braaivleis-Platz) herum in den weiter unten liegenden Teil des Gartens.

Die Hauswände sind verputzt und - wie die Eisenrohrkonstruktion - in hellem Pastell gestrichen. Am Schlafhaus dort oben, wo mein Arbeitszimmer eingerichtet wird, steigen zwei stilisierte Seevögel an der Wand auf. So etwas könnte auch in einem Seebad an der Nordseeküste stehen – Architektur der Nierentisch-Epoche aus den 50er Jahren.

Wir lernen Antje und Werner Drechsler kennen, die beide an meiner künftigen Schule unterrichten. Sie heißen uns willkommen und laden uns ein, ihr Häuschen liegt um die Ecke. Zusammen mit Familie Seitz sind wir abends auf der Terrasse der Drechslers und genießen eine unbeschreibliche Stimmung. Die sandige Plattform, auf der wir sitzen, ist am Haus von einem schwarzen Schattennetz überdacht, mit Sträuchern und blühenden Gewächsen durchgrünt und thront halbkreisförmig über dem tiefer liegenden Garten. Durch das schwarze Filigran des Pfefferbaumes mit seinen dünnen, hängenden Zweigen und den langen, fein gefiederten Blättern glänzt das warme Licht der schnell sinkenden Sonne. Weiter unten ist alles, was an Zivilisation erinnert, hinter grünen Baumkronen verborgen, und der Blick auf den Erongo in majestätischem Graublau ist unverstellt. Bald ist der Sonnenball im Westen verschwunden, und die Berge sind jetzt tiefschwarze, scharfe Silhouetten vor der gewaltigen Bühne des untergehenden Tages.

Aber es ist noch warm über dem dunklen Buschland, und hundertstimmiges „Geck – Geck“ dringt zu uns herauf, die Stimmen der kleinen Echsen, Geckos genannt, die sich auch in den Schlupfwinkeln der Häuserfassaden gern aufhalten.

Und in unserer Runde flackert ein Feuer und kocht Fisch im Dreifuß-Topf. Wir essen und singen und trinken Kapwein, verstehen uns gut und sind durch und durch zufrieden.

Hoffnung auf Regen

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