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DISKUSSIONEN IN DER SCHULE

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Hausaufgaben müssen die Schüler der PSK nachmittags in den so genannten Arbeitsstunden erledigen – unter Aufsicht. Auch ich bin eingeteilt und betreue freitags die Gruppe der 10- bis 11-Jährigen – und bin danach jedes Mal „geschafft“ und zornig. Ein Chaos! Sechsundzwanzig arme Würstchen, die ihre Sachen nicht dabeihaben, ihre Hausaufgaben nicht wissen, nicht selbstständig arbeiten können, von der Aufsicht unverfroren die Ergebnisse verlangen – und immer auf dem Sprung, den notwendigen Rahmen der Arbeitsstunde listig zu sprengen, 26 kleine Partisanen im Kampf gegen die Zwangsjacke des Lernens. Sie haben eine Ahnung von der Vergeblichkeit ihres Tuns, und in dieser Ausweglosigkeit möchten sie wenigstens noch etwas Spaß haben. Erst wenn Gewalt droht, schrecken sie zurück, schwenken für Augenblicke um, sagen „Entschuldigung“, zeigen sich sehr einsichtig, hatten das alles selbstverständlich nie gewollt, irgendein Teufel müsse sie geritten haben...

Ich suche Halt in meiner pädagogischen Not. Aber: Meine Kollegen sitzen genauso davor, im morgendlichen Unterricht ist es ähnlich. Die einen senken einfach die Anforderungen, den anderen rutscht häufiger die Hand aus – Jan Kolberg legt mir das letztere nahe...

Zusammenarbeit mit den Erziehern des Heims auf der anderen Straßenseite gibt es nicht. Und die Eltern? 70 % seiner Kinder, schätzt Hubert, stammen aus zerrütteten Verhältnissen, sind von Gewalttätigkeiten, Scheidungen, Liebschaften und Besitzgier gezeichnet.

Das alles überrascht mich sehr. Da sieht man, wie stark Vorurteile prägen: Hab ich doch geglaubt, in Südwest herrsche „Zucht und Ordnung“! Südwest als Hort alter deutscher Tugenden und Traditionen – ist das nicht das Bild in unseren Köpfen? Gut, ich weiß noch zu wenig, hab noch zu wenig erlebt, der Bäcker von Omaruru mit seinen Hakenkreuzbrötchen pflegt schließlich auch eine Art deut-scher Tradition – aber zumindest in der Erziehung scheint das Bild nicht zu stimmen.

Da denke ich, ich könnte Punkte sammeln, wenn ich konsequent jeden aus meiner Gitarren-Anfänger-Gruppe ausschließe, der sich über Wochen hinweg hartnäckig weigert zu üben. Weit gefehlt! Die Schüler fühlen sich persönlich getroffen und sind empört! – Das Gefühl überfällt mich, im Stich gelassen zu werden. Ich werde nicht ausreichend vorher informiert über das, was ich verlangen kann und was mich erwartet. Ich laufe in offene Messer.

Nur Werner Drechsler sieht das anders. Meinen Leidensdruck will er nicht recht akzeptieren. Er packt mich an unseren gemeinsamen pädagogischen Idealen: Und ist der Schüler noch so schwach und noch so geschädigt – wir müssen aus ihm einen „Menschen“ machen! Meinen Einwand, ich sei Realschullehrer und kein Heilpädagoge oder Sozialarbeiter, lässt er nicht gelten. Oder hat uns in der Bundesrepublik die Spezialisierung im Beruf den Horizont verengt, den Blick fürs Ganze genommen?

Auf meine Anregung hin diskutieren wir in der Lehrerkonferenz über Niveau und Selbsteinschätzung der PSK. Vertreter des Vorstands sind mit eingeladen worden und nehmen interessiert teil. Mehrheitlich sind wir uns einig, dass die PSK ihren bisherigen An-spruch nur aufrechterhalten kann, wenn sie nicht mehr jeden Schüler aufnimmt und die Versetzungsbestimmungen einhält. So soll langfristig eine Tendenzwende erreicht werden.

Die Schule hat auch finanzielle Probleme. Sie untersteht der so genannten 2. Ebene, das ist die Ebene der ethnischen Volksgruppenvertretungen, von denen es in diesem Land elf gibt10.

Zuständig ist natürlich die Administration der Weißen, wobei nicht nach englischer, burischer oder deutscher Abstammung unterschieden wird. In dieser weißen Administration ist das konservative, burische Element stark vertreten, so dass die Deutschsprechenden manchmal das Gefühl haben, vernachlässigt zu werden. Tatsächlich fließen die staatlichen Zuschüsse zum Schulbetrieb nur zögernd und unregelmäßig.

Im Übrigen hält die Ethnizität der Verwaltung auch die Apartheid am Leben: Unsere Coloureds-Kinder dürfen in unseren Listen gar nicht erscheinen, sonst wären wir nicht mehr förderungswürdig. Folglich erhalten wir für diese Kinder auch keine Zuschüsse.

Nun könnte man sich ja an die ethnische Regierung der Rehoboth-Baster wenden, die die meisten dieser Kinder beschulen müsste. Angeblich hat man das versucht. Die schlitzohrige Antwort: Wir zahlen nur für Kinder, die in unsere Schulen gehen.

Dieses System der ethnischen Regierungen schafft zwangsläufig Abgrenzungsprobleme: Wer gilt als weiß? Genügt es, wenn der Vater weiß ist? Ist der Vater überhaupt weiß? – Da muss man schon den Stammbaum durchgehen, um den „Ariernachweis“ zu führen...

Schlagartig ist mir dieses Problem an Uwe klar geworden. Uwe ist ein blonder, sommersprossiger Junge, der die deutsche Sprache im Klassenvergleich am besten beherrscht. Ich fiel aus allen Wolken, als ich neulich eher beiläufig erfuhr, dass er als Coloured gilt! Es genügt eben nicht, wenn der Vater weiß ist – Uwe hat eine farbige Mutter.

Diskussionen im Lehrerzimmer sind selten, dazu sind die Pausen zu kurz. Aber neulich wurde Zwille heftig. Ich weiß nicht mehr, wie es ausgelöst wurde – jedenfalls ging es um die Verbrechen im Dritten Reich. Aber, so Zwille, das sehen wir in der Bundesrepublik alle falsch. Das deutsche Volk wird systematisch belogen, und die angeblichen Beweise für die Ermordung von 6 Millionen Juden sind alle falsch. Zur Bekräftigung bringt er mir am nächsten Tag einige Schriften mit, die ich auch mit Interesse lese.

Und nun ist etwas passiert, was dem Fass den Boden ausschlägt: Die Interessengemeinschaft deutschsprachiger Südwester (IG), ein politischer, aber überparteilicher Zusammenschluss von relativ liberalen Menschen, hat durch Vermittlung von Bundesaußenminister Genscher ein Gespräch mit SWAPO-Chef Sam Nujoma in Harare (Simbabwe) geführt, nach der Devise „Gespräche können nie schaden“ oder auch „Einen Feind kannst du nur bekämpfen, wenn du ihn kennst“. Ob die IG die „ehrliche Haut“ und das „gradlinige Denken“ ihrer Landsleute ausreichend ins Kalkül gezogen hat? Zwille artikuliert dieses Denken lautstark: Wie kann man nur mit einem Verbrecher Gespräche führen, der unsere Söhne an der Grenze ermorden lässt!

Auch die „Allgemeine Zeitung“ (AZ), die deutschsprachige Tageszeitung aus Windhoek, schießt sich auf die IG ein. Sie ist in diesen Tagen voll von giftigen und sehr persönlichen Angriffen, was wiederum meinen Kollegen Dieter Lenz sehr trifft, der Mitglied im Hauptvorstand der IG ist. Typisch für die gegenwärtige Stimmung ist der Leserbrief eines M.W. Rust, der seinen Austritt erklärt und ihn so begründet: „Nach meiner Auffassung ist es unmöglich, sich mit einem Gangsterboss oder einem Terroristenhäuptling und Mörderbandenchef an den Verhandlungstisch zu setzen, ohne dessen Ansehen aufzupolieren und das eigene zu zerstören“ (AZ vom 27. Mai 1983).

Vergessen ist die Tatsache, dass schon 1981 Vertreter der SWAPO, der RSA und der internen Parteien Namibias in Genf an einem Tisch saßen, und verdrängt wird die Tatsache, dass die SWAPO 1958 als Reaktion auf Gewalt und Unrecht entstand und dass bis heute eine Selbstbestimmung der nichtweißen Bevölkerung mit Gewalt verhindert wird.

Hoffnung auf Regen

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