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AM TUNNEL

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Der Himmel im Westen glüht noch nach. Aber die Nacht mit ihrem gewaltigen Sternenhimmel und dem berühmten, aber doch recht unscheinbaren Kreuz des Südens liegt längst über uns, als wir drei Kilometer außerhalb Karibibs zwei Farmtore öffnen und über Sandpads holpern.

Werner Drechsler hat meine Frau nach Haus gebracht und mich abgeholt – Schichtwechsel wegen der kranken Kinder, die sich mit Windpocken, Husten und Bronchialkatarrh herumschlagen. Heute ist nämlich Kollegiumsfest am „Tunnel“, und wir sind auf dem Weg dahin. Wir fahren auf einen Bergrücken zu, der aus reinem Marmor besteht. Werner macht mich auf eine gerade Linie aufmerksam, die aus dem Gestein heraus nach Karibib zeigt, ein niedriger Damm aus Marmorschutt: „Da wurden früher die Marmorblöcke mit Loren bis zum Karibiber Bahnhof gebracht. Von dort gelangten sie an die Küste und mit Schiffen bis nach Europa. Sogar im Berliner Reichstag ist angeblich Karibiber Marmor verbaut worden.“

Der Weg führt abwärts, einem kleinen Rivier zu, das am Fuße des Berghangs entlangführt. Wir bleiben wohlweislich in der Mitte, denn die Wegränder sind von irgendeinem längst vergessenen Regen tief ausgespült worden. Dann geht’s wieder hoch, jetzt nur noch über Marmorgestein. Wir schaukeln über steil stehende, scharfkantige Querrippen und herumliegende Brocken, bis wir am Ende dieses sanft aufsteigenden Hanges die anderen Autos sehen. Wohltuende Stille umfängt uns, nachdem wir der lärmenden und stinkenden Technik entstiegen sind.

Jetzt befinden wir uns auf gleicher Höhe mit dem Damm, auf dem schon längst keine Schienen mehr liegen. Er führt in einen drei Meter breiten und drei Meter hohen Hohlweg, überall wachsen Sträucher und Kräuter aus den Gesteinsritzen. Dann schließt sich der Gang über uns, und wir sind in dem stockfinsteren Tunnel, der durch den niedrigen Berg führt. Irgendein Vogel fliegt uns um die Ohren, eine Eule wahrscheinlich, als ich meine Taschenlampe anknipse. Neugierig beleuchte ich die Wände, aber mehr als grob behauenes Tunnelgewölbe aus nacktem, lebhaft geflammtem Marmor ist nicht zu sehen.

Länger als 40 Meter ist er sowieso nicht, dieser Tunnel, und der Ausgang steht wie ein schwarzer Bilderrahmen vor uns, der bis zum Erongo einen weiten Blick in die dunkel unten liegende Ebene freigibt, die angefüllt ist mit den Stimmen der Nacht. Wir treten hinaus aus der Enge des Gesteins, und plötzlich wird der Blick frei auch nach Westen und Osten. Ich fühle mich als Zuschauer auf einer Bühne, die Aufführung zu meinen Füßen.

Links liegt der eigentliche Steinbruch, tief und glatt ist der Berg hier eingeschnitten, und vorne im Rampenlicht des letzten rötlichen Schimmers ruhen ein paar mächtige Marmorquader. Sie sind so rechtwinklig und gerade, als seien sie gestern zurechtgesägt worden. Rechts sitzen Gestalten in der Nähe eines hell lodernden Feuers und rufen uns zu, und der rot glühende Holzkohlenfleck daneben verströmt den aufreizenden Geruch von gewürztem Braaivleis.

Dieser Platz, so wird am Feuer erzählt, gehört zu Hälbichs Farm. Die Familie Hälbich, die heute noch einen der ältesten Stores des Landes in Karibib betreibt, war eine der ersten Kolonisten-Familien und kam 1864 ins Land. Zuerst ließen sie sich als Missionskolonisten in Otjimbingwe nieder, damals der wichtigste Ort, 60 Kilometer südlich vom heutigen Karibib am Swakoprivier.

Eduard Hälbich, der Einwanderer, war Schmied, Büchsenmacher und Händler. Schon frühzeitig erwarb er die Zustimmung des Herero-Häuptlings von Otjimbingwe, in der Nähe des späteren Karibib einen Viehposten zu unterhalten. 1895 kaufte er die 15.000 Hektar große Farm Karibib unter Gegenrechnung von Schulden, die Häuptling Zacharias eingegangen war. Der Besitz wurde in den nächsten Jahren auf 22.000 Hektar vergrößert, das sind 220 Quadratkilometer, war also etwa dreimal so groß wie die Nordseeinsel Föhr.

Der Platz war günstig, der Ochsenwagen-Verkehr von der Küste in den Norden wählte zunehmend diesen Weg, und als um die Jahrhundertwende die Bahn nach Windhoek gebaut wurde, entstand der Ort Karibib unter Federführung der Familie Hälbich, die erheblich investierte und den Bürgermeister stellte.

Heute hat der Besitz bei weitem nicht mehr den Umfang von damals, aber so weit mein Auge sehen kann, muss alles einmal dazugehört haben. Neben mir sitzt Wilhelm Sonnenberg, einer der drei Direktoren der Hälbichschen Geschäftsleitung. Er ist gleichzeitig Bürgermeister und seit über 30 Jahren Mitglied des Schulvorstands, davon dreizehn Jahre Vorsitzender. Er wird nicht zuletzt aufgrund dieser Machtfülle der „Kaiser von Karibib“ genannt – was wohl nicht immer schmeichelhaft gemeint ist. Ein böser Ruf geht ihm voraus, so dass es schwer ist, unvoreingenommen zu sein.

Aber furchterregend kommt er mir durchaus nicht vor, schon neulich nicht, als er mir in der Schule kurz vorgestellt wurde. Er berichtet über die politische Lage, gibt sich als Anhänger der RP zu erkennen und zeigt die gleiche Enttäuschung wie Hinrich. Ich höre auch forsche Töne und deutliche Kritik an den Südafrikanern: Südwest habe nach Auflösung des Parlaments jetzt praktisch eine Diktatur, der Generaladministrator sei der Diktator, mit der RSA-Regierung im Rücken. Das alles sei ein großer Rückschritt. Außerdem verhindere die RSA im Einvernehmen mit internationalen Unternehmen aktiv die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Industrieansiedlung in Südwest werde als lästige Konkurrenz angesehen8. Die Unabhängigkeit sei in weite Ferne gerückt, und das schlimmste – die Zeit arbeite für die SWAPO.

Ich bin ein guter Zuhörer und dankbar für diese Informationen. Wir singen mit Werner zum Akkordeon und trinken reichlich „Windhoek Lager“ und werfen die leeren „Dumpies“ (Einwegflaschen) in die bereitstehenden Tonnen.

Morgen früh wird alles wieder weggeräumt – das sind wir diesem schönen Platz schuldig.

Hoffnung auf Regen

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